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Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen – im Augenblick hätte Sally Miller nicht glücklicher sein können.

Aufgeregter.

Nach zehn Jahren war Amber endlich wieder fort, und Chelsea hatte Leo den Laufpass gegeben, obwohl Sally vermutete, dass Leo froh darüber war. Vielleicht war jetzt ihre Zeit gekommen. Vielleicht würde Leo jetzt endlich einsehen, dass sie füreinander bestimmt waren.

Nachdem er sich mit einem Kuss auf die Wange und einem Klaps auf den Po verabschiedet hatte – »Bye, Schätzchen, wir sehen uns in zwei Monaten« –, um zum Flughafen zu fahren, hatte Sally nur noch auf die Vertretung gewartet und dann ebenfalls das Büro verlassen. Sie machte zum ersten Mal seit langer, langer Zeit Urlaub. Einen ganz besonderen Urlaub.

Sie hatte ihr ganzes Geld zusammengekratzt, um eine Reihe Schönheitsoperationen und Anwendungen zu bezahlen: Fettabsaugen, Botox, ein Lifting, Brustvergrößerung – das gesamte Programm.

Sie wusste, dass Leo auf junge Dinger stand; auf Amber war er vor allem deshalb scharf gewesen, weil er sie kennengelernt hatte, als sie gerade mal zwanzig Jahre alt war. Aber er mochte auch Frauen, die gepflegt und repräsentativ aussahen, und als Sally sich ein paar Tage später in der exklusiven Klinik vorsichtig die Verbände abnahm und in ihr geschwollenes, verfärbtes Gesicht blickte, sagte sie sich, dass es die Sache unbedingt wert war. Sie würde wie eine Ehefrau aussehen. Er brauchte Sex, er brauchte jemanden, der sich um ihn kümmerte. Es störte sie nicht, wenn er nicht hundertprozentig treu war.

So stellte Sally sich die Zukunft vor, während ihr Körper sich erholte und wieder in den Normalzustand zurückkehrte – nein, besser als normal, besser als vorher. Sie war immer schon realistisch gewesen. Leo mochte es, wenn man einen Plan hatte, und dies war ein Plan, mit dem er sich gewiss anfreunden konnte.


Chelsea hatte zum ersten Mal seit Jahren echte Angst. Richtige, echte Angst, wie sie sie nicht mehr empfunden hatte, seit Maya im Roxy’s gestorben war. Es dauerte einige Tage, bis sie wieder klar denken und sich überlegen konnte, was zu tun war.

Sie musste etwas gegen Leo in die Hand bekommen. Andernfalls würde er sie zum Frühstück fressen und sich zum Mittagessen schon wieder anderen Dingen zuwenden.

Sie schloss sich zu Hause ein und grübelte tagelang. Wie ein Teenie kaute sie auf ihren Haarsträhnen. Was sollte sie unternehmen?

Dass er kokste, nützte ihr wenig. Sein Konsum war nicht ausufernd, nicht öffentlich genug. Er würde sich außerdem nicht erwischen lassen wie sie damals – dazu war er nicht dumm genug. Außerdem hatte er, wie sie wusste, einen unglaublich gerissenen Anwalt in der Hinterhand, der ihn aus so gut wie jeder Schwierigkeit herausholen würde.

Gab es eine Möglichkeit, dass sie sich in den Studios über ihn beschwerte?

Nein. Natürlich nicht. Leo war noch immer der unabhängige Produzent, der für sich und andere Geld scheffelte. Mochte sich die Qualität seiner Filme auch in den vergangenen Jahren ein wenig verschlechtert haben – mit The Time of My Life war er mit einem Paukenschlag zurückgekehrt und hatte bewiesen, dass er immer noch ein goldenes Händchen hatte. Kein Studio in der Stadt würde ihm auf die Zehen treten wollen, und nur ein Narr würde es versuchen.

Chelsea war kein Narr.

Im Augenblick war Leo auf Geschäftsreise. Er filmte zwei Monate in Wyoming. Von Amber wusste sie nur, dass sie nach New York abgehauen war, um weiß Gott was zu tun. Chelsea war es nur recht; wenigstens eine Sache weniger, um die man sich Gedanken machen musste. Dieses verdammte Biest. Und ihre Mutter? Ihre Mutter war zurück nach London gegangen – mit wem wohl? Es war ein verfluchter Witz!


»Ich gehe mit Derek zurück«, hatte sie gesagt, als sie zwei Wochen nach dem desaströsen Essen in der Polo Lounge gekommen war, um sich zu verabschieden. »Er sitzt im Wagen. Würdest du …«

»Ich will mit euch beiden nichts zu tun haben.« Chelsea schnitt ihr das Wort ab.

Margaret stand auf der Treppe zu Chelseas Haus, und Chelsea hatte die Tür halb geöffnet. »Lässt du mich nicht einmal hinein?«, fragte ihre Mutter.

