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Zuerst las ich den Vorfallbericht des NCIS. Ohne groß auf das Fachkauderwelsch zu achten, konzentrierte ich mich auf die wesentlichen Fakten.
Eine Abriegelungs- und Durchsuchungsoperation in Sheyn Bagh führte zu einem Feuergefecht, in dessen Verlauf zwei unbewaffnete afghanische Zivilisten erschossen wurden. Der Schütze war Second Lieutenant John Gross. Gross funkte seinen Gefechtsschadensbericht ans Kompaniehauptquartier und erläuterte nach seiner Rückkehr ins FOB Delaram seinem Kompaniekommandanten Captain Wayne Hightower den Vorfall detaillierter.
Hightower gab Gunnery Sergeant Werner Sharp den Befehl, alle Beteiligten zu befragen und den Vorfall ans Bataillonshauptquartier zu melden. Die Befragten berichteten Sharp, dass die Fahrt nach Sheyn Bagh dreißig Minuten gedauert habe. Der Konvoi aus fünf Humvees und einem Siebentonner-Panzerfahrzeug erreichte das Dorf bei Sonnenuntergang. Zwei der Humvees waren mit schweren Maschinengewehren M2 Kaliber 50 bewaffnet. Auch wenn das Dorf bis dahin als freundlich gesinnt betrachtet wurde, hatte der Nachrichtendienst von möglichen Waffen- und Sprengstofflagern berichtet. Die Einheit befand sich in höchster Alarmbereitschaft.
Sheyn Bagh war auf drei Seiten von einer Mauer umgeben, an der vierten erhob sich ein steiler Hügel. Die vordere Wand hatte zwei Einlässe von der Straße ins Dorf, einen an jedem Ende.
Ich schaute mir die Fotos des NCIS an. Die Szene sah aus wie aus einem Roman von Ray Bradbury.
Zurück zur Zusammenfassung.
Das Licht wurde schwächer. Drei Humvees fuhren ins Dorf, zwei gingen vor der Mauer in Position, jeder neben einem Einlass. Der Siebentonner stellte sich zwischen sie.
Einsatzteams der zweiten und dritten Abteilung begannen nun damit, an Türen zu klopfen und die Bewohner aufzuscheuchen, wobei sie sich von gegenüberliegenden Enden zur Mitte vorarbeiteten. Die erste Einheit hatte den Befehl, die Fahrzeuge zu bewachen und die Durchsuchenden zu decken.
Lieutenant Gross blieb, bewaffnet mit einem M16 und einer M9 Beretta, vorne stehen, um die Operation zu überwachen und zusätzlichen Feuerschutz zu geben. Gross wies den Schützen Corporal Grant Eggers an, mit seinem leichten Maschinengewehr ebenfalls vorne in Stellung zu gehen.
Das erste zu kontrollierende Haus befand sich an dem Ende dicht vor dem Lieutenant. Zwei männliche Afghanen wurden nach draußen geführt und angewiesen, dort stehen zu bleiben. Die Durchsuchenden fanden nichts und gingen zum nächsten Haus. In diesem Augenblick erschütterte eine Explosion den Bereich neben einem der Humvees. Die Explosion klang wie eine raketengetriebene Granate. Zwei Marines in der Nähe des Humvee wurden getroffen.
Feuer aus automatischen Gewehren von der Hügelflanke wirbelte Staub im vorderen Teil des Dorfplatzes auf. Lieutenant Gross schrie »Feindberührung« und »Feuer erwidern, Feuer erwidern«. Er rief den Schützen an den schweren Maschinengewehren zu, die Hügelflanke mit Feuer zu belegen. Sie pflügten den Hügel auf, und Eggers feuerte mehrere Stöße aus seinem M249. In diesem Augenblick hörte Eggers rechts von sich Schreie, die er als »Allah Akbar« interpretierte, und er hörte, dass der Lieutenant das Feuer eröffnete. Er drehte sich um und sah, wie die zwei Einheimischen in einem schrägen Winkel und mit ruckartigen Bewegungen zwischen dem Lieutenant und dem Haus taumelten, weg von der Einschlagstelle der Granate.
Als Eggers die Einheimischen sah, waren sie fünfzig bis zwanzig Meter von dem Lieutenant entfernt und wurden durch die Wucht der Kugeln zur Seite geschleudert. Als sie mit dem Gesicht nach unten zu Boden stürzten, warf Lieutenant Gross das Magazin seines M16 aus und steckte ein neues hinein. Eggers drehte sich, um wieder den Hügel unter Beschuss zu nehmen, doch kein Feind erwiderte das Feuer. Die Schützen an den Maschinengewehren hielten weiter die Hügelflanke unter Beschuss. Lieutenant Gross befahl Feuereinstellung, und es wurde still.
