Perlen für die Snobs
Über den Niedergang des Luxus als Lebensart
Wenn der Beherrscher Saudi-Arabiens eine Kopie der Spiegelgalerie von Versailles als Speisesaal für zweitausend Gäste bauen lässt, dazu breite Schlosskorridore, in denen Elektrofahrzeuge verkehren, einen palasteigenen Atombunker, ein Flugfeld und zehn Kinos, alles innerhalb der Mauern, dann hat er die Dimensionen Ludwigs XIV. übertroffen. Wenn Hollands Bierkönig Alfred Heineken einen Toulouse-Lautrec in seine Toilette hängt, dann zeigt er damit schlechteren Geschmack als jener Rothschild, der täglich zur Essensstunde einen Bediensteten mit einem Kahn auf dem Schlossteich rudern ließ, um den Ausblick auf die Landschaft anmutig zu beleben. Wenn ein Rockstar inkognito in einer Pariser Hotelsuite für viereinhalbtausend Euro pro Nacht absteigt, dann will er es sich leisten. Wenn der Herzogin von Medinaceli beim Blättern in einer Zeitschrift ein Schloss so gut gefällt, dass sie es haben möchte, dann kann es schon mal passieren, dass sie erst durch den Text zu den Fotos erfährt, dass es ihr bereits gehört – so wie hundert andere Besitztümer. Und wenn zu Zeiten, die für ihn besser waren, der Geschäftsmann Adnan Kaschoggi in der New Yorker Filiale von Bulgari sein dreihundertstes Paar Manschettenknöpfe kaufte, dann sicher nicht, um seine Hemdsärmel zu schließen.
Aber ist solcher Aufwand Luxus? Im ökonomischen Sinn gewiss. Denn nach einer geläufigen Definition ist Luxus nichts anderes als relativ großer Konsum von Wohlstand für nicht wesentliches Vergnügen. Die Übergänge zwischen notwendigem Komfort und Luxus waren indessen immer fließend. Noch dazu sind sie an Zeit und Milieu gebunden. Die Badewannen, ohne die man sich heute keinen Neubau-Slum mehr vorstellen kann, ließen sich in Paris vor hundertfünfzig Jahren an den Fingern einer Hand abzählen. Geld ist nicht Eleganz, hohe Preise machen keinen Stil, Publizität kann Exklusivität nicht ersetzen. Wenn Luxus mehr sein will als Protzerei, Hedonismus oder Selbstbestätigung durch das Sammeln von Prestigeobjekten, dann muss er Fantasie entwickeln, spielerisch sein, zweckfrei. Er braucht Muße, gedeiht nicht ohne Ästhetik und verbietet seinen Trägern jeden Gedanken daran, sie könnten durch das Zurschaustellen ihres Reichtums neues Geld verdienen.
Den Moralisten aller Zeiten war Luxus suspekt. Die Stoiker verurteilten ihn, weil er ihrer Vorstellung vom einfachen Leben widersprach. Die Kirchenväter priesen Askese und Armut. Der Protestantismus sah in den Versuchungen des Luxus eine Gefahr für das Heil der unsterblichen Seele. Marxisten verdammten ihn als Ausdruck von Klassenprivilegien und Ausbeutung. »Seine sozialen Grundlagen werden im Sozialismus mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der schrittweisen Aufhebung sozialer Unterschiede beseitigt«, war in Meyers Neuem Lexikon, DDR-Ausgabe, zu lesen. Seltsamerweise blühte der Luxus, solange die Wertvorstellungen der europäischen Menschheit religiös oder sozialistisch geprägt waren. Und er fing an zu welken, als sich die Menschheit vom Glauben an das Paradies – im Jenseits oder auf Erden – abwandte.
