Zauberwirken

Als Kelda am Morgen erwachte, hatte sie das Kopfkissen fest umarmt und an ihre Brust gerückt. Verwirrt blinzelte sie in die Sonnenstreifen, die durch die Fensterläden fielen, und ließ das Kissen los. Schon wieder hatte sie äußerst intensiv von Luc le Gamache und dann von Simon geträumt. Nicht unangenehm, nein, wirklich nicht. Und sicher auch nicht unerwartet. Bis spät in die Nacht hatten sie über Simons Großvater gesprochen, und sie hatte die alte Fotografie von ihm lange betrachtet.

Lächelnd knuffte sie das Kissen noch einmal.

Erstaunlich, was Simon herausgefunden hatte! Das Haus, das er so lange gesucht hatte – es lag direkt vor seiner Nase. Es war sozusagen sein persönlicher Glücksfall, das erste Gebäude, das er nach seinem unrühmlichen persönlichen Schiffbruch wieder renoviert hatte. Paulettes Vater hatte es vor gut siebzig Jahren von einem Monsieur Bernard gekauft, der es zuvor von Jerôme Bellard erstanden hatte. Damals wurde das ehemalige Fischerhaus zu einer kleinen Bar umgebaut. Paulette selbst hatte es mit ihrem Mann Anfang der Neunziger übernommen und nach dem Tod ihrer Eltern geerbt. Als Paulettes Mann starb, hatte sie es ihrer Tochter Marie-Claude übertragen, die es zur Crêperie umbauen ließ. Von Simon.

So kamen alle Fäden zusammen.

Kein Wunder, dass sie lebhaft von Simon geträumt hatte.

Kelda warf energisch die Bettdecke zur Seite, stand auf und suchte ihr kleines Badezimmer auf. Mit feuchten Haaren kehrte sie zurück, und in diesem Augenblick kam Soquette in das Zimmer gestiefelt, maunzte vielsilbig, sprang auf das Kopfkissen und starrte Kelda herausfordernd an.

»Guten Morgen, Süße«, grüßte sie die Katze freundlich und streichelte ihr den Kopf.

Soquette schnurrte, fing aber an, an dem Kissenbezug zu kratzen.

»Na, was soll das denn?«

»Mirrips Mau!«

»Gefällt dir das Muster nicht, oder was ist los?«

»Maumaumau!«

Kopfschüttelnd betrachtete Kelda die aufsässig tatzende Katze.

»Du machst das kaputt, Soquette!«

»Mau!«

»Runter da!«

»Mirr!«

Als Kelda sie anfassen wollte, um sie hochzuheben, krallte Soquette nach ihr. hob dann demonstrativ den Schwanz und pinkelte auf das Kopfkissen.

»Soquette, du Ferkel!«, schrie Kelda sie an, und die Katze machte einen Satz auf den Boden und sauste aus der Tür.

Kelda sah ihr empört nach und riss den Bezug von dem Kissen. Dabei fielen die beiden Haarringe auf das Laken. Angewidert knüllte sie den Stoff zusammen und hob mit spitzen Fingern das Knüpfwerk auf.

»Komisch«, murmelte sie. Ein Haarknäuel fand man schon mal im Bett, aber dies hier war kunstvoll geflochten. Das konnte kein Zufall sein. Nachdem sie sich angezogen hatte, klemmte sich Kelda Kissen und Bezug unter den Arm und nahm das Fundstück in die Hand. Ihr Weg führte als Erstes zur Waschmaschine und dann zu Marie-Claude in die Küche.

»Deine Katze hat auf mein Kopfkissen gepinkelt«, grollte sie.

Ihre Freundin verdrehte die Augen. »Sie wird immer schlimmer. Ich versteh das nicht. Ich bin bald so weit, sie nicht mehr ins Haus zu lassen.«

»Ich weiß nicht. Ich habe mal gehört, dass das so eine Art Protestverhalten ist. Vielleicht mag sie mich nicht in ihrem Revier oder so. Wahrscheinlich wird es besser, wenn ich weg bin.«

»Du wirst dich nicht von einer verrückten Katze vertreiben lassen.«

»Nein, aber ich würde gerne herausfinden, was sie so an mir stört. Und was das hier ist.«

Kelda wies die Haarringe vor und erzählte, wie sie sie gefunden hatte.

Marie-Claude biss sich auf die Lippen. »Verdammter Aberglaube!«

»Was ist das?«

»Haarnesteln. Himmel, wer steckt denn so was in meine Betten?«

»Was sollen sie bewirken?«

»Bestimmt nichts Gutes. Wirf sie weg.«

Marie-Claude streckte die Hand aus, aber Kelda umschloss die Nesteln mit ihrer Faust. »Ich werde sie Xavier zeigen. Der kennt sich doch mit der hiesigen Magie aus.«

»Jetzt mache ich dir erst einmal ein Frühstück.«

 

Wohl gesättigt und mit dem Auftrag, weitere hübsche Teller vom Truc et Puces mitzubringen, machte Kelda sich anschließend auf den Weg zu dem großen Flohmarkt. Er war bereits gut besucht, es schien, dass er sich zu einem Anziehungspunkt für Urlauber entwickelte. Yves winkte ihr kurz zu, während sie nach Porzellan stöberte. Einen Satz Teller mit einem zarten Fliedermuster stellte sie zusammen, brachte ihn zu Yves an die Kasse und fragte ihn nach Xavier.