Lieutenant Gross beorderte seine Männer zu den Fahrzeugen zurück und ging mit dem Sanitäter zu den Verwundeten. Eggers untersuchte die beiden Einheimischen, und beide waren tot. Eine erste Durchsuchung erbrachte keinen Hinweis auf Waffen oder Sprengstoff an den oder in der Nähe der Leichen.
Der Sanitäter befand die Verwundeten für stabil, dennoch bedurften sie dringend medizinischer Versorgung. Lieutenant Gross entschied, dass ein Transport mit einem Fahrzeug schneller wäre, als auf einen Evakuierungshubschrauber zu warten, brach deshalb die Mission ab, ließ die Verwundeten in den Siebentonner laden und raste nach Delaram zurück. Die toten Afghanen wurden den Dorfbewohnern überlassen.
Ich hörte auf zu lesen, um aufzustehen und mich zu strecken und mir vorzustellen, was für ein höllisches Chaos in diesen wenigen Minuten geherrscht haben musste. Dann wandte ich mich wieder dem Bericht des Gunnery Sergeant zu. Im Wesentlichen hatte Sharp das Folgende herausgefunden.
Nur Gross und Eggers sahen, dass die Afghanen beschossen wurden, wobei Eggers die ersten Sekunden fehlten. Anfangs waren die beiden kooperativ gewesen und schienen keine Gefahr darzustellen. Nur Gross und Eggers hörten, dass die Männer etwas schrien. Gross behauptete, die Afghanen wären auf ihn zugestürzt. Nur Gross schoss auf sie. Es war unbestritten, dass die Männer unbewaffnet waren.
Sharp ging besonders auf Eggers’ Aussage ein und fasste sie sehr detailgenau zusammen:
Eggers war sehr erregt und dachte, beiden Einheimischen sei in den Rücken geschossen worden. Dachte, sie würden von der Explosion davonlaufen, nicht auf Gross zu. Warum dann ein Magazin mit dreißig Schuss auf diese Männer abfeuern? Das feindliche Feuer kam vom Hügel. Eggers meinte, den jüngeren Einheimischen von einer früheren Durchsuchung des Dorfes zu kennen. Der Junge hatte freundlich gesinnt gewirkt. Dorfbewohner hatten ihm gesagt, dass Übeltäter das Dorf infiltrieren, auf Patrouillen schießen und dann wieder verschwinden würden. Eggers
war sicher, dass die Toten Nichtkombattanten waren.
Ich las den Bericht des Kompaniekommandanten Wayne Hightower, erfuhr aber nichts Neues. Eine Aktennotiz eines Special Agent des NCIS zitierte Hightower mit der Bemerkung, er habe als Vorgesetzter Lieutenant Gross nie einen Freibrief für die Erschießung von Zivilisten ausgestellt, und er habe seinen Vorgesetzten detailliert über den Vorfall berichtet.
Aus einer Aussage des Bataillonskommandanten Lieutenant Colonel Walter Roberts erfuhr ich, dass Roberts den kommandierenden Offizier von RCT-G Colonel Craig Andrews informiert hatte. Roberts hatte außerdem Lieutenant Gross seines Postens als Zugführer enthoben und ihn in die Etappe versetzt. Roberts bemerkte, dass der Gross-Fall das Potenzial hatte, sich zu einem schwerwiegenden Problem auf Regierungsebene zu entwickeln. Er empfahl, dass die Untersuchung »streng nach den Vorgaben des Gesetzes« durchgeführt werde.
Ich las eine Direktive von Andrews, die Sache Gross solle für Ermittlungen wegen einer möglichen Verbrechensanklage an das örtliche Büro des NCIS übergeben werden.
Ich stand auf, streckte mich und rollte die Schultern. Dann nahm ich mir die Ermittlungsakte des NCIS vor.
Zwei Dinge fielen mir sofort auf. Erstens war sie für einen Vorfall, der möglicherweise zu einer Verbrechensanklage führen konnte, bemerkenswert dünn. Zweitens war der Special Agent, der die Ermittlungen vor Ort durchgeführt hatte, nicht Blanton gewesen. Irgendwie gab mir das mehr Vertrauen.
Während ich mich durcharbeitete, verstand ich, warum die Akte so dünn war. Als endlich ein Besuch des NCIS vor Ort arrangiert war, gab es nicht mehr viel zu untersuchen. Die Leichen waren begraben und der Schauplatz gereinigt, eventuelle Spuren waren durch das dörfliche Alltagsleben zerstört worden.
