Vierzehn
Als Laurel David und Tamani durch den Wald zur Akademie folgte, bekam sie immer weniger Luft und keuchte die ganze Zeit. Tamani hielt in Sichtweite der Akademie abrupt in einem Hain an, sodass Laurel beinahe mit ihm zusammengestoßen wäre. Durch die Löcher in der hohen Mauer, die die Schule umgab, sahen sie mindestens hundert Orks, die das einst so gepflegte Gelände auseinandernahmen. Aus schierer Zerstörungswut zerstörten sie, was sie konnten.
»Einige Wachposten kämpfen noch«, berichtete Tamani, der durch einen schmalen Spalt in der Mauer spähte. »Aber ich sehe vor allem Leichen. Wenn die Orks die letzten Wachposten beseitigt haben, fallen auch rasch die Barrikaden. Ihre Übermacht ist zu groß.«
»Was? Und warum hast du Chelsea dann hierher geschickt?«, wollte David wissen. »Ich dachte …«
»Ich wollte ihnen ein wenig Luft verschaffen, während wir Jamison in Sicherheit brachten«, erwiderte Tamani und schüttelte den Kopf. »Du hattest recht, Laurel. Wir hätten zuerst hierher gehen sollen.«
»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht«, sagte Laurel. Was geschehen war, war geschehen. Außerdem hatten sie Rowen gerettet – das war viel wert. »Wie sollen wir in die Akademie kommen?«
»Wir könnten zur Rückseite des Gebäudes gehen«, schlug David vor. »Vielleicht sind hinten weniger Orks.«
»Kann sein. Aber die Eingänge sind bestimmt auch verbarrikadiert und ich befürchte, dass sie sich hier gleich einen Weg ins Gebäude bahnen werden«, sagte Tamani. Zur gleichen Zeit entdeckte Laurel einige Orks, die sich bereits an dem eigentlichen Akademiegebäude zu schaffen machten. Sie zerrten Bretter von den Fenstern, rissen den Efeu herunter, der schützend über das große Bauwerk rankte, und schlugen mit ihren mächtigen Fäusten gegen die dicken Steinmauern. Eine Handvoll Wachposten in blauer Rüstung kämpfte am Eingangstor, das zwar beschädigt, aber noch geschlossen war. Doch sie waren schwer in der Unterzahl, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Akademie gestürmt werden würde. »Wir müssen uns mitten hindurch kämpfen. David geht voran, und wenn wir dicht hinter ihm bleiben, kann ich dich von hinten beschützen.«
Dicht an dicht gingen sie durch das erste Tor der Akademie. Laurel spürte den Geschmack von Blut auf der Zunge. Es war ganz anders als im Torgarten, denn dort hatten sie – trotz der Toten – immerhin gewonnen. Der Rasen der Akademie war mit Leichen von Orks und Elfen übersät, deren Blut und Lebenssaft sich in großen Lachen mischte.
Sofort stürzten sich die Orks von allen Seiten auf die frische Beute.
»Schneller!«, schrie Tamani, der mit dem Speer die grabschenden Arme abzuwehren versuchte.
David schwang wild das Schwert und bahnte ihnen den Weg. Mit jedem Schlag tötete er mehrere Orks, sodass sie bald über Leichen gehen mussten. Immer mehr Ungeheuer drangen auf sie ein und Laurel musste den Blick abwenden und die Luft anhalten, weil ihr sonst schlecht geworden wäre. Es half ihr, sich auf das Tor zu konzentrieren und auf die passende Gelegenheit zu warten, dorthin zu rennen, koste es, was wolle. Als sie schon recht nahe an der Akademie waren, gelang es zwei Wachposten, die restlichen Orks für den Augenblick auf die Steintreppe zurückzudrängen.
»Der Weg ist frei!«, rief Laurel Tamani zu.
