Neun
Die Königin wird gleich zu uns stoßen«, sagte Jamison, als sie aus den Schatten der Äste traten, die das Tor überragten. »Berichtet rasch weiter.«
Während Tamani Jamison auf den neuesten Stand brachte, nahmen David und Chelsea ihre Umgebung in sich auf. Die weiblichen Wachposten in Rüstung, die das Tor bewachten, hielten ebenso Abstand wie Jamisons Am Fear-faire, doch sie alle standen um die Pforte stramm und machten einen prächtigen Eindruck. Chelsea starrte sie mit unverhohlenem Staunen an.
David reagierte etwas zurückhaltender. Von den Bäumen, die Wege aus weicher schwarzer Erde säumten, bis zu den Wachposten, die die goldenen Tore bewachten, betrachtete er alles mit derselben Miene wie bei der Lektüre eines Schulbuchs oder dem Blick durchs Mikroskop. Chelsea war entzückt, David interessiert.
Als Tamani erklärte, dass sie Yuki gefangen genommen hatten, hielt Jamison ihn nervös mit einer Geste auf. »Wie hat Shar eine Winterelfe in Schach gehalten?«
Tamani sah Laurel hilfesuchend an. »Wir, äh, haben sie mit eisernen Handschellen an einen Eisenstuhl gefesselt, der … in einem Salzkreis stand, Sir.«
Jamison holte tief Luft und warf erneut einen Blick über die Schulter, als die großen Holztore zum Garten aufschwangen. Dann drehte er sich wieder um, gab Tamani einen Klaps auf die Schulter und lachte laut, aber hohl und falsch. Offenbar tat er nur so. »Oh, mein Junge, mit eisernen Handschellen. Das habt ihr doch selbst nicht geglaubt, dass das lange gut geht, was?«
Königin Marion schritt, umgeben von einer Schar Am Fear-faire, auf das Tor zu.
»Es lag nicht an den Fesseln«, verbesserte Laurel ihn. »Sondern an …«
»Das mit dem Eisenstuhl gefällt mir. Nun ja«, sagte Jamison mit einem strengen Blick in die Gruppe, »ich gehe davon aus, dass man in so einer Situation tut, was man kann. Ihr könnt froh sein, dass ihr alle lebend aus der Sache herausgekommen seid«, schloss er und trat zurück, um die Königin zu begrüßen.
Laurel verstand gar nichts mehr. Warum wollte er, dass sie logen?
Königin Marion musterte David und Chelsea wortlos und ließ sich den Schreck, den sie bei ihrem Anblick bekommen haben musste, kaum anmerken. »Ihr habt Menschen erlaubt, das Tor zu passieren?«, fragte sie ohne Begrüßung und wandte ihnen dann nicht nur den Rücken zu, sondern stellte sich so, dass sie aus der Gruppe ausgeschlossen waren. Laurel warf ihnen einen entschuldigenden Blick zu, als sie so allein für sich standen.
»Sie begleiteten Laurel und den Hauptmann und befanden sich in einer so bitteren Lage, dass mir keine Wahl blieb«, antwortete Jamison, als würde er den eisigen Ton der Königin ebenso wenig bemerken wie ihren unverhohlenen Vorwurf.
»Man hat immer die Wahl, Jamison. Bring sie wieder hinaus«, befahl die Königin.
»Selbstverständlich – so bald wie möglich«, sagte Jamison, machte aber keine Anstalten, ihr zu gehorchen. »Wo ist Yasmine?«
»Ich habe sie außen vor gelassen. Du sprachst von einer Gefahr für die Krone«, antwortete Marion. »Du möchtest doch sicherlich auch nicht, dass das Kind solchen Erfahrungen ausgesetzt wird.«
»Ich glaube, dass sie mitnichten ein Kind ist«, sagte Jamison leise. »Schon lange nicht mehr.«
Die Königin zog die Augenbrauen hoch. »Das ist nicht von Belang«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. »Worin besteht denn nun diese angebliche Bedrohung?«
Als Jamison sie an Tamani und Laurel verwies, zeigte die Königin sich nur unter größtem Widerwillen bereit zuzuhören. Tamani gab ihr eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse in den vergangenen Tagen, ließ jedoch den Salzkreis nach einem winzigen Blick zu Jamison aus.
