KAPITEL 37

Das Gesicht des Mannes verschwamm vor mir. Ich konnte den Blick nicht fokussieren, als ich zu ihm hochsah. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich hob das Glas an den Mund und schluckte.

»Bist du frei?«, fragte er.

Ich war nicht in dem Raum, sondern war irgendwo weit, weit weg. Aber ich erhob mich langsam und schwankte ein bisschen. Ich spürte eine Hand auf meinem Arm.

»Bist du frei?«, fragte der Mann noch einmal.

»Ja«, antwortete ich. »Komm mit, Schätzchen. Wir werden uns amüsieren.«

Ich verließ das Wohnzimmer und ging auf einen der Massageräume zu. Plötzlich brannte mir saure Übelkeit in der Kehle. Ich schluckte, als ich die Tür aufmachte.

Denk an die Kinder, sagte eine Stimme in mir.

 

Es war mein zweiter Tag in der Sauna. Der Boss hatte unseren Streit vor so langer Zeit vergessen und war froh, mir wieder Arbeit zu geben. Ich hatte mich gerade für den Abend zurechtgemacht und trug eine weiße Schwesternuniform, schwarze hochhackige Schuhe, blonde Extensions, zum Pony frisiert, und eine dicke Schicht Make-up, um mein wahres Gesicht zu verbergen. Es war ungefähr neun Uhr abends, und ich saß mit den Mädchen im Wohnzimmer; an dem Abend waren wir zu sechst.

»Sieht so aus, als würden wir ganz schön zu tun kriegen«, sagte eins der Mädchen, und wir schauten auf den Monitor der Überwachungskamera und sahen eine größere Gruppe Männer ankommen.

Einen Moment später machte Lara die Tür auf. »Polizei«, flüsterte sie.

Wie eine Welle strömte die Angst durch uns. Einige Mädchen hatten genau wie ich keine Papiere. Aber ich war nicht allzu besorgt – schließlich kümmerte sich ja eine Anwältin um meinen Fall, auch wenn ich lange schon nichts mehr von ihr gehört hatte.

Eine ganze Gruppe von Männern kam herein, einige waren in Uniform, andere in Zivil. Am liebsten hätte ich laut gelacht, denn einen von ihnen kannte ich: Er war Stammkunde hier. Ich hatte immer zu große Angst bei Männern von den Behörden gehabt, wenn die mal herkamen. Einmal war ich mit einem in einen Massageraum gegangen, und da hatte er den vollen Service verlangt, aber ich hatte behauptet, ich wüsste nicht, was er meinte – wir wären nur eine Sauna mit Massagepraxis. Doch ein paar von den anderen Mädchen machten das durchaus.

»Wir müssen mit Ihnen reden«, sagte einer der Männer. »Dies ist eine Routineuntersuchung der Einwanderungsbehörde, und die Beamten hier sind sowohl von dieser Behörde als auch von der Polizei. Wir werden einzeln mit Ihnen reden, aber zuerst brauchen wir Ihre Namen.«

Wir nannten unsere Namen und wurden dann einzeln in die Massageräume geführt. Ein Polizist und eine Frau warteten auf mich und fingen an, Fragen zu stellen.

»Wie heißen Sie? Wo sind Sie geboren? Wie sind Sie hierhergekommen? Haben Sie einen Ausweis oder eine Aufenthaltsgenehmigung?«

Ich sagte ihnen alles, was sie wissen wollten, gab diesmal meinen richtigen Namen an und erzählte auch von meiner Anwältin. Sie sagten nichts, als ich ging, aber allzu große Sorgen machte ich mir nicht. Ich sagte mir immer wieder, dass ich ja eine Anwältin hätte und alles in Ordnung käme.

Dann ging die Polizei, und wir vergaßen das Ganze bald.