Könnten sie zurückkehren, sie würden Paris nicht wiedererkennen, das sie als Kultstätte des Luxus verließen: der alte Aga Khan, der sein Schwergewicht alljährlich von seinem ismaelitischen Glaubensvolk in Gold und Edelsteinen aufwiegen ließ (um den Ertrag alsbald wieder zu verschenken); Ludwig Bemelmans, der die kostspielige Welt der Grand Hotels, der Ozeandampfer der Reichen, Talmi-Reichen und ihrer Lakaien unnachahmlich und unnachsichtig beschrieben hat; die Gräfin Greffulhe, die sich Marcel Proust als Vorbild seiner Herzogin de Guermantes nahm, obwohl er sie viel weniger kannte, als er glauben ließ. Schön, klug und reich, regierte die Gräfin fast ein halbes Jahrhundert lang das mondäne Paris. Wen sie in ihrem Haus an der Rue d’Astorg empfing (wo sie, umgeben von den Palais und Gärten verwandter Aristokraten lebte), dem waren in der Stadt alle Wege geebnet: Debussy, Strawinsky, Schaljapin, Richard Strauss, Rodin, August Piccard lancierte sie, bevor er in die Stratosphäre aufstieg und in Tiefen tauchte. Viel später sagte die Gräfin: »Ich habe Marcel Proust sehr wenig gekannt. Er ist mir auf seinen Wunsch von Freunden vorgestellt worden.« Die Erlaubnis, den Dichter zu einem Empfang mitzubringen, wurde unter der Bedingung erteilt, dass er nur einen Teil des Abends bleiben würde – »damit wir unsere Gespräche unter uns beenden können«.
Gelebter Luxus und Esprit sind keine Nachbarn mehr. Die künstlerische Kreativität wird nur noch gerufen, wenn sie der Werbung nützt. Aus Kunsthandwerkern, die die Wünsche und Marotten einer winzigen Minderheit erfüllten (und damit gut verdienten), sind Industrielle und Marketingfachleute geworden. Die Minderheit, in deren Dasein sich die Träume und Geschmacksverirrungen auch der Massen verwirklichten, ist zu einer Kohorte von Snobs angewachsen, die das Symbol des Luxus für den Luxus selber nimmt. An keinem Vorgang ließ sich diese Entwicklung so exemplarisch ablesen wie an der Schaffung der Marke »les must« durch Cartier. Der Nobeljuwelier kreierte seine Billigserie. Ihr englisch-französischer Markenname suggerierte den Chic von Paris und den Appeal des Jetset. Auf der ganzen Welt wurde es so verstanden, dass das Produkt erwerben muss, wer dazugehören will. »Wir können nicht mehr hinter unseren Ladentischen bleiben und auf die Könige warten«, sprach Cartier-Präsident Alain-Dominique Perrin, »also haben wir den Tempel verlassen.«
Seit 1854 zimmerten Louis Vuitton und seine Erben in Paris Koffer. Fünf Generationen stellten jene berühmten schrankartigen Gepäckstücke her, in denen Hoheiten und Millionäre ihre Roben und Fräcke, Hüte und Schuhe, Korsetts und Jagdgewehre so verpacken konnten, dass diese – in Schubladen links, auf Hängebügeln rechts – die andere Seite der Erde in einem für standesgemäßes Auftreten geeigneten Zustand erreichten. Noch vor knapp einem Vierteljahrhundert hatte Vuitton nur zwei Läden und machte damals mit seiner teuren Handarbeit umgerechnet rund zehn Millionen Euro Umsatz. Heute gibt es mehr als hundert Vuitton-Geschäfte, und ihr Umsatz ist auf mehrere Milliarden Euro gestiegen. Außerdem hat Vuitton mit dem Champagner- und Cognac-Riesen Moët Hennessy fusioniert, der unter seinen Titelmarken die berühmten Namen Dom Pérignon, Mercier Ruinart und andere sowie die Parfums Christian Dior kontrolliert. Vuitton selber gehörten schon vorher die Champagner Veuve Cliquot Ponsardin, Canard-Duchêne und Henriot, auch die Parfums Givenchy. An den Parfums Guerlain ist Vuitton beteiligt. Die Cognac-Marke Hine, die dem britischen Getränke-Nabob Guinness gehörte, hat der Koffermacher nach Frankreich zurückgekauft. Ein Multi des gehobenen Lebensstils, geleitet von einem früheren Stahlmanager, ist entstanden. Doch heute ist das einst legendäre Monogramm LV auf Einkaufstaschen in der Metro zu sehen. Die Demokratisierung des Luxus ist moderne Alchimie, für die Hersteller erfolgreich, für die Abnehmer gerade deshalb unbefriedigend. Hätten Cagliostro und Boettger wirklich Gold aus Sand gemacht, es wäre nicht mehr viel wert gewesen.
