21 file not found: Wohnwagen.tif

 

 

 

 

Schellach ist ein »verschwundenes Dorf«. Eine kleine Erhebung in der Landschaft zeigt an, wo früher mal der Friedhof war. Hier stand auch die Kirche, aber der Ort ist im achtzigjährigen Krieg verwüstet worden. Übrig geblieben ist die Kaasboerderij, der erste Bauernhof in Zeeland, auf dem man selber Käse produziert.

Anne kaufte Bockshornkleekäse und frische Buttermilch. Die Kinder probierten fast jede Käsesorte und den selbst gemachten Vla. Wir tranken die Buttermilch sofort und packten den Käse in meine Satteltasche.

Es war eigentlich typisch, dass in diesem Moment die Diskussion über das Abendessen begann. Edda wollte nicht ins Boekanier. Das Argument mit den Trampolinen, mit denen der findige Wirt hinter seiner Terrasse ein unschlagbares Argument für Kinder installiert hatte, zog bei pubertierenden Tokio-Hotel-Fans nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren. Edda hatte Lust auf Spaghetti im Babbelaar. Anne wollte lieber selber etwas kochen.

Das Abendessen ist für den Camper ja oft die warme Mahlzeit des Tages, weil man mittags am Strand liegt, über den Markt schlurft oder auf dem Fahrrad sitzt. Natürlich sagt man sich da: »Wir haben doch gerade erst gefrühstückt! Jetzt schon wieder essen? Nee!«

Das ist der Grund, warum dem Abendessen, auch ernährungsphysiologisch betrachtet, eine entscheidende Rolle zukommt. Der Vorrat an diversen B-Vitaminen, natürlich C, E und F, dazu Spurenelemente, Mineralien, Cerealien und – ganz wichtig – Ballaststoffe, dieser Vorrat muss jeden Abend aufgefüllt werden, damit der Camper am nächsten Morgen wieder fit und gestählt sein Tagwerk verrichten kann.

Wenn es nach Edda ginge, könnte es immer Nudeln geben. Dabei sind auch gar nicht so viele Variationen notwendig. Henry Ford soll einmal gesagt haben: »Man kann sein Auto in jeder Farbe haben, vorausgesetzt, die Farbe ist schwarz!« Meine Tochter würde sagen, sie isst die Nudeln mit jeder Sauce, vorausgesetzt, die heißt »Bolognese«. Alternativ könnte man auch Ketchup darüberkippen!

Mein Sohn grillt für sein Leben gern, am liebsten Fische, die er vorher selbst gefangen hat. Dies stellt mich vor eines der Grundprobleme eines jeden männlichen Campers: Eigentlich legt man Wert darauf, dass die Kinder ebenfalls dem Camper-Hobby frönten, andererseits ist man nicht bereit, seinen Grill von jemand anderem, auch nicht von seinem eigen Fleisch und Blut, bedienen zu lassen.

Annes Vorschlag, nach Hause zu fahren, da würde sie dann einen Salat mit Joghurt-Dressing servieren, der durch einige Maiskörner, den Inhalt einer Dose Thunfisch und durch einige Croutons verziert würde, konnte nur mit einer 3:1-Abstimmungsniederlage enden. Viel zu wenig Kalorien nach so einer anstrengenden Tour!

»Oder wollen wir in den Zeerover?«, fragte Anne schließlich.

Zunächst mal fuhren wir Richtung Veere, zum Knooppunt 62. Anderthalb Kilometer weiter rief Lothar nach den Jungs. »Tobi, Tristan, jetzt links den 34-Pfeilen nach!« Wir fanden Veere tatsächlich. Ein überzeugendes System, dieses FIKS, und so übersichtlich.

Veere ist eine traumhafte Stadt. Man sieht in jedem Winkel die Macht und den Reichtum, die hier einmal geherrscht haben. Veere ist in früheren Zeiten das Zentrum des Wollhandels mit England und Schottland gewesen, und auch eine Fischereihochburg. Um das auch nach außen hin zu demonstrieren, sollte die Kirche die größte und schönste von ganz Zeeland werden. So ganz war das nie gelungen. Es wurden immer nur Teile genutzt. Im Lauf der vergangenen Jahrhunderte war Onze Lieve Vrouwekerk Kaserne, Lazarett und Packhaus. In der heutigen Zeit finden im Hauptraum Ausstellungen statt. Als 1961 durch den Veersedam der Zugang zum Meer verwehrt wurde, verschwanden die Fischerboote. Kein Problem für Veere, denn die Fischerboote wurden durch Yachten ersetzt. Yachtbesitzer haben Geld, und das bringen sie nach Veere. Ich glaube, den Bewohnern geht es wieder ziemlich gut.

