Abendrot im Osten

Und überall ist Tokio

Von hinten schaut er aus wie Manet bei der Arbeit. Ein weicher Strohhut bedeckt sein Haupt. Sein Nackenhaar fällt auf einen blauen Kittel. Was er auf der Staffelei hat, ist allerdings mehr Utrillo: eine holprige Montmartre-Gasse mit winkeligen Häusern und droben auf der Höh’ natürlich Sacré-Cœur. Von Zeit zu Zeit nimmt er einen teuren Kontaktfeldstecher, der um seinen Hals baumelt, um ein Detail deutlicher zu erfassen. So etwas tut kein Impressionist, nicht einmal ein sehr später. Dafür wird das Produkt echter als das Original. Das war schon immer so bei den Japanern, die heute zu Dutzenden die Perspektivpunkte der Butte und anderer Malerwinkel von Paris besetzen. Ihre Kleider, ihre Ausrüstung, ihre Bilder sind stilecht, vielleicht ein bisschen zu ordentlich. Aber den Hauch von Schlamperei, der zur Vollkommenheit gehört, werden sie wohl auch noch lernen.

Da kämpft die Regierung gegen japanische Elektronik, Autos und andere Windmühlenflügel der Überfremdung, und derweil dringt der Feind schlitzäugig durch sämtliche Hintertüren ein. Der Feind? Das authentische Paris kann ohne seine Asiaten kaum mehr auskommen. Im Konservatorium stellen sie die stärkste Ausländerfraktion: »Sie kommen an, können kein Wort Französisch, arbeiten Tag und Nacht, und nach sechs Monaten haben sie das Wesen westlicher Musik erfasst«, sagt ein Professor. Die Prêt-à-porter-Woche wird oft durch japanische couturiers, von denen es inzwischen ein halbes Dutzend gibt, eröffnet und beschlossen. Einige alteingesessene Parfumeure gehen so weit, ihren neuen Erzeugnissen durch Namen und Aufmachung den Anschein zu geben, es seien die Strahlen der aufgehenden Sonne auf sie gefallen.

Nun hat eine Tokioter Konfektionsfirma auch noch die Hälfte des Aktienkapitals von André Courrèges gekauft. In der Modebranche kann das Abendrot auch im Osten stattfinden.