Sechzehn
Sind sie … tot?«, fragte Chelsea, nachdem alle wie betäubt geschwiegen hatten.
»Der im Frühlingsviertel war tot, mausetot«, antwortete David.
»Und was bedeutet das?«, fragte Laurel. »Heißt das, es ist vorbei?«
»Was ist hier los?« Yeardley stürzte auf den Balkon. In einer Hand hielt er einen Stoffbeutel – seine Ausrüstung, wie Laurel rasch begriff. »Warum wird nicht mehr gekämpft?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Tamani und ließ den Blick über das Gelände schweifen. »Sie sehen tot aus, aber warum, weiß die Göttin allein. Ich traue der Sache nicht.«
»Was war das denn?«
Eine verschwommene Bewegung auf dem grünen Hügel erregte ihre Aufmerksamkeit – mehrere Gestalten waren auf dem Weg vom Torgarten zu erkennen.
»Noch mehr Orks?«, fragte jemand aus der Menge.
Laurel betrachtete die Gestalten genauer. Auf einmal blieb ihr die Luft weg. »Das ist Klea«, sagte sie leise. »Sie hat Yuki bei sich.«
»Wie bitte?«, sagte Yeardley.
»Die Wildblume«, sagte Tamani. »Die Elfe, über die wir bei unserem letzten Besuch geredet haben. Sie ist eine Winterelfe.«
Katya rang nach Luft. »Wollen sie zu uns?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Tamani. »Wenn nicht zu uns, dann zum Palast. Ich wüsste nicht, was schlimmer wäre. Wie auch immer, jetzt ist es zu spät. Genau dafür hätten wir Jamison gebraucht – um gegen sie zu kämpfen.«
»Sie ist uns feindlich gesonnen?«, fragte Yeardley mit einem ängstlichen Unterton.
»Das steht noch nicht endgültig fest«, sagte Tamani.
Ach nein? Laurel war anderer Meinung. Nur wegen Yuki waren die Orks überhaupt in Avalon, was bedeutete, dass sie für die vielen Toten und die Zerstörungen verantwortlich war.
»Auf jeden Fall ist sie die Marionette einer verbannten Herbstelfe – von Callista«, erklärte Tamani.
Yeardleys entsetzter Blick sprach Bände. »Callista? Das ist ja …« Er wandte sich an die Herbstelfen, die sich auf dem Balkon versammelt hatten. »Wir müssen sofort hier weg. Los!«
»Warum müssen wir von hier weg?«, fragte Laurel, als sie Yeardley folgte, der panisch vom Balkon stürmte. »Wir haben uns verbarrikadiert. Wahrscheinlich ist dies der sicherste Platz in ganz Avalon.«
Yeardley blieb ruckartig stehen. »Und wie lange, glaubst du«, fragte er so leise, dass es ihr eiskalt den Rücken herunterlief, »braucht eine Winterelfe, um eine Barrikade zu entfernen, die nur aus Holz besteht?«
»Er hat recht«, sagte Tamani hinter Laurel. »Wir sollten fort von hier. Im Westen liegt ein ziemlich dichter Wald – der wird uns Schutz bieten, nicht wahr?«
»Richtig«, sagte Yeardley.
»Nimm alle mit, die du finden kannst, und lauft in diese Richtung. Ohne Jamison weiß ich … weiß ich auch nicht weiter.«
Laurel fand es schrecklich, dass Tamani so niedergeschlagen klang. Den ganzen Tag lang hatte er gegen Orks gekämpft und gewonnen und jetzt reichten zwei Elfen aus, um ihn als Verlierer vom Platz gehen zu lassen.
»So machen wir es. Du da, lauf zur Westbarrikade«, befahl Yeardley einer Elfe mit dunklen Augen, die, wie Laurel glaubte, in eine höhere Klasse ging. »Sie sollen sie sofort niederreißen!« Zu Tamani sagte er dann: »Einige Ausbilder sind oben bei den Setzlingen und ihr habt ja gesehen, wie viele Schüler im Speisesaal warten. Jeder ist damit beschäftigt, sein eigenes Experiment in Sicherheit zu bringen und …«
»Sein was?«, fragte Tamani.
»Sein Experiment«, wiederholte Yeardley, der das offensichtlich für vernünftig hielt.
