KAPITEL 7
Ein paar Monate darauf bat mich Sergej eines Abends, mit ihm auszugehen. Ich konnte nicht gut nein sagen, und es wurde schon dunkel, als wir eine unbefestigte Straße entlanggingen, bis wir zu einem Steinhaus mit einer schweren Metalltür kamen.
Wir gingen hinein und traten in einen schmutzigen Raum, in dem ein altes Sofa und ein Bett standen. In dem Dämmerlicht sah ich vier Männer und zwei Mädchen, die Musik hörten. Sie schienen alle betrunken zu sein.
Sergej fing sofort an, sich mit den anderen zu unterhalten, aber ich sagte kein Wort, als ich mich setzte. Die Mädchen sahen aus, als würden sie gleich in Ohnmacht fallen, und bald zog einer der Männer die beiden hoch.
»Wir gehen«, sagte er und verschwand.
Wenig später stand auch Sergej auf.
»Ich habe was zu erledigen«, sagte er zu mir. »Es wird nicht lange dauern.«
Jetzt war ich allein mit zwei Männern – einer hatte dunkles Haar und war groß und schlank, während der andere kleiner und etwas dicker war.
»Na, wie gehtʼs dir denn so?«, fragte der Dunkle. »Willst du was trinken?«
»Nein, danke«, antwortete ich. »Ich muss auch bald wieder los.«
Er kam zum Sofa und setzte sich neben mich. »Na, komm schon, einen Kleinen«, sagte er in einer Art Singsang.
»Nein, danke«, erwiderte ich, und ich spürte, wie er mir den Arm um die Schultern legte. Ich stieß ihn weg.
»Nur eine kleine Umarmung, in aller Freundschaft«, lachte er, stand auf und ging zu dem Tisch rüber, wo er sich wieder setzte und anfing, Cannabis zu einer Zigarette zu rollen. Ich wusste, was das war, weil Sergej das Zeug manchmal rauchte. Der Geruch war furchtbar.
Ängstlich sah ich mich um. Wo war Sergej? Er war schon so lange weg, betrank sich wahrscheinlich irgendwo. Ich hatte genug. Ich wollte weg.
Der Dicke erhob sich, als ich aufstand. »Wo willst du hin?«, schrie er.
»Nach Hause.«
»Nein, nein. Geh nicht.«
Der Dunkle stand auf und kam auf mich zu. »Nein, geh nicht«, sagte er. »Wir fangen doch gerade erst an.«
»Aber ich muss los«, erwiderte ich und drehte mich weg. Plötzlich legte sich mir von hinten ein Arm um den Hals. »Lass los!«, rief ich.
»Nein«, sagte eine Stimme. »Zuerst wollen wir ein bisschen Spaß mit dir haben. Nur keine Sorge. Dir wird es auch gefallen.«
Sofort war mir klar, was er wollte. Das durfte doch nicht sein – nicht mit dem Baby, das ich in mir trug. »Nein!«, schrie ich und versuchte, mich loszureißen. »Sergej bringt euch um. Gleich kommt er wieder zurück.«
»Nein, das wird er nicht«, sagte der Mann hinter mir lachend. »Der ist im Moment sehr beschäftigt.«
Ich wehrte mich, als sich der Arm enger um meinen Hals schloss, so eng, dass ich kaum atmen konnte. Panik stieg in mir auf, als ich zum Bett gezerrt und daraufgestoßen wurde, ehe der Dunkle auf mich kletterte. Er packte mich bei den Haaren und drückte mir den Mund auf die Lippen, als ich schrie. Bilder von dem Strand kamen mir in den Sinn, und ich empfand dieselbe blanke Angst wie damals.
»Bitte, bitte, lasst mich gehen«, bettelte ich und fing an zu weinen. »Ich will ja alles tun.«
Doch die Männer hörten mir gar nicht zu, sie banden mir die Hände über dem Kopf zusammen, und dann brachten sie mich irgendwie zum Schweigen. Die Seele kann nur eine begrenzte Menge Leid ertragen, bevor sie erfriert und sich in nichts auflöst, und genauso ging es mir in der Nacht. Ich wurde völlig gefühllos, während sich die Männer ihren Weg in die entlegensten Winkel meines Körpers bahnten und ich zu Stein wurde.
Sie lachten und rauchten, als sie fertig waren, und ich zog mich an, ehe ich aus dem Haus in die Dunkelheit stolperte.
Sergej saß draußen und wartete auf mich.
»Ich muss mit dir reden«, flüsterte ich. Ich musste ihm erzählen, was passiert war, sonst würden die Männer reden, und er würde womöglich denken, ich hätte sie gewollt. Dann würde er mich umbringen. Tränen rannen mir über das Gesicht, als wir uns auf den Weg machten.
»Was ist los?«, fragte er.
»Deine Freunde ...«
»Ja?«
»Ich bin vergewaltigt worden.«
Sergej blieb stehen. »Ach, wirklich?«, fragte er gedehnt.
»Ja. Sie haben mich gezwungen. Ich konnte mich nicht wehren!«
Er sah mich an. »Ich weiß, was passiert ist. Die Männer sind meine Freunde. Keiner hat dich vergewaltigt, also wieso lügst du?«
Ich empfand nur Bestürzung. »Aber ich lüge nicht!«, rief ich. »Die haben mich vergewaltigt, als du weg warst.«
»Ich war die ganze Zeit draußen, Oxana.«
»Na, dann musst du doch gehört haben, wie ich geschrien habe.«
»Ich habe nichts gehört«, sagte Sergej; seine Stimme war wie Eis mit dem Anflug eines Lächelns darin.
Auf einmal war da nur Kälte in meinem Körper. Er hatte gewusst, was die mit mir anstellten, und hatte nichts getan, als er meine Schreie hörte.
»Hast du etwa gedacht, ich lasse es dir durchgehen, dass du deine Drecksliebhaber die Drecksarbeit erledigen lässt?«, erwiderte Sergej leise. »Hast du etwa gedacht, ich vergesse einfach, was deine Moslem-Stecher mir angetan haben?«
Ich drehte mich weg. »Ich gehe«, schluchzte ich. »Zu Mama, zur Polizei, ganz egal, und wenn ich auf der Straße leben muss.«
»Bist du sicher?«, rief Sergej. »Deine Mutter nimmt dich nicht auf, und ich habe jede Menge Freunde, die dich ficken möchten, und das wollen die unbedingt. Deshalb finden die dich, egal, wo du hinläufst. Außerdem, was willst du der Polizei erzählen? Die glauben dir doch kein Wort. Alle Welt weiß, dