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Camilla?« Nichts. Maggie seufzte und stemmte die Hände in die Hüften.
»Camilla? Bist du da?«
Sie hatte sie in der Nacht nicht kommen hören, also war sie vielleicht wirklich nicht da, aber Maggie hatte sich schon öfter getäuscht. Sich zu zweit eine winzige, schmutzige Zweizimmerwohnung zu teilen war schlimm genug, aber wenn die Bewohnerin, die im Wohnzimmer schlief, es mit Vorliebe splitternackt und bis Mittag trieb, bedeutete das eine zusätzliche Einschränkung. Maggie musste sich eingestehen, dass Oberschicht-Töchter sie verunsicherten.
Sie klopfte höflich und sah auf die Uhr. Sie würde zu spät zum Vorsprechen kommen. Entschlossen öffnete sie die Tür.
Es war übler, als sie erwartet hatte.
»Camilla!«, brüllte Maggie. »Wie kannst du …«
In der vergangenen Nacht war sie so müde gewesen, dass sie weder Camilla noch den bärtigen Kerl gehört hatte, der ebenfalls nackt neben ihr auf der Ausziehcouch schlief. Zwei Kondome lagen auf der Decke mit Ethnomuster, das eine zerknautscht, das andere in voller Länge. Sie konnte sogar das Sperma im Reservoir sehen.
Bis vor zwei Monaten hatte Maggie noch nie einen anderen Menschen nackt gesehen und Kondome nur vom Hörensagen gekannt, aber das Leben mit Camilla hatte das ziemlich schnell geändert. Bis vor zwei Monaten hätte Maggie sich auch nicht vorstellen können, ins Bett zu gehen, ohne Geschirr abgewaschen zu haben, oder so viel zu trinken, wie Camilla es tat, aber da sie befürchtete, dass man sie für bieder und spießig halten könnte, biss sie sich öfter auf die Lippe, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Camilla Sherbourne sagte oft und gerne, dass sie und Maggie doch vom gleichen Schlag seien: zwei Mädchen, die aus der Enge ihres Zuhauses in die hellen Lichter der Großstadt geflohen waren.
»Wir sind hier, um zu leben, meine Liebe«, fügte sie dann hinzu, leckte sich über ihren Rosenknospenmund, legte Maggie einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich.
Doch in Wirklichkeit hatten sie beide praktisch nichts gemein, wie Maggie sehr wohl wusste. Camilla war die Tochter eines reichen Geschäftsmannes aus Hertfordshire. Ihre Eltern glaubten, dass sie in Chelsea lebte und einen Sekretärinnen-Kursus besuchte. Stolz darauf, dass Camilla so eigenständig war und ihre Miete selbst zu bezahlen versuchte – angeblich wohnte sie am hübschen Onslow Square –, schickten sie ihr regelmäßig Geld, damit ihre liebe, schwer arbeitende Tochter ab und zu mit Freunden essen oder zu Konzerten gehen konnte … Wenn sie gewusst hätten! Camilla war noch nie in dieser Wohnung gewesen. Sie verschleuderte das Geld für Marihuana, LPs, Clubbesuche, und Gott allein wusste, wofür noch. Und sie zahlte die Hälfte der Miete für die Absteige in der Hopkin Road im übelsten Teil von Shepherd’s Bush. Die möblierten Zimmer und winzigen Wohnungen in der schmalen Nebenstraße, in die praktisch nie Licht zu dringen schien, waren vollgestopft mit gescheiterten Existenzen und hoffnungsvollen Neuankömmlingen. Maggie wohnte hier, weil sie es sich anderswo nicht leisten konnte.
Ein findiger Vermieter hatte eine der größeren Einzimmerwohnungen einfach geteilt, daher schlief Maggie nun in einem engen Kämmerchen, in das gerade ein Bett und eine Kommode passten. Die Kleiderstange reichte für die wenigen Sachen, die Maggie besaß. Der winzige Schlitz von Fenster ging auf eine rote Ziegelmauer hinaus, die niemals Licht sah. Camilla schlief im »Wohnzimmer«, das etwas größer war, ein echtes Fenster besaß und mit einer kleinen Theke von der Küche abgetrennt war. Das war’s. Zu Anfang – vielleicht sogar einen ganzen Abend lang – hatte Maggie es originell und witzig gefunden. Aber schon bald darauf verabscheute sie es.
