10
In dieser Nacht träumte ich in zerfasernden Fetzen, die beim Aufwachen alle vergessen waren. Bis auf einen.
Ryan ging eine schattige, von dunklen, miteinander verflochtenen Zweigen überwölbte Straße entlang. Er hatte mir den Rücken zugekehrt.
Ich rief ihn, aber er blieb nicht stehen. Von vorne näherte sich ein Auto, gleißende Scheinwerfer erhellten seinen langen, schlaksigen Umriss.
Ryan drehte sich um. Langsam verwandelte sein Gesicht sich in Petes.
Die Pete-Ryan-Gestalt kam, einen zusammengeklappten Regenschirm wirbelnd, auf mich zu. Als sie bei mir war, stach sie mir immer wieder mit der Spitze in die Seite.
Ich öffnete die Augen. Spürte einen Druck unter den Rippen.
Ich griff unter mich, spürte etwas Hartes auf der Matratze. Ich holte es hervor.
Mein litauischer Bernsteinring war mir vom Finger gerutscht. Oder ich hatte ihn in der Nacht abgestreift.
So oder so, eins war klar. Ich hatte abgenommen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte er sehr straff gesessen. War es der Stress?
Ich lag eine Weile im Bett und ging den Traum noch einmal durch. Was würde der alte Sigmund dazu sagen?
Ich dachte an die peruanischen Hunde. Überlegte mir die beste Herangehensweise.
Dann fiel mir etwas viel Wichtigeres ein. Katy und ich hatten abgemacht, am Mittwochvormittag um null-neunhundert, wie sie es nannte, zu skypen. Nach meiner Zeit.
Mein Blick schoss zum Wecker. Sieben Uhr fünfundfünfzig.
Schnell duschte ich und wusch und trocknete mir die Haare.
Als ich aus dem Bad kam, sang mein iPhone. Ich erreichte es zu spät.
Das Display zeigte zwei Nachrichten an. Ein dritte erreichte mich, als ich mit dem Ding in der Hand dastand. Ernsthaft? Alles innerhalb von zwanzig Minuten?
Ich schaute die Liste durch.
Das Büro des Tierarztes hatte angerufen, um mich an Birdies alljährlichen Check-up zu erinnern.
Pete. Keine Nachricht. Mit Glückwünschen zu einer erfolgreichen Scheidung?
Shannon King. Es dauerte einen Augenblick, bis mir der Name etwas sagte. Die Angestellte im Yum-Tum. King hatte eine Nummer hinterlassen und gebeten, sie zurückzurufen.
Ein Blick auf die Uhr. Acht-zwanzig.
Ich zog einen Jogginganzug an, tappte barfuß in mein Arbeitszimmer und startete Skype auf meinem Mac. Katy war nicht online. Hätte ich mir denken können. In Afghanistan war es erst 16 Uhr 50.
Birdie sprang auf den Tisch und schubste meine Hand von der Tastatur.
»Tut mir leid, Birdie. Aber jetzt gibt’s Frühstück.«
Die Katze folgte mir in die Küche und sah zu, wie ich eine weitere Katzendelikatesse zusammenbastelte. Thunfisch mit Instant-Haferbrei. Ich schwor, an diesem Tag beim PetSmart vorbeizufahren und mich mit Dosenfutter und einer großen Tüte Brekkies einzudecken.
Nach der Katzenfütterung löffelte ich Kaffee in den Filter, goss Wasser in die Maschine und schaltete sie ein.
Während Mr. Krups seine Arbeit verrichtete, rief ich Shannon King an. Sie klang abgelenkt, als sie sich meldete. Oder schläfrig.
»Hören Sie. Ich, also, ich zermartere mir das Hirn. Wie wir gesagt haben.«
Wie lange kann das dauern?
»Gut«, sagte ich.
»Aber ich finde einfach nichts. Ich verspreche, heute Abend gehe ich alles noch einmal ganz genau durch.«
»Großartig.« Ich schaute auf die Uhr.
»Und ich dachte mir. Also, vielleicht könnte ich ja in die Leichenhalle kommen.«
Die Leichenhalle.
