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»Hallo und willkommen bei E! Entertainment News heute Abend und hoffentlich noch die ganze Nacht, denn wir heften uns an die Fersen der Stars, die nun zur 81. Oscarverleihung am Kodak Theatre im Herzen Hollywoods eintreffen. Ich bin …«
Burritos von ihrem Lieblingsmexikaner in West Hollywood. Eine Schachtel Cupcakes von Sprinkles auf dem Santa Monica Boulevard.
Und eine Flasche Cristal Champagner. Nur ein Glas.
Das war alles, was sie für diesen Abend brauchte. Sie ging nicht zu der Preisverleihung. Sie war nicht eingeladen.
Stattdessen saß Chelsea Stone in der ersten Reihe vor ihrem Fernseher.
»Da kommen die Ersten. Ich sehe die Gewinnerin des Golden Globe für den wunderbaren Film Dressed to Kill, October Donahue. Natürlich lasse ich sie mir nicht entgehen. … Hallo! Was für ein großartiges Kleid. Sind Sie aufgeregt, heute hier sein zu dürfen? Schließlich ist dies das wichtigste Datum im Hollywoodkalender, nicht wahr?«
Chelsea hatte sich in Schale geschmissen und jemanden kommen lassen, der ihr die Haare geföhnt hatte. Nachdem sie die Bänder gesehen hatte, hatte sie sich wieder auf Diät gesetzt, und die Pfunde purzelten. Dieser Abend war ein Ausreißer, den sie sich gönnte. Sie trug ein rotes Wickelkleid von Vivienne Westwood, das an den richtigen Stellen formte und ihre noch immer üppige Figur perfekt betonte. Auch mit dem Make-up hatte sie sich große Mühe gegeben.
Warum sie das getan hatte, war ihr selbst nicht so ganz klar. Sie wusste nur, dass sie gut aussehen wollte, wenn der Moment kam – der Moment ihres Triumphes. Wenn man ihn verhaftete, wollte sie nicht gerade banale Erdnussflips essen.
»Nun, meine Damen und Herren, willkommen zurück nach der kurzen Pause, und ich kann Ihnen sagen, dass hier auf dem roten Teppich inzwischen ein reges Treiben herrscht. Wir versuchen natürlich, die Stars anzusprechen und zu interviewen … Ich habe hier noch nie so viele Menschen erlebt, es ist ein traumhafter Abend, so viele exzellente Filme … Schauen Sie sich nur einmal die Kameras entlang des Teppichs an. Man hat mir gesagt, dass Vertreter aus achtunddreißig Ländern hier sind … Als Nächstes sprechen wir mit …«
Und so saß Chelsea Stone allein bei sich zu Hause auf dem Sofa an jenem milden Februartag, abends um halb sieben, und freute sich auf das, was sie zu sehen bekommen würde.
»Großartig, danke schön. Wow, Leute, jetzt kommt ein wahrer britischer Gentleman für Sie zu Hause – hier kommt Sir Leo Russell, der adrette Produzent der fröhlichen Amber-Stone-Filme und natürlich von The Time of My Life. Sie erinnern sich: Es hat ein paar interne Streitereien mit den Stone-Schwestern gegeben, aber das werden wir jetzt nicht erwähnen. … Sir Leo, schön, Sie zu sehen!«
Ja, da war er auf dem Fernsehbildschirm. Er wirkte klein. Es war tröstend, ihn dort zu sehen und zu wissen, dass er existierte und nicht irgendein Schatten war, den man nicht packen konnte. Heute ist es so weit, Leo … Sie sah, wie er eine klapperdürre Puppe in einem extrem teuren Kleid in Richtung Kamera schob. Das Mädchen wirkte unglaublich jung und ließ kaum eine Regung erkennen. »Mein Gott«, hauchte Chelsea, »die kann höchstens fünfzehn Jahre alt sein.«
»Jim, das ist JoAnne Cohen. Eine neue Freundin von mir.«
»Typisch Leo Russell! … Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss! Sie können sich glücklich schätzen, wissen Sie? Sir Leo ist bekanntermaßen sehr beliebt bei Frauen … Wie lange kennen Sie beide sich?«
»Wir arbeiten gemeinsam an einem Film, eine romantische Komödie namens Marie’s Marriage. Ein tolles Drehbuch, es macht viel Spaß. JoAnne ist ein bemerkenswertes Schauspieltalent, und ich verspreche Ihnen, dass sie noch ganz groß rauskommen wird.«
Chelsea beobachtete voller Abscheu, wie er sich selbstgefällig über das Kinn strich und JoAnne betrachtete, als wäre sie eine preisgekrönte Kuh. Und wie respektvoll sich der Reporter verhielt! Gott, sie hasste Leo, hasste ihn mit Inbrunst.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben, Sir Leo – und JoAnne, natürlich. Und viel Glück … So, da gehen sie hin, aber jetzt kommt gerade jemand über den roten Teppich auf Sir Leo zu, will wahrscheinlich irgendetwas anbieten … Hey, hey, Leute, nicht drängeln – hallo?
Wow, meine Damen und Herren, da passiert gerade etwas … Ich bin nicht sicher, was genau … Die Polizei ist hier aufgetaucht, und jetzt … tatsächlich. Sie reden mit Leo Russell. Worum mag es gehen?
Chelsea beugte sich vor und griff nach der Flasche, die im silbernen Eimer gekühlt wurde. Behutsam löste sie den Korken und lauschte befriedigt dem sanften Ploppen, als er sich aus dem Flaschenhals löste.
Tja, nun, das ist in der Tat außergewöhnlich, was hier geschieht, und ich versuche, es Ihnen zu erklären, liebe Zuschauer zu Hause, falls Sie es nicht schon sehen. Hier ist die Hölle los. Das LAPD scheint Leo Russell zu verhaften, und er wirkt sehr wütend und gestikuliert, aber nun legen sie ihm tatsächlich Handschellen an … Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, was Sie auf Ihren Bildschirmen sehen können … Sir Leo sieht jetzt sehr schockiert aus … Man bringt ihn zu einem Wagen … Liebe Zuschauer, es ist wirklich unglaublich, was sich hier abspielt auf dem roten Teppich, während immer mehr Stars eintreffen und staunend das Polizeiaufgebot betrachten. Die junge Frau am Arm Sir Leos – JoAnne, richtig? – steht allein abseits … Und nun fahren sie mit Sir Leo davon, und ich höre Hubschrauber und Sirenen in der Ferne. Ach, du lieber Himmel, dahinten stehen mindestens fünf Polizeiwagen, es handelt sich also um eine größere Aktion – haben Sie das zu Hause sehen können? Nun, wir werden herausfinden, was hier eigentlich los ist, und melden uns gleich wieder zurück …
Chelsea schenkte sich ein Glas Champagner ein. Die schäumende Flüssigkeit rann in die Flöte wie flüssiges Gold.
»Prost«, sagte Chelsea und trank lächelnd.