Platzkonzert – obligatorisch

Streiflicht

Wenn es wimmert und wummert, klingt und singt auf allen Straßen, dann weiß jeder in Frankreich, selbst wenn er keinen Kalender besäße, dass der Sommer begonnen hat: Es ist Fête de la musique. Denn es entspricht bester republikanischer Tradition, den Bürgern Gemeinschaftserlebnisse zu verschaffen – ob sie wollen oder nicht. Wie einstmals auf dem Marsfeld die Revolution zu feiern und zugleich das »Höchste Wesen«, wäre der multikulturellen Gesellschaft zu fad. Viel lieber ist es ihr, mit Pop und Rock, Rap und Folk, dazu einer geringen Dosis Klassik oder Jazz und ganz wenig urfranzösischer Musette den längsten Tag zu verlängern sowie die kürzeste Nacht noch kürzer zu machen. Und das alles mittels starker Lautsprecher. Wer lieber geschlafen hätte, ist selber schuld.

Am Anfang schien es eine hübsche Idee, Musik aus den Konzertsälen direkt ans Ohr von Hörerinnen und Hörern zu tragen. Inzwischen fällt immer mehr Leuten auf, dass sie eigentlich nicht zu wenig, sondern zu viel Musik haben: im bistrot und leider in vielen Restaurants, in Supermärkten und im Sportstudio, aus Radio, Fernseher und Computer, in öffentlichen Bedürfniskabinen und im Lift. Lästig klimpert es in den Warteschleifen von Telefonvermittlungen. Parkhäuser dämpfen die Angst vor Überfällen durch akustisches Schmalz. Mit munteren Weisen trösten Vorortbahnhöfe die Murrenden über Verspätungen und Vandalismus hinweg. Ob zu Hause oder im Auto, Stereoanlagen liefern immer den gewünschten Surround Sound. Musik ist kein Fest mehr, sondern ein Konsumartikel, wenn nicht Humus für Ohrwürmer. Dass irgendwo Musikanten aufspielen, ist normalerweise nicht länger eine Attraktion. Verwaist wie die letzten Pissoirs stehen die gusseisernen Pavillons der Platzkonzerte von ehedem.

Einmal im Jahr sollte das anders sein. Doch das Interesse an der Fête de la musique lässt nach. Im Unterbewussten spukt der hier wenig bekannte Wilhelm Busch mit seiner Erkenntnis »Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.« Manchmal drückt nicht schlechtes Wetter die Stimmung, sondern Terrorismusängste. Im Pariser Regierungsviertel ließ der Polizeipräfekt kleine Hinweiszettel plakatieren – diskreterweise im Inneren der Häuser –, dass die Anwohner sich mit Personalpapieren versehen sollten, wenn sie während der Lustbarkeiten ausgehen wollten. Der Premierminister, auch sonst nicht als passionierter Konzertgänger bekannt, hat sein Büro schon am Vortag geräumt.