Er drehte sich kurz zum Eingang um. »Ich gebe dir Deckung. Und los!«
Laurel stürmte aus dem Schutzschild, den David und Tamani ihr boten, und raste zum Eingang, während sie jeden Moment damit rechnete, die scharfen Klauen eines Orks im Rücken zu spüren. Als sie das schwere Tor erreicht hatte, warf sie sich dagegen, trommelte mit den Fäusten auf das Holz und schrie: »Ich bin’s, Laurel. Lasst mich rein! Bitte! Ich bin’s, Laurel! Wir brauchen eure Hilfe!« Als sie sich kurz umdrehte, waren David und Tamani schon fast bei ihr, doch die Orks näherten sich in Massen und gewannen sekündlich an Boden.
»Bitte!«, schrie Laurel noch einmal. »Lasst uns rein!« Sie wagte keinen weiteren Blick, sondern schlug immer weiter auf das splitternde Holz ein, ohne ihren armen Händen Ruhe zu gönnen.
Das Tor wurde einen winzigen Spalt geöffnet, der so klein war, dass sie es für Einbildung hätte halten können. Dann ging das Tor weiter auf und Finger zogen an dem dicken Holz, bis die Lücke groß genug war, um sie hindurch taumeln zu lassen. Das Tor wurde auf der Stelle wieder geschlossen und rettete sie mit einem unheimlichen Krachen vor der tobenden Schlacht.
Laurel lag keuchend auf dem Boden und nahm kaum wahr, dass neben ihr Möbel und Regale wieder vor das Tor geschoben wurden, um die Barrikade zu verstärken. Dann hob sie den Kopf von dem kalten Steinboden, um vorsichtig den Kratzer auf ihrer Wange zu untersuchen.
Tamani half ihr mit seinen sanften Händen, untersuchte sie auf Verletzungen und seufzte erleichtert, als er nichts fand. »Geht’s?«
Laurel nickte, obwohl es ihr alles andere als gut ging.
»David. Wo ist David?«
»Beruhige dich«, sagte Tamani und legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Das hättest du wohl gerne.« Laurel riss sich los. »Wo ist er?«
»Draußen, er kämpft«, antwortete Tamani und wollte wieder ihren Arm nehmen.
»Nein!« Laurel wich zurück. »Wir dürfen ihn nicht allein lassen! Doch nicht mit diesen Ungeheuern!« Sie warf sich gegen die Barrikade. »Du lässt ihn da draußen verrecken!«
Jetzt schlang Tamani ihr die Arme um die Taille und zog sie vom Tor weg. »Er wird nicht sterben!«, wies er sie so scharf zurecht, dass Laurel aus ihrer Panik erwachte. »Er hat Excalibur und er wird es nicht loslassen. Du hast Angst, ich weiß – ich auch. Aber …«
»Das ist dir doch ganz egal!«, rief Laurel, die schon wieder die Nerven verlor. »Du kannst doch nicht alles ihm allein überlassen. Er braucht uns, Tam!«
»Ich würde es nie zulassen, dass ihm etwas passiert!«, schrie Tamani zurück. Nase an Nase, drückte er ihre Arme fester. »Aber wenn er nicht vor dem Tor gegen die Orks kämpfen würde, wäre es uns nie im Leben gelungen, es überhaupt wieder zu schließen. Die Orks sind in der Übermacht. Er hat dafür gesorgt, dass wir in die Akademie gelangen konnten, und jetzt schindet er Zeit, die wir dringend brauchen. Wenn du mir gerade nicht vertrauen kannst, dann denk an Jamison. David wird heil dort herauskommen.«
Damit traf er den richtigen Ton und brachte Laurel in die Wirklichkeit zurück. Sie sah Tamani an und zwang sich zu tiefen regelmäßigen Atemzügen. »Ich muss nicht an Jamison denken«, sagte sie schließlich. »Ich vertraue dir.«
»Gut«, sagte Tamani, strich ihr über die Haare und sah ihr die ganze Zeit in die Augen. »Wir können nicht mehr tun, als uns hier auf unsere Aufgabe zu konzentrieren. Sobald es irgendwie geht, holen wir David herein. Versprochen.«
»Keine Müdigkeit vorschützen. Weiter bauen!«, brüllte jemand, doch in diesem Augenblick schlich sich eine weiche Hand auf Laurels Schulter.
