KAPITEL 27
Auf dem Parkplatz der Raststätte war alles ruhig, als wir auf den Lastwagen zugingen. Stundenlang hatten wir uns außerhalb von Brüssel in einem Graben in der Nähe einer Autobahntankstelle versteckt, und weder Anna noch ich trugen irgendetwas bei uns – wir hatten alles zurückgelassen. Mit uns warteten etwa fünfzig Leute in der Dunkelheit, als zwei Männer kamen und Gruppen zu jeweils sechs Leuten wegführten. Dann waren wir an der Reihe.
»Geld«, sagte der Mann, als er uns holen kam, und die anderen Männer in unserer Gruppe gaben ihm jeweils fünfhundert Euro.
»Das macht tausend für die zwei«, sagte er und zeigte auf Anna und mich. Ardy gab ihm das Geld.
Er führte uns auf den weitläufigen Parkplatz, wo ein Lastwagen hinter dem anderen parkte. Alles war ruhig, als die Männer eine Plane anhoben, die die Seite eines Wagens bedeckte, und hineinsprangen.
»Na, macht schon«, sagte Ardy und stieß mich in den Rücken.
Ich blickte auf und sah einen der Männer die Hände nach mir ausstrecken. Ich griff zu, und er zog mich hoch. Drinnen erspähte ich nur die Umrisse riesiger Holzkisten. Die gingen mir alle etwa bis zur Taille. Anna wurde nach mir hochgezogen.
»Kommt«, sagte ein Mann, der neben uns hinaufgeklettert war und sich einen Weg zwischen den Kisten hindurch bis ganz nach vorn bahnte.
Ohne ein Wort zu sagen, folgten wir ihm, bis er stehen blieb, den Deckel einer Kiste hochhob und den Inhalt ausräumte. Ich starrte ins Dunkle und sah, dass die Kiste voller Radkappen war.
»Klettert rein«, sagte der Mann.
Mein Herz raste, als ich hineinschaute, aber Anna schien sich keine Sorgen zu machen, als sie über den Rand der Kiste stieg, also musste ich ihr folgen. Mit Gesten gab der Mann uns zu verstehen, dass wir uns hinlegen sollten, und wir rollten uns zusammen wie Babys im Mutterleib – Nase an Nase, Stirn an Stirn –, als er anfing, die Kiste wieder zu füllen.
Panik stieg in mir auf, als wir so zugepackt wurden. Es war staubig. Ich bekam keine Luft, und ich drehte den Kopf ein paar Zentimeter, um Nase und Mund in meiner Jacke zu vergraben. Aber ich bekam mehr und mehr Angst, als das Gewicht der Radkappen auf uns drückte. Ich spürte Annas Atem auf meinem Gesicht, und war mir sicher, dass wir auf diesem beengten Raum bald überhaupt keine Luft mehr bekommen würden. Hier würde ich schließlich sterben. Das Blut pulsierte lauter und lauter in meinen Ohren, als ich anfing zu weinen. Hier würde ich nie wieder rauskommen!
Irgendwann später hörte ich den Motor des Lastwagens starten, das Geräusch erfüllte die Luft. Wir fuhren. Wir waren auf dem Weg nach England. Aber würde uns am Ende doch einer versteckt in unserer hölzernen Gebärmutter finden?
Die Fahrt war die schrecklichste Reise meines Lebens. Sie schien endlos zu dauern. Es gab nichts zu essen und zu trinken, keine Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen. In unserem winzigen Gefängnis konnten wir nur daliegen und hoffen, dass man uns rausließ, ehe wir starben. Das Dröhnen des Motors und der Geruch nach Benzin und Metall waren Übelkeit erregend, und die einzige Möglichkeit, das zu ertragen, bestand darin, in eine Art Bewusstlosigkeit, in einen Halbschlaf zu fallen. Lebhafte Träume zogen an mir vorbei, Geschichten von Entsetzen und Verwirrung, aus denen ich abrupt aufschreckte und merkte, wo ich mich befand, aber bald sank ich wieder in die seltsame Welt meiner Vorstellungen. Das Einzige, dessen ich sicher sein konnte, war die Tatsache, dass ich mich noch weiter von meinen Kindern entfernte.
