Am späten Nachmittag wanderte Kelda wieder über den Zöllnerpfad entlang der Côte des Naufrages. Die kurze Dünung glitzerte zwischen den Felsen, Kinder spielten am Strand. Möwen schaukelten auf dem Wasser. Trügerisch ungefährlich lag das blaue Meer unter dem blauen Himmel. Der Leuchtturm von Pontusval ragte weiß schimmernd über dem grauen Granit, eine leichte Brise wogte durch das graugrüne Gras.
Ihr Urlaub ging zu Ende. Nächste Woche musste sie wieder zurückfahren. Ohne Matt.
Ein neuer Lebensabschnitt erwartete sie.
An einem verwitterten hölzernen Steg setzte sie sich nieder und sah zu den Wölkchen auf, die der Wind vor sich hertrieb.
Von irgendwo her erklang wieder die leise Flötenmusik und mischte sich in das Rauschen der Wellen und die Schreie der Möwen.
Oder bildete sie sich das nur ein?
Das Land war wie gemacht dafür, an Magie zu glauben. Und seltsame Zufälle.
Ein Arm legte sich um ihre Schultern.
Sie zuckte zusammen.
Aber es war nicht Matt.
»Simon?«
»Woran denkst du, Kelda?«
»Dass ich heimkehren werde.«
»Ja, ich auch.«
Überrascht drehte sie sich zu ihm hin. »Tatsächlich?«
»Ja, im Herbst. Ich habe heute ein Angebot angenommen, das schon seit drei Wochen auf meinem Schreibtisch liegt. Ich konnte mich nicht entscheiden, aber …«
»Aber jetzt hast du gefunden, was du gesucht hast.«
»Sieht so aus.«
Sie lehnte sich an ihn und schloss die Augen. »Ich habe von dir und Luc geträumt.«
»War es arg grässlich?«
Sie seufzte.
Er küsste sie auf die lächelnden Lippen.
»Ja, so ungefähr war es.«
»Luc le Gamache oder ich?«
»Tja, wenn ich das so genau wüsste.«
Sie gingen Hand in Hand zurück zum Marée bleue.
Soquette saß unter ihrem Hortensienbusch und wartete, dass die Sonne unter- und der letzte Gast wegging. Der ging aber nicht – Simon blieb einfach sitzen und schmuste mit Kelda herum. Dabei hatte sie Pflichten übernommen. Außerdem lauerte das spitzohrige Miststück schon wieder oben auf einem der blauen Blütenballen, um ihr die Sahne streitig zu machen.
»Siehst du, das hat gewirkt, obwohl du ihr aufs Kissen gepinkelt hast«, zischelte Gwenaëlle zu Soquettes Pelzöhrchen hinunter.
»Ach, das hast du mit der Knüpferei bewirkt?«
»Tjaaaa.«
»Und darüber vergisst sie jetzt meine Sahne.«
»Meine Sahne.«
»Pff.«
Soquette erhob sich und stiefelte zu Kelda. Höchst majestätisch baute sie sich vor ihr auf und forderte ihren Tribut.
»Oh, Simon, die Süße habe ich beinahe vergessen. Ich muss mich um ihren Schlummertrunk kümmern.«
»Das musst du auf jeden Fall. Nimm das Schälchen, das Xavier heute mitgebracht hat.«
»Na gut. Wenn man Crêpes von Sèvres speisen kann, dann kann die Katze auch Sahne im Waterford serviert bekommen.«
Das allerdings war Soquette Schwanzspitze wie Schnurrhaar. Viel aufmerksamer fand sie es, dass Kelda nicht nur das Kristallschälchen, sondern auch ein hübsches, mit Blumen verziertes Schüsselchen danebenstellte. In beiden ausreichend Weißheit für sie und Gwenaëlle.
Das erste Mal, seit sie in das Haus eingezogen war, konnte sie in Frieden ihre Sahne ausschlappen.
Gwenaëlle schaukelte in den Blüten und summte eine kleine, glückliche Melodie.