Einer der Dorfältesten lieferte dreißig M16-Patronenhülsen ab und zeigte die Stelle, wo er sie gefunden hatte. Das Ermittlungsteam fotografierte Schäden an der Stelle der Mauer, wo die raketengetriebene Granate explodiert war, sammelte Metallfragmente des Humvee, machte Teleskopaufnahmen der Einschusslöcher an der Hügelflanke und pulte eine Handvoll Kugeln Kaliber 50 aus dem weichen Fels.
Übersetzer des NCIS führten Befragungen durch, aber kein Mensch hatte die eigentliche Schießerei gesehen. Jeder Befragte erzählte dieselbe Geschichte. Die Toten waren gute Männer gewesen. Keine Aufständischen im Dorf. Kein Sprengstoff. Keine schlimmen Waffen, nur Flinten zum Schutz vor Dieben. Die Aufständischen auf dem Hügel waren gekommen und wieder gegangen. Die Marines hatten einen Jungen getötet. Sehr schlimme Sache.
Die Erlaubnis einer Exhumierung wurde wiederholt verweigert. Ohne Leichen und Zeugen blieben den Ermittlern nur der Bericht über die Tatortuntersuchung und die Aussagen der Mitglieder von Gross’ Einheit.
Wenn man die Aussagen der Marines und die Ermittlungen des NCIS aufs Wesentliche reduzierte, stachen zwei Fakten heraus. Erstens, die beiden Zeugen der Schießerei erzählten einander widersprechende Geschichten. Zweitens, die Kugeln hatten die Einheimischen entweder von vorne oder von hinten getroffen.
Ich verstand jetzt, warum die Exhumierung so wichtig war. Gleichzeitig fragte ich mich, was Gross dachte. Er kannte ganz offensichtlich die Wahrheit.
Vielleicht weil Eggers kein Interesse am Ausgang hatte, hatte seine Aussage so viel Gewicht, dass Colonel Andrews sich gezwungen sah, gegen Gross Anklage wegen Mordes und eines Offiziers unziemlichen Verhaltens zu erheben.
Ja, dachte ich, Mord ist wirklich unziemlich.
Ich las die militärischen Anklageblätter, die DD Forms 458. Das erste identifizierte den Angeklagten als Second Lieutenant John Gross und brachte Verstöße gegen UCMJ Article 118 und UCMJ Article 133 vor. Für eingefleischte Zivilisten: Wir reden hier vom Uniform Code of Military Justice, also dem »Einheitlichen Gesetzbuch der Militärgerichtsbarkeit«.
Die Spezifikationen unter 118 lauteten: »Dass in Sheyn Bagh in der Provinz Helmand in der Republik Afghanistan der Beschuldigte ungesetzlich einen afghanischen Einheimischen namens Ahmad Ali Aqsaee ermordete, indem er mehrfach mit einer automatischen Waffe vom Typ M16 auf ihn schoss.« Genannt wurden Zeitpunkt und Datum des Vorfalls.
Die Spezifikation unter 133 bezog sich auf dieselbe Zeit und denselben Ort, brachte aber vor, dass der Beschuldigte sich auf eine einem Offizier nicht ziemliche Art verhielt, indem er ungesetzlich besagten Ahmad Ali Aqsaee erschoss.
Das zweite Formular 458 brachte identische Vorwürfe bezogen auf einen gewissen Abdul Khalik Rasekh vor. Beide Formulare waren von Colonel Andrews unterschrieben.
Die Chronologie zeigte, dass, nachdem Colonel Andrews die Anklagen vorgebracht hatte, RCT-6 auf ihre Basis in Camp Lejeune, North Carolina, die Heimat der Second Marine Division, zurückversetzt wurde.
In Lejeune ernannte Colonel Andrews Lieutenant Colonel Frank Keever zum ermittelnden Beamten nach Article 32 und teilte Major Christopher Nelson als Staatsanwalt sowie Major Joseph Hawthorn als Verteidiger des Angeklagten ein.
Zwei Monate nach der Rückkehr von RCT-6 nach Lejeune eröffnete Lieutenant Colonel Keever die Anhörung nach Article 32. Die Akte enthielt eine Mitschrift des Verfahrens. Ich überflog sie.
Hawthorn beantragte eine Vertagung des Verfahrens, bis eine Exhumierung durchgeführt werden konnte. Nelson erhob dagegen Einspruch mit der Begründung, eine Exhumierung sei unwahrscheinlich. Es gab eine Diskussion, nach der Keever den Antrag ablehnte.