Durch schiere Unerschwinglichkeit halten sich als Bastion des Luxus die Juweliere von der Place Vendôme. An der Spitze der Hierarchie steht Van Cleef & Arpels, der für sein Kunststück berühmt ist, in Diademen, Broschen oder Armbändern bis zu achthundert Steine zu verarbeiten, ohne dass an der Oberfläche Edelmetall sichtbar bleibt. Es folgen die großen Vier: Mauboussin, Mellerio, Boucheron – und noch vor einigen Jahren hätte man geschrieben: Chaumet. Doch das ehrwürdige Haus hat so schmählich Pleite gemacht, dass seine beiden Inhaber ins Gefängnis kamen. Auch in dieser Zitadelle bröckelt es. Mappin & Webb, Cartier, Bulgari, Alexandre Reza, Fred und die anderen bilden das dritte, immer noch sehr respektable Glied. In der Branche gilt die Regel, dass niemand so gut über seinen Umsatz schweigen kann wie ein Juwelier. Man weiß, dass Vacheron Constantin im Jahr mehr als hundert Uhren zum Stückpreis von einer Million verkauft. Man kennt die Dollarmilliarden, die Cartier umsetzt. Aber man weiß auch, dass die Exporte der Spitzenjuweliere seit Mitte der achtziger Jahre schrumpften. Die französische Kundschaft, von der allein die Place Vendôme nie leben konnte, ist noch immer durch Gesetze verschreckt, welche linke Regierungen einführten und bürgerliche Regierungen ohne Gewissensbisse beibehielten. Größere Käufe müssen – theoretisch – per Scheck bezahlt werden – und in Frankreich gibt es kein Bankgeheimnis; nicht jeder kleine Anhänger, aber alles Wertvolle an Schmuck muss in die Steuererklärung.
Die Tage sind nicht mehr, da Paulette Goddard Verkäufer von Van Cleef in einer Laune zum Friseur bestellte, um sich, Haarwickler auf dem Kopf, eine neue Brosche zeigen zu lassen. Indiens Maharadschas sind abgesetzt. Die Emire vom Golf, deren Frauen noch gegen Ende des letzten Jahrhunderts an der Place Vendôme Juwelen aussuchten, so wie andere Eier kaufen, leiden unter dem Sturz der Erdölpreise und dem Dollarverfall. Ohnehin hatten die Juweliere nie ihre volle Freude an einer Kundschaft, der es mehr auf die Größe der Steine als auf deren Reinheit ankam. Schon gar nicht mehr könnte sich ereignen, was an einem Abend der Belle Époque bei Maxim’s geschah. La Belle Otero, die berühmteste Kurtisane der Zeit, hatte ihren großen Auftritt. Sämtlichen Schmuck, den hochvermögende Verehrer ihr geschenkt hatten, am Leib, betrat die schöne Zigeunerin das Lokal: um den Hals zwei Colliers, deren Vorbesitzerinnen die Kaiserinnen Eugénie von Frankreich und Elisabeth von Österreich waren, am Dekolleté zehn ungeschliffene Rubine, an den Händen acht Armbänder mit Rubinen und Smaragden, am Kopf ein Brillantdiadem und ein Paar Ohrringe von zusammen fünfzig Karat. Atemlos wartete ihr Publikum, Adel von Geblüt, Geldaristokratie und noblesse de jupon, des Unterrocks, darauf, wie die Rivalin der Schönen Otero, Liane de Pougy, auf diese Herausforderung reagieren würde. Mit schimmerndem Teint, blond, grazil, wie einem Jugendstilfenster entstiegen, erschien sie von der Rue Royale her in der Tür. »Sie haben einen Hals wie geschaffen für die Guillotine«, hatte ihr der verliebte Schriftsteller Jean Lorrain einst gesagt. Liane de Pougy trug keinen Schmuck. Keinen Ring, keine Kette, nichts. Behängt mit all ihren Juwelen, folgte ihr in drei Schritt Abstand die Zofe. Caroline Otero starb siebenundneunzigjährig und völlig verarmt 1965, kaum ein Jahrzehnt bevor Pierre Cardin das Maxim kaufte, um aus dem einstigen Prestige-Restaurant die Lokomotive für eine Handelsmarke des gehobenen Konsums zu machen. An Signalen für das Ende einer Epoche fehlte es nicht. Fast gleichzeitig mit dem Tod der Otero verunglückte im Bois de Boulogne am Steuer seines Ferrari der letzte Playboy Porfirio Rubirosa, Exbotschafter des dominikanischen Diktators Trujillo, Exgatte von dessen Tochter Flor de Oro, der Milliardärinnen Barbara Hutton und Doris Duke sowie der Schauspielerinnen Danielle Darieux, Zsa Zsa Gabor und Odile Rodin. Die Schöne Otero hatte zuletzt in einer Zweizimmerwohnung am Bahnhof von Nizza gelebt. Das Casino von Monte Carlo, wo sie so viel Geld gelassen hatte, zahlte ihr eine kleine Leibrente. Von Diamantengeschenken größeren Umfangs hörte man danach in Frankreich erst wieder, als der zentralafrikanische Kaiser Bokassa dem Präsidenten Giscard d’Estaing Aufmerksamkeiten erwies.
