8

Fünfzehn Minuten später hielt ein glänzendes, neues BMW-Cabrio am Bordstein. Rot mit schwarzen Ledersitzen.

Trophäenweibchen. Trophäenkarre. Ich musste mich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen.

Weniger rühmenswert war Petes Modeempfinden. Natürlich zwängte er sich für das Gericht in Anzug und Krawatte, aber seine normale Bekleidung waren Golfhemd und Kakihose. Das Leitmotto meines Ex: bequem und lässig.

Als ich mich in den Beifahrersitz fallen ließ, hob ich erstaunt die Augenbrauen, als ich Sportsakko, blaues Hemd und eine marineblaue Bundfaltenhose sah.

»Heute sehen wir aber mal wieder schick aus.« Bis auf die fehlenden Socken in den Slippers.

»Ich führe eine wunderbare Dame zum Abendessen aus.«

Jetzt hatte ich das Augenverdrehen nicht mehr unter Kontrolle.

»Klasse Wagen.« Unverfänglich.

»Hab ihn für einen guten Preis bekommen.«

»Aha.«

»Ich bin übers Wochenende damit nach Asheville gefahren. Hat geschnurrt wie ein Kätzchen. Summer hat bei jeder Spitzkehre gekreischt. Ein oder zwei Mal hätte ich beinahe selber gekreischt.«

Alle kreischen.

»Ist von null auf hundert schneller, als du null auf hundert sagen kannst.«

Pete wusste, dass ich mir nicht viel aus Autos machte. Ich wusste, er griff nach jedem Strohhalm, um eine Erwähnung der bevorstehenden Heirat zu vermeiden.

Ich hielt mich an der Armlehne fest, als er aus dem Parkplatz schoss, nach links, nach rechts und dann wieder nach links abbog.

»Null auf hundert«, sagte ich grinsend.

»Hör dir mal die Anlage an.« Pete drückte auf irgendwas, und Maroon 5s Payphone hüllte uns in eine Lärmwolke, die jedes weitere Gespräch unmöglich machte.

Kurz nach dem Campus der Queens University bog Pete auf die Hauptzufahrt zu Shannon Hall ein, raste durch den Magnolientunnel und vorbei am Haupthaus mit den weißen Säulen und bremste schließlich kiesspritzend auf dem Parkplatz zwischen der Remise und dem Annex. Dann drehte er sich mir zu und wackelte mit beiden Augenbrauen.

»Nett.« Ich öffnete den Sicherheitsgurt.

»Ich warte hier.«

»Ich muss duschen.«

»Keine Eile.«

Ich streckte die offene Hand aus.

Pete zog die Schlüssel aus der Zündung, fummelte einen vom Ring und gab ihn mir.

»Danke.« Ich zog den Türgriff auf.

»Tempe?«

»Ja?«

»Sperr ihn nicht im Haus ein.«

Petes Handy war aus der Tasche, bevor ich aus dem Auto war.

Der Annex hat oben ein Schlafzimmer und ein Bad, Wohn- und Esszimmer, Küche, Arbeits- und Gästezimmer und noch ein Bad unten. Garten hinten raus, vorne ein Rasenstück, seitlich eine Terrasse. Es ist zwar eng, aber perfekt für mich.

Ich ging in die Küche und schaltete das Licht an.

»Bird?«

Kein Kater.

»Hierher, Junge.«

Nichts als ein leises Ticken aus dem Wohnzimmer.

Ich fand Birdie unter dem Sideboard, auf dem Omas Uhr stand. Auch wenn es heißt, dass Katzen keine zu einem Ausdruck fähige Gesichtsmuskulatur haben, war seine Botschaft eindeutig.

»Spinnst du?«

Nach einer kurzen theatralischen Pose stand Birdie auf, streckte sich und stapfte dann auf mich zu, cool zwar, aber bereit, sich eine Erklärung zumindest anzuhören. Und bereit fürs Abendessen.

Ich bückte mich und kraulte ein weißes pelziges Ohr.

»Tut mir leid, Kumpel. Aber das Menü heute Abend dürfte nicht ganz deinen Ansprüchen genügen.«

Ich kehrte in die Küche zurück, holte zwei Eier aus dem Kühlschrank, mischte sie mit einer Dose Sardinen und erhitzte die Mischung. Als die Masse gestockt war, schabte ich sie in seine Schüssel.