»Wir gehen davon aus, dass Klea – beziehungsweise Callista, wie sie hier genannt wurde – mit ihrem gesamten Heer in ungefähr einer Stunde hier sein wird. Vielleicht auch früher. Da sie die Fähigkeit besitzt, Versammlungsplätze zu verbergen, können wir ihre Truppenstärke nicht einmal grob einschätzen. Doch wenn man die Anzahl der Glasfläschchen bedenkt, die Shar …«
Als Tamanis Stimme kippte, unterdrückte Laurel den Impuls, ihm tröstend die Hand zu reichen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt – doch bei dem Schmerz in seiner Stimme, als er den Namen seines Lehrers aussprach, hätte sie beinahe geweint.
»Wenn man bedenkt, dass das Regal voller Seren war und Klea behauptet hat, es wäre nur die letzte Lieferung, dann …« Er überlegte. »Dann könnten es Tausende sein.«
Die Königin schwieg einen Augenblick. Zwei perfekt symmetrische Denkfalten furchten ihre Stirn. Dann drehte sie sich um und rief: »Hauptmann?«
Eine junge Elfe in voller Rüstung trat vor und verbeugte sich tief.
»Schickt Boten«, ordnete die Königin an. »Beruft alle Kommandeure ein und mobilisiert alle aktiven Wachposten.«
Als Laurel sah, dass die Königin kurz abgelenkt war, flüsterte sie Tamani ins Ohr: »Warum wollte Jamison das mit dem Salzkreis nicht hören?«
Tamani schüttelte den Kopf. »Manche Dinge kann nicht einmal Jamison entschuldigen.«
Laurel hatte einen Kloß im Hals, als sie überlegte, welche Art von Strafe darauf stand, wenn Jamison so weit ging, ihnen vorzuschlagen, seine Herrscherin zu belügen.
»Sollen wir den Militärrat einberufen, Eure Majestät?«, fragte Jamison, als die junge Soldatin sich umdrehte und die königlichen Befehle weitergab.
»Du lieber Himmel, nein«, wiegelte Marion seinen Vorschlag ab. »Bis auf einige wenige Anweisungen sollten die Hauptmänner allein mit der Lage fertig werden. Wir gehen.«
»Gehen?« Tamani war schockiert. Laurel hatte selten erlebt, dass er in Avalon ungefragt das Wort ergriff, schon gar nicht in Gegenwart einer Winterelfe.
Marion bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Wir verlassen den Garten«, klärte sie alle auf, ehe sie sich an Jamison wandte. »Du und ich, wir werden uns mit Yasmine in den Winterpalast zurückziehen und ihn verteidigen, während die Frühlingselfen hier am Tor ihre Pflicht tun.« Sie überprüfte die eintreffenden Truppen. »Selbstverständlich brauchen auch wir Hilfe. Vier Kompanien sollten ausreichen, um unsere Sicherheit zu garantieren. Dazu kommen noch unsere Am Fear-faire und …«
»Wir können hier nicht weggehen«, widersprach Jamison entschlossen.