 

Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie die nächsten Tage verliefen. Heute steigt Kälte in mir hoch, wenn ich versuche, daran zu denken, aber bildlich vorstellen kann ich es mir kaum. Sicher weiß ich nur noch, dass ich mich verkaufte und genug verdiente, um mit der Rückzahlung meiner Schulden bei Tamara zu beginnen. Weder erinnere ich mich an die Freier, die ich hatte, noch an das, was ich tat oder wer sie waren, noch an ihren Geruch oder ihre Berührung. Ich war zu leer, zu betrunken und dachte nur noch an Sascha und Luda und daran, das Geld zusammenzubekommen, es nach Hause zu schicken und für die Sicherheit meiner Kinder zu sorgen. Pascha hatte ich schon verloren, sie wollte ich nicht auch noch verlieren. Tamara erzählte mir am Telefon, das Sascha und Luda ins Waisenhaus gebracht worden seien, aber in welches, das wusste keiner. Sie waren verschwunden.

Ständig dachte ich an sie, während ich mich bemühte zu vergessen, wo ich war. Es war die schlimmste Woche meines Lebens; dem Selbstmord war ich nie näher als in dieser Zeit. Es brachte mich fast um, in diese Welt zurückzugehen, und jeden Tag betete ich zu meinem Vater.

»Bitte hol mich zu dir, Papa«, bat ich ihn. »Lass mich bei dir sein.«

Die ganze Zeit dachte ich daran, mich zu verletzen – wenn ich in der Küche stand, hielt ich mir das Brotmesser ans Handgelenk und sah das graue Metall an der weißen Haut, oder wenn ich die Straße entlangging, starrte ich den Bus an und überlegte, ob ich mich vor ihn werfen sollte. Aber ich hatte zu große Angst, deshalb tat ich nichts, und das verstörte mich nur noch mehr. Ich war so schwach, dass ich nicht einmal das schaffte.

 

In der Sauna ging es ruhig zu, weil alle vom Besuch der Polizei gehört hatten, und immer wieder betete ich zu Gott, er möge mir Freier schicken. Ich wollte bloß das Geld zusammenbekommen, und ich war so wütend auf ihn. Ich wusste, es war falsch, was ich tat, aber konnte er mir nicht einfach nur helfen? Außerdem weinte ich stundenlang, und dann nahm Lara mich in die Arme.

»Es dauert nicht mehr lange«, sagte sie dann immer zu mir. »Du musst einfach nur hart arbeiten, und dann hast du das Geld bald zusammen.«

Ich wusste ja, dass sie recht hatte, aber ich fühlte mich wieder so schmutzig. Ich musste ein schrecklicher Mensch sein, dass man mich so hart bestrafte – und es war so schwach und so dumm von mir gewesen, wieder in diese Sauna zurückzugehen. Ich durfte auch nicht zulassen, dass ich an Murat dachte. Ich wusste, er verstand mich nicht, und irgendwie ärgerte es mich auch, dass er mir nicht geholfen hatte.

Er ist eben ein Mann, sagte ich mir immer wieder, doch tief im Herzen war ich traurig und fühlte mich sehr allein.

Eine Weile hatte ich wirklich geglaubt, dass ich mit Murat die Vergangenheit endlich hinter mir lassen könnte, dass er der strahlende Held war, der mich retten würde. Jetzt wusste ich, dass es nie so kommen würde.

Nur ein einziges Mal rief ich ihn an, als ich betrunken war.

»Wieso rufst du mich an?«, fragte er. »Ich habe zu tun.«

»Ich wollte nur deine Stimme hören.«

»Ich kann jetzt nicht reden. Ich rufe dich später zurück.«

Aber das tat er nicht. Sechs Tage nach ihrem ersten Besuch kamen die Polizisten wieder, diesmal nur zwei in Uniform. Zu mir und zwei Thaimädchen sagten sie, wir müssten mitkommen.

Ich war überrascht, fühlte mich aber zu benommen, um Angst zu haben. Inzwischen war es mir fast egal, was mit mir passierte. Wenn ich die Kinder verloren hatte, dann spielte es keine Rolle, ob ich den Rest meines Lebens im Gefängnis verbrachte.

