Eine schöne Hülle, warum nicht?

Die Memoiren der Brigitte Bardot

In der französischen Zeitgeschichte gibt es »les trente glorieuses«, die ruhmreichen dreißig Jahre. Man kannte damals keine Arbeitslosen, regelmäßig stiegen die Einkommen. Die Studenten, denen künftige Arbeitgeber bis in die Hörsäle nachliefen, langweilten sich am Ende so sehr, dass sie 1968 die Revolution probierten. Frankreich wurde in jenen Jahrzehnten von einem Agrarland zu einer modernen Industrienation mit Atombomben, Überschallflugzeugen und Badezimmern. Und es gab B. B., von der General de Gaulle einmal sagte, sie bringe dem Land mehr Devisen ein als der Autokonzern Renault.

Genau in dem Augenblick, da die dreißig Ruhmreichen 1974 mit dem ersten Erdölschock zu Ende gingen, nahm Brigitte Bardot Abschied vom Film. Ein ursächlicher Zusammenhang bestand nicht, aber als Symbol einer Epoche hat man ein Flair dafür, wenn sie vorüber ist. In ihren Memoiren beschreibt sie diese Zeit, obwohl sie das Kino – »all diesen Zirkus«, wie sie jetzt sagt – eigentlich nie mochte. Sie ist seit fünfundzwanzig Jahren kein einziges Mal mehr im Kino gewesen, und mit dem Videorekorder mag sie nicht umgehen. Ihre Erinnerungen hat sie ganz allein zu Papier gebracht, tausendfünfhundert Seiten in großer runder Handschrift, fast ohne Verbesserungen. Einen nègre, wie es auf Französisch heißt, einen professionellen Formulierungshelfer, brauchte B. B. nicht. Sie schrieb einundzwanzig Jahre an ihrem Werk, natürlich mit Pausen, die manchmal drei, manchmal fünf Jahre dauerten. Meistens arbeitete sie bei Nacht, um Ruhe zu haben. Wenn das Gedächtnis für Einzelheiten sie im Stich ließ, brachte sie gern das Ambiente von ehedem mit den Gerüchen, den Düften zurück, die damals um sie wehten.

Da sitzt Brigitte auf dem Sofa, adrett, fröhlich, schlagfertig, auf dem Haupt die berühmte Sauerkrautfrisur, inzwischen grau meliert, und mit lächelnden Augen. Ihre Haut ist einen Sommer zu viel in der Sonne gewesen, aber sonst ist ihr das Altern nicht schlecht bekommen. Von Lifting oder ähnlichen Mätzchen hält sie nichts. Sie hat sich soeben im engen Trikot und in der gleichen Pose fotografieren lassen wie zur Zeit ihrer Glorie: Die Silhouette ist unverändert. Und man sitzt neben ihr mit der leicht wehmütigen Freude an einer Situation, die mancher Mann sich früher gewünscht hätte. »Mein kleines Stachelschweinchen«, sagt B. B. Es sind die drei einzigen Wörter Deutsch, die sie in ihren Jahren mit Gunther Sachs gelernt hat. Für mich sind sie nicht bestimmt, so wie sie damals nicht für ihn bestimmt waren. Auch er hat Brigitte nicht so genannt. Irgendjemand brachte ihr die Wendung bei, um Sachs zu ärgern. Einmal fällt ihr Blick auf meine Krawatte, die Jagdhunde in heraldisch stilisierten Formen zeigt. Und für einen Augenblick ergreift Brigitte Bardot meine Hand. Denn schon lange interessieren Tiere sie mehr als Menschen.

»Wie sah mein Leben denn aus? Eine einzige Abfolge von Skandalen, Liebhabern und Filmen«, steht auf Seite 452 der deutschen Ausgabe der Memoiren. Wer mit diesem Fazit zufrieden ist, braucht weder davor noch danach zu lesen. Das Buch besteht, immer streng chronologisch, in der Darstellung des unmittelbaren, persönlichen Gesichtskreises: die Geburtsanzeige, die ihre Eltern verschickten, die Familie, Kindermädchen, Dienstboten, Kleinmädchenkummer über Kaninchenragout oder Hammelhirn, Sorgen mit der Schule und erste Balletterfolge, Selbstmordversuche, theatralische wie echte, bekannte und unbekannte Stationen der Karriere. Dazwischen bekennt B. B., wie sie wirklich ist, wie sie sein möchte oder wie sie gesehen werden will: »In meinem tiefsten Inneren war ich wild, zerbrechlich, schüchtern, äußerst sensibel, treu oder wenigstens bestrebt, es zu sein, doch vor allem verletzlich.« »Dabei«, sagt sie, »bin ich nie Schauspielerin gewesen. Entweder war mir der Text gleichgültig, und ich spulte ihn einfach ab, wie’s gerade kam, oder ich ging vollkommen auf in dem, was ich spielte, wagte mich sogar bis an die Grenze der Selbstzerstörung, immer in dem Glauben, es gehe ums Ganze. Ich bin nie in die Haut einer Person geschlüpft, sondern habe die Filmfiguren immer in mich hineinversetzt. Das ist ein großer, bedeutender Unterschied!« Von Natur aus sei sie schamhaft. »Wenn ich meinen Körper in Filmen entblößte, so war es stets durch die Handlung gerechtfertigt. Ich zeigte mit meinem Körper nur eine schöne Hülle, warum nicht?«

