42
Aus The Times, Februar 2008:
Chelsea Stone wieder an der Spitze
Am Ende reichte es dann doch nicht für den »Besten Film«, aber das änderte nichts daran, dass Hollywoods neuer Liebling auf der heutigen Oscar-Verleihung allen anderen die Show stahl. In einem Hervé-Léger-Kleid, das ihre berühmten (wenn auch drastisch reduzierten) Kurven ins beste Licht rückte, und am Arm ihres Produzenten und Landsmanns, Sir Leo Russell, sagte das ehemalige enfant terrible, dieser Abend sei wahrlich »die beste Zeit meines Lebens« gewesen.
»Dieser Film hat mein Leben und das der Menschen, die daran gearbeitet haben, verändert«, sagte sie auf der Vanity-Fair-Party, wo sie und ihre Crew den Oscar für das beste Drehbuch feierten. »Mit Leo zu arbeiten war wirklich wunderbar, und auch Bryan und die anderen waren toll. Ich habe die Rolle der Maloney geliebt. Und ich bin sehr glücklich, dass ausgerechnet diese Geschichte mein erster Kinofilm ist. Es war ein weiter Weg von Roxys neun Leben bis hierher.« Auf die Frage, ob sie nicht gerne den Oscar bekommen hätte, antwortete sie: »Es ist schon großartig, dafür nominiert zu sein.«
Miss Stone kann ohnehin nicht klagen, dass man ihre Leistungen nicht zu schätzen gewusst hätte. Sie war der Liebling der Award-Saison und gewann die Auszeichnung als »Beste Schauspielerin« von der Screen Actors Guild und den Critics Circle Award. Die bisherigen Einspielergebnisse belaufen sich schon jetzt auf 850 Millionen Dollar, nachdem der Film die Goldene Palme in Cannes bekam und bei den diesjährigen Golden Globes als bestes Drama ausgezeichnet wurde. Schon lange hat es kein Werk mehr gegeben, das das einhellige Lob der Kritiker erhielt und gleichzeitig Publikumsmagnet war. Zum großen Teil ist dies dem berüchtigten Leo Russell zu verdanken, doch selbstverständlich auch dem ungezähmten, manchmal fast unheimlichen Talent von Chelsea Stone, die wieder einmal ganz oben angekommen ist.
Die Tür fiel hinter ihnen zu. »Nacht, ihr alle«, rief Ryan Peach, Chelseas Co-Star, ein gutmütiger Bursche aus dem Süden. »Und danke für den tollen Abend, Leo.«
»Gute Nacht«, erwiderte Chelsea. Verschwinde endlich!
»Schlaft schön.«
»Ja, bye, du auch.«
Dann war es still im Raum.
Die Oscarverleihung war seit ein paar Stunden vorbei, die Partys klangen langsam aus, die riesige Hotelsuite, die das Studio für den gesamten Stab von The Time of My Life gemietet hatte, war leer, und Chelsea und Leo waren endlich allein. Draußen glitzerten die Lichter von Los Angeles. Bald würde es dämmern; es war schon sehr, sehr spät.
»Tja«, murmelte Chelsea und nahm sich eine Erdbeere. Sie trat ihre taubengrauen Seidenstilettos von den Füßen und strich sich mit den Händen über das taubengraue Seidenkleid. Sie wusste, dass sie toll aussah. »Machst du jetzt Schluss mit mir, weil ich eine Verliererin bin?«
Sie kniete sich auf die Couch, schob sich genüsslich die rote, fleischige Frucht in den Mund und blickte unter halb gesenkten Lidern zu ihm auf. Leo schloss die Tür ab, lockerte seine Krawatte und ging rasch auf sie zu. Er legte ihr eine Hand in den Nacken, die andere auf den Hintern, ließ sich auf die Polster sinken und zog sie mit sich.