»Chelsea!« Laurel fiel ihrer Freundin um den Hals. »Ich dachte schon, ich sehe dich nie wieder!«
»Ich bin fantastisch schnell gerannt!«, schwärmte Chelsea. »Ich hätte eine Medaille gewinnen können. Man muss nur einen Ork auf mich hetzen, schon werde ich zum Superstar.«
Laurel drückte ihre Hand und machte sich ein Bild von der Situation. Sie musste einräumen, dass es besser stand als erwartet. Ein stabiler Querbalken sicherte das Tor und dahinter türmten sich stapelweise Möbel. Eine Gruppe von Elfen war dabei, die Lücke wieder zu schließen, die ihre Ankunft gerissen hatte, und die Barrikade war so mächtig, dass Laurel sich überrascht fragte, wie sie überhaupt hindurch gekommen waren.
Die Fenster waren schwerer zu sichern, doch auch da hatten die Elfen der Akademie gute Arbeit geleistet. Sie hatten Tische mit Steinplatten durch dicke Bretter an den Schieberahmen aus Eiche befestigt. Dieser Aufbau würde die unnatürlich starken Orks nicht lange beschäftigen, doch beidseits der großen Barrikade scharten sich zahlreiche Elfen um zwei lange Gewehre, die auf die Fenster rechts und links vom Eingang gerichtet waren.
Gewehre?
Ein hochgewachsener blonder Elf führte das Kommando und schrie den Elfen Befehle zu, ehe er die Neuankömmlinge begrüßte. An einer gezackten Wunde auf einer seiner Wangen klebte geronnener Pflanzensaft.
»Yeardley!«, sagte Laurel, lief zu ihrem Professor und warf sich ohne Rücksicht auf die Vorschriften in seine Arme.
»Der Göttin sei Dank, du lebst, Laurel. Und du hast uns noch einen Wachposten mitgebracht«, sagte er erleichtert.
»Yeardley – Tamani. Ihr kennt euch von meinem letzten Aufenthalt hier.«
»Wie ich sehe, hat Chelsea unsere Nachricht überbracht«, sagte Tamani mit einem beifälligen Blick auf die Barrikade – und die Gewehre.
»Wir haben getan, was wir konnten. Vielen Dank, dass du uns deine Freundin geschickt hast, Laurel. Sie hat berichtet, was im Torgarten geschehen ist. Zum Glück konnten wir noch vor dem ersten Angriff alle Schüler hereinholen, die draußen gearbeitet haben, und die Jüngeren in eine der inneren Kammern bringen.« Er machte eine Pause. »Einige Orks sind dennoch ins Haus gelangt, aber wir konnten sie unschädlich machen. Die Laboratorien sind ein einziges Durcheinander … und es gibt mehrere Tote und Verletzte. Aber jetzt seid ihr da. Ist es euch gelungen, Jamison zu wecken?«
Ehe Laurel antworten konnte, dröhnte ein schwerer Schlag auf die Abdeckung eines Fensters durch das Atrium.
»Achtung!«, schrie Yeardley.
Nach einem weiteren Schlag flog der Steintisch beiseite und eine dicke Hand fingerte am Rahmen. Dann erschien ein bärtiges Gesicht.
»Feuer!«, schrie Yeardley.
Es knallte und stank nach Schießpulver, doch der Ork fiel blutüberströmt zurück. Sofort reparierten mehrere Elfen die Fenstersicherung.
Als die Elfe, die geschossen hatte, in Tränen ausbrach, nahm rasch eine andere ihren Platz ein.