»Egal, trommle sie zusammen. Zur Hölle mit den Experimenten.«
»Tam«, rief Katya von der Brüstung. »Sie haben den Abzweig zum Winterpalast nicht genommen. Also wollen sie zu uns.«
Tamani rührte sich erst überhaupt nicht und reagierte dann wie angeknipst. »Gut, alle, die eine Waffe haben, verschwinden jetzt – auf der Stelle«, sagte er und sparte David mit einem Nicken davon aus. »Wir evakuieren.«
Er scheuchte alle vom Balkon in die Akademie und die Treppe hinunter.
»Ich gehe nicht mit«, sagte Laurel und stemmte sich gegen Tamani, als er sie mit den anderen weiterdrängen wollte.
»Laurel, bitte. Du kannst nichts gegen sie ausrichten.«
»Ihr Jungs auch nicht!« Laurel zuckte zusammen. »Ich … damit wollte ich nicht …«
Als Tamani schwieg, kam es ihr wie eine Ewigkeit vor. »Kann schon sein«, flüsterte er schließlich. »Aber vielleicht können wir sie so lange aufhalten, bis ihr einen Vorsprung habt. Sobald ihr auf dem Weg in den Wald seid, postieren wir uns am Eingang und warten auf sie.«
Laurel sah David an, der jedoch nur zustimmend nickte.
»Okay«, sagte sie. Sie hasste es, sich so nutzlos zu fühlen. »Ich bringe Yeardley zu Rhoslyn und dann kommen wir so schnell wie möglich mit Jamison zurück.«
»Perfekt.« Tamani versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
»Nimm Chelsea mit«, sagte David und zog sie nach vorne, bevor er das Schwert wieder mit beiden Händen umklammerte.
»Selbstverständlich.« Laurel nickte und nahm Chelseas Hand. »Komm, wir bringen die anderen mal auf Trab.«
»Danke«, sagte Tamani leise und drückte ihre Hand.
Laurel drückte zurück, doch sie sah ihn nicht noch mal an – er sollte nicht merken, wie wenig Hoffnung ihr geblieben war. Sie wusste, was Yuki in Tamanis Wohnung getan hatte, was Jamison mit den Orks gemacht hatte … wie lange sollten David und Tamani einer Winterelfe die Stirn bieten? Auf keinen Fall so lange, wie Laurel brauchte, um Jamison ins Bewusstsein zurückzuholen und hierher zu bringen.
»Setzlinge zuerst«, kommandierte Yeardley, als sie in seinem Gefolge das Atrium betraten. »Alle Mann zum Westausgang!« Die Elfen liefen los, um seinen Befehl zu verbreiten. Die meisten standen kurz vor der Panik.
»Laurel!« Tamani rannte mit David die Treppe hinunter, als vor dem Eingang mehrere Schüsse knallten.
»Bei Hekates Auge!«, fluchte Yeardley. »Was war das?«
»Soldaten am Eingang«, antwortete Tamani keuchend. »Sie müssen von hinten gekommen sein. Zu klein für Orks, aber sie haben Pistolen. Die müssen Klea gehören.«
»Klea?«, fragte Laurel verwirrt. »Aber sie ist doch noch gar nicht da.«
»Ich denke, sie hat sie vorgeschickt«, sagte Tamani mit leerer Stimme. »Das hätte ich auch getan und gewartet, bis sie an Ort und Stelle sind. Ich hätte es mir denken können. Wir sind genau da, wo sie uns haben will, und wir können nichts dagegen tun.«
Wie aufs Stichwort zerbarsten die hübsch bemalten Fensterscheiben über ihren Köpfen in tausend Stücke. Glasscherben und kaputte Plastiktöpfe regneten auf das mit Möbeln voll gestellte Atrium herab. Eine durchsichtige Flüssigkeit schwappte um die offenen Behälter und tränkte die Luft mit dem unverwechselbaren Gestank von Benzin.
»Was sollen wir machen?«, fragte Yeardley. »Zusammenhalten? Weglaufen? Ich …«
Er wurde von dem ohrenbetäubenden Lärm einer Explosion unterbrochen. Flammen schossen unter dem zersplitterten Eingangstor hervor, verkohlten das Holz und entzündeten das Benzin, sodass eine glühend heiße Hitzewelle durch den Raum wallte. Die Elfen, die den Flammen am nächsten waren, brannten sofort. Zum Glück war die Hitze so stark, dass ihre Schreie bald verstummten.