»Wir können nicht hier bleiben«, erwiderte Marion ebenso entschieden. »Die Winterelfen hüten in Zeiten der Gefahr immer den Palast und sich selbst. Sogar der große Oberon schützte sich selbst, als die Schlacht am schlimmsten wütete. Glaubst du, du wärst klüger als er?«
»Das war etwas anderes«, antwortete Jamison ruhig. »Orks sind ohnehin immun gegen Lockung und die Orks, die auf uns zukommen, sind nun auch noch immun gegen Herbstmagie. Wenn wir das Tor verlassen, haben unsere Krieger gar keine Magie mehr, die sie gegen ihre Feinde einsetzen könnten. Sie werden sie abschlachten.«
»Unsinn«, widersprach Marion. »Selbst wenn diese Ungeheuer gegen Spürseren und einige elementare Abwehrzaubertränke immun sind, wird es kaum zu der Tragödie kommen, die du hier an die Wand malst. Du da, komm mal her und erzähle mir, wie viele Orks du in deinem Leben schon getötet hast!«
Tamani begriff nicht sofort, dass sie ihn meinte. »Oh, ich weiß nicht. Hundert vielleicht?«
Hundert? Laurel war beeindruckt. So viele? Andererseits dürfte sie kaum überrascht sein, da er bereits zehn Jahre außerhalb von Avalon als Wachposten diente. Allein in ihrer Gegenwart hatte er schon zehn Orks umgebracht.
»Und wie viele davon mit Hilfe von Herbstmagie?«, fragte die Königin weiter. Die Anzahl der getöteten Orks ließ sie kalt.
Tamani machte den Mund auf, ohne etwas zu sagen. Auch Laurel hatte begriffen, dass es keine richtige Antwort auf diese Frage gab. Wenn die Königin die Anzahl derer, bei denen er sich auf die Herbstmagie verlassen hatte, zu hoch fand, würde sie ihn für unfähig erklären. Und wenn sie niedrig war, würde sie damit ihre Einstellung untermauern.
»Na los, Hauptmann, die Zeit ist knapp und wir nehmen es nicht so genau. Was meinst du, die Hälfte? Ein Drittel?«
»So ungefähr, Majestät.«
»Siehst du, Jamison? Unsere Wachposten können sich auch gut allein gegen Orks wehren.«
»Und was ist mit den beiden Verbrecherinnen?«, fragte Jamison.
»Die Winterelfe hat keine Ausbildung und stellt abgesehen von ihrer Fähigkeit, das Tor zu öffnen, keine Bedrohung dar. Und die Herbstelfe wird vielleicht noch den einen oder anderen umbringen können, aber letztendlich ist sie unserer zahlenmäßigen Übermacht unterlegen.«
Keine Bedrohung?
»Du hast Callista schon immer unterschätzt«, sagte Jamison, bevor Laurel den Mund aufmachen konnte.
»Während du sie stets schlimmer dargestellt hast, als sie ist. Du hast damals schon falschgelegen und wenn dieser Tag zu Ende ist, wirst du einsehen, dass es auch diesmal so war.«
Als Jamison schwieg, wandte sich die Königin einfach ab. Noch nie im Leben hatte Laurel sich so abgewiesen gefühlt.
Im Torgarten wimmelte es von leuchtend bunten Uniformen, während Befehle gegeben und Nachrichten versandt wurden. Jamison rührte sich nicht vom Fleck, bis die Königin an das Tor nach Japan trat, um einen Boten hindurchzulassen. Als er dann die Stirn runzelte, konnte Laurel förmlich sehen, wie er all seinen Willen zusammennahm.
»Kommt«, sagte er ruhig und kehrte der Flut der Wachposten den Rücken zu. »Und nehmt eure Freunde mit. Wir müssen zum Winterpalast.« Seine hellblaue Robe blähte sich, als er rasch auf die gegenüberliegende Gartenmauer zustrebte.
»Jamison!« Laurel lief ihm nach. Tamani war an ihrer Seite, während David und Chelsea mit verwirrter Miene folgten. »Du kannst doch nicht allen Ernstes tun, was sie verlangt hat!«
»Seid still«, flüsterte Jamison und zog sie beiseite. »Ich flehe euch an, mir zu vertrauen! Bitte!«
Eine Welle der Furcht übermannte Laurel, doch sie wusste, dass sie Jamison von allen auf der Welt am meisten vertrauen konnte. Tamani zögerte einen Moment länger und blickte zurück zu den kalifornischen Wachposten, die gerade durch das Tor kamen und mit ihren Kollegen redeten. Doch als Laurel an seinen Fingerspitzen zupfte, drehte er sich wieder um und folgte dem betagten Winterelf.