Der Nationalökonom Werner Sombart beschreibt in »Luxus und Kapitalismus«, wie die Ausgaben der mittelalterlichen Höfe und des Papstes wesentlich zum Entstehen kapitalistischer Wirtschaftsformen beitrugen. Die Einkünfte aus weit verstreuten Gütern wurden an einem Platz gesammelt. Wohlstand häufte sich an. Es bildete sich ein größerer Markt für hochwertige Güter und damit ein Feld für unternehmerische Tätigkeit. In den italienischen Stadtrepubliken veränderte der Reichtum der Handelsherren die Kunstgeschichte; die Kirche war nicht mehr einziger Auftraggeber. In Frankreich, dem klassischen Land des Luxus, floss ein ständiger Strom von Geld und Gütern nach Paris und Versailles. Drückende Steuern und das starre Merkantilsystem Colberts unterhöhlten die alte Gesellschaftsordnung und führten letztlich die Revolution herbei. Auch sie kehrte den Strom nicht um. Der Architekt und Restaurator Viollet-le-Duc konstatierte auf seinen Reisen während des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts, dass er in der Provinz kaum mehr hochqualifizierte Bauhandwerker und Steinmetze fand. Sie waren in Scharen in das weiter aufstrebende Paris abgewandert. Bis in die Gegenwart leistet sich Frankreich den Luxus, den überwiegenden Teil seines kreativen Potenzials und einen überproportionalen Teil seiner materiellen Ressourcen auf die Hauptstadt zu konzentrieren.
Den höfischen Glanz wie den bürgerlichen Prunk dieser Vergangenheit mobilisieren Frankreichs Traditionshäuser für ihr Überleben. Familienunternehmen, die Einzelstücke für qualitäts- oder schönheitsbesessene Liebhaber herstellen, stehen auf der Liste vom Aussterben bedrohter Arten. Die Luxusmetiers funktionieren nicht mehr wie ehedem. Die dreiundzwanzig Ateliers der haute couture mit ihren zweitausend Beschäftigten, aber nur noch einigen Hundert Kundinnen, in der ganzen Welt sind zu Fassaden industrieller Konglomerate geworden. Die haute couture von heute lebt nicht davon, dass sie ihre Modelle für zehn- bis sechzigtausend Euro verkauft. Es könnte sich nur noch als Reklamegag rentieren, wenn Dior wie früher mit Mannequins und Kollektion zu einer Privatmodeschau für die Damen eines ägyptischen Baumwollmagnaten nach Kairo flöge. Das Geld wird mit den Milliarden gemacht, die Konfektion, Parfums, Schuhe und Accessoires unter dem Namen der haute couture umsetzen. Diese Namen sind wesentlicher Bestandteil der Ware. Wer sich den Luxus zweiter Güte leistet, will den Namenszug außen haben, als Statussymbol, sichtbar wie eine Automarke. Selbst couturiers werden kreiert. Talent genügt nicht. Es hätte für Christian Lacroix vermutlich als Plattform zum Erfolg nicht ausgereicht, dass er Entwerfer bei Hermès und künstlerischer Direktor von Jean Patou war. Die Gruppe Financière Agache, der neben anderen Dior und die Schuhfirma Celine gehören, entschloss sich, ein neues Haus der haute couture zu lancieren. Hauptfigur der Handlung – Lacroix, tragende Rollen – erstklassige PR-Leute und dynamische Geschäftsmänner.
Große Namen kann man machen oder kaufen. So ist die Nummer zwei des Cognac, Martell, unter Kontrolle des kanadischen Konzerns Seagram geraten (Champagner: Mumm, Perrier-Jouët; Whisky: Chivers, Glenlivet; Portwein: Sandeman). Der britische Konkurrent Grand Metropolitan (Whisky, Wodka: Smirnoff; Immobilien, Ladenketten) wurde knapp geschlagen. Der Preis war vierzigmal so hoch wie der Jahresgewinn von Martell. Aber für den Spirituosen-Giganten, der seine Angebotspalette weltweit um einen Cognac von Prestige ausweiten wollte, wäre es mutmaßlich noch teurer gewesen, das Renommee einer kleinen Marke aufzubauen. Mit ähnlichen Hintergedanken wird um das Etikett Bénédictine gerungen. Schon werden Weingüter des Bordelais für dreistellige Millionensummen an Gesellschaften verkauft. Die Erbschaftssteuer von vierzig Prozent beim Übergang von Eltern auf Kinder wird bei steigenden Preisen für private Besitzer unerschwinglich. »Wenn das so weitergeht, gibt es in der nächsten Generation keine Familienbetriebe mehr«, prophezeit ein Winzer.