Eins muss man Bird lassen, er ist nicht lange eingeschnappt. Nachdem er mir meine Sünde verziehen hatte, machte er sich über die Schüssel her.

Da ich des Öfteren meine Tage mit Verwesten und biogefährlichen Stoffen verbringe, beherrsche ich die Kunst der schnellen Körperpflege. Außerdem habe ich mir eine well-nesstaugliche Sammlung von Seifen, Gels und Lotionen zugelegt. An diesem Abend schnappte ich mir einfach das Nächststehende. Nach fünf Minuten war ich aus der Dusche und trocken und roch nach Grapefruit.

Birdie kam ins Schlafzimmer, als ich mir eben überlegte, welcher Stil für die Übergabe von Scheidungspapieren angemessen war. Unsere Blicke trafen sich.

»Vergiss es.«

Ich schnappte mir Jeans und ein schwarzes T-Shirt und ergänzte das Ganze mit grünen Muschelschalen-Ohrringen und einer schwarzen Baumwolljacke.

»Was denkst du?«

Birdie legte den Kopf schief, sagte aber nichts.

Ich eilte hinunter ins Arbeitszimmer, den Kater immer auf den Fersen. Als ich die Dokumente vom Schreibtisch nahm, lief Birdie Achten zwischen meinen Knöcheln.

Ich schaute auf die Uhr. Pete wartete bereits volle zwanzig Minuten.

Der Kater drückte den Rücken durch und hob den Schwanz. Ich kraulte ihm die Ohren und strich ihm noch ein paar Mal über den Rücken.

Als ich die Tür des BMW aufzog, war Pete noch immer am Handy.

»Nicht einatmen, wenn du sprühst.« Pause. »Okay. Aber ich muss jetzt wirklich aufhören.« Kürzere Pause. »Ja, ich rufe an, wenn ich unterwegs bin. Ich liebe dich auch.« Gedämpft.

»Tut mir leid. Bird –«

»Kein Problem. Ist dir das Ale House recht?«

»Klar.« War es nicht. Großbildfernseher. Fans, die jubeln, stöhnen und anfeuern. Lärmpegel bei fünfundachtzig Dezibel. »Hat Summer Ungezieferprobleme?«

Pete schaute mich verständnislos an.

»Muss sie die Wohnung ausräuchern?«

»O nein.« Er schüttelte den Kopf. »Sie besprüht alte Flaschen mit Lack, um sie für die Tischdekoration zu benutzen. Oder sonst irgendwas. Soll irgendwie künstlerisch aussehen.«

Hochzeitsgerede. Kommt nicht infrage.

Ein kurzer, klimpernder Schwall Bob Marley, und schon waren wir im Carolina Ale House, einer fernsehfixierten Extravaganz im Erdgeschoss eines Glas-und-Stahl-Turms im Herzen der Innenstadt. Pete schaffte es, uns einen Tisch in einiger Entfernung zur Bar zu besorgen. Nicht unbedingt ruhig, aber außerhalb des Lärmzentrums.

Eine Kellnerin begrüßte Pete mit mehr Zähnen als eine Kreissäge und gewährte mir ungefähr eine Millisekunde Augenkontakt, während sie murmelte, dass sie April heiße.

»Fat Tire Ale?« April zeigte meinem Ex schon wieder die blendenden Zähne.

»Gutes Gedächtnis.« Pete formte mit den Fingern eine Pistole.

Ich bestellte Perrier mit Limone.

Pete entschied sich für Spareribs. Ich nahm ein Schultersteak.

Nachdem Getränke und Essen bestellt waren, zog ich die Dokumente aus meiner Handtasche und legte sie vor Pete auf den Tisch. Er schaute sie kurz an, nahm sie aber nicht zur Hand.

Eine Leere legte sich über den Tisch, eine Blase der Stille in dem Getümmel um uns herum. So wenig Papier. So wenige Worte für eine Liebe, die Hoffnungen, Träume und eine wunderschöne Tochter geschaffen hatte. Eine Liebe, zerstört von einem Vertrauensbruch.