»Hier entlang«, sagte Jamison und zeigte auf einen Baum mit einem fassähnlichen Stamm und weit ausgebreiteten Ästen. »Beeilung! Bevor meine Am Fear-faire merken, dass ich weg bin!«
Hinter dem Baum waren sie außer Sichtweite der meisten Elfen im Garten. Jamison blieb nur kurz stehen, um zu verschnaufen, und legte dann die Hände zusammen, um direkt danach über die Steinmauer zu streichen. Die schlanken Äste des Baumes hoben sich neben Laurel und strichen ihr dabei über die Wange. Dann fuhren Ranken aus dem Boden und krallten sich wie spindeldürre Finger in die Steine, um sie auseinanderzuziehen und einen schmalen Ausgang zu schaffen.
Sobald Laurel und ihre Freunde die Mauer passiert hatten, zogen sich die Ranken und Äste auf eine Geste von Jamison hin wieder zurück und versetzten die Mauer in ihren ursprünglichen Zustand. Jamison blieb einen Augenblick stehen und lauschte, ob sie vielleicht doch beobachtet worden waren, doch offenbar waren sie entkommen. Er zeigte auf den Winterpalast und begann mit dem Aufstieg.
»Warum schleichen wir uns davon?«, fragte Chelsea Laurel flüsternd, als sie in seinem Gefolge den steilen Hügel hochstiegen. Da sie nicht den sanft in Bögen ansteigenden Weg benutzen konnten, der vom Tor zum Garten führte, mussten sie klettern. Es war eine Abkürzung, aber leicht war es nicht.
»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Laurel, die sich dieselbe Frage stellte. »Aber ich habe Vertrauen zu Jamison.«
»Wenn wir wissen, was los ist, kehre ich in den Garten zurück«, murmelte Tamani. »Ich lasse meine Wachposten nicht im Stich.«
»Das weiß ich doch«, flüsterte Laurel, die sich trotzdem wünschte, dass auch er sich in Sicherheit bringen würde.
Auf dem langen Anstieg zum Winterpalast gingen Chelsea die Augen über. Laurel versuchte, Avalon mit ihren Augen zu sehen und erinnerte sich an ihren ersten Besuch: die lichtdurchlässigen Kugeln weiter unten, in denen die Sommerelfen wohnten, die Art, wie der Palast mit Zweigen und Ranken zusammengehalten wurde und die Wege aus fruchtbarer dunkler Erde.
Sie gelangten erstaunlich schnell zu dem weißen Torbogen oben auf dem Hügel. Sogar Tamani hielt sich die Seiten und holte keuchend Luft.
»Wir müssen weiter«, japste Jamison, obwohl sie sich höchstens eine Minute ausgeruht hatten. »Das Schlimmste liegt hinter uns.«
Als sie das Palastgelände durchquerten, bestaunte Chelsea die beschädigten Statuen und die bröckelnde Mauer. »Wird hier nichts repariert?«, flüsterte sie Laurel zu.
»Manchmal ist es wichtiger, die natürliche Kraft eines Gegenstands zu bewahren, als sein äußeres Erscheinungsbild zu verbessern«, erklärte Jamison.
Chelsea machte große Augen. Sie hatte so leise gesprochen, dass sogar Laurel sie kaum verstanden hatte, doch sie stellte keine weiteren Fragen mehr, während sie die Treppe hinaufstiegen und das große Eingangstor aufstießen.
Es war still im Palast; nur die Schritte ihrer kleinen Gruppe waren zu hören. Die weißgekleideten Diener waren nirgends zu sehen. Hatten sie schon von dem bevorstehenden Angriff gehört? Laurel hoffte, dass sie in Sicherheit waren, wo auch immer, doch mittlerweile bezweifelte sie, ob sie alle jemals wieder irgendwo sicher sein würden.