Einmal wachte ich abrupt auf und merkte, dass der Motor nicht mehr lief. Ich hörte undeutliche Stimmen, und ich war sicher, dass ich in der Nähe das Geräusch von Wasser hörte. Waren wir auf einer Fähre oder einem Schiff? Jetzt fragte ich mich, ob wir wohl über Bord gehen und in unserem winzigen Sarg ertrinken würden. Wie lange war ich schon hier? Würde ich je wieder Tageslicht sehen?
Zwischen Anna und mir schien kein Zentimeter Platz zu sein. Die Luft war abgestanden und feucht, und wir drückten uns gegeneinander; unsere Kleidung war heiß und klebrig vor lauter Schweiß. Wir sprachen nicht miteinander, ich wusste nicht einmal, ob sie wach war; allerdings spürte ich ihren Atem auf meinem Gesicht. Was hätten wir sagen sollen? Nach einer Weile hörte ich ein anderes Motorengeräusch, allerdings weiter weg, und das dauerte mehrere Stunden. Dann kam der Lastwagen mit einem Dröhnen, das mich zusammenschrecken ließ, stotternd wieder zum Leben, und wir fuhren weiter.
Ich hatte alles Gespür für Raum und Zeit verloren. Allmählich verlor ich sogar den Glauben daran, dass diese Reise je enden würde, als der Motor plötzlich ausging. Stimmen und laute Geräusche kamen näher und immer näher, bis der Deckel der Kiste hochgehoben und die Radkappen ausgeladen wurden, und wir kletterten aus einem Loch hinaus, das in die eine Seite der Lastwagenplane geschnitten worden war. Wieder einmal standen wir bei Nacht auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte.
»Wir fahren nach Birmingham«, verkündete Ardy. Ich starrte auf eine junge Frau, die in einem Schaufenster stand, als wir an einer Ampel hielten. Sie hatte einen Ring durch die Lippe gezogen, schwarzes Augen-Make-up und Tätowierungen überall auf den Armen. Ihre Haare waren blau, rot, gelb und grün.
»Was für ein Laden ist das?«, fragte ich Ardy.
»Ein Tattoo-Studio.«
»Ein ganzer Laden nur für so was?«
»Ja, klar. Wir sind hier in England.«
Ich konnte mich kaum losreißen von der Welt dort draußen. Häuser standen dicht an dicht, ohne einen Zentimeter Platz dazwischen, alte Männer gingen an Stöcken, Frauen schoben Kinderwagen, und dann erblickte ich Leute, die aussahen, als kämen sie geradewegs aus einem Bollywood-Film. Und da war diese junge Frau in dem Schaufenster. Wie ein Hahn sah sie aus mit ihren bunten Haaren. Ich starrte die riesigen roten Busse an und diese Supermärkte, die so groß waren, dass eine ganze Armee hineingepasst hätte, und all die Gebäude, darunter eine Kirche und ein Restaurant mit einem rotgoldenen Dach, das aussah wie die einzelnen Bahnen eines Rocks mit Volants.
Anna saß neben mir – genauso schweigsam wie auf dieser ganzen Reise nach England.
Vor zwei Tagen waren wir angekommen, und jetzt wohnten wir bei drei von Ardys albanischen Freunden. Valdrim war Bauarbeiter, Florm arbeitete in einer Autowerkstatt, und dann war da noch Defrim, der Anführer. Vom ersten Moment an konnte ich ihn nicht leiden: Da war so viel Wut in seinem Blick.
»Ihr Mädchen geht jetzt einkaufen«, sagte er grob zu uns. »Heute Abend fangt ihr an zu arbeiten. Ihr braucht was zum Anziehen.« Er sah zu Anna hinüber. »Ich bin dein Boss, klar? Also tu, was ich dir sage.«
Ich wurde ganz mutlos. Ich wusste, Ardy würde Anna so schnell wie möglich verkaufen, um an Geld zu kommen. Ich hatte so ein Gefühl, als schulde er jemandem etwas für unsere Reise nach England. Wahrscheinlich sollten wir deshalb auch sofort mit der Arbeit anfangen und durften uns von der albtraumhaften Fahrt, die wir hinter uns hatten, nicht mal erholen.