»Na endlich. Zieh dich aus«, befahl er, während er sich die Hose aufmachte. Er war immer geil, wenn er gekokst hatte, und heute hatte er verdammt viel gekokst. »Mach schon.«
Chelsea nestelte an den Trägern ihres Kleids. Sie rang um Luft, als sei sie gelaufen. Sie hatte solche Lust auf ihn, dass sie es kaum ertragen konnte. Noch nie war es so gewesen, sie hatte nicht gewusst, dass Sex so gut sein konnte. Es war nicht nur, dass er genau wusste, was er tat – er konnte ihr mit seinem ganzen Körper Vergnügen bereiten. Es lag auch daran, dass er ihr das Gefühl gab, sexy zu sein. Leo Russell, der Mann ohne Seele, der in seinen Filmen niemanden sehen wollte, der eine Kleidergröße über achtunddreißig trug, der sich angewidert von einem dicken Mann, einem Blinden oder einer älteren Frau abwandte – Leo Russell war ein neurotischer Körper- und Lifestyle-Fanatiker, und dafür hatte sie ihn verachtet.
Von weitem zumindest.
Doch nun schlief sie mit ihm, und sie verstand es nicht. Er liebte ihren Körper. Er konnte nicht genug von ihr bekommen. Er liebte ihren kleinen Bauch, ihre vollen Brüste, ihre weiche Haut. Sie fragte sich manchmal, ob er vielleicht sie liebte, aber mit solchen Gedanken konnte sie sich nicht aufhalten. Er war schließlich Ambers Partner.
Doch Chelsea wusste, dass sie ihn liebte. Von ganzem Herzen.
Langsam ließ Leo seine Finger an ihrem Bein nach oben gleiten, unter ihr Kleid und ihre Spitzenunterwäsche. »Du hast dein Kleid immer noch an. Mach mich nicht wütend. Zieh es endlich aus.«
Er senkte den Kopf und küsste ihr Schlüsselbein, während seine Finger geschickt den Reißverschluss öffneten und ihre Brüste befreiten. Er warf das Kleid zu Boden, küsste die Nippel, dann zog er sie auf sich, wie sie es sich schon den ganzen verdammten Abend gewünscht hatte. Nun schlang er die Arme um sie, während sie sich auf ihn setzte, und sie bewegten sich gemeinsam auf der Couch, so dass sie seinen Schwanz in sich pulsieren spürte.
Sie sah ihn an. Er hatte die Zähne zusammengepresst und die Augen halb geschlossen, als habe er Schmerzen. Seine Nasenflügel blähten sich. Er packte ihre Schulter, als sie sich schneller bewegte.
»Nein«, sagte er, »entspann dich.« Sie sah auf ihn hinab, und er begegnete ihrem Blick und lächelte – echt und aufrichtig, nicht sarkastisch oder herablassend wie üblich. Er vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten und liebkoste sie, und Chelsea spürte, wie sich der Orgasmus langsam in ihr aufbaute, sie durchströmte, den Höhepunkt erreichte … und sich gleichzeitig mit Leos entlud.
»Bei dir kann ich mich einfach nicht kontrollieren«, murmelte er, als er sie an sich zog. Sein attraktives Gesicht war dunkel, die Pupillen waren geweitet, doch sie hätte nicht sagen können, ob vor Lust oder als Nebenwirkung der Drogen. »Ich weiß nicht, wieso. Ich will dich immer. Heute auch, den ganzen Abend, die ganze Zeremonie über. Ich wollte dich einfach nur in den nächsten Flur zerren und vögeln.«
Chelsea blinzelte und genoss die Nachbeben ihres Orgasmus. Manchmal wünschte sie sich, er wäre nicht so direkt gewesen, sondern romantischer, zartfühlender, aber sie wusste, dass das Unsinn war. Man konnte eben nicht alles haben.
Chelsea sah hinaus auf die Lichter der Stadt unter ihr. Dies war wahrscheinlich die großartigste Nacht ihres Lebens, und sie verbrachte sie mit dem Mann, den sie liebte. Alles hätte perfekt sein müssen, aber wie sollte es, wenn sie Amber betrogen? Doch warum kümmerte es sie? Sie hätte sich gewünscht, dass es ihr egal gewesen wäre, aber das war es nun einmal nicht.
Leo und sie hatten stillschweigend eine Übereinkunft getroffen, Amber niemals zu erwähnen, so als gäbe es sie gar nicht. Dennoch musste sie immer wieder daran denken, was Leo letztlich tun würde. Wie es weitergehen mochte. Und was aus Amber wurde.