Es hätte irgendeine Zeremonie geben sollen. Eine Entheiratung? Einen Trennungsritus? Mehr als eine Abfindungsvereinbarung und Verifikation. Wenigstens mit besserem Lay-out.

»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.« Ich beendete das verlegene Schweigen. »Keine Entschuldigung. Ich hätte –«

»Das ist kein Problem, Zuckerschnäuzchen. Die sind noch vor Mittag bei den Akten.«

»Nenn mich nicht so.« Reflex.

»Okay.« Das alte Pete-Lächeln. »Honigmäulchen.«

Pete steckte die Papiere in die Innentasche seines schicken Sakkos und strich mir dann über die Hand.

Die Berührung. Seine Haut auf meiner. So vertraut.

Ich suchte nach einem neutralen Gesprächsthema.

»Ihre widerrechtliche Tötung, Anwalt. Wie läuft der Fall?«

»Das weiß ich erst, wenn der Arzt morgen früh seine eidesstattliche Erklärung abgibt.«

Ich erzählte ihm von dem Verfahren wegen beruflichen Fehlverhaltens, dem ich gerade noch entgangen war. Er erzählte mir von einem Zahn, der ihm Sorgen machte.

Gnädigerweise brachte April unsere Getränke. Pete nahm einen kräftigen Schluck. Ich nippte.

»Und bei dir?« Nach einer weiteren verlegenen Pause. »Wie läuft’s mit der Bullette?«

Die Bullette, Petes Spitzname für Andrew Ryan, Lieutenant-détective, Section des crimes contre la personne, Sûreté du Québec. Mein Kollege, wenn ich für das Laboratoire de sciences judiciaires et de médecine légale in Montreal arbeite. Mein Ja-und-nein-Liebhaber. Zurzeit nein. Für immer nein?

»Es geht ihm gut.«

»Bon.« Boun ausgesprochen.

»Sprich nie Französisch, Pete.«

Und frag nicht nach Ryan. Zwing mich nicht, über meine Befürchtungen wegen seiner kalten Schulter zu reden. Wegen der Funkstille zwischen uns.

Wenn Ryan und ich wirklich am Ende wären, dann wäre die Trennung nicht so erbärmlich wie die von Pete. Es würde keine Verbitterung, keine Angst geben. Kein überrumpeltes Kind, das eine Erklärung verdient hatte. Kein Auszug. Keine Aufteilung gemeinsamen Eigentums. Kein Anstehen bei der Kraftfahrzeugbehörde, um die Adressenänderung zu melden. Bei Ryan würde es nicht mehr geben als einen trüben Graben der Traurigkeit.

Ich konnte es nicht ertragen, darüber zu reden. Darüber nachzudenken.

»Ich stecke hier bis über beide Ohren in Arbeit«, sagte ich.

»Irgendwas Interessantes?«

»Vier mumifizierte Hunde aus Peru.«

Pete hob fragend eine Augenbraue.

Ich berichtete ihm von der Konfiszierung durch das ICE am Charlotte Airport.

Unsere Teller kamen, und für eine volle Minute waren wir mit Salz und Pfeffer, Steaksauce, Butter, Sauerrahm und Ketchup beschäftigt. April fragte, ob ich mehr Eis wolle.

Aus unerklärlichen Gründen wanderten meine Gedanken zu dem Mädchen im Kühlraum.

»Außerdem haben wir ein Teenager-Mädchen«, sagte ich zu Pete. »Wurde letzte Nacht an der Old Pineville Road überfahren.«

»Die Eltern müssen am Boden zerstört sein.«

»Wir wissen nicht, wer sie ist.«

»O Gott. Larabees Fall?«

Ich nickte. »Es gibt ein paar Spuren. Wenn Slidell nur in die Gänge kommen würde. Er hat sich in den Kopf gesetzt –«

»Seinen Schrumpfkopf.«

Ich lächelte. »Er hat sich in seinen Schrumpfkopf gesetzt, dass sie eine illegale Stricherin ist.«

»Beweise?«

»Pinkfarbene Handtasche, Einstichspuren und schlechte Zähne.«

»Das ist alles?«

»Gebleichte Haare, dunkle Haut, und in ihrer Handtasche ein Zettel auf Spanisch.«

»Skinny denkt, dass sie von südlich der Grenze stammt?«

Ich nickte.