»Sorry, Schätzchen.« Camilla sah zu ihr auf. Ihr blondes Haar hing ihr ins Gesicht, und ihre Augen wirkten riesig, als sei sie noch immer betrunken oder high oder beides. Ihr Blick huschte zu der Gestalt neben ihr. »Das ist …« Sie brach ab, dann kicherte sie. Genüsslich streckte sie die Arme über den Kopf und zeigte ihre Achselhaare, die sie stolz wuchern ließ. »Oh, Shit. Keith. Maggie, Schätzchen, sag hi zu Keith.«
»Hey«, sagte der Bärtige. Er drehte den Kopf, bis er Maggie richtig sehen konnte, und musterte sie eingehend. »Hey, Maggie. Freut mich.«
Maggie stieg vorsichtig über eine leere, mit Bast umhüllte Weinflasche. »Hi. Ich muss los. Ich bin spät dran.« Angewidert ließ sie ihren Blick über das Wohnzimmer gleiten.
»Ich räume gleich auf, Schätzchen, versprochen. Tut mir echt leid.« Camilla fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Sehen wir uns nachher?«
Sie griff hinüber zum vollen Aschenbecher und zündete sich einen Zigarettenstummel an, dann setzte sie sich auf und streckte sich genüsslich. Ihre großen schweren Brüste bewegten sich, als sie den Kopf von links nach rechts drehte. Keith sah wohlwollend zu.
Maggie schwieg. Eines Tages würde sie ihre eigene Wohnung haben, und diese Wohnung würde tadellos sauber und aufgeräumt sein – ein Palast verglichen mit der Hopkin Road. Sie stieg über die mottenzerfressene Matratze und ging hinaus, vorbei an den speckigen Sesseln in Braunorange, an der feuchten, schimmelnden Küche, wo noch das schmutzige Geschirr stand, das Camilla bei ihrer Party vor vier Tagen benutzt hatte, und zog blinzelnd die Tür hinter sich zu. Sie würde niemals jemanden mit hierherbringen. Nicht, dass sie hier in London viele Bekannte gehabt hätte, aber sie hätte sich ohnehin zu sehr für ihre Behausung geschämt.
Camilla fand es anscheinend lustig, in dieser Absteige zu wohnen, sich nicht zu rasieren, benutzte Teller stehen zu lassen, den ganzen Tag kiffend im Bett zu verbringen und »zu leben«, wie sie es nannte. Aber Maggie musste Arbeit finden, und nach zwei Monaten vergeblicher Suche begann sie sich zu fragen, ob das jemals geschehen würde.
London war ganz und gar nicht das, was Maggie sich vorgestellt hatte. Sie war zu fast jedem Vorsprechen gegangen, von dem sie gelesen oder gehört hatte, und inzwischen konnte sie nur noch den Kopf darüber schütteln, wie naiv sie anfangs gewesen war. Mittlerweile musste sie sich eingestehen, dass sie entweder nicht urban genug oder aber zu prüde war. Nicht nur ein Mal dachte sie verbittert, dass Camilla an ihrer Stelle keine solchen Probleme gehabt hätte.
Endlose Vorsprechen. Vorsprechen im Royal Court oder in winzigen Kellertheatern, wo angeblich Leute für Stücke über das »wahre Leben« gesucht wurden, in denen aber tatsächlich über die Universität, Shakespeare und Politik gesprochen wurde. Maggie wusste, dass sie spielen konnte – das war Fakt. Und sie konnte singen. Sie sang für ihr Leben gerne, so gerne sogar, dass sie sich ständig zurückhalten musste, wenn sie, einen Soundtrack im Kopf, durch die Straßen ging. Doch das Feedback war immer dasselbe. »Hübsches Ding, aber sie hat’s einfach nicht«, hörte sie einmal einen Regisseur herablassend sagen, als sie durch die leeren Reihen des Theaters hinausschlüpfte.