Jamison machte sich bereits an den Aufstieg in die oberen Räume. »Bitte kommt mit!«, sagte er, ohne sich noch mal umzusehen. Auf eine kurze Handbewegung von ihm öffneten sich langsam die oberen Flügeltüren. Obwohl Laurel schon wusste, was kam, schnappte sie nach Luft, als die Wellen der Macht sie erreichten. Chelsea klammerte sich an Laurels Arm; sie hatte es auch gespürt.
»Wir laufen übrigens nicht weg«, sagte Jamison unvermittelt. »Ich kann mir denken, dass ihr das vermutet.«
Laurel fühlte sich ertappt, doch genauso war es.
»Wenn wir hier fertig sind, gehen wir wieder zurück und nehmen gemeinsam den Kampf auf. Doch erst müssen wir hier etwas erledigen – etwas, das ich nicht allein tun kann. Kommt.«
Am Ende des langen seidenen Teppichs bogen sie mit Jamison links ab, bis sie vor einer Mauer standen. Doch wie Laurel bereits wusste, war diese Mauer beweglich – sie verbarg einen Torbogen aus Marmor, durch den man in einen Raum gelangte, den Jamison damals als altes Problem bezeichnet hatte.
Jamison legte den Kopf in den Nacken und sah David an, der mindestens fünfzehn Zentimeter größer war als der runzelige Winterelf. »Bitte erzähle mir, was du über König Artus weißt, David!«
David sah Tamani an, der zustimmend nickte. »Er war der König von Camelot. Er hat sich mit euch verbündet.«
»Richtig«, sagte Jamison, der sich darüber freute, dass David die Elfenversion der Sage kannte. »Und was noch?«
»Er war mit Guinevere – einer Frühlingselfe – verheiratet und als die Orks Avalon überfielen, kämpfte er Seite an Seite mit Merlin und Oberon.«
»Ganz genau. Doch er war nicht nur ein begnadeter Kämpfer mit einer Heerschar mutiger Ritter. Er brachte dem Seligen Hof etwas, das er nie im Leben selbst hätte hervorbringen können: Menschlichkeit.«
Jamison drehte sich um, schwenkte die Arme und brach auf diese Weise die mächtige Steinmauer mitten durch. Ranken krochen aus der Lücke und schlangen sich um die Steine, um die beiden getrennten Mauern leise grollend auseinanderzuziehen. »Ihr müsst wissen, dass König Artus trotz seines Magiers und seiner Verbindungen zu den Elfen durch und durch Mensch war. Und das war genau das, was wir dringend brauchten.«
Als sich die Mauern teilten, flutete Licht durch einen Torbogen aus Marmor in eine Felsenkammer und beleuchtete einen schweren Granitblock. In diesem mächtigen Gestein prangte ein Schwert, das aussah, als sei es aus purem Diamant geschmiedet. Die zu Prismen geschliffenen Kanten sandten Regenbogen über die Wände aus weißem Marmor.
König Artus, die Klinge seines Schwerts in Stein versenkt.
»Excalibur!«, flüsterte Laurel.
»So ist es«, sagte Jamison leise und weihevoll. »Obwohl es damals anders genannt wurde. Doch es ist hier, und hier ist es gewesen, unberührt seit König Artus es höchstpersönlich nach seinem Sieg gegen die Orks in den Stein gerammt hat.«
»Unberührt? Aber ich habe doch letztens gesehen, dass du etwas damit gemacht hast.«
»Ich habe es versucht, mein Leben lang. Es lässt mich nicht los«, erwiderte Jamison. »Excalibur ist eine einzigartige Mischung aus Menschen- und Elfenmagie, von Oberon und Merlin geschmiedet, um den Bund mit Camelot zu besiegeln und den Sieg gegen die Orks zu beflügeln. Wer dieses Schwert führt, ist im Kampf unantastbar und die Klinge wird mühelos durch fast jedes Ziel schneiden. Doch Oberon wollte sein Volk auch für den Fall schützen, wenn das Schwert eines fernen Tages in falsche Hände geraten sollte. Man kann damit Elfen keinen Schaden zufügen. Auch wenn man Excalibur mit voller Kraft auf Elfen niedersausen lässt, würde es in der Luft stehen bleiben, bevor es träfe.«
»Wie kann das sein?«, fragte David. »Der Schwung muss doch irgendwohin, oder?«
Typisch David, die Sache wissenschaftlich anzugehen.