»Die Idee stammt von deiner Freundin«, beantwortete Yeardley die Frage, die Laurel noch gar nicht gestellt hatte. »Die Orks, die wir getötet haben, waren im Besitz dieser Waffen. Chelsea schlug vor, dass wir sie gegen sie richten. Wirklich brillant.« Er schloss kurz die Augen. »Aber für unsere Schüler ist es schwer. Sie sind keine Mörder.«
»Das sollen sie auch gar nicht sein«, sagte Tamani. »Dennoch würde ich vorschlagen, dass sie Handschuhe anziehen, wenn sie den kalten Stahl berühren.«
Vom Eingang war ein lautes Krachen zu hören. Tamani fluchte. »Das hört sich nach einem Rammbock an«, knurrte er. »Lange hält das nicht mehr. Yeardley, wir brauchen deine Hilfe, um Jamison zu wecken. Er ist in Sicherheit, allerdings weit weg im Frühlingsviertel.«
»Ich würde dir gerne helfen«, sagte Yeardley, »aber wie sollen wir uns von hier zum Frühlingsviertel durchschlagen?«
»Es ist zu schaffen, weil wir David haben. Jedenfalls wird er bald wieder bei uns sein. Gibt es hier ein Fenster, das nach vorne rausgeht, eine Art Erker?«
Yeardley musste lächeln. »Ja, es gibt einen Balkon, von wo aus wir die Orks angreifen. Ich kann dich direkt dort hinbringen.«
»Ich brauche ein Seil oder zusammengebundene Bettlaken, irgendwas, womit wir David hochziehen können«, bat Tamani.
Yeardley gab den Auftrag an einen der anderen Elfen weiter. »Er bringt es dorthin.« Yeardley marschierte bereits los. »Kommt mit.«
»Habt ihr auch Pfeil und Bogen?«, fragte Tamani, als er Yeardley mit Laurel und Chelsea die enge Wendeltreppe hinauf folgte.
»Woher denn?«, fragte Yeardley mit einem hilflosen Unterton. »Wir sind eine Schule, kein Waffenlager.«
»Wie bekämpft ihr die Orks denn dann? Sie sind bekanntlich immun gegen alle Herbstmagie.«
»Das hat eure nette Freundin auch schon gesagt«, erwiderte Yeardley und knirschte mit den Zähnen. »Aber wir haben eine Menge Dinge, mit denen wir sie bewerfen können. Dafür braucht man gar keine Magie. Siedendes Öl zum Beispiel. Oder Säure.« Er machte eine Pause. »Bücherregale.«
Die Tür am Ende der Treppe stand bereits offen und führte auf einen großen Balkon links vom Haupteingang im zweiten Stockwerk. Laurel beobachtete mit Grausen, wie mehrere Elfen einen schön geschnitzten Kleiderschrank durch eine Tür auf der anderen Seite des Flurs wuchteten und ihn unter großen Mühen zur Brüstung schleppten. Es war faszinierend zu sehen, wie sie ihn dann auf ein kurzes Kommando hin nach unten stießen.
Eine kleine blonde Elfe wischte sich befriedigt den Staub von den Händen, als sie vom Geländer zurücktrat. »Katya!«, rief Laurel und stürmte auf sie zu.
»Bei den Blütenblättern der Hekate, du hier!«, schrie Katya. Sie löste sich von Laurel, packte sie an den Schultern und zog sie wieder an sich. »Das ist gar nicht gut. Es ist viel zu gefährlich für dich. Oh, aber ich freue mich so, dich zu sehen!«
Laurel verweilte einen Augenblick länger in den Armen ihrer Freundin. Im vergangenen Sommer, als sie ohne Tamani so einsam in Avalon gewesen war, war sie ihr Fels in der Brandung gewesen. Ohne Fragen zu stellen, hatte sie intuitiv begriffen, dass Laurel jemanden brauchte, und sich sehr bemüht, sie abzulenken und ihr hin und wieder eine Freude zu machen.
Katya drückte Laurel noch einmal an sich und entdeckte Tamani. Ihre Augen leuchteten, als sie ihn wiedererkannte. »Das ist doch dein Freund, der Wächter. Tim … nein, Tam?«
»Stimmt«, sagte Laurel.