Wäre sie überhaupt nach London gekommen, wenn sie gewusst hätte, was sie inzwischen begriffen hatte? Sie war sich nicht mehr sicher. Mit Grauen dachte sie an ihre erste Woche in der Stadt zurück, als sie zum Casting für die Neubesetzung der nächsten Saison für Hair gegangen war. Sie hatte wie angewurzelt im überfüllten Probenraum gestanden und nicht wahrhaben wollen, dass sie sich tatsächlich ausziehen sollte. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt. Und das Vorsprechen für Hair war vergleichsweise harmlos gewesen; meistens verlangte man von ihr Dinge, die sie ganz sicher nicht tun wollte. Sie war bei Castings für »Musicals« gewesen, die sich als simple Stripshows erwiesen und bei denen der Regisseur beiläufig sagte: »Oh, zieh doch einfach dein Oberteil ein bisschen runter, Herzchen.« Oder das Vorsprechen für den Werbespot für Hühneraugenpflaster: »Liebes, leck dir mal über die Lippen – ja, genau so. Mach den Mund ein Stück weiter auf, als ob du … Und jetzt die Lippen schürzen. Toll machst du das.«
Hin und wieder bekam sie bezahlte Jobs – wenn man es so nennen konnte. Zum Beispiel bei einer Automesse, wo sie zur Präsentation des neuen Modells von Rover lächelnd neben einem fetten Geschäftsmann stand, der ihr hartnäckig den Hintern tätschelte. Oder als Hostess bei einem großen Abendessen einer Pharmafirma im Grosvenor House Hotel, wo sie mit anderen Mädchen in roten Seidenkleidern die Gäste – die männlichen Gäste – begrüßte und zu ihren Plätzen brachte. Das war noch der beste Job gewesen.
Ihre Träume schrumpften tagtäglich ein Stück weiter zusammen. Vor zwei Monaten war sie noch davon ausgegangen, dass sie auf dem direkten Weg zu einer Hauptrolle an der Seite von Robert Redford war – sie musste sich einfach nur entdecken lassen. Jetzt konnte sie darüber nur noch lachen. Heute hatte sie wieder ein Vorsprechen für eine kleine Nebenrolle in der Krimiserie Die Füchse – eine siebzehnjährige Ausreißerin aus dem Norden, die auf den Straßen Londons strandete. Wenn sie sich diese Rolle nicht an Land ziehen konnte, welche Hoffnung blieb ihr dann noch?
Während sie in der blassen Novembersonne über das rissige Straßenpflaster auf die U-Bahn-Station zuging, straffte Maggie die Schultern. Das Casting fand in Soho statt, und Magie liebte dieses chaotische, halbseidene Viertel, obwohl sie nicht hätte sagen können, warum. Vielleicht war ja heute der Tag, der alles ändern würde. Ja, bestimmt. Sie holte tief Luft und ignorierte den Gestank von Hundekot und Abgasen. Heute wollte sie nur Sonnenschein wahrnehmen. Unwillkürlich blickte sie auf ihre leicht streifigen, aber – wie sie hoffte – einigermaßen natürlich gebräunt aussehenden Hände. Sie hatte am vergangenen Abend zum ersten Mal Quiktan aufgetragen, und nun war ihr Betttuch voller gelblicher Flecken, so dass sie es heute noch einmal würde waschen müssen.
Aber das alles war die Mühe wert, dessen war sie sich sicher. Und es musste so sein, denn sie besaß nur noch zwanzig Pfund. Entschlossen lockerte sie ihr Haar auf und marschierte mit hocherhobenem Kopf auf die U-Bahn-Station zu.
»Du bist wirklich hübsch, Kleines, das ist es nicht.« Davey Carlton, der Produzent, starrte sie an wie ein Stück Fleisch. Speichel quoll aus den Mundwinkeln, während er sein Kaugummi kaute.
»Was ist es dann?«, fragte Maggie und gab sich Mühe, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Sie schob ihre Hände in die Taschen der Hotpants, die zu tragen man sie angewiesen hatte, und trat auf der kleinen Bühne des Theaters, in dem das Casting stattfand, von einem Plateauschuh auf den anderen. Hinter ihr warteten andere Mädchen auf ihre Chance, entdeckt zu werden.