»Nein«, sagte Chelsea. Sie hatte es satt, sich wegen Leo Sorgen zu machen, und sie war wütend. Wütend auf ihre Mutter, auf Derek, auf Leo. »Ihr haut einfach ab, ohne euch darum zu kümmern, dass …«

»Chelsea«, unterbrach ihre Mutter sie scharf. »Es tut mir leid. Ich habe dich zehnmal am Tag angerufen. Mir ist nicht klar, was ich sonst noch hätte tun können, und Derek auch nicht.« Sie sah ihre Tochter prüfend an. »Wie gesagt – es tut mir leid.«

Chelsea musterte Margaret und sah sie einen kurzen Moment lang nicht als ihre steife, strenge Mutter, sondern so, wie sie auf alle anderen wirken musste: noch jung und schön, die grünen Augen funkelnd und voller Energie. Sie schien innerlich zu leuchten, und Chelsea hatte sie seit Jahren nicht mehr so lebendig gesehen. Sie blickte zur Straße, wo Derek im Wagen saß und ihr zunickte – sonst nichts. »Es tut mir leid«, sagte Margaret wieder. »Es kommt mir vor, als habe ich dich im Stich gelassen. Es gibt Dinge, die ich für dich hätte tun müssen. Wahrscheinlich …« Sie schluckte. »Wahrscheinlich war ich nicht die beste Mutter, die ich hätte sein können. Amber hat mir das nur allzu deutlich klargemacht. Aber ich habe es versucht. Ich wollte wirklich nur das Beste für euch!« Sie hatte zu weinen begonnen. »Ich wollte, dass du es richtig machst, nur deswegen war ich manchmal so hart mit dir …« Sie zögerte. »Und dein Vater … George, meine ich …«

»Ich will mit dir nicht über meinen Dad reden«, sagte Chelsea. Sie schluckte ebenfalls, schluckte den Zorn und den Kummer, der sie zu überwältigen drohte, hinunter. »Geh endlich.«

»Ich gehe ja«, erwiderte Margaret traurig. »Es ist Zeit, dass ich dich in Ruhe lasse. Ich wollte nur sagen, dass wir immer für dich da sein werden, Chelsea. Derek und ich, wir lieben dich. Beide.«

»Oh, wie schön zu wissen«, höhnte Chelsea. »Da danke ich aber herzlich.«

»Derek will dir helfen, Chelsea.« Margaret räusperte sich. »Wir wissen, dass du Probleme hast, das Geld für Pieces of Heaven aufzubringen. Er will dir unter die Arme greifen, weil er weiß, dass du eine gute Investition bist. Was du aus dem Club gemacht hast …«

»Ja«, unterbrach sie, »was ich vor allem ganz allein daraus gemacht habe!«

»Das weiß ich«, sagte Margaret und trat einen Schritt zurück. »Okay, denk einfach mal darüber nach. Wir gehen, ja, aber wir dachten, auf diese Art hast du vielleicht etwas, was dich angenehm an uns erinnert. Ich will damit nicht sagen, dass es ein Ersatz für uns sein könnte, aber …«

Chelsea hätte am liebsten laut gelacht. Ein Ersatz – hielten sie sich etwa für richtige Eltern? Dann doch lieber das Geld!

Und nun begannen Chelseas Gedanken zu rasen. Was konnte sie nicht alles mit Dereks Geld anstellen! Sie konnte ihre Rache an Leo planen. Den Film machen. Derek hatte genug Geld, das wusste sie. Sollte sie – konnte sie ihren Stolz vergessen und es annehmen? Sie betrachtete wieder ihre Mutter, die ihr Flugticket in der Hand knetete, und verhärtete ihr Herz. Nein, noch nicht. Sie wollte sie noch ein bisschen leiden lassen.

»Wir sind stolz auf dich, Chelsea«, sagte Margaret. »Und deinem Vater wäre es nicht anders gegangen. Weißt du, er hat damals …« Margaret verstummte.

Sie versuchte, den Mut aufzubringen, Chelsea zu sagen, was sie ihr schon so lange sagen wollte. Sie musste ihrer Tochter endlich von Georges Abschiedsbrief berichten.


Bitte, bitte sagt meiner geliebten Chelsea, dass es nicht ihre Schuld war. Ich musste es tun, hätte es längst tun sollen. Ich kann nicht mehr lügen. Sagt meinen Töchtern, dass ich sie liebe.


Sie schluckte und öffnete den Mund. Doch Chelsea ließ sie nicht zu Wort kommen. »Ich will euch nicht mehr sehen. Nie wieder.« Und damit machte sie ihrer Mutter die Tür vor der Nase zu und verriegelte sie.

Es fühlte sich großartig an.


Zwei weitere Wochen verstrichen, und Chelsea saß noch immer brütend in ihrem Haus und überlegte, wie sie sich an Leo rächen und wie sie ihren Film machen konnte.

Und je mehr Tage vergingen, umso deutlicher wurde ihr bewusst, dass es etwas geben musste. Sie kannte Leo und verstand ihn. Einerseits, weil sie gut darin war, sich in andere hineinzuversetzen, aber auch, weil Leo und sie einander so ähnlich waren. Sie hatte Leichen im Keller – mit George und Maya sogar echte –, und sie war sich sicher, dass es bei ihm nicht anders war. Aber wo sollte sie suchen? Wen fragen? Wer konnte ihr helfen?

Das Schicksal meinte es gut mit Chelsea. Denn bald darauf bot sich ihr eine nahezu perfekte Gelegenheit!

Rache: Zwei Schwestern. Ein Traum. Die Stärkere gewinnt
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