»Der ist angeln. Den findest du an Keremma, in der Nähe des Bunkers.«

»Ah, ich erinnere mich. Die hier nehme ich für die Crêperie mit. Machen Sie mir einen Sonderpreis, Yves?«

»Ahh, Sie plündern mich aus«, stöhnte er, und Kelda ging auf das Spiel ein und handelte vergnügt mit ihm. Als sie sich einig geworden waren, half er ihr, die Kiste ins Auto zu tragen, und sie fuhr zum Parkplatz hinter der Düne, um Xavier am Strand zu suchen.

Sie sah ihn schon gleich, als sie die Schuhe auszog, um über den feuchten Meeresboden zu gehen. Die Flut hatte eingesetzt, und der alte Gnom stand, trotz des heißen Tages in hohen Stiefeln, Weste und seiner abgewetzten Kappe, zwischen zwei Angelruten, deren beinahe unsichtbare Schnüre weit in das steigende Wasser reichten. Ein Eimer und allerlei andere Utensilien, deren Nutzen Kelda fremd war, standen hinter ihm, er selbst schaute versonnen zum Horizont hinaus.

»Xavier?«, sagte Kelda leise, um ihn nicht aus seiner offensichtlichen Kontemplation zu schrecken. Doch er drehte sich gelassen zu ihr um und grinste sie erfreut an.

»Hat der Stein auf dem Men Marz gewirkt, und Sie kommen, um mich zu heiraten?«

»Ich habe schon den vier Veteranen im Marée bleue die Ehe versprochen.«

»Wie schade. Dann erzählen Sie mir wenigstens, was es Neues gibt. Hat der junge Mann inzwischen eingesehen, dass er Sie verloren hat?«

»Matt? Nein, noch immer nicht.«

»Er ist besessen von Ihnen. Geben Sie acht.«

Besessen, ja, so konnte man es wohl nennen. Liebe war das nicht mehr.

»Ich habe gestern noch meinen Vater angerufen, er wird seine Sachen aus meiner Wohnung räumen und das Schloss auswechseln.«

»Dinge gehen zu Ende, man muss es ertragen.«

»Ja, muss man wohl.« Kelda zog die beiden Nesteln aus der Tasche. »Xavier, können Sie mir sagen, was das ist? Ich habe sie heute Morgen in meinem Kopfkissen gefunden.«

Der alte Gnom legte sich die Haarringe auf seine schwielige Hand und kniff die Augen zusammen.

»Mhm«, grummelte er. »Mhm.«

»Was ist?«

»Mhm. Da zaubert wer.«

Kelda unterdrückte ein Kichern. »Wer?«

»Jemand, der weiß, wie es geht.«

»Aha. Und was zaubert der?«

»Die dunklen sind Ihre Haare, ja?«

»Vermutlich.«

»Und die hellen?«

Kelda schwante Böses. Irgendein Verrückter hatte offensichtlich einen Liebeszauber gewoben und ihr ins Bett gesteckt. Helle Haare – sollte Matt zu solchen Idiotismen greifen?

»Ist es das, was ich vermute, Xavier?«

»Ist ein Liebeszauber, klappt fast immer.«

»O Sch…«

Sie ergriff die Haarnesteln, warf sie auf den feuchten Boden und schob mit dem Fuß Sand darüber. Der Alte lachte keckernd.

»Zu spät, hat schon gewirkt.«

»Wenn ich den erwische, der das gemacht hat …«, fauchte Kelda. Und dann lachte sie plötzlich. »Verdammt, jetzt hätte ich fast selbst dran geglaubt.«

»Sollten Sie, sollten Sie!«

Ewas ruckte an der Angel, und Xavier wendete seine Aufmerksamkeit von Kelda ab. Eine Weile beobachtete sie, wie er vorsichtig die Angelleine einholte, dann stapfte sie zur Düne zurück.

Jemand verriet Matt ständig, wo sie zu finden war, und jemand bastelte blödsinnige Zauberringe. Das musste ein Ende haben.

Auf dem Rückweg überlegte sie, wer das wohl war. Es musste jemand sein, der wusste, wohin sie ging, und der Zutritt zu ihrem Zimmer hatte. Marie-Claude und Paulette waren es sicher nicht. Blieben die Putzfrau, die morgens vorbeikam, und die beiden Serviererinnen. Matt sprach so gut wie kein Französisch, die Putzfrau keine Silbe Deutsch. Aber Nati, die oft mittags bediente, verstand es recht gut.

Am Marée bleue angekommen, brachte Kelda die neuen Teller in die Küche und berichtete Marie-Claude von ihren Überlegungen. Die rief Nati zu sich und unterzog sie einer ziemlich barschen Befragung, bei der herauskam, dass Matt tatsächlich ein paar Mal nach Kelda gefragt hatte.

»Er hat mir so leidgetan«, schnupfte die pummelige Servierkraft. »Er ist so ein charmanter Mann. Und Sie sind so kalt zu ihm, Madame!«

Marie-Claude knurrte. »Du hast dir darüber kein Urteil anzumaßen, Nati. Und schon gar nicht hast du Haarringe in Madames Bett zu stecken.«

Auf diese Anschuldigung aber reagierte Nati mit so viel Empörung, dass Kelda Zweifel hegte, ob sie diesen Unfug wirklich zu verantworten hatte.

»Ist gut. Es hat ja keinen Schaden angerichtet«, murmelte sie schließlich und band sich die Schürze um, um die ersten Bestellungen aufzunehmen.

Die Betriebsamkeit lenkte sie vom Grübeln ab. Dann flaute der mittägliche Gästestrom ab, und nur die vier Veteranen saßen noch wie üblich bei ihrem Cidre und flirteten mit ihr und Paulette.