»Vielen Dank für Ihr Angebot, aber private Besuche sind nicht gestattet. Es ist eine Frage der Sicherheit und des Bio-Protokolls. Aber bitten sagen Sie mir Bescheid, wenn Ihnen irgendetwas einfällt.«
Zurück im Arbeitszimmer, schaute ich nach, ob Katy auf Skype inzwischen online war.
Nichts.
Verständlich. 8:28 hier. 16:58 dort.
Damit die Zeit schneller verging, kontrollierte ich meine E-Mails.
Drei Bitten um Spenden.
Eine Werbung für eine natürliche Art, Fett zu verbrennen.
Ein Foto von Harry mit einem Irischen Wolfshund und ihrem augenblicklichen Verehrer. Einer von den beiden hieß Bruce, der andere Albert. Ich hatte keine Ahnung, wer wer war.
Ein Newsletter von der Fitness-Website Exercise After Forty.
Nichts von Katy. Gut. Keine Absage.
Da ich nicht still sitzen konnte, rannte ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch. Fitness ab vierzig.
Vor dem Badezimmerspiegel legte ich Mascara und Rouge auf.
Als würde Katy das sehen.
Noch einmal Fitness ab vierzig hinunter in die Küche. Mit frischem Kaffee in der Tasse kontrollierte ich noch einmal Skype.
Keine Veränderung. 8:42 hier. 17:12 dort.
Ich rollte mit dem Stuhl seitwärts und zog mir eine Ausgabe des Journal of Forensic Sciences aus dem Regal.
Cross-over-Immunoelektrophorese für die Entdeckung von Blutproteinen in Erde. Konfokalmikroskopie für die Untersuchung von abgefeuerten Patronen. Analyse der STR-Schmelzkurve für genetisches Screening. Das Aufspüren von Meglumin und Diatrizoat in Bazillensporen.
Zwar interessante Themen, aber keine, die mich fesselten.
Blick auf die Uhr. Neun-zwanzig. Noch nichts von Katy.
Ich nippte an meinem lauwarmen Kaffee und starrte den sich nicht verändernden Bildschirm an. Wollte, dass meine Tochter endlich auftauchte.
Ganz ruhig, Brennan. Die Bagram Air Base ist der sicherste Standort in Afghanistan.
Das hatte Katy mir versichert. Und Pete ebenfalls.
9:40.
10:05.
Mit Magenschmerzen dachte ich an die Unbekannte im Kühlraum.
Vielleicht trank die Mutter des Mädchens gerade genauso wie ich Kaffee und vertraute darauf, dass ihre Tochter irgendwo in Sicherheit war.
Ganz ruhig.
Zurück zu der Zeitschrift.
Ging nicht.
Zum millionsten Mal dachte ich an Slidell. Ich wusste, dass er wegen eines Mädchens, das in seinem Revier ermordet worden war, den Dirty Harry geben würde. Dass er jeder Spur nachgehen würde. Aber er hatte seine Prioritäten.
Das Verschwinden einer schwer arbeitenden, alleinerziehenden Mutter, die in der Gegend bekannt war, drängte den Tod einer potenziell Illegalen und potenziellen Prostituierten in den Hintergrund.
Auf dem Bildschirm sprangen die Ziffern in der oberen rechten Ecke auf 10:22.
Sie ruft aus einem USO-Zentrum an, sagte ich mir. Wo Dutzende anstehen fürs Internet. Soldaten, die mit ihren Frauen, Männern, Kindern, ihren Müttern reden. Und sich beim Abschied Zeit nehmen.
Beschäftige dich. Mach deine Arbeit.
Ich klickte den Skype-Bildschirm in den Hintergrund und drückte einige Tasten.
Als im Jahr 2005 immer deutlicher wurde, dass das doppelte Problem der Vermissten und der nicht identifizierten Überreste angegangen werden musste, organisierte das National Institute of Justice eine gigantische Konferenz mit dem Namen Identifying the Missing Summit, Gipfeltreffen zur Identifikation von Vermissten. In der Folge schuf ein Deputy Attorney General die National Missing Persons Task Force, die Nationale Vermissten-Sondereinheit, und beauftragte das Justizministerium mit der Entwicklung von Werkzeugen zur Lösung des Problems der Vermissten und der nicht identifizierten Überreste. Die Sondereinheit schlug die Erstellung einer zentralisierten Datenbank vor.