Man führte uns zu einer Polizeiwache. Ein Beamter, der hinter einer Theke stand, wies mich an, den Gürtel abzunehmen, den ich um meine Jeans trug. Als ich ihn dem Mann gab, steckte er ihn in einen Plastikbeutel. Dann machte er meine Handtasche auf und notierte, was sich darin befand.

»Ist das alles?«, fragte er, als er mein Portemonnaie öffnete und eine Fünfpfundnote darin sah.

Eines von den Thaimädchen hatte etwa eintausend Pfund in bar bei sich. Ich zeigte den jüngsten Beleg einer Überweisung, die ich in die Ukraine getätigt hatte. Ich hatte es geschafft, Tamara eine Kleinigkeit zu schicken und endlich mit der Abzahlung meiner Schulden zu beginnen.

»Aha.« Er lächelte, und ich erwiderte sein Lächeln, allerdings nur, weil ich die Ironie sah – offenbar dachte er, Frauen wie ich hätten viel Geld. In Wirklichkeit hatte ich nichts.

Der Polizist nahm mir meinen Schmuck ab und legte ihn in einen weiteren Plastikbeutel, dann gab er mir ein Formular, auf dem vermerkt war, was sie mir abgenommen hatten. Danach führte man mich in eine Zelle, und dann wurde die Tür verriegelt.

Ich sah mich um. Der Raum war kahl, es gab nur eine Kunststoffmatratze auf einer Art Podest, ein Kissen und eine dunkelblaue Decke. Durchs Fenster konnte ich nicht sehen, denn es hatte eine Milchglasscheibe; und dann war da noch eine Toilette in der Ecke. Jetzt war es also doch noch passiert: Wie eine Verbrecherin hatte man mich ins Gefängnis gesperrt. Ich setzte mich auf das Bett und fing an zu weinen. Jetzt bekam ich es allmählich mit der Angst zu tun. Wieso war ich hier? Ich musste wieder in die Sauna zurück und Geld für Sascha und Luda verdienen, musste zurückzahlen, was sie gestohlen hatten.

Ich presste mir das Kissen aufs Gesicht, als ich auf den Boden glitt, doch selbst meine stummen Schreie konnten meine Angst nicht vertreiben. Dies war nun wohl das Ende. Es war jetzt das dritte Mal, dass die Polizei mich geschnappt hatte, und mit meinem Glück war es offenbar vorbei. Diesmal würden sie mich nicht wieder laufen lassen. Sie würden mich in die Ukraine zurückschicken, wo ich meinen Kindern beim Verhungern zusehen konnte, ehe ich dann selber starb. Ich schlug den Kopf gegen die Wand, als meine Gedanken wild durcheinandergingen. Ich wollte, dass es aufhörte, wollte, dass meine Angst verschwand. Ich musste tapfer sein.

»Geht es Ihnen gut?«, hörte ich eine Stimme, und ich schaute hoch und sah einen Polizisten vor mir stehen.

»Ja.«

»Wieso sitzen Sie denn auf dem Fußboden?«

»Ich mag das.«

»Na ja, wenn Sie meinen.« Er beugte sich zu mir runter. »Möchten Sie irgendwas trinken?«

»Einen Kaffee? Stark, ohne Zucker.«

»Na gut.«

Ein paar Minuten später kam der Mann mit einem Kaffee zurück.

»Sie sollten sich keine Sorgen machen«, sagte er und gab mir den Kaffee. »Es ist schon spät, und Sie sollten ein bisschen schlafen.«

»Aber was passiert denn jetzt mit mir? Ich verstehe das alles nicht.«

»Wir warten noch auf einen Anwalt und einen Dolmetscher. Sie haben keinen Pass und auch keine Reisedokumente, also ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie illegal hier sind.«

Der Mann machte einen sehr freundlichen Eindruck, wie er so mit mir sprach. In der Ukraine hatte ich mich vor Polizisten immer gefürchtet, denn die schlugen einen oder zwangen einen, Papiere zu unterschreiben, auf denen man bestätigte, etwas getan zu haben, was man in Wirklichkeit gar nicht getan hatte. Doch dieser Mann schien anders zu sein. Nach einer Weile ging er wieder.