Überhaupt die Namen. Nirgendwo sonst sind sie so sehr Schall und Rauch oder Schall und Hauch wie bei Parfums. Nur Fachleute wissen, dass die zehn markenführenden Unternehmen nicht die sind, deren Signum auf den kostbaren Flakons erscheint. Vielmehr heißen sie International Flavors and Fragances, Naarden und PPF (alle drei Unilever), Roure-Bertrand-Dupont und Givaudan (beide Hoffmann-La Roche). Haarmann und Reimer, Firmenich, Florasynth, Bush Boake Allen und Takasago. Sie teilen sich die Hälfte des Weltmarktes. Die Entwicklung eines Parfums ist nicht länger Sache genialer Nasen im südfranzösischen Grasse oder in einem Pariser Atelier. Die Multis lassen Teams von mehreren Dutzend Spezialisten arbeiten, gewöhnlich zwei bis drei Jahre lang. Bevor ein neues Parfum von Dior herauskommt, werden seine kommerziellen Möglichkeiten in mehreren Ländern ausprobiert. Längst bestehen die meisten Parfums zu zwei Dritteln aus synthetischen Essenzen. Um ein Kilo Rosenöl zu gewinnen, braucht man drei Tonnen Blüten, mindestens zwanzigtausend an der Zahl, von Hand zu pflücken, was den Preis des Endprodukts auf fünftausend Euro pro Kilo treibt. Das Kilo synthetischer 2-Phenylethylalkohol kostet kaum einen Euro. Natürliches Sandelholzöl kommt auf dreihundert Euro pro Kilo, Ersatz auf zehn. Kein Wunder, dass Eau Sauvage (Dior) nach Dimethylhydrojasmonat duftet statt nach dem überholten Jasmin.
Auf den Champs-Elysées, der Prachtstraße von Paris, ist der Travellers Club mit seiner strengen Mitgliederauswahl die einzige Oase der Exklusivität geblieben. Zu beiden Seiten der Straße gibt es Großbanken, Büros von Fluglinien, Autoschauräume, aber nur noch ein Restaurant, Fouquet’s, das die Bezeichnung elegant beansprucht. Vor sechzehn Kinos mit zusammen neunundfünfzig Sälen stehen am Abend Schlangen, doch wer flanieren will, findet nur noch eine Handvoll Caféterrassen, wo er sich niederlassen könnte. Die meisten sind Hamburger-Lokalen gewichen oder den Schnellrestaurants französischer Billigketten, die ein Standardmenü bieten: immer eine Variante von Salat, Steak mit Pommes frites, Dessert. Erst blieben die Pariser weg, dann die betuchteren Touristen. Es kamen Provinzler, Jugendliche aus den Vorstädten, Gammler und Gauner. Den Boutiquen, die sich in den Passagen auftaten, geht es nicht gut. Aber selbst in den Drei-Sterne-Restaurants an anderen Stellen der Stadt ist die Welt nicht mehr ganz in Ordnung. Ein Gastronomiekritiker bemängelte jüngst, dass bei allem Aufwand für Bedienung, Geschirr und Ausstattung nirgends mehr die Serviette nach dem Fischgang gewechselt wird. »Noch beim Käse kann man Austerngeruch oder Hummersplitter unter die Nase kriegen«, sagte er.
Von solchen Sorgen wusste Abdul Asis Ibn Saud nichts. Der Vater des Königs, der sich sein Versailles II in die Wüste baute, fand seine Freude bei der Falkenjagd oder an der kühlen Brise, die sich erhob, wenn er bei Sonnenuntergang am Rande von Riad in die Wüste blickte. Dafür konnte sich der Mann, der aus einer bescheidenen Stammesherrschaft ein Reich machte, den Luxus großer Gefühle leisten. Als sein Lieblingssohn Turki starb, schloss er sich drei Jahre ein, um zu trauern. Und noch am Ende eines langen Lebens, in dem es an Macht, Frauen und immer mehr Reichtum nicht gefehlt hatte, dachte Abdul Asis Ibn Saud voller Wehmut daran, dass er nie so glücklich war wie mit Turkis Mutter, seiner ersten Frau.