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Ich hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass sich dieser Mittwoch so positiv und so sonnig verabschieden würde. Noch am späten Nachmittag war der Himmel ein einziges hausmeisterkittelgraues Tuch gewesen, aus dem es unaufhörlich wie aus einer Sprinkleranlage gegossen hatte. Wir hatten im Vorzelt zu Abend gegessen, weil wir dem Wetter nicht trauten, aber um Viertel nach acht saß ich mit Anne doch noch draußen.
Der Himmel leuchtete nun blau und weiß, und das Gras hatte ein so sattes Grün, dass man verstehen konnte, warum so viele Maler Jahre ihres Lebens auf Walcheren verbracht hatten. Piet Mondrian hatte hier gearbeitet. Eine ganze Künstlerkolonie hatte sich hier niedergelassen, Jan Toorop, Jacoba van Heemskerk … Auch Albrecht Dürer hatte dieses Licht gelobt. Ich hätte das wahrscheinlich nie erfahren, aber in Domburg gibt es ein Restaurant namens Mondrian, und wenn man da isst, will man ja auch wissen, warum das so heißt.
Es hatte Spaghetti alla Nonna gegeben. Ein leichter Knoblauchduft verzierte unser Vorzelt. Es ist das einzige Nudelgericht, bei dem Edda fast freiwillig auf die Tomatensauce verzichtet. Jetzt hatten sich beide Kinder noch mal verabschiedet, um zu überprüfen, ob Schweini und Sabrina, Laura, M-Jay, Marc, Cindy, noch ne Sabrina und Tobi noch auf dem Platz waren.
Annes Strickgarn hieß Fragola, Rundstricknadel viereinhalb, sie strickte glatt links mit Hebemaschen. Es sah nicht so aus, als ob unser Gespräch heute sehr ergiebig werden würde. Ich hatte einen Riesling im Glas und konnte mich wieder nicht auf das Werk von Herrn Birbaek konzentrieren.
»Ich geh noch mal eine Runde über den Platz, kommst du mit?«, fragte ich.
Sie blickte von ihrem Garn auf. »Ich brauche noch sieben Reihen, dann kann ich den Halsausschnitt abketten. Geh ruhig schon mal vor.«
Die Sonne hatte sich schon hinter den Pappeln versteckt, die Dunkelheit legte sich sehr sanft über de Grevelinge. Ich holte mir meinen blauen Pullover aus dem Schrank, küsste Anne auf die Wange und trottete, die Hände in den Taschen, über den Platz. Ich ging an Menschen vorbei, die friedlich vor ihrem Wohnwagen saßen. Die Grills hatten ihre Schuldigkeit getan.
Wenn die Dämmerung einsetzt, wird es verdammt hell auf dem Campingplatz. Früher stand ab und an auf den Tischen diese blaue Kartuschenlampe mit dem Glühstrumpf, der immer kaputtging. Früher waren Campingplätze um diese Zeit dunkel, aber das war einmal.
Heute werden Wohnwagen, Vorzelte und Stellplätze mithilfe einer bunten Vielfalt von unterschiedlichsten Leuchtmitteln in romantisches Licht getaucht. Da gibt es natürlich Windlichter in allen Farben und Formen, mit Gel aufgefüllte Glasvasen, in denen einige Muscheln und in der Mitte ein Docht stecken. Und es gibt Kerzen in allen Farben und natürlich in allen Duftnoten.
Anne war neulich auf einer Kerzenparty. Das ist so was wie eine Tupperparty, nur ohne Tupper, dafür aber mit Kerzen. Sie zeigte mir dann im Katalog ihre Auswahl, und spätestens bei jedem zweiten Exemplar folgte die Erklärung: »Ich dachte, die sieht gut aus im Wohnwagen … Ich dachte, die passt ins Vorzelt …«
Und natürlich haben auch die Baumärkte den Trend nicht verschlafen. Darum gibt es Schwedenfeuer: Baumstammstücke mit merkwürdig anmutenden eingesägten Mustern, die herrlich brennen. Wir haben auch vier, fünf Stück davon im Urlaubsgepäck. Wir nutzen unseren Grill als feuerfeste Unterlage, damit der kostbaren Wiese kein Leid geschieht. Die Schwedenfeuer haben sich auf de Grevelinge durchgesetzt, so viel steht fest, aber sie werden klar geschlagen von Lichterketten, jawohl: Lichterketten!