Ohne zu zögern, umarmte Katya auch ihn und küsste ihn auf die Wange. »Danke«, sagte sie. »Vielen herzlichen Dank, dass du sie sicher hierher gebracht hast.«
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Tamani knurrig, doch Laurel sah, wie sehr er sich freute. Sie schlang noch mal die Arme um ihre Freundin, so froh war sie, dass sie noch lebte. Es war ein bittersüßes Wiedersehen und Laurel merkte erst jetzt, wie sehr Katya ihr gefehlt hatte. Sie nahm sich sogar einen Augenblick Zeit, darüber zu lachen, dass sie beide pinkfarbene Blusen trugen, die anscheinend von derselben Frühlingselfe geschneidert worden waren.
Katyas Blick fiel auf Chelsea, die direkt hinter Laurel stand. Als Laurel die beiden zusammen sah, musste sie grinsen. Dass sie sich nun kennenlernten, nachdem sie ihnen so viel voneinander erzählt hatte, fühlte sich großartig an. Sie stellte sie nur mit einer kurzen Geste und dem Namen vor und freute sich, als sie beide lächelten. »Chelsea, Katya.«
»Laurel!« Tamani unterbrach ihre kurze Erholungspause. Er stand am anderen Ende der Brüstung und zeigte auf etwas.
Laurel lief zu ihm. Die Orks hatten einen Baum gefällt, die Äste abgehackt und benutzten ihn nun als Rammbock, wie Tamani befürchtet hatte. David hatte anscheinend verstanden, dass davon am meisten Gefahr ausging, denn er stellte sich seitlich an den Stamm und schlug jeden Ork nieder, der ihn hochheben wollte. Offenbar hatten die Orks noch nicht begriffen, wie gefährlich David war, denn sie wogten wie eine Flut zu ihm heran und fielen wie Blätter im Herbst.
»David!« Laurel wagte kaum, ihn in seiner Konzentration zu stören, doch es war ihr ein inneres Bedürfnis zu hören, ob es ihm gut ging.
»David?«, flüsterte Katya neben ihr. »Dein Menschenjunge?«
Laurel nickte, mied jedoch Chelseas Blick und ließ Katya über die Einzelheiten im Unklaren.
»Er ist fantastisch«, staunte Katya.
»Kann man wohl sagen«, stimmte Chelsea atemlos zu.
Auch Laurel konnte sich dem nur anschließen. Er mähte die Orks so rasch nieder, dass sie sich im Kreis um ihn stapelten. Er war gezwungen, die Leichen mit dem Fuß die Treppe hinunterzutreten, um sich überhaupt noch bewegen zu können. Wohin er auch ging, brachte er im Kampf die Wende, und doch machte es Laurel traurig, ihn so zu sehen.
»David!« Als sie noch mal rief, hörte er sie.
Nachdem er rasch zu ihr hochgeblickt hatte, zog er vor Konzentration die Brauen zusammen und holte weit mit dem Schwert aus. Er wankte durch die Leichenhaufen und hielt das Schwert vorsichtig ausgestreckt. So ging er langsam auf den Balkon zu. Katya wies die Elfen an, nichts mehr hinunterzuwerfen, damit er nicht versehentlich getroffen wurde.
»Nein, das geht schon in Ordnung«, erklärte Chelsea mit einem Hauch von Stolz. »Er ist unantastbar. Ihr könnt ruhig weiter werfen.«
»Hey, Leute«, keuchte David, als er nahe genug herangekommen war. »Ich halte nicht mehr lange durch. Meine Arme …« Er holte keuchend Luft und unterbrach sich, um einen weiteren Ork umzubringen. »Meine Arme machen nicht mehr mit.«
»Wo ist das Seil?«, fragte Tamani nervös.
Als Laurel den Blick über den Balkon schweifen ließ, bemerkte sie zwei Elfen, die auf sie zuliefen und dabei Bettlaken verknüpften. Sie beugte sich über die Brüstung. »Wir sind …« Sie hielt inne, weil ihre Stimme zu kippen drohte. »Wir sind hier, David. Gleich sind wir so weit.«
Tamani nahm dem Elf das erste Laken ab, zerteilte es mit dem Messer und verknotete die beiden Enden zu einem Steigbügel. Dann sah er Laurel und Chelsea ernst an.