Defrim fuhr uns zu einem riesigen Parkplatz, wo wir ausstiegen und ein Einkaufszentrum betraten. Vor Staunen blieb mir der Mund offen stehen, und ich starrte alles an. Es war unglaublich, so etwas hatte ich noch nie gesehen – es war alles so groß und so hell. Lichter und Geräusche erfüllten die Luft, als wir an Läden vorbeigingen, in denen riesige Mengen Kleidung, Schuhe, Kosmetik, Bücher, Lebensmittel, Fernseher, Eiskrem und Süßigkeiten zu sehen waren. Ich traute meinen Augen kaum: So viel Luxus und solche Fülle an einem einzigen Ort waren völlig neu für mich. Die Leute in England mussten sehr reich sein, dachte ich, wenn sie es sich leisten konnten, jeden Tag hier einzukaufen. Das war doch ganz bestimmt alles furchtbar teuer! Und doch liefen hier ganz gewöhnliche Leute mit prall gefüllten Einkaufstaschen herum.
Jetzt begriff ich, weshalb Ardy hierher hatte kommen wollen.
Mein Blick blieb hängen an den Hunderten von wunderschönen Dingen, die ich hier sah. Da gab es sogar einen Laden, der nur Parfüm verkaufte, und ich sehnte mich danach, hineinzugehen und in den herrlichen Düften zu schwelgen, aber Defrim scheuchte uns weiter. Er führte uns in einen hell erleuchteten Laden mit Kleidern.
Und wieder konnte ich nur staunen, als ich hineinging. Es sah aus wie in der Garderobe in einem Theater, überall Perücken, Federboas, Kleider, besetzt mit funkelnden Pailletten und Steinen. Es war herrlich. Anna und ich blieben in den Umkleidekabinen, während die Männer uns Kleider zum Anprobieren brachten und uns kritisch musterten, wenn wir vor sie traten. Ich wusste, dass sie diese Kleider als Investition ansahen; sie dienten einfach nur dazu, uns für die Freier attraktiver zu machen, aber trotzdem hatte ich großen Spaß daran, alles anzuprobieren. Für ein paar Augenblicke durfte ich so tun, als sei ich eine ganz normale junge Frau auf Shoppingtour mit ihrem Freund, eine Frau, die ein hübsches Kleid geschenkt bekommt, weil sie darin fantastisch aussieht.
Die Kleider waren wunderschön, genau wie die Schuhe, die Defrim mir kaufte. Sie wirkten wie aus Glas gemacht und hatten hohe Absätze und Plateausohlen und Riemchen um die Knöchel, die mit Blumen besetzt waren. Später fand ich heraus, dass sie 95 Pfund kosteten – mehr, als manche Leute in der Ukraine in vier Monaten verdienten.
»Jetzt seid ihr gerüstet für die Arbeit«, sagte Ardy, als wir den Laden verließen.
Mein Vergnügen löste sich in Luft auf. Nur für einen kurzen Moment, als ich mich in dem Geschäft voller Farben und Licht umgesehen hatte, hatte ich fast vergessen, warum ich hier war.
»Sprichst du Englisch?«, fragte die Frau und starrte mich an.
Ich war mit Ardy und Defrim in einer Sauna irgendwo im Zentrum von Birmingham. Sie hatten mit der Frau am Empfang gesprochen, ehe sie gingen, und jetzt sah sie mich an.
»Wenig«, sagte ich. Ich hatte auf meinen Fahrten durch viele Länder ein paar Brocken aufgeschnappt, aber es fiel mir schwer zu verstehen, was die Frau sagte.
»Wie heißt du?«
»Alexandra«, log ich.
»Das sind die Preise«, sagte sie und reichte mir ein Blatt Papier.
Darauf stand: 30 Minuten = 45 £; 60 Minuten = 80 £.
»Whirlpool?«, fragte die Frau und lächelte mich strahlend an.
Ich verstand nicht.
Ohne noch ein Wort zu sagen, führte sie mich vom Empfang einen Korridor entlang und öffnete die Tür zu einem Raum. Darin befand sich eine riesige Badewanne, in der das Wasser anfing zu blubbern, als die Frau auf einen Knopf drückte.
»Whirlpool«, sagte sie und zeigte auf das Wasser, und dann schrieb sie noch etwas auf ein Stück Papier. Sie zeigte es mir.
