Die Logen leeren sich

Die »concierges« müssen der Anonymität weichen

Eigentlich müssten die concierges unter den Artenschutz gestellt werden, denn sie sind vom Aussterben bedroht. Alljährlich schaffen zweitausend Häuser in der Pariser Region ihre Hausmeisterin oder ihren Hausmeister ab: Allein im letzten Jahrzehnt hat Paris zehntausend concierges verloren und das ganze Land hunderttausend. Ein Teil Pariser Lebensart verschwindet mit den concierges, die Helfer in schwierigen Situationen, geübte Spitzel, Hausdrachen sowie Freund und Helfer der Polizei waren.

Die meisten Pariser Häuser öffnen sich längst mit einem Zifferncode. Sprechanlagen und Videokameras überwachen die wertvolleren Immobilien. Anonyme Reinigungsfirmen kümmern sich um die Sauberkeit. Aber kann ein Zifferncode die Parkgebühr für das abgestellte Auto bezahlen, wenn man nicht da ist? Gießt eine Sprechanlage während der Ferien die Blumen? Nimmt eine Videokamera eingeschriebene Briefe und Pakete an? Bei welchem anonymen Unternehmen beschwert man sich, wenn das Treppenhaus schmutzig ist oder die Beleuchtung nicht brennt?

Das Wort concierge, einst der Schlüsselbewahrer königlicher Paläste, kann männlich oder weiblich sein. In zwei Dritteln aller Fälle bedeutet es eine Frau, konkreter in sechzig Prozent der Pariser Fälle eine Portugiesin. Sie sitzt in ihrer fünfzehn bis dreißig Quadratmeter großen Wohnung neben der Haustür, hat meistens eine Familie, aber fast immer einen kleinen, wachsam bellenden Hund: An der concierge selber können zur Not Bettler, Hausierer, Einbrecher geduckt vorbeischleichen, am Hund nicht.

Der Platz der concierge heißt loge – zu Recht, denn wie von einem Logenplatz kann sie alles überschauen. Die Beschließerin kennt die Mieter sowie ihre Gewohnheiten und ihren sozialen Umgang. Sie kennt sogar die Post und weiß, wer gerichtliche Mahnschreiben und Rechnungen kriegt, denn der Briefträger liefert die Post bei ihr ab.

In der Literatur tauchte ein Conciergen-Ehepaar, Monsieur et Madame Pipelet, erstmals im Jahr 1840 auf. Eugène Sue ließ die beiden in die »Geheimnisse von Paris« eingehen. Für Theater und Kino waren die concierges eine unerschöpfliche Quelle von Späßen oder Intrigen. Kommissar Maigret ließ sich gern von Hausmeisterinnen informieren. Auch andere Autoren von Kriminalromanen nutzten sie als Zeugin – oder entlarvten sie manchmal als Mörderin.

Viel Geld verdient eine concierge nicht. Bis vor wenigen Jahrzehnten erhielt sie außer freier Wohnung, zu der die Mitbenutzung der Toilette im Treppenhaus und oft ein Dienstmädchenzimmer im obersten Stock gehörte, gar kein Geld. Gegenwärtig liegt der Tariflohn bei zehn Euro in der Stunde, doch das ist Theorie. Denn die meisten Logen müssen von acht bis zwölf und von fünfzehn bis zwanzig Uhr besetzt sein, und so viele Stunden werden nicht honoriert. Die Schnur, die man zog, wenn man spät am Abend eingelassen werden wollte, und die Glocke, die zu Häupten der schlafenden concierge schellte, sind abgeschafft.

Es gibt concierges, die nicht mehr so heißen wollen, sondern sich lieber gardien/gardienne oder régisseuse nennen lassen. Doch an der sozialen Realität ändert das nichts.

Kurz vor Weihnachten aber beginnen sogar die grimmigsten und misstrauischsten concierges, die ihre Mieter elf Monate im Jahr wie Kriminelle mustern, zu lächeln. Die gute Laune hält bis über Neujahr, denn in dieser gesegneten Zeit erwarten die concierges ihre etrenne, ihr Weihnachtsgeld. Es kann in großen Miethäusern umgerechnet mehrere tausend Euro erreichen. Fast jeder bezahlt, obwohl niemand dazu verpflichtet ist. Wichtige Briefe könnten verspätet eintreffen, Besucher den falschen Bescheid erhalten, der Mieter sei ausgegangen. Kaum etwas ist so teuer wie die Kränkung einer concierge.