Aus dieser Empfehlung entstand das National Missing and Unidentified Persons System, NamUs, eine nationale Datenbank über Vermisste und nicht Identifizierte. NamUs ist frei, online und für jeden verfügbar.
Die NamUs-Homepage erschien auf meinem Bildschirm, mit Links zu drei Datenbanken: Vermisste, Nicht identifizierte Personen, Nicht nachgefragte Personen. Da ich hoffte, dass irgendjemand meine Unbekannte als vermisst gemeldet hatte, klickte ich auf den ersten.
Suchparameter erschienen. Ich gab beim Geschlecht weiblich ein, bei der Rasse weiß und beim Alter heranwachsend. Die Rubrik »Ethnische Zugehörigkeit« ließ ich leer, füllte aber »Letztes bekanntes Lebensdatum«, »Alter zum letzten bekannten Lebensdatum« und »Zustand zum letzten bekannten Lebensdatum« aus. Dann klickte ich auf Suchen.
Und bekam keinen einzigen Treffer.
Ich versuchte es noch mal mit der Altersangabe Teenager/Junge Erwachsene.
Noch immer keine Übereinstimmungen.
Also gab ich als ethnische Zugehörigkeit Hispano/Latino ein.
Nada.
Kehrte beim Alter zu heranwachsend zurück.
Nichts.
Enttäuscht, aber nicht überrascht, tat ich das Einzige, was ich konnte. Ich nahm die Informationen meiner Aktenkopie des Medical Examiner zur Hand und gab die Gesuchte damit in die Datenbank der nicht identifizierten Personen ein. Physische, medizinische und persönliche Merkmale. Kleidung. Accessoires. Eine kurze Zusammenfassung der Umstände ihrer Auffindung.
Es gab so wenig einzugeben. Keine Narben. Keine Tattoos oder Piercings. Keine Zahnfüllungen. Keine Implantate. Keine Missbildungen.
Sie war einfach ein normaler, gesunder Teenager. Tot.
10:40. Noch immer meldete sich Skype nicht.
Ins Institut fahren und mit den Mumienbündeln weitermachen?
Ich beschloss, Katy noch ein paar Minuten zu geben.
Ich loggte mich in das Doe Network ein, das Internationale Zentrum für nicht identifizierte und vermisste Personen.
Dasselbe Ergebnis.
Ich loggte mich eben aus, als mein iPhone klingelte.
»Hi, Doc.« Slidell kaute etwas.
»Ja.« Ich starrte ein Foto von Katy an, das vor zwei Sommern auf den Outer Banks aufgenommen worden war. Ihre Haare, vom Wind zerzaust und erleuchtet von den Strahlen der Spätnachmittagssonne, schimmerten wie Gold.
»Hab ein bisschen Zeit mit den Intelligenzbestien an der Old Pineville Road verbracht. Diese Trottel würden ihre eigenen Ärsche nicht finden, wenn –«
»Haben Sie irgendwas Zweckdienliches herausgefunden?«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ich war in einem Partyladen, einer Lagerhalle für Privatleute, einem Gartenzentrum, das aussah, als hätte es sich auf Schimmel spezialisiert, und in einem Dutzend anderer Löcher, die sich nur noch mit Saugnäpfen an der Straße halten. Die Schweißerei war mein Favorit. Die Tussi am Empfang hatte offensichtlich zu viele Dämpfe eingeatmet. Hätte mit der Leiche da reinmarschieren können, die dumme Kuh hätte es gar nicht bemerkt.«
»Keiner kannte das Mädchen auf dem Foto?« Ich hatte Slidell eine Kopie meines Polaroids aus dem Kühlraum geschickt.