Das funktioniert wie mit den Schokoladen-Nikoläusen. So ein Schokoladen-Nikolaus, der wird ja auch, wenn er nicht vor Weihnachten ein neues Zuhause gefunden hat, in die Schokoladenfabrik zurückgebracht, da wird er aus dem Mantel gepellt, dann werden ihm die Ohren lang gezogen und, zack, ist er ein Schokoladen-Osterhase.
Bei den Baumarkt-Lichterketten werden zu Weihnachten goldene Sterne und rote Weihnachtsmänner über die kleinen Lämpchen gestülpt. Jetzt im Sommer sind es blaue Delfine oder kleine Segelboote, und das ist auch schön.
Mir fiel ein, dass ich unsere Gartenfackeln aus Edelstahl in Betrieb nehmen könnte. Die waren gar nicht so teuer. Da konnte man doch nicht Nein sagen. Ich war gespannt, ob wir in diesem Sommer mehr Propangas oder mehr Lampenöl verbrauchen würden.
Als ich zurückkam, kontrollierte Anne gerade mit zufriedenem Gesichtsausdruck ihre Handarbeit, anscheinend war sie gerade fertig geworden. Sie saß noch vor dem Vorzelt, hatte nicht vor Kühle und Feuchtigkeit kapituliert.
»Schatz, wo haben wir die neuen Fackeln, die aus Edelstahl?«
»Die müssten noch im Auto liegen.«
Ich ging zum Parkplatz, und tatsächlich, sie lagen noch im Kofferraum: eins fünfzig lange Stiele und darauf kleine metallene Kolben, die mit Lampenöl gefüllt werden müssen. Vier Stück hatten wir besorgt. Die Stiele passen wunderbar in die Laschen unseres Windschutzes. Ja, es ist schon romantisch! Wenn man so vor dem Vorzelt sitzt, das Schwedenfeuer knistert heimelig vor sich hin, die kleinen blauen Delfine leuchten verträumt durchs Vorzeltfenster, und dann geht plötzlich das Windlicht auf dem Tisch aus …
»Lass uns reingehen«, sagte Anne, »es ist so ein herrlich kuscheliger Abend.«
Ich schaute sie ungläubig an. »Es ist schon Viertel nach zehn. Wann kommen Tristan und Edda nach Hause?«
Sie lächelte. »Um Punkt elf – und wenn ich richtig liege, keine drei Minuten früher!«
Es muss Momente im Leben geben, in denen man nicht über Gott und auch nicht über die Welt nachdenkt. Ich hielt Anne im Arm, unsere Lippen berührten sich, unsere Herzen klopften …
Und Edda klopfte nicht. Sie kam einfach rein! »Sabrina ist mit ihren Eltern zum Nachtmarkt in Middelburg, die Jungs spielen Fußball, und mir ist total langweilig!« Sie schaute uns ein wenig überrascht an. Die alten Eltern knutschten noch, fürchterlich! Wie gut, dass sie uns nicht auf frischer Tat ertappt hatte. Dann hätten wir uns ganz sicher die Frage gefallen lassen müssen: »Seid ihr nicht zu alt für so was?«
Nein, sind wir nicht! Es war nur der falsche Ort und die falsche Zeit.
Anne lachte. »Wie war das noch mal mit der Tandemachse?«
Sie hätte uns nie auf frischer Tat ertappen können. Ölsardinen haben auch keinen Sex, und der Grund kann nur sein, dass es die Kunden im Supermarkt bestimmt mitbekommen würden. Die Schallisolierung einer Sardinenbüchse ist mangelhaft. Wohnwagen sind nichts anderes als Sardinenbüchsen, nur dass sie zwei Räder haben, oder vier, falls eine Tandemachse vorhanden ist. Wenn du einmal gehört hast, wie sich der Nachbar abmüht, dann drängt sich dir der Satz auf: »Ach weißt du, Liebling, drei Wochen gehen auch vorbei.«