»Bei der Brut des Uranus!«, schrie Yeardley. »Weg hier!«
Sie flüchteten vor der großen Rauchwolke, während die Flammen auf dem Benzin tanzten und auf die Teppiche und Wandbehänge übergriffen, die den Raum zuvor geschmückt hatten.
Auf dem Weg zum Speisesaal wurde Yeardley beinahe von der dunkeläugigen Elfe umgerannt, die er zur Westbarrikade vorgeschickt hatte. Sie hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen und sprudelte so unbeherrscht los, dass man sie kaum verstehen konnte. »Feuer! Die Westbarrikade brennt!«
Und schon sah Laurel schwarze Rauchfäden an der Decke des Durchgangs zum westlichen Ausgang.
»Schüler! Beruhigt euch, bitte!«, schrie Yeardley, doch Laurel wusste, dass es nichts nützen würde. Sie standen schon mitten im Rauch, der sich in dichten erstickenden Wolken vom Atrium und vermutlich auch von allen anderen Toren ausbreitete.
Die panisch durcheinanderrennenden Elfen waren so laut, dass Laurel das sonderbare Zischen beinahe nicht gehört hätte, das einer weiteren Explosion voranging, die mit donnerndem Widerhall weit über ihnen verdampfte.
»Was war das?«, schrie Chelsea gegen den Lärm an.
Laurel schüttelte den Kopf, doch Tamani zeigte zur Decke. »Was ist da oben?«
»Klassenräume, Schlafsäle.«
»Nein.« Tamani wollte es genau wissen. »Hier, direkt über uns.«
»Der Turm«, entgegnete Laurel nach kurzem Nachdenken. Tamani fluchte. »Wahrscheinlich noch mehr Benzin. Wir sitzen in der Falle, sie ist überall.«
Als sie Yeardley einholten, hatte er einen großen Schrank geöffnet und warf mehreren älteren Elfen – vor allem Lehrern und Frühlingsdienern – Eimer zu. »Holt Wasser aus dem Brunnen im Speisesaal. Aurora, wenn es uns nicht gelingt, die Setzlinge in den Speisesaal zu bringen, sollten wir sie zumindest an die Fenster halten. Jayden, lauf mit zwei anderen hoch und öffne die Oberlichter!«
»Luft lässt das Feuer besser brennen«, gab Tamani zu bedenken.
»Aber so kann auch der Rauch entweichen«, sagte Yeardley und gab noch zwei Eimer aus. »Sonst sterben wir noch am Rauch, bevor uns das Feuer umbringen kann. Sobald wir es unter Kontrolle haben, können wir die Evakuierung einleiten. Wir haben in der Akademie jede Menge Fenster und Seile, von den Brandmauern ganz zu schweigen. Als Forschungsinstitut wären wir nicht viel wert, wenn wir nicht in Brandschutz investiert hätten.«
Tamani runzelte die Stirn. »Draußen warten Kleas Soldaten mit Gewehren. Die schießen doch jeden ab, der durchs Fenster kommt?«
»Ich fürchte, das ist nicht mein Fachgebiet«, erwiderte Yeardley mit einem vielsagenden Blick auf Tamanis Speer.
Als Laurel tief einatmete, verbrannte sie sich gleich die Kehle. Auch ihre Augen tränten, weil der Rauch nach unten sank.
»In den Speisesaal«, krächzte Yeardley, duckte sich und gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen.
Als sie sich der Flügeltür näherten, kamen sie an den Elfen vorbei, die mit einer Eimerkette das Wasser vom Brunnen durch die Flure verteilten, um das Feuer zu löschen. Andere rissen leicht entflammbare Dinge von den Wänden und Böden, um dem Feuer nicht noch mehr Nahrung zu geben. Doch der beißende Rauch behinderte sie bei ihrer Arbeit, und auch wenn viele Elfen sich nützlich machten, gab es genug andere, die blindlings hin und her liefen und Bücher oder Experimente an sich drückten. Andere standen an den Treppenabsätzen und stritten, ob sie treppauf oder treppab gehen sollten. Laurel brüllte sie an, sie sollten ihr folgen, doch dann atmete sie zu viel Rauch ein und konnte nicht mehr aufhören zu husten.