Pete kicherte und schüttelte den Kopf. Er hatte Slidell kennengelernt und wusste, wie dickköpfig der Mann sein konnte.

Das Stimmengewirr verstummte. Dann erfüllte ein vielkehliges Stöhnen den Raum. Irgendein Sportereignis lief nicht gut für die Heimmannschaft.

Petes Rippchen waren abgenagt und aufeinandergestapelt, als er sein Besteck weglegte und sich den Mund abwischte.

»Kann ich dir noch was erzählen?«

»Klar.«

»Ich habe einen Freund, Hunter Gross. Ich glaube nicht, dass du ihn kennst. Sein Neffe John ist Lieutenant bei den Marines.«

»Semper fi.« Ich salutierte.

Pete hatte im Corps gedient, hatte immer noch eine kleine Flagge der Marines in seinem Büro stehen. An jedem zehnten November feierte er den Geburtstag des Corps mit seinen Ausbildungskameraden.

»Bis vor ein paar Monaten diente John als Zugführer in Afghanistan. Soweit ich die Geschichte verstehe, haben John und seine Männer den Befehl erhalten, ein Dorf zu durchsuchen.« Pete hielt inne, einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. »Ich kenne die Details nicht so recht, aber dem Jungen wird der Mord an unbewaffneten Zivilisten vorgeworfen.«

»O Gott.«

»Hunter sagt, er kann unmöglich schuldig sein.«

»Der Freund. Der Onkel.«

»Ja.«

»Wie denkst du darüber?«

Pete zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Hunter sagt, er ist ein guter Marine, will sich dort eine Karriere aufbauen, aber ich kenne ihn nicht.«

»Wo ist er jetzt?«

»Dreht Däumchen im Camp Lejeune bis zum Abschluss der Untersuchungen.«

»Suspendiert?«

Pete nickte.

»Schwierig.« Etwas zu sagen.

»Ja. Für die Familie ist das die reinste Hölle.«

Kaltblütiger Mörder? Inkompetenter Führer? Guter Soldat, schlechte Entscheidung in der Hitze des Gefechts? Knifflig.

In derselben Gegend, in der Katy stationiert war.

Pete knüllte seine Serviette zusammen und warf sie auf den Tisch. Schaute mich an. Las meine Gedanken.

»Du denkst an Katy, stimmt’s?«

Ich antwortete nicht.

»Katy ist nur einfache Soldatin. Sie wird niemanden irgendwohin führen.«

»Sie ist bei der Artillerie.«

»Hinter den Linien.«

»Wo sie Raketen auf Leute schießt, die uns hassen.«

»Nicht jeder in Afghanistan hasst die Amerikaner.«

»Ich weiß. Aber das Leben da drüben ist so … unberechenbar. Sie könnte auf dem Weg zum Frühstück getötet werden.«

»Ich auch.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Katy ist eine Überlebenskünstlerin.«

Das sagte er mit solcher Überzeugung, dass ich ihm fast glaubte. Trotzdem. Die Bilder. Katy, in einem brennenden Humvee auf einer öden Wüstenstraße. In einem Leichensack.

Wie das Mädchen im Kühlraum.

Das Fahrerfluchtopfer hatte irgendwo eine Mutter, die sich fragte, wo sie ist. Warum sie nicht anrief. Versicherte ihr irgendjemand, dass es ihrem Mädchen gut gehe?

Ich trank den Rest meines Perrier, das jetzt fast nur noch geschmolzenes Eis war.

»Mein Auto –«

»Na dann los!«

Pete machte eine Schreibbewegung. April und ihre Zähne kamen mit der Rechnung.

Wie immer griffen wir beide danach. Pete war schneller, zahlte bar und legte ein Trinkgeld drauf, das einen Präsidentschaftswahlkampf hätte finanzieren können.

Fünf Minuten Rihanna, dann waren wir auf dem Parkdeck des Gerichtsgebäudes. Ich stieg aus und ging zu Petes Seite des Autos. Er ließ sein Fenster herunter.

»Also. Morgen sind wir beide offiziell frei.« O Gott. Hatte ich das wirklich gesagt?

»Jaja.« Ähnlich lahm.