»Wir lassen das jetzt herunter, aber David muss als Erster drankommen, sonst ziehen die Orks daran und nehmen es uns weg. Er soll den Fuß in die Schlaufe stellen, dann ziehen wir ihn hoch. Verstanden?«
Laurel nickte und Tamani reichte ihr den Steigbügel. Sie beugte sich wieder über das Geländer und wiederholte Tamanis Anweisungen. David nickte, ohne zu ihr hochzuschauen. Sie wollte nicht zu viel sagen, weil die Orks gespannt lauschten, doch er tötete sie so schnell, dass wahrscheinlich keiner in Hörweite noch lebte, wenn sie das Bettlaken hinunterließen.
»Festhalten!«, schrie Tamani den Elfen auf dem Balkon zu.
Alle packten an einem Ende des Lakens an. Sogar Chelsea reihte sich hinter Tamani ein. »Du musst gut zielen«, sagte sie zu Laurel und stemmte die Füße in den Boden.
»David!«
Er sah zu ihr hoch. »Kann losgehen«, rief er mit letzter Kraft.
Laurel schloss die Augen, holte tief Luft, öffnete sie wieder und versuchte, sich an die Softball-Regeln zu erinnern. Dann warf sie David das Tau aus verknotetem Stoff zu.
David löste eine Hand vom Schwert, fing das Seil und zog es an seine Brust. Obwohl er kurz das Gleichgewicht verlor, gelang es ihm, sich vorzubeugen und den Fuß in die Schlaufe zu stellen.
Als die Orks ahnten, dass er ihnen im Augenblick nichts tun konnte, stürmten sie los. Wenn sie sich auf ihn stürzten …
»Ziehen!«, kreischte Laurel, kaum dass David bereit war.
Als sich das Seil aus Bettlaken spannte, klammerte sich David wie verrückt fest und verteidigte nicht mehr sich selbst, sondern seine dürftige Rettungsleine.
»Wir haben ihn!«, rief Laurel.
Mehrere heulende Orks wollten sich an Davids Beine hängen, doch bei der ersten Berührung glitten sie ab, weil sie ihn nicht anfassen konnten. Schließlich kapierte einer, was gespielt wurde, und sprang, kurz bevor David außer Reichweite gezogen wurde, hoch und packte das Laken, um mit seiner Keule auf David einzuschlagen.
Er konnte David zwar nicht wirklich treffen, aber er brachte ihn aus dem Gleichgewicht, sodass er beinahe das Seil losgelassen hätte. Daraufhin versuchte David, ihn mit Excalibur zu treffen, doch weil er so erschöpft war, zielte er schlecht. Laurel sah mit Sorge, wie seine Knöchel weiß wurden. Total gestresst mobilisierte er seine letzten Kräfte, um gleichzeitig das Seil und das Schwert festzuhalten. Eigentlich hätte sie es kaum für möglich gehalten, dass David jemals das Schwert loslassen könnte, doch jetzt hatte sie schreckliche Angst, dass es jeden Moment passieren könnte. Ohne Excalibur war David so gut wie tot.
Auf einmal ließ der Ork das Seil los, plumpste schlaff auf die Erde und blieb reglos liegen.
Laurel hatte keine Zeit, sich zu fragen, warum er losgelassen hatte, denn ohne das Gewicht des Orks schoss David zum Geländer hoch.
Tamani nahm eine Hand vom Seil und beugte sich vor, um David die andere zu reichen. Doch dann rutschten ihre Hände ab und David fiel zurück.
David holte zwei Mal tief Luft und schleuderte das Schwert hoch in die Luft. Es kam klirrend auf dem Boden des Balkons auf, während Laurel seinen Arm packte. Tamani zog am anderen Arm und gemeinsam hievten sie ihn über die Brüstung, wobei sie alle drei übereinander fielen.