»Schau, du bist ein wirklich nettes Ding«, sagte Davey und seufzte, als falle es ihm schwer, das Offenkundige aussprechen zu müssen. »Aber du hast es einfach nicht!«
»Was?« Maggie hatte diese Antwort satt. »Was ist ›es‹?«
Davey machte eine vage Geste. »Starqualität. Ich weiß nicht. Das lässt sich nicht genau definieren. Du bist wirklich nicht schlecht, glaub mir. Aber du bist eben wie alle anderen. Nichts Besonderes.« Sein Blick war nicht unfreundlich. »Verstehst du?«
Verstehst du? Maggie hätte am liebsten wütend aufgestampft. Natürlich verstand sie nicht. Und sie war auch nicht derselben Meinung. Wie konnte er all ihre Träume einfach so niedertrampeln?
»Bitte geben Sie mir noch eine …«, begann sie, doch der Mann unten im Zuschauerraum sagte schon: »Die Nächste.«
Ein blondes Mädchen in engen grünen Leinenshorts und ebenso engem gestreiftem T-Shirt, das sich über den Brüsten spannte, stolperte auf hohen Hacken auf die Bühne und lächelte strahlend. »Hi«, rief es, »ich bin Charlotte. Es ist toll, dass ich hier sein darf.«
»Nummer elf, bitte die Bühne räumen«, ertönte eine gelangweilt klingende Stimme aus dem Dunkeln. »Hi, Charlotte«, fügte sie mit etwas mehr Begeisterung hinzu.
Und so verschwand Maggie in den Kulissen und ließ den lange zurückgehaltenen Tränen endlich freien Lauf.
Fünf Minuten später stand sie auf der Straße. Ihre Augen brannten noch von den Tränen, aber die verhasste Shorts steckte sauber gefaltet in ihrer Tasche. Es war noch nicht einmal elf Uhr. Der Tag dehnte sich endlos vor ihr aus, und schon spürte sie das Nagen des Hungers in ihren Eingeweiden. Ihr ging das Geld aus, und da sie zu stolz war, Camilla um etwas zu bitten, hatte Maggie bereits eine Weile nicht mehr richtig gegessen. Ihr war klar, dass sie nicht mehr lange so weitermachen konnte, aber das Casting heute war der letzte Strohhalm gewesen. Sie blickte hinauf in den grauen Himmel, als es prompt zu regnen begann, und plötzlich war ihr alles zu viel. Erneut brach sie in Tränen aus und hasste sich dafür, hasste das Hungergefühl und die Einsamkeit, den Schmutz und das Elend … Aus dem Augenwinkel sah sie etwas Buntes, einen durchweichten Flyer auf dem nassen Straßenpflaster. Englandtouren im Bus warb ein Transportunternehmen.
Das musste ein Zeichen sein. Sie sollte nach Hause fahren. Schluchzer schüttelten Maggie. Nach Hause – und wo war das? Nicht in Sheffield, das stand jedenfalls fest. Sie hatte ein, zwei Mal mit ihren Eltern gesprochen und schrieb ihnen pflichtbewusst Briefe, die sie nicht beantworteten, weil es ihnen zu peinlich war, Interesse an der Tochter zu zeigen, die einfach ausgerissen war. Sheffield war kein Zuhause mehr. Aber die Hopkin Road noch weniger. Sie schniefte und fühlte sich so elend wie noch nie, seit sie nach London gekommen war.
Sie überlegte, ob sie über den Berwick Street Market gehen sollte. Die farbenprächtigen Obst- und Gemüsesorten in den Auslagen, die bunten Stoffe in den Schaufenstern und die fröhlichen Händler machten ihr stets gute Laune. Also setzte sie sich in Bewegung und versuchte, »Killer Queen« anzustimmen, um sich wieder aufzumuntern, aber es wollte nicht richtig funktionieren. Sie lief schneller. Sollten sie doch alle zum Teufel gehen, diese Mistkerle, diese snobistischen, sexistischen Chauvis. Sie würde es ihnen schon zeigen. Eines Tages wäre sie ganz oben an der Spitze, oh ja, und ob! Sie brauchte bloß eine Chance. Eine klitzekleine Chance, und dann würden sie schon …
»Hey!«
Sie hatte gerade den letzten Obststand passiert, als sie mit jemandem zusammenstieß. Es war ein großer, schlaksiger Mann mit längerem Haar, der eine schlanke Zigarre rauchte und gerade auf seine Uhr blickte.