Ich weiß nicht, wie lange ich in dieser Zelle war – jede Minute kam mir wie Stunden vor, und bald geriet ich in Panik. Ich hämmerte gegen die Tür.

»Bitte, kann ich eine Zigarette haben?«

Diesmal kam ein anderer Polizist. »Eine Zigarette? Da muss ich nachfragen.« Er war ein paar Minuten weg, dann kam er wieder, schloss die Zelle auf und holte mich raus. Er gab mir ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug.

Dankbar zündete ich eine Zigarette an und blies den Rauch aus. Mir war so kalt, ich konnte einfach nicht aufhören zu zittern. Als ich zwei Zigaretten geraucht hatte, kam der Polizist auf mich zu, um mich zurück in die Zelle zu bringen.

»Na, dann wollen wir mal wieder reingehen«, sagte er.

»Bitte lassen Sie mich noch ein bisschen draußen bleiben«, bat ich. »Ich will nicht wieder in diesen Raum.«

Der Mann blieb stehen. »Noch fünf Minuten dann«, sagte er freundlich.

 

Die Zellentür ging auf, ich schaute hoch und sah eine Frau an der Tür stehen. Wieder bekam ich Angst.

»Wir sind jetzt so weit und können Sie verhören«, sagte sie. »Kommen Sie mit.«

Ich wurde in einen kleinen Raum geführt, in dem zwei Männer warteten.

»Dies ist Ihr Dolmetscher, und das ist Ihr Anwalt«, erklärte mir die Frau. »Und ich bin von der Abteilung Einwanderung und Sitte.«

Ich schwieg, als der Anwalt zu reden anfing und der Dolmetscher für mich übersetzte. Zum Schluss sagte er: »Wenn Sie uns etwas zu sagen haben, aber zu ängstlich sind zu reden, brauchen Sie keine Erklärungen abzugeben. Sie haben das Recht zu schweigen.«

Ich setzte mich aufrecht hin. »Schweigen? Ich will aber nicht schweigen. Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen.« Ich hatte das überwältigende Gefühl, endlich die ganze Wahrheit sagen zu müssen. Diese Frau sollte wissen, was mir passiert war, sollte wissen, dass sie mich nicht nach Hause schicken konnte. Ich durfte nicht länger lügen.

Ich begann mit dem Tag, an dem Sergej ins Gefängnis gekommen war, und mit der Verzweiflung, die ich empfunden hatte. Ich erklärte, dass ich meine kleinen Kinder ernähren musste und weshalb ich die schwierige Entscheidung getroffen hatte, sie zu verlassen und in die Türkei zu gehen. Dann erzählte ich ihnen, wie man mich getäuscht, entführt und in eine Welt der Sklaverei und des Eingesperrtseins verkauft hatte. Ich erzählte ihnen von Sweta, Serdar und Ardy; dass ich meine Kinder seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen hatte und mich so verzweifelt nach ihnen sehnte, dass ich meinte, sterben zu müssen. Zwei ganze Stunden lang redete ich.

Die Frau von der Einwanderungsbehörde hörte aufmerksam zu, und als ich fertig war, stellte sie mir viele Fragen. Es war schwer zu sagen, was sie von meiner Geschichte hielt, doch ich gab mir Mühe, nicht darüber nachzudenken. Ich wusste, dass ich so aufrichtig wie nur möglich sein musste, damit sie verstand, dass ich kein schlechter Mensch war.

Ich erzählte ihr auch von der Anwältin, zu der ich vor Monaten gegangen war.