30 Minuten = 55 £; 60 Minuten = 100 £.
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte. »Okay.«
»Also, du machst Folgendes in der Zeit, für die du bezahlt wirst«, fuhr sie fort. »Schultermassage.« Sie bewegte die Hände vor mir hin und her und lachte. »Blasen.« Sie hob den Kopf hoch und runter. »Sex.« Sie stemmte die Ellenbogen in die Taille. »Immer Kondom. Geld vor dem Sex.«
»Okay.«
Nachdem sie mir die drei Zimmer gezeigt hatte, in die ich mit den Freiern gehen konnte, und dazu noch ein Buch, in das ich nach jedem Kunden alles eintragen musste, brachte mich die Frau wieder zum Empfang zurück. Inzwischen waren viele Mädchen da, die Englisch sprachen. Fünf waren weiß, zwei schwarz, und eine sah asiatisch aus. Später fand ich heraus, dass sie von den Philippinen kam, aber fürs Erste begriff ich nur, dass sie sich für den Boss hielt. Sie lachte zu laut, wenn sie mit den Kunden sprach, sah die anderen Mädchen aus den Augenwinkeln heraus an, und auch wenn ich kein Englisch verstand, wusste ich, dass sie über mich redete, als ich mich setzte und darauf wartete, dass mich einer aussuchte.
»Freak«, sagte sie.
Ich wusste nicht, was das bedeutete, aber es klang wie das albanische Wort für Angst. Ich wurde wütend; Angst hatte ich keine. Wer war sie, dass sie so was über mich sagte? Sie kannte mich doch gar nicht.
»Keine Irre«, sagte ich.
Die Frau drehte sich um und starrte mich an. »Ach nein?« Sie fing an zu lachen und drehte sich zu dem Mann um, der neben ihr stand. »Und sie ist doch eine Irre.«
Zwanzig Minuten später kam ein Mann, und mein neuer Job begann. Mir wurde klar, dass das hier anders war als meine Arbeit auf der Straße. Die Männer schienen mehr zu wollen als die in den Autos, die fünf Minuten brauchten, um fertig zu werden. Mein erster Kunde war ein Amerikaner im Anzug.
»Du hast keine Ahnung von dem, was du da machst!«, fuhr er mich an, als ich ihn in den Mund nahm.
Ich lernte bald, wie man ihnen das Gefühl gab, einen angemessenen Gegenwert für ihr Geld zu bekommen, auch wenn Männer wie er hier zu viele Drogen genommen hatten, um fertig zu machen, was ich begonnen hatte.
An diesem ersten Abend kam Anna nicht mit mir in die Sauna, weil sie ihre Periode hatte; aber das war bald vorbei, und dann arbeiteten wir zusammen. Unsere Schicht dauerte etwa zwölf Stunden. Ardy und Defrim warteten immer im Auto, wenn wir im Morgengrauen rauskamen. Anna war viel beliebter als ich, weil sie jünger, hübscher und schlanker war. Ich verstand das, aber Ardy wohl nicht, denn mindestens dreimal am Abend rief er am Empfang an und erkundigte sich, wie viele Kunden ich gehabt hatte; dasselbe tat er noch mal am Ende der Schicht, um herauszufinden, wie viel genau ich verdient hatte. War eine Nacht ruhig gewesen, ging ich die Straße runter und wusste, er würde wütend auf mich sein.
Mir war klar, dass den Freiern meine Einstellung nicht passte. Mit jedem Tag, der verging, spürte ich, wie sich tief in meinem Herzen ein neues Gefühl entfaltete – eine Wut, die so kraftvoll war, dass ich alles andere vergaß. Ich hasste all die Männer, die mich kaufen wollten. Nacht für Nacht kamen sie in die Sauna – junge, alte, fette, dünne, reiche, arme –, und heiße, blanke Wut drehte mir den Magen um. Zuerst war es nur ein kleiner rebellischer Teil meines Herzens, der sich so anfühlte, aber schnell wurde es schlimmer, und bald wollten mich nur noch wenige Kunden. Ein Paar ging sogar wieder, nur wenige Sekunden, nachdem ich die beiden in den Raum geführt hatte.
»Scheiße, die spricht ja nicht mal Englisch, und sie ist eine blöde Kuh!«, riefen sie, und die anderen Mädchen lachten.
Natürlich hatte ich auch einige Stammkunden – einen jungen Pakistani, der nach Rauch stank, und einen Mann, der so fett war, dass er beim Sex nicht auf mir liegen konnte –, aber so viel wie Anna verdiente ich nicht. Sie war beliebt bei den Freiern, und das gefiel den anderen Mädchen gar nicht. Anna war das egal, sie gab sich gar keine Mühe, sich anzupassen. Ich wollte Freundschaften schließen; ich wusste auch, wir mussten vorsichtig sein, weil die englischen Frauen Rechte in ihrem Heimatland hatten, die uns nicht zustanden. Also könnten sie uns ziemlichen Ärger machen. Aber die Atmosphäre wurde immer ungemütlicher, und die anderen verschwanden in kleinen Grüppchen, um Kokain zu schnupfen und Cannabis zu rauchen.
»Jetzt sag bloß nicht, die scheiß Königin von Rumänien hat tatsächlich ihre Tage?«, kreischten sie vor Vergnügen, wenn Anna ein paar Tage wegblieb, aber darauf sagte ich nichts.
Eines Nachts eskalierte das Ganze, als die Filipina mir befahl, die Tür aufzumachen, nachdem es geklingelt hatte. Ich mochte ja nicht viel Englisch verstehen, aber ich wusste, was sie sagte.
»Nein«, erwiderte ich. Ich war ja nicht ihre Dienstmagd.
»Geh einfach!«, schrie sie, kam zu mir und versetzte mir einen Stoß.
Ich stieß sie zurück, aber ein anderes Mädchen trat schnell dazwischen, und ich setzte mich wieder. Vor Angriffslust zitterten mir die Hände, als ich mir eine Zigarette anzündete, doch ich unternahm nichts. Auf einmal fuhr die Filipina Anna an, und jetzt ging niemand dazwischen, als sie anfingen, sich zu kratzen und zu schlagen.
Die Probleme endeten allerdings nicht in der Sauna. Anna hatte sich verändert, als die Wochen in England verstrichen, und während sie mir früher von ihren Träumen für die Zukunft erzählt hatte, wenn wir nachts im Bett lagen und miteinander flüsterten, sprach sie jetzt kaum noch ein Wort mit mir. Ich wusste, sie mochte Defrim, und ich merkte, dass er sie wie die Spinne im Netz allmählich an sich zog. Ich machte mir Sorgen um sie, weil ich wusste, dass die letzte Frau, die ihm gehört hatte, als Leiche geendet war. Das hatte mir Ardy verraten, als ich eines Tages beim Aufräumen ein Foto von den beiden gefunden hatte. Ardy hatte mir erzählt, dass Defrim mit der Frau nach England gekommen sei und sie in derselben Sauna gearbeitet habe wie Anna und ich, aber sie sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Defrim hatte am Steuer gesessen und war nie über seine Traurigkeit und Wut angesichts ihres Verlusts hinweggekommen. Während Ardy noch geredet hatte, hatte sich ein Gefühl von Kälte in meiner Brust ausgebreitet. Wenn Defrim sogar eine Frau zur Prostitution zwang, die er liebte, um Geld zu verdienen, dann durfte man ihm auf keinen Fall trauen.
Aber Anna wurde wütend, als ich versuchte, sie zu warnen, und ihr sagte, dass Defrim nur Geld mit ihr verdienen wolle.
»Na, du hast gut reden!«, fuhr sie mich an. »Du bist doch keinen Deut besser. Du und Ardy, ihr habt mich doch benutzt, um hierherzukommen. Du hast mich verkauft, um das Geld für die Fahrt nach England zu kriegen.«
»Aber du weißt doch, dass ich nichts damit zu tun hatte!«, rief ich. »Er benutzt dich doch nur, so wie Ardy mich benutzt. Ist es denn Liebe, wenn man eine anschaffen schickt, so wie er das macht?«
Anna antwortete nicht, als sie aus dem Raum ging, und ich wusste, das war das Ende unserer Freundschaft. Jetzt konnte ich ihr nicht mehr trauen, denn sie hatte sich in ihren Zuhälter verliebt. Sie hatte eine Grenze überschritten, die uns für immer trennte.