»Alle Elfen hier entlang!« Davids Stimme drang durch die Düsternis wie ein Leuchtfeuer im Nebel. Er stand hoch aufgerichtet da und machte den Eindruck, als könnten ihm die dunklen Wolken, die ihn umwirbelten, nichts anhaben. Laurel riss die Augen auf, als sie begriff, dass Excalibur sie von ihm abhielt. Die Schicht der klaren Luft, die ihn umgab, war hauchdünn, doch er atmete reine Luft. »Alle in den Speisesaal! Dort werden die Oberlichter geöffnet!«
Zunächst waren die Elfen an den Treppen wie gelähmt, aber dann fiel Laurel auf, dass sie einfach die Luft anhielten, weil sie nicht wussten, ob sie auf Davids Kommando hören sollten.
Weil er ein Mensch ist.
Schließlich drängte sich ein Mixer, den Laurel nicht kannte, durch die Menge in seine Richtung. Einen Augenblick lang befürchtete sie, er wollte Streit anzetteln, doch er blieb nur kurz vor David stehen, nickte und lief in den rauchigen Flur, der zum Speisesaal führte. Somit kam die Botschaft dann auch bei den anderen Elfen an, die sich langsam, schrecklich langsam auf den Weg machten. Sie schlichen tief gebückt, um überhaupt Luft zu bekommen.
Doch es gab immer noch Elfen, die gegen den Strom schwammen. Ein gutaussehender junger Elf kämpfte sich in die andere Richtung vor. Er hatte bereits einen Fuß auf der untersten Stufe, als jemand ihn zurückhalten wollte. »Galen, stopp!«
Galen blieb stehen.
Etwas Dunkles floss sehr langsam die Treppe herunter. Erst dachte Laurel, es wäre Öl, doch es war rot und flaumig – so ähnlich wie der allgegenwärtige Rauch. Doch es handelte sich nicht wie an den Toren um Schlafgas, das sich ausgebreitet hatte und hochgestiegen war. Dieser Nebel war schwer und kroch in Zeitlupe über den Boden wie Trockeneisdampf. Er füllte jede Stufe mit einer Art Brei, bevor er sich wieder verflüssigte und auf die nächste Stufe schwappte.
Galen presste die Lippen aufeinander. »Oben sind noch Elfen«, rief er. »Ich muss sie warnen.« Und damit ging er weiter die Treppe hinauf.
In dem Moment, in dem der rot rankende Rauch seinen Fuß berührte, taumelte Galen. Sein Blick war leer, während sein Körper wild zuckte. Als er auf die Treppe sank, wirbelte der dunkelrote Dunst um ihn herum. Obwohl er drei Meter von ihr entfernt war und sie in dem Rauch nicht gut sehen konnte, wusste Laurel, dass er tot war.
Die anderen begriffen das auch und sie flohen kreischend vor dem roten Unheil – einige von ihnen direkt zu den brennenden Ausgängen.
»Stopp! Stopp!« Yeardleys Stimme drang gedämpft durch den Qualm. »Keine Panik!«, rief er. »Im Speisesaal wurden die Oberlichter geöffnet. Lauft alle in den Speisesaal!«
»Aber Galen hatte recht: Oben sind noch Leute! Können wir denn nichts für sie tun?«, fragte eine der zögerlichen Elfen.
Yeardley betrachtete das gefährliche Gas, das über die beiden Treppen flutete, die nach oben führten. »Möge die Göttin ihnen beistehen«, sagte er ratlos.
Bis auf einige wenige, die beharrlich die Treppe hinaufblickten, waren schließlich doch die meisten Elfen im Speisesaal versammelt. Plötzlich merkte Laurel, wie der rötliche Nebel über den oberen Treppenabsatz waberte und sich in langen Ranken durch die verzierten Geländerstäbe nach unten ergoss wie ein Wasserfall aus Öl.
»Achtung!«, rief Laurel und zog Tamani und Chelsea zurück, sodass die dünnen Nebelströme knapp neben ihnen landeten.
Doch so schnell waren nicht alle Elfen; die roten Wellen erfassten sie wie Sandbäche. Sie fielen lautlos um, wo sie gerade standen.
»Los!«, sagte Tamani und zog Laurel mit sich. Sie wollte nicht – sie wollte die toten Elfen mitnehmen, doch Tamanis Griff war fest und sie ließ sich mitziehen.