Der erste Zeuge der Anklage war Grant Eggers, zu der Zeit frisch aus dem Militärdienst entlassen. Seine Zeugenaussage schien mit den Angaben übereinzustimmen, die er vor Lieutenant Sharp und den Special Agents des NCIS gemacht hatte.
Um meine Neugier zu befriedigen, las ich den Teil von Hawthorns Kreuzverhör, der sich mit Eggers’ Motiven zur Beschuldigung von Gross beschäftigte.
Hawthorn: »Sie sind Zivilist?«
Eggers: »Ja, Sir.«
Hawthorn: »Liegt der Grund dafür, dass Sie Ihren Dienst nicht verlängerten, in der Tatsache, dass Lieutenant Gross Ihnen eine schlechte Leistungsbewertung gab und Ihnen sagte, er würde sich Ihrer Beförderung zum Lieutenant widersetzen?«
Eggers: »Nein, Sir. Er sagte mir das zwar, aber das war nicht der Grund, warum ich nicht verlängert habe.«
Hawthorn: »Er hat Sie degradiert, nicht wahr?«
Eggers: »Nein, Sir. Er stufte mich vom Zugführer zum Schützen zurück, aber ich behielt meinen Dienstgrad und die entsprechende Bezahlung.«
Hawthorn: »Niemand in Ihrer Einheit gab an, gesehen zu haben, dass den Einheimischen in den Rücken geschossen wurde, richtig?«
Eggers: »Sonst war niemand in einer Position, es sehen zu
können.«
Hawthorn: »Haben Sie tatsächlich gesehen, dass die Kugeln die
Männer in den Rücken trafen?«
Eggers: »So erschien es mir, Sir. Die Männer wurden von der Wucht der Kugeln herumgeschleudert, aber es sah aus, als wären sie in den Rücken getroffen worden.«
Hawthorn: »Würden Sie Lieutenant Gross als Lügner bezeichnen?«
Eggers: »Im Allgemeinen nein. Aber hier steht für ihn viel auf dem Spiel.«
Der zweite Zeuge der Anklage war Donald Drew, einer der Special Agents des NCIS, die den Tatort begutachtet und die Marines befragt hatten. Seine Zeugenaussage dauerte einen ganzen Tag, doch er sagte wenig Neues.
Die Anklage schloss mit Aussagen von drei Mitgliedern des Trupps, die angaben, es habe ein intensives Feuergefecht gegeben, in dem sie sich in Gefahr fühlten, das Feuer sei jedoch vom Hügel gekommen, nicht aus dem Bereich der Häuser.
Damit war die Beweisführung der Anklage beendet.
Am nächsten Morgen sagte Major Hawthorn Keever, er habe erfahren, dass die Afghanen beschlossen hätten, eine Exhumierung durchführen zu lassen, und beantragte eine Vertagung des Verfahrens bis nach der Autopsie. Nach einer längeren Diskussion machte Keever einen Rückzieher und stimmte einer Unterbrechung von sechzig Tagen zu mit der Maßgabe, dass Hawthorn ihn in dieser Zeit regelmäßig informieren müsse. Sollten Exhumierung und Autopsie früher abgeschlossen sein, würde die Anhörung sofort wiederaufgenommen werden. Keever erklärte die Anhörung für vertagt.
Ich wandte mich dem letzten Dokument in der Akte zu, einer handgeschriebenen Seite, die aus einem Tagebuch gerissen zu sein schien.
Und mein Interessepegel stieg schlagartig an.
Der Tagebucheintrag war von dem Mann selbst verfasst.
15. Juli 1142 AFT
Bin gestern Abend in die Scheiße getreten. Hinterhalt bei Abriegeln und Durchsuchen. Das übliche Muj-Geballer. Jede Menge Munition verbrannt, einfach nur draufgehalten.
Muj? Ich überlegte kurz und dachte mir dann, dass es wohl Soldatenslang für Mujaheddin war.
Wir wussten nicht, was uns in Sheyn Bagh erwarten würde. In der Gegend sind schon mehrfach Patrouillen in Bedrängnis, Hinterhalte und Sprengfallen geraten. Nachrichtendienst meldete Waffen und Sprengstoffe in dem Dorf. Unser Auftrag war, die Einheimischen bei Sonnenuntergang zu überraschen, ihnen das Zeug abzunehmen, bevor sie es gegen uns anwenden können.
Anfahrt, Aufstellung und Filzen. Das Adrenalin floss in Strömen, meine Jungs waren hypernervös. Die Einheimischen begrüßten uns nicht gerade mit Liebe.