Wir umarmten uns etwas linkisch durch das offene Fenster. Einen Augenblick zu lange vielleicht?

»Für dich und Summer nur das Beste.«

»Danke. Bleiben wir in Kontakt?«

»Natürlich.«

»Soll ich warten, bis du in deinem Wagen sitzt?«

»Ich bin ein großes Mädchen.«

»Aber sehr ungeschickt mit Schlüsseln.«

Ich fischte die Reserveschlüssel vom Schreibtisch aus meiner Handtasche. Gab Pete den Haustürschlüssel zurück, den er mir geliehen hatte.

Dann war Pete verschwunden.

Meine Handtasche war noch im Mazda. Die verhassten Schuhe ebenfalls.

Weiter unten rauschte leise der Verkehr auf der Fourth Street. In der Ferne lallte irgendein Betrunkener Lucy in the Sky.

Ich steckte einen Schlüsselsatz in meine Handtasche und holte mein Handy heraus.

Slidell antwortete nach dem zweiten Klingeln.

»Ja, Doc.« Im Hintergrund hörte ich die Geräusche eines Baseballspiels.

»Wie läuft’s mit dem Fahrerfluchtopfer?«

»Morgen –«

»Haben Sie sich in der Nachbarschaft umgehört? An der Old Pineville Road gibt’s ein paar Läden.«

»Wie gesagt –«

»Was ist mit Unfallwerkstätten?«

»Ich bin dran.«

»Klamotten- und Schuhläden?«

»Dran.«

»Kliniken?«

Keine Antwort.

»Waren Sie in der St. Vincent de Paul?«

»Dran.«

»Wann dran?« Slidells Lässigkeit nervte mich.

»Hören Sie, wir haben rein gar nichts. Wenn sie illegal ist, wird sich niemand melden. Wenn sie auf den Strich geht, wird sich niemand melden.«

Tief drinnen befürchtete ich, dass Slidell recht hatte. Trotzdem.

»Wie wär’s, wenn wir ihr Foto in die Zeitung setzen?«

»Haben Sie verstanden, was ich eben gesagt habe?«

»Kann doch aber nicht schaden, oder?«

»Ziegenscheiße ins Meer werfen auch nicht.« Ein tiefer Seufzer. »Hören Sie, ich will Sie ja gar nicht abwimmeln. Vor ein paar Stunden bekam ich den Fall einer Vermissten auf den Tisch, die Verbindungen zum Bürgermeister hat. Alleinerziehende Mutter, zwei Kinder, Vollzeitjob in einer Rite-Aid-Apotheke. Der Chef sagt, ich habe kein Leben mehr, bis die Dame gefunden ist.«

Die Verbindung brach ab.

Irritiert, aber nicht völlig entmutigt saß ich da. Slidell kommt zwar manchmal schwer in die Gänge, doch das macht er unterwegs schnell wieder wett. Außer er ist anderweitig beschäftigt. Zum Beispiel mit einem Vermisstenfall inklusive politischen Drucks.

Ich stelle mir das Mädchen mit der pinkfarbenen Haarspange vor.

Ich stelle mir Katy bei unserer letzten Begegnung vor, in Fort Hood am Abschlusstag ihrer Grundausbildung. Anstelle von Haarspangen trug sie Kampfmontur, Stiefel und ein schwarzes Barett. Ihr Körper war steinhart, ihre langen Haare am Nacken straff zusammengefasst.

Während des ganzen Tages hatte ich mit Tränen des Stolzes zu kämpfen gehabt. Und mit Tränen der Angst.

Dieselbe Angst empfand ich jetzt alleine in meinem Auto auf dem Parkdeck.

Was, wenn Katy verschwand und niemand sich die Mühe machte, nach ihr zu suchen? Herauszufinden, ob sie tot oder am Leben war?

Das menschliche Hirn ist eine Schaltstation, die auf zwei Ebenen funktioniert.

Während meine Hand den Schlüssel drehte, schickte meine Denkzentrale Bilder einer verlassenen zweispurigen Straße.

Anstatt nach Hause in Richtung Myers Park zu fahren, bog ich nach Norden zur I-77 ab.

Nahm die südliche Auffahrt.

Fuhr nach Woodlawn.