B. B. mag keine Massen, keine Journalisten (»nichtsnutzige Schmierfinken«, »die Hunnen des zwanzigsten Jahrhunderts«, »die Geißel Gottes«), nicht Alain Delon, nicht Catherine Deneuve oder Jeanne Moreau, mit der zusammen sie in Mexiko »Viva Maria« drehte. Jean-Luc Godard gehört für sie zur »Sorte schmutziger Intellektueller, die mit der Linken liebäugeln«. Die politische Klasse Frankreichs macht sie dafür verantwortlich, dass das Land erstickt. Auf ihrer Negativliste stehen – neben vielem anderen – afrikanische Kunst, ägyptische Kunst, die Jagd, der Krieg, Tod überhaupt, Mutterschaft (die eigene), Disziplin, englische Sprache, Städte, Hochhäuser, Beton, große Zimmer, Aufzüge, Neonlicht, Plastik, Resopalmöbel, elektrische Geräte, Hausangestellte, Cannes mit seinen Festspielen, Wintersport, Museen, Stierkämpfe, Paris.

Brigitte fing mit fünfzehn Jahren an, sich über alle Konventionen hinwegzusetzen. Aber sie ist noch mit mehr als siebzig die Bürgerstochter, die es nicht mag, wenn andere das Wertsystem in Frage stellen, mit dem sie groß geworden ist. Die Gesellschaft von heute behagt ihr nicht. »Ich hasse sie, sie ist mir widerlich, ich finde sie abscheulich«, sagt sie im Gespräch. Ihr missfällt »die Dekadenz, die moralische und körperliche Schmutzigkeit, die Hässlichkeit, das Unästhetische, der Verlust wesentlicher Werte, die Pornografie«. Die Mode der Gegenwart nennt sie im Buch prêt-à-pédés – Konfektion für Schwule: »Wie könnten Männer, die keine Frauen mögen, es fertigbringen, für sie Dinge zu schaffen, die sie zur Geltung bringen?« Sogar die katholische Kirche ist vom Achtundsechziger-Geist erfasst: »Man duzt Gott, man nennt ihn ›meinen Kumpel‹, und man haut ihm auf die Schenkel.« Religion müsse unveränderlich in den Formen sein – wie ein Rolls-Royce.

Wenn Moscheen die Kirchtürme verlassener Dörfer ersetzen, ist Brigitte Bardot traurig. Sie kämpft gegen die »barbarische Sitte« des Hammelschächtens zum muslimischen Aid-el-Kebir, der, sagt sie, gleichsam ein französischer Nationalfeiertag geworden sei. Langsam nehme der Fundamentalismus Frankreich in Besitz, »das einmal ein sanftmütiges, zivilisiertes Land war«. B. B. verehrt de Gaulle, sie war mit Valéry Giscard d’Estaing einverstanden, und sie findet Jean-Marie Le Pen »einen charmanten, intelligenten Mann, der wie ich über verschiedene Dinge empört ist«. Mit allen Ideen des Front-Führers will sie nicht einiggehen. Doch ihn selber findet sie liebenswürdig und warnt davor, Le Pen zu »verteufeln«. Sie hat den Rechtsextremen schon vor langer Zeit kennengelernt, als beide Verwundete des Algerienkriegs im Lazarett besuchten. Und sie hat über Le Pen ihren gegenwärtigen und mutmaßlich letzten Ehemann Bernard d’Ormale getroffen: Die einzige Gelegenheit, bei der die Memoiren von der Vergangenheit in die Gegenwart springen.

Schopenhauer, so sagt B. B., hat sie nicht gelesen. Doch dessen Wort »Wenn es keine Hunde gäbe, möchte ich nicht leben« würde sie sofort unterschreiben. Sie hat ihren Schmuck verkauft, aus dem sie sich nie viel machte, und ihr Haus in Saint-Tropez der Brigitte-Bardot-Stiftung übertragen, denn im Schutz der Tiere will sie den einzigen Sinn ihres zweiten Lebens sehen. Katze, Hund, Esel und Seehund, niedlich aufgereiht, sind das Emblem der Stiftung. Für Biografien wie die ihre wären die drei Affen, die Augen, Ohren und Mund mit den Händen bedecken, das bessere Exlibris. Jeweils einer müsste dabei Pause machen.

Es gibt Dinge, die Brigitte Bardot nicht sieht, es gibt welche, die hört sie nicht. Und da sind einige, die sie nicht sagt.