»Ich wünschte, ich könnte diese Frage beantworten«, entgegnete Jamison. »Ich kann euch nicht sagen, ob Oberon es genau so beabsichtigt hat, aber ich versichere euch, dass es hundertprozentig funktioniert. Kein Teil des Schwerts darf Elfen berühren – und Elfen können das Schwert nirgends anfassen. Nicht einmal mit meiner Magie kann ich es zu irgendetwas bewegen.«
Ach, darum hast du David und Chelsea hineingelassen, dachte Laurel. Jamisons Blick nach Avalon, sein Gerede von Bestimmung … im letzten Sommer hatte er ihr gestanden, dass der Weltenbaum ihm eine Aufgabe übertragen hatte, die nur er erfüllen konnte. Nur Jamison wäre bereit, das Schicksal ihres Landes wieder in Menschenhand zu legen, so wie damals zu Artus’ Zeiten.
»David Lawson«, sagte Jamison. »Avalon braucht deine Hilfe. Du bist nicht nur ein Mensch mit der Fähigkeit, das Schwert zu führen. Wie ich sehe, bist du mutig und stark und vor allem treu ergeben. Ich weiß, was du in deiner Welt für Laurel getan hast. Du hast ihr beigestanden und dafür dein Leben riskiert. Auch nach Avalon zu kommen, verlangt viel Mut. Ich nehme an, dass du dem jungen Artus sehr ähnlich bist, und ich bin davon überzeugt, dass es dein Schicksal ist, uns alle zu retten.«
Chelsea sog das alles begierig in sich auf.
Tamani war schier entsetzt.
Laurel wusste, welche Bitte Jamison aussprechen wollte, und hätte ihn am liebsten davon abgehalten oder David gebeten, es nicht zu tun, hätte ihm am liebsten gesagt, dass er es nicht tun müsste, weil er durch sie schon genug Verletzungen davongetragen hatte. Er sollte nicht auch noch ein Soldat Avalons sein müssen.
»David, der du den Namen der Könige trägst«, begann Jamison förmlich, »die Zeit ist gekommen, in der du dich als der Held erweist, den Laurel stets in dir gesehen hat. Willst du uns bei der Verteidigung von Avalon beistehen?«
Laurel sah Chelsea an, aber sie wusste schon, dass von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten war. Ihr Blick hing neidisch an dem Schwert, als wünschte sie, einen ähnlichen Beitrag leisten zu können.
Dann sah David Tamani an. Laurel hoffte, Tamani würde irgendetwas sagen, das David davon abbringen könnte, Jamisons Bitte zu erfüllen. Doch die beiden schienen sich schweigend zu verständigen und auch Tamani warf einen Blick wehmütigen Neides auf das Schwert.
Als David sich schließlich Laurel zuwandte, schloss sie die Augen. Sie war hin und her gerissen. War David überhaupt klar, was Jamison von ihm verlangte? Welch Ströme von Blut er vergießen sollte? Doch es ging um Avalon, um ihre Heimat, ob sie das nun wahrhaben wollte oder nicht. So viele Leben standen auf dem Spiel.
Sie konnte nicht für ihn entscheiden.
Als sie dann doch die Augen öffnete, schaute David sie direkt an. Laurel blieb stocksteif stehen, sie blinzelte nicht einmal. Doch sie sah ihm an, dass die Entscheidung bereits gefallen war.
»Ja«, sagte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Jamison zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Schwert und David ging durch den Torbogen aus Marmor, um das Schwert von allen Seiten zu betrachten. Er berührte vorsichtig den Knauf, als könnte es ihn beißen. Als nichts passierte, stellte er sich breitbeinig vor die schimmernde Waffe und stemmte die Füße in den Boden.
Dann packte er das Heft mit beiden Händen und zog das Schwert aus dem Granit.