»Keiner wusste irgendwas.«
»Waren Sie auch in einem Gemischtwarenladen namens Yum-Tum?«
»Ja. Das war ein Leckerbissen.«
»Haben Sie nach den Überwachungsbändern gefragt?«
»Kamera ist im Arsch, weil der Besitzer im Arsch ist. Die Tussi hat das tatsächlich so gesagt.«
»Hatten irgendwelche anderen Läden Videoüberwachung? Vielleicht eine Kamera, die auf die Straße gerichtet war und den Unfall aufgenommen hatte?«
»Überall dieselbe Geschichte. Die Bänder werden alle vierundzwanzig Stunden überschrieben.«
»Was ist mit dem Fahrzeug? Haben Sie schon Laborergebnisse zum Lack?«
»Aber natürlich. Die haben es ganz oben auf ihre Liste gesetzt und das Ergebnis mit einer Limousine geschickt.«
»Haben Sie in Karosseriewerkstätten nachgefragt? Hat irgendjemand ein Auto mit einem Schaden gebracht, der zu einem Zusammenstoß mit einem Fußgänger passt?«
»Haben Sie heute Morgen zu viel Kaffee getrunken?«
Ich ignorierte die Bemerkung und erzählte Slidell von meinen Recherchen auf NamUs und Doe Network.
»Überrascht mich nicht. Larabee hat sie durch jedes System auf dem Planeten geschickt. Ich habe die Vermisstenfälle durchgesehen. Kein Mensch hat ein Mädchen als vermisst gemeldet, das zum Profil passt.«
»Wie weit sind Sie zurückgegangen?«
»Weit genug. Sie ist ganz offensichtlich nicht von hier.«
»Sie könnte eine Ausreißerin sein.«
Einige Augenblicke schwiegen wir beide. Im Hintergrund hörte ich gedämpft Verkehrsgeräusche. Slidell sprach als Erster wieder.
»Das Mädchen bewegte sich unterm Radar hindurch. Keine Papiere bei sich. Keine Schlüssel. Nichts. Dass wir ihr einen Namen zuordnen können, ist eher unwahrscheinlich. Was haben Sie vor?«
»Wir müssen es trotzdem versuchen.«
»Mein Chef sitzt mir wegen dieser verschwundenen Frau im Nacken.«
»Zweigleisig fahren, Detective.«
Slidell machte ein Geräusch und legte auf.
11:02. So viel zu Skype.
Ich schrieb Katy eine E-Mail. Sorry, dass ich dich verpasst habe. Alles okay? Schlag einen neuen Zeitpunkt vor. Hab dich lieb, Mom.
Auf zu den Hunden.
Doch anstatt nach oben zu gehen und mich anzuziehen, holte ich mir frischen Kaffee und setzte mich wieder an meinen Schreibtisch.
Ich wählte die Nummer des Forensischen Instituts des SBI in Raleigh. Fragte nach Josie Cromwell von der Abteilung Forensische Biologie und DNS. Bald darauf nahm sie ab.
»Ms. Cromwell.«
»Hey, Josie. Tempe Brennan.«
»Wie geht’s dir, altes Mädchen?«
»Gut. Und dir?«
»Kann nicht klagen. Weißt du immer noch, wo die ganzen Leichen vergraben sind?«
»Ein paar. Hast du sehr viel zu tun?«
»Sitze nur herum und halte meine Fingernägel sauber.«
Wir lachten beide. Es war ein Zitat von einem Mann, den sie erst kürzlich bei der Bewerbung um einen Projektleiterposten aus dem Rennen geschlagen hatte.
»Wie ist es, Chef zu sein?«
»Hat so seine Höhepunkte. Und, was ist los? Kommst du nach Raleigh?«
»Leider nein. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Aha.«
»Ich habe hier ein junges Mädchen, im Teenageralter, Fahrerfluchtopfer. Von hinten angefahren und zum Sterben liegen gelassen.«
»O Gott.« Ich stellte mir vor, wie Josie den Kopf schüttelte und ihre kurzen schwarzen Dreadlocks hüpften.