»Huch, Vorsicht!«, rief Maggie, packte ihn, damit sie auf ihren Plateauschuhen nicht stürzte, und vergaß vorübergehend, ihren Akzent zu unterdrücken. »Tut mir echt leid.«
Dass sie sich an ihn klammerte, merkte sie erst, als er ihren Arm tätschelte und sich behutsam von ihr löste. »Macht gar nichts, Liebes. Es ist ewig her, dass mich ein junges Ding an seinen Busen gedrückt hat.« Er grinste und hielt sie fest. »Diese Schuhe da sind das Problem, denkst du nicht auch? Wieso muss ein ohnehin schon hochgewachsenes Mädchen sich mit diesen Dingern foltern?«
Maggie blickte auf die Plateaus, die gute fünf Zentimeter hoch waren, und erwiderte das Lächeln. »Keine Ahnung.«
»Hast du geweint?« Der Mann warf den Zigarillo auf die Straße. Wieder sah er auf die Uhr.
»Ein bisschen«, gab Maggie zu.
»Oje. Ich hasse es, wenn Frauen weinen«, sagte er und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Kopf hoch, Liebes. Ich heiße Nigel.«
Er hatte einen Stich Lila im Haar, was Maggie noch nie gesehen hatte. Sie wusste inzwischen genug, um zu vermuten, dass er homosexuell war. In Sheffield gab es keine Schwulen, oder falls doch, sprach zumindest niemand darüber. Vielleicht war es das, was Maggie so besonders gerne an Soho mochte: In dieser theatralischen, schäbig-schicken Atmosphäre liefen die unterschiedlichsten Menschen herum, ohne dass jemand Anstoß daran zu nehmen schien.
»Hi. Ich heiße Maggie«, sagte sie.
»Komm, sag’s Onkel Nigel. Was ist passiert?«
»Gar nichts, das ist es ja«, sagte Maggie. »Alles geht schief.« Ihr Magen begann zu knurren und erinnerte sie wieder daran, dass sie heute exakt fünfzig Cent für etwas zu essen ausgeben konnte.
Nigel warf einen Blick die Straße hinab. »Sag mal – wie alt bist du?«
»Achtzehn«, antwortete sie automatisch. Die Lüge ging ihr inzwischen locker über die Lippen.
»Schön. Du suchst nicht zufällig einen Job, oder?«
»Oh«, machte Maggie. Wollte man sie einmal mehr zu einem Casting für Unterwäschewerbung gewinnen? »Wo denn?«
Nigel deutete mit dem Daumen hinter sich. »Hier. Im Black Horse. Sandra, meine Kellnerin, ist abgehauen. Mit den Einnahmen von gestern, die elende kleine Schlampe. Jetzt brauche ich ein neues Barmädchen, drei Abende die Woche.« Er strich sich lässig über die perfekt geformte Augenbraue und fügte hinzu: »Ein Mädchen, das mich nicht beklaut, falls das nicht zu viel verlangt ist.«
Maggie blickte durch den schwarzen Fensterrahmen, von dem die Farbe abblätterte, in einen gemütlichen Pub mit alten Schwarzweißfotos an den Wänden, Unmengen an Flaschen im Regal und eine Reihe silberner Krüge, die an Haken baumelten. »Oh«, sagte sie wieder. »Tut mir leid, aber ich bin …«
Sie brach mitten im Satz ab. Ich bin Schauspielerin, hatte sie sagen wollen, aber das hörte sich viel zu hochnäsig an. Ich habe Hunger, traf es besser. Ich muss morgen die Miete zahlen. Und ich will mich nicht ständig ausziehen müssen …
Und schließlich gewann die Vernunft, und sie blickte lächelnd zu Nigel auf. »Kann ich mal reinkommen und mich umsehen?«
»Aber sicher, Liebes«, erwiderte er und stieß die klapprige Schwingtür auf. »Willkommen im Black Horse, dem besten Pub Sohos.«