Wir saßen auf der Terrasse des Grand Café am Vismarkt in Veere. Die Kinder waren zur Hafenmauer gelaufen. Die alte Kanone vor der Kaimauer übte noch immer Anziehungskraft auf sie aus.

»Ich kann das nicht,«, sagte Gaby plötzlich.

Anne legte ihr die Hand auf den Arm. »Was kannst du nicht?«

»Ich kann nicht so tun, als ob nichts passiert wäre! Wir fahren hier durch die Gegend, als wäre alles in bester Ordnung. Coen ist tot, und er ist nicht nur tot, er ist umgebracht worden. Und der Mörder läuft noch frei herum!«

»Ja glaubst du denn, dass ich das einfach so vergessen kann?« Anne war fast eingeschnappt.

Und ich fühlte mich auch missverstanden. »Es erwartet doch auch niemand von dir, dass du so tust, als wäre nichts passiert. Aber was sollen wir machen? Wir können doch nur abwarten und hoffen, dass dieser Inspecteur den Mörder bald findet.«

»Der?!« Lothar war skeptisch. »Aber auch wenn wir nicht so tun, als ob nichts passiert wäre, müssen wir trotzdem über das Abendessen nachdenken. Ich bin für den Zeerover.«

Gaby sah ihren Mann an. Hätte er ihren Blick erwidert, so hätte er eine Mischung aus Resignation und Unmut in ihren Augen gesehen.

 

Von Veere aus radelten wir am Yachthaven Oostwatering vorbei nach Vrouwenpolder. Wir waren diese Strecke schon zehn Mal gefahren, aber trotzdem suchte Lothar weiter erfolgreich nach Zahlenschildern.

Der Wind kam von See. Ich war sehr froh, dass wir nicht rechts abbiegen mussten, in Richtung 3 auf den Veersedam nach Kamperland. Da hätte uns der Wind schwer zu schaffen gemacht. Wir fuhren durch den Ort, den Koningin Emmaweg entlang Richtung Noordkapelle zum Zeerover. Mit dem Fahrrad konnten wir durch den Dünengürtel de Mantelinge bis zum Deich fahren. Es war mittlerweile später Spätnachmittag geworden, viele Strandbesucher hatten schon den Weg ins heimische Ferienhaus angetreten, deshalb fanden sich viele freie Fahrradständer ganz nah am Deich.

Sarah, Tobi, Tristan und Edda liefen sofort zum Wasser. Lothar und Gaby suchten wohl schon nach einem Tisch auf der Terrasse des Zeerover, ich blieb auf dem Deich stehen.

Es war etwas passiert! Der Urlaub hier an der Küste würde nie mehr so sein, wie er in den Jahren zuvor gewesen war. Aber hier auf dem Deich hatte das Meer nichts von seiner Faszination eingebüßt. Ich atmete tief ein und pumpte mir die Seeluft in die Lunge.

Anne trat zu mir und hakte sich bei mir ein: »Na, Frikandel speciaal, frites Mayo

»Und ein Grimbergen. Komm!«

»Eigentlich wollte ich heute kochen.« Anne seufzte.

Die Terrasse des Zeerover ist durch Glasscheiben gegen den Wind geschützt. Die Speisekarte ist eine Offenbarung für Hollandurlauber. Hier bekommt man alles, was die Friteuse hergibt. Bitterballen, Fleischkroketten, aber auch guten Fisch: die kleinen Seezungen, Sliptongetjes, mit Pommes und Remouladensauce, das Ganze natürlich komplett ohne Vitamine und Spurenelemente, aber das macht ja nichts! Und morgen, da würden wir selber in der Küche stehen, ganz gesundes Essen würde es geben! Wir würden Ballaststoffe kochen.

Über dem Horizont lag eine Dunstschicht. Der Sonnenuntergang war nicht perfekt, aber das hätte er an diesem Tag auch nicht sein dürfen, und morgen kam ja ein neuer.