»Ich weiß nicht so recht, wie engagiert der Chefermittler den Fall angeht. Er glaubt, dass sie illegal und eine Prostituierte ist.«
»Nur noch eine tote Nutte.«
»Wir haben Fingerabdrücke, aber die Kleine ist in keinem System. Wir finden keine Vermisste, auf die ihr Profil passt. Wir haben natürlich DNS-Proben genommen.«
»Die nutzlos sind, solange du keinen Namen hast und weißt, wen du wegen Vergleichsproben anrufen kannst.«
»Genau. Aber der Pathologe hat Sperma gefunden. Wir hoffen, dass uns das vielleicht weiterbringt.«
»Verstehe. Allerdings haben wir einen Rückstau, der die Besserverdienenden hier zum Schwitzen bringt.«
»Irgendeine Chance, dass du das Mädchen ein bisschen nach vorne schieben kannst?«
»Ich werde tun, was ich kann. Was wahrscheinlich nicht viel ist.«
»Tim Larabee schickt dir die Proben.« Ich gab ihr die relevanten Fallinformationen. »Ich stehe in deiner Schuld.«
»Davon kannst du ausgehen.«
Noch immer loggte ich mich nicht aus.
Ich klickte auf das Foto, das ich am Abend zuvor eingescannt und an mich selbst und an Slidell geschickt hatte. Darauf lag das Mädchen bleich und still in ihrem Sack.
Ich fragte mich, wie sie lebendig ausgesehen hatte, als noch eine Seele ihr Gesicht belebte, und welche Schrullen und Eigentümlichkeiten sie einzigartig gemacht hatten. Ein Zwinkern, ein Brauenheben, ein schiefer Mund, wenn sie redete.
Ich öffnete die Datei mit dem Aktenzeichen MCME 580-13 und kopierte das Foto hinein. Dann mailte ich eine Kopie des Fotos an Alison Stallings, eine Polizeireporterin des Charlotte Observer. Vor ein paar Jahren hatte Stallings über eine Serie satanischer Morde berichtet, die ich bearbeitet hatte.
Um genau zu sein, Stallings hatte Slidell und mich verfolgt. Aber ihre Berichte waren präzise und fair gewesen. Am Ende hatte ich sie sogar gemocht.
Nach zehn Minuten wählte ich Stallings’ Handynummer.
»Wer ist sie?«, fragte sie zur Begrüßung.
Ich wiederholte, was ich Josie Cromwell gesagt hatte, wobei ich noch einige Details über den Todeszeitpunkt und den Fundort anfügte.
»Was wollen Sie?«
»Können Sie das Foto und einen kurzen Artikel bringen? Vielleicht scheucht das einen Zeugen auf oder jemanden, der sie kannte.«
»Moment mal.«
Ich wartete. Die unverständlichen Wortfetzen vom anderen Ende der Leitung klangen wie Geplapper aus einer anderen Galaxie. In weniger als fünf Minuten war Stallings wieder da.
»Tut mir leid. Mein Chefredakteur sagt, noch nicht. Wenn Ihr Mädchen am Ende der Woche noch immer eine Unbekannte ist, denkt er noch einmal darüber nach. Aber nicht für die Titelseite.«
»Danke. Ich weiß das zu schätzen.«
Wir verabschiedeten uns und legten auf.
Okay. Die Hunde.
Während ich in Jeans, Bluse und Ballerinas schlüpfte, schickte mein Hirn mir ein Bild von Slidell, wie er verächtlich über Latinos und Nutten redete.
Hatte er recht?
War sie illegal?
Was wirst du tun?
Ich rannte nach unten und mailte das Foto des Mädchens auch an Luther Dew vom ICE. Noch ein Schuss ins Blaue, konnte ja aber nicht schaden.
Einen Augenblick saß ich da und dachte nach. Über Slidell und seine vermisste, alleinerziehende Mutter. Über mein Telefongespräch mit Luther Dew.
Und erkannte das Offensichtliche.
Um meiner Unbekannten einen Namen zu geben, musste ich selbst die Initiative ergreifen.
Ich fügte dem Foto des Mädchens einen kurzen Text bei und ging dann zum Drucker.
Mit einem Stapel Flugblätter in der Hand machte ich mich auf den Weg.