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Die wortkarge Haushälterin begrüßte sie knapp an der Haustür. Chelsea wurde durch einen riesigen Raum nach dem anderen geführt, und jeder war genauso makellos sauber und aufgeräumt wie der vorherige. Hier also lebte ihre kleine Schwester? Ein Zimmer schien eine Art Büro zu sein, und Chelsea starrte auf die Plakate von Ambers Filmen, die hier hingen. I do, A Hopeless Romantic, The First Date und der Neuzugang, The Bachelorette Party. Wahrscheinlich hätte man die Filme untereinander austauschen können, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre.
Wie öde, dachte sie erneut, zuckte dann jedoch die Schultern, als sie sah, dass die Haushälterin abwartend an der Tür stand.
»Warten Sie hier«, sagte die Frau. »Ich hole Miss Amber. Sie weiß nicht, dass Sie hier sind.«
Sie bedachte Chelsea mit einem misstrauischen Blick, als sei sie eine gefährliche Kriminelle, und am liebsten hätte Chelsea geknurrt, die Zähne gefletscht und sie wirklich angefallen. Gott, diese Geschichte wurde immer schlimmer.
Sie wartete.
Fünf Minuten verstrichen.
Dann zehn. Hatte sie sich verirrt? Wie groß war dieses verdammte Haus denn?
Man ließ sie so lange warten, dass sie jegliches Zeitgefühl verlor. Inzwischen war sie schon nicht einmal mehr wütend – nur noch deprimiert. Sie wollte nichts weiter als eine Dusche, ihr Gepäck, ein Bett, auf dem sie sich eine Weile ausruhen konnte. Aber nein! L. A. konnte sie nicht ausstehen, und sie konnte L. A. nicht ausstehen. Und wo, zum Teufel, blieb Amber?
Und dann war sie plötzlich da und bat wortreich um Entschuldigung. Rosita hatte vergessen, Bescheid zu sagen, ihr Telefon hätte geklingelt, und sie hätte etwas für Leo holen müssen, und es täte ihnen allen so schrecklich leid, ob sie ihnen bitte verzeihen könnte?
»Schon okay«, sagte Chelsea. Amber kam langsam auf sie zu, und ihr makelloses Gesicht erstrahlte in einem Lächeln.
»Es ist so schön, dich endlich wiederzusehen«, sagte sie und zog ihre große Schwester in die Arme. »Zehn Jahre sind es her! Du hast mir gefehlt, Chels.«
Sie umarmte sie fest, und auch Chelsea umarmte Amber, aber nicht einmal annähernd so fest, wie sie gewollt hätte; sie fürchtete, ihre Schwester zu zerbrechen. Amber war so wunderschön wie eine Porzellanpuppe, perfekte Haut, Haare, Zähne … als stünde sie tagsüber in einer Vitrine. Und sie war so dünn! Chelsea hatte das Gefühl, ein Vögelchen im Arm zu halten. Das war doch nicht mehr ihre Schwester von früher. Das war Wahnsinn.
Amber gab sich alle Mühe, nicht zu weinen. Sie war sich nicht darüber im Klaren gewesen, wie sehr es sie mitnehmen würde, ihrer Schwester nach so langer Zeit wieder zu begegnen. Sie hatte auch vergessen, wie schön Chelsea war, wie dunkel ihre blauen Augen wirkten und wie mürrisch sie guckte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.
»Okay, okay«, knurrte Chelsea verlegen und machte sich los. »Ich freu mich auch, Bella. Aber bisher hatte ich einen echten Alptraumtrip. Ich kann nur hoffen, dass es besser wird.«
Erst jetzt betrachtete Amber ihre Schwester genauer. Chelsea bemerkte den Blick. »Du fragst dich, warum ich aussehe wie Hundefutter? Klar fragst du dich das. Die Fluggesellschaft hat mein Gepäck verschlampt, und dein Sicherheitstyp an der Straße hat mein Taxi nicht durchgelassen, also musste ich zehn Minuten lang in dieser reizenden grauen Sweathose hier herauflaufen. Ich habe keine Klamotten, keine Zahnbürste, kein gar nichts.« Sie streckte die Hände mit den Handflächen nach oben aus. »Ich bin ganz und gar deiner Güte ausgeliefert.«
»Oje, du Arme«, sagte Amber. Chelsea fand es schön, dass man Amber den britischen Akzent anhören konnte. Offensichtlich hatte sie sich das US-Englisch noch nicht angewöhnt, obwohl sie in den Filmen stets amerikanisch wirkte und klang. Jetzt kratzte sie sich am Kopf. »Komm mit. Ich leihe dir etwas.«
»Ich habe Größe vierzig«, sagte Chelsea zweifelnd. »Und du?«
»Ähm … sechsunddreißig.« Amber nahm ihre Hand. »Mach dir keine Gedanken. Wir finden schon etwas. Letztes Jahr hatte ich zugenommen – Leo war nicht gerade glücklich darüber. Ich suche die Sachen aus der Zeit heraus.« Sie drückte ihre Schwester erneut an sich und musterte sie fast ängstlich. »Du bist hier, und das ist alles, was zählt. Und ich weiß genau, dass sich zwischen uns nichts geändert hat.«
Chelsea folgte ihr. Wirklich nichts?