Im Speisesaal wies Yeardley die Schüler an, nasse Tücher vor die Türen zu legen. Die Helfer in der Eimerkette, die von dem tödlichen roten Gift verschont geblieben waren, schütteten das Wasser direkt auf die Türen und tränkten das Holz damit. Der Rauch trieb dank der geöffneten großen Oberlichter, durch die sie den trüben Abendhimmel sehen konnten, weiter nach oben, sodass Laurel sich aufrichten und atmen konnte. Ein Blick zu Chelsea zeigte, dass ihr Gesicht und ihre Anziehsachen schwarz waren. Das dürfte bei ihr selbst nicht anders sein, dachte Laurel. Als sie sich umschaute, erschrak sie angesichts der geringen Anzahl von Elfen im Raum, zumal viele von ihnen das Bewusstsein verloren hatten. Schon vorher waren hier die Verletzten behandelt worden, doch durch den Qualm waren viele in Ohnmacht gefallen.
»Was jetzt?«, fragte Laurel.
»Ich gehe mit David voran«, antwortete Tamani und zeigte mit dem Speer auf eine Handvoll Elfen, die eine Holzleiter unter einem der Fenster aufstellten. »Es gibt sicher bessere Ausgangssituationen für eine Evakuierung, aber angesichts der Oberlichter, der Brandschutzmaßnahmen und des Brunnens sollte es uns gelingen, alle heil heraus zu bekommen – falls wir uns dort oben an den Fenstern bewegen können, ohne erschossen zu werden.«
An der Art, wie er in den Himmel blickte, spürte Laurel, dass ihn noch etwas beunruhigte. »Was ist?«, fragte sie.
Nach einigen Sekunden drehte er sich zu ihr um. »Klea ist bestimmt nicht mehr in der Nähe – sie weiß, dass sie hier gewonnen hat. Ich denke, sie ist auf dem Weg zum Winterpalast – irgendwer muss sie aufhalten. Und das bin ich.«
Er hatte recht. »Nimm mich mit«, forderte Laurel.
»Laurel, bitte«, flehte er, doch sie schüttelte den Kopf.
»Ich meine doch gar nicht, dass du mich zu Klea mitnehmen sollst. Ich möchte nur raus. Mit Yeardley. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir Jamison holen sollten.« Sie trat noch näher, damit niemand, nicht einmal Chelsea oder David, sie hören konnten. »Er ist unsere letzte Chance, das weißt du.«
»Glaubst du denn, dass Yeardley überhaupt mitkommen will?«, fragte Tamani. Laurel sah zu ihm hinüber. Er beruhigte immer noch das panische Elfenvölkchen. Yeardley war Avalons akademisches Vorbild und jetzt wollte sie ihn entführen.
»Ihm bleibt nichts anderes übrig, findest du nicht auch?« Laurel erstickte beinahe an ihren Worten.
Als das Licht auf einmal einen sonderbaren kränklichen Farbton annahm, gab es erneut große Aufregung. Laurel begriff sofort, dass nun ein Angriff von oben drohte. Der rote Nebel war aus den Fenstern der oberen Etage gequollen und bahnte sich jetzt einen Weg über das Dach zum Speisesaal. Er waberte bereits über die Scheiben der Oberlichter und strömte in dem Moment nach unten in den Saal, als Laurel hochblickte.
Die breite Kaskade tödlichen Gifts fiel mindestens sechs Meter tief, bevor sie einen bewusstlosen, rußverschmierten Elf traf, der auf einem mit Leintüchern bedeckten Tisch lag. Er zuckte tonlos, bis er sich nicht mehr regte und das ölig rote Gas auf den Boden schwappte.
Entsetztes Raunen. Dann drehten sich alle Elfen von Panik ergriffen gleichzeitig um und drängten an Laurel vorbei, die sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Sie nahmen sie kaum wahr, sie hatten nur noch ihre eigene Verzweiflung vor Augen.
Laurel fixierte den roten Dunst und umklammerte Tamanis Finger, als ihr klar wurde, was gerade geschehen war.
Sie waren Kleas Gift nicht einen Augenblick lang entronnen. Im Gegenteil, sie hatten ihr in die Hände gespielt.
Und jetzt gab es keinen Ausweg mehr.