Wir hatten schon ein paar Häuser durchsucht, als eine Granate explodierte. Zwei meiner Jungs schrien, sie waren getroffen. Vom Hügel her wurden wir unter Beschuss genommen. Mit Sicherheit AKs. Ich befahl meinen Männern, in Deckung zu gehen und das Feuer zu erwidern.
Eine Weile war alles nur Lärm, Leuchtspurgeschosse und herumfliegender Schutt. BA war keine Treffer von den AKs, zwei WIAS von der Granate. Keine EKIAS oder EWIAS. Zwei Kollateral-KIAs im Dorf. Hochachtungsvoll, der Schütze.
Ich hielt inne, um mir die Abkürzungen zu übersetzen. BA hieß battle assessment und meinte die Einschätzung der Kampfschäden. KIA und WIA waren einfach: killed in action und wounded in action, im Kampf getötet oder verwundet. Bei AK und EKIA und EWIA beschloss ich, dass sie feindliche Opfer, getötet oder verwundet, bedeuteten.
Ich sehe es vor mir, sobald ich die Augen schließe. Zwei Muj, die auf mich zustürzen und dabei Allah schreien. Nur Sekunden, um zu reagieren. Ich dachte mir, die Trottel sind vollgepackt mit Sprengstoff. Hab sie per Express ins Märtyrertum geschickt.
Die Heckenschützen auf dem Hügel drehten völlig durch, aber wir hatten die Feuerhoheit. Irgendwann hatten sie ihre Munition verpulvert und sind verschwunden.
Und? Bei der Durchsuchung der toten Muj wurde kein Sprengstoff gefunden. Das hatte ich nicht wissen können. Völliges Chaos. Überall schlugen die Kugeln ein. Entscheidung in einem Sekundenbruchteil. Leichte Entscheidung. Mein Leben vor ihrem.
Im Kopf gehe ich es immer wieder durch. Was habe ich gehört? Was habe ich gesehen?
Schüsse. Schreie. Irgendein Möchtegernmärtyrer, der Allah Akbar brüllt. Zwei Einheimische in Dischdaschas, die auf mich zugerannt kommen. Scheiße. Du musst sie plattmachen.
Wer weiß, was die Scheißkerle vorhatten. Ich befahl ihnen, stehen zu bleiben. Sie rannten weiter. Ich hab dafür gesorgt, dass die Jungs zu Boden gehen und dort bleiben. Hab mein Magazin leer geschossen.
Eggers deckte mir den Rücken, als die Scheiße losging. Warum zum Teufel richtete er sein M249 nicht auf die zwei, die auf mich zugerannt kamen? Keine große Überraschung. Der Kerl ist eine Katastrophe.
Während die Muj sich aus dem Staub gemacht haben, untersuchten der Doc und ich die beiden Getroffenen. Sie hatten Granatsplitter abbekommen, waren aber transportfähig. Wir luden sie zusammen mit dem Doc und Begleitschutz in den Siebentonner und fuhren zurück nach Delaram.
Eggers macht sich wichtig. Kurz vor Sheyn Bagh musste ich ihn vom Zugführer zum Schützen zurückstufen. Er wollte diskutieren, aber ich hab ihm gesagt, meine Entscheidung ist gefallen.
Wie viele Warnungen braucht der Trottel noch, bis seine Unfähigkeit jemanden das Leben kostet? Beschissene Inspektion, bevor er mit seiner Einheit auf Patrouille ging. Schaffte es nicht, Areale unter seiner Verantwortung anständig zu durchsuchen und zu sichern. Untaugliche Positionierung seines Teams im Einsatz. Der Kerl ist ein Desaster in den Startlöchern.
Gestern hat Eggers bewiesen, dass ich recht hatte. Seine Unfähigkeit zum entschiedenen Eingreifen hätte mich das Leben kosten können. Wenn die Muj bewaffnet gewesen wären, dann wäre ich in einer Kiste nach Hause gekommen.
Es ist ja nicht so, dass ich diese Jungs umbringen wollte. Mein Gott. Ich muss jetzt noch fast kotzen, wenn ich daran denke. Aber es war eine gerechtfertigte Tötung. Sie stellten eindeutig eine Bedrohung da.
Eggers kapiert es nicht. Er denkt nicht wie ein Marine. Und verhält sich nicht wie ein Marine. Zivile Opfer bei einem Einsatz sind beschissen. Aber Kollateralschäden gehören zum Krieg.
Ich habe kein Vertrauen in Eggers, und er mag mich nicht.