Doch in diesem Augenblick, da sie bei Leo im Arm lag, sein Penis langsam aus ihr herausglitt und ihr Herzschlag wieder zur Ruhe kam, wollte sie nicht grübeln. Nicht jetzt.
»Wann musst du gehen?« Normalerweise fragte sie nicht, weil sie ihn nicht unter Druck setzen wollte, aber heute war sie trunken von ihm und brauchte mehr.
»Noch nicht«, antwortete er. »Ich habe Sally gesagt, dass es später wird.« Er presste sie an sich und schmiegte sein Gesicht an ihren Hals, ihr Schlüsselbein. Seine Bartstoppeln kratzten über ihre Haut, und sie wünschte, er würde vorsichtiger sein: Sie musste nachher noch Interviews geben und wollte nicht aussehen, als hätte sie Ausschlag. Sie war kein verdammter Teenager, sie war ein weltberühmter Filmstar! Sie rückte ein Stück ab und blickte wieder aus dem Fenster.
Der dunkle Himmel färbte sich am Horizont bereits grau und orange. Der Morgen kam, und er würde sie wieder verlassen. Der Film war abgedreht, die Oscarverleihung war vorbei, und jetzt wurde alles anders, ohne dass sie bekommen konnte, was sie wollte – denn sie wollte Leo.
»Schau mal, es wird hell. Gehen wir frühstücken?«
»Gehen? Lass uns etwas beim Zimmerservice bestellen.«
»Nein.« Chelsea hatte plötzlich das Bedürfnis, aufzustehen und rauszugehen. Sie war zu lange in diesem Raum gewesen, sie mochte Klimaanlagen nicht. »Lass uns spazieren gehen. Am Strand entlang.« Sie lachte, als er sie entsetzt ansah. »Komm schon. Ich kenne ein tolles Lokal in Santa Monica. Los, es ist fünf Uhr morgens, es wird niemand da sein.«
»Ich gehe nicht in Strandcafés«, murrte Leo.
»Och, komm doch«, bettelte sie. Sie bewegte ihre Brüste ein wenig, so dass sein Kopf genau zwischen ihnen war, und küsste seine Stirn. Er packte ihre Brüste, doch sie stand auf. »Los jetzt. Wenn uns jemand sieht, dann wird er sich nichts dabei denken, weil jedermann weiß, dass wir die ganze Nacht zusammen gefeiert haben.«
»Na gut, du hast recht«, sagte Leo und hievte sich vom Sofa. Sie betrachtete fasziniert seinen muskulösen Körper. Er war so stark, so durchtrainiert. »Meinetwegen gehen wir in dein schreckliches Strandcafé, Chelsea, aber nur, weil du im Augenblicklich der größte Star Hollywoods bist. Und danach musst du mir einen blasen.«
»Mach ich. Noch am Strand, wenn du mir ein Frühstück ausgibst.« Sie küsste ihn auf die Lippen.
»Ich gehe duschen«, sagte er nach einem Augenblick. »Und dann los?«
»Ja.« Sie nickte und ließ sich wieder auf die Couch fallen.
Sobald Leo unter der Dusche stand, nahm sie den Hörer des Hoteltelefons auf. Es war Zeit, ein paar Dinge ins Rollen zu bringen.
»Ist da Jack Feather?«, fragte sie. Der Journalist, den sie immer mal wieder am Strand traf.
»Wer spricht da?«
»Das braucht Sie nicht zu interessieren«, sagte sie in makellosem amerikanischem Englisch. »Wollte nur sagen, dass Chelsea Stone und Leo Russell hinter dem Rücken ihrer Schwester eine Affäre haben. Sie sind auf dem Weg zum Beach Shack in Santa Monica, danach werden sie wahrscheinlich spazieren gehen. Niemand sonst weiß Bescheid.«
Als sie auflegte, keuchte sie fast. Aber sie hatte das Richtige getan. Auf jeden Fall.
»Wer war das?«, rief Leo aus dem Badezimmer.
»Niemand«, gab sie zurück und zog ihr Chanel-Kleid an. »Nur du und ich.«