»Aber Unterlagen über Sie haben wir nicht, Miss Kalemi«, sagte sie zu mir. »Es hat in Ihrem Namen keinen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung oder Asylgewährung für Großbritannien gegeben. Wann hat diese Anwältin Ihren Fall denn übernommen?«

»Vor sechs Monaten.«

»Vor sechs Monaten?« Sie wirkte überrascht. »Wieso hat das denn so lange gedauert?«

»Ich weiß nicht. Sie hat gesagt, sie würde sich melden, aber ich habe von ihr nichts mehr gehört.«

»Um diese Uhrzeit können wir sie nicht anrufen. Das geht erst morgen früh.«

»Aber was wird denn jetzt aus mir?«

Die Frau sah mich sehr ernst an. Ich sah Traurigkeit in ihrem Blick. »Frauen wie Sie werden für gewöhnlich ausgewiesen. Sie sind illegal hier, und es ist gut möglich, dass man Sie nach Hause schickt.«

Ich fing an zu weinen. »Aber Sie können mich doch nicht nach Hause schicken. Begreifen Sie denn nicht? Ich werde sterben.«

»Ich entscheide das nicht, tut mir leid«, sagte die Frau leise.

Keiner sagte ein Wort, und ich hätte am liebsten in die Stille hineingeschrien. Hatten diese Leute mir überhaupt zugehört? Meinten sie denn tatsächlich, sie könnten mich zurückschicken?

Die Frau sah mich an. »Da wäre nur noch eine Möglichkeit. Warten Sie bitte kurz.«

Sie stand auf und verließ den Raum. Nach etwa einer Viertelstunde kam sie zurück.

»Ich habe Neuigkeiten für Sie«, sagte sie. »Anfang des Jahres ist in Großbritannien eine besondere Wohltätigkeitsorganisation gegründet worden. Sie nennt sich ›Poppy Project‹. Im Rahmen dieses Projekts wird mit Frauen gearbeitet, die Opfer von Mädchenhandel wurden. Es gibt Häuser für Frauen wie Sie, da können Sie bleiben, und man hilft Ihnen, Ihren Fall bei der Einwanderungsbehörde darzulegen. Viele freie Plätze gibt es nicht, aber ich habe eine Freundin angerufen, die diese Leute kennt, und sie wird anfragen, ob sich ein Platz für Sie findet. Morgen früh wissen wir mehr.«

»Heißt das, ich könnte in England bleiben?«, fragte ich.

»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Sicher ist das nicht. Wollen wir einfach hoffen, dass die Ihnen helfen können.«

Ich wurde in meine Zelle zurückgeführt, und als ich sah, wie sich hinter dem Fenster die Nacht in die Morgendämmerung verwandelte, betete ich, der Tag möge nicht beginnen. Vielleicht würde man mich ja doch ins Gefängnis stecken, obwohl Naz etwas anderes gesagt hatte, oder vielleicht wäre es der Tag, an dem ich England endgültig verlassen musste. Sollte das der Fall sein, würde ich zu Hause nicht überleben, das war mir klar. Noch einmal würde ich das nicht durchstehen. Würde ich je hier herauskommen, Sascha und Luda retten und Pascha finden? Würde ich je wieder ihre Mutter sein?

 

Ein paar Stunden später wurde das Frühstück gebracht – ein Teller mit Würstchen und Bohnen. Essen wollte ich nicht, aber ich war dankbar für die Tasse heißen Tee, die es dazu gab. Ich nahm einen großen Schluck und verbrühte mir den Mund, aber das war mir egal. Ich war zu erschöpft vor Müdigkeit und vom vielen Weinen.

»Miss Kalemi?«, hörte ich eine Stimme.

Ich schaute auf und sah zwei Frauen vor mir stehen. Sie waren hinter dem Mann in die Zelle getreten, der mir eben das Frühstück gebracht hatte. Die eine hatte dunkle Haare und war mittleren Alters, die andere war schlank, blond und sah sehr jung aus.

»Hallo«, sagte die Jüngere. Sie lächelte mich an.

Ich konnte kaum den Kopf heben, um sie anzusehen. Ich fühlte mich so schwach.

»Oxana?«, fragte sie.

Jetzt sah ich sie richtig an. Sie hatte freundliche Augen. Und einen irgendwie traurigen Gesichtsausdruck.

»Ich heiße Sally«, sagte sie sanft. »Ich bin vom Poppy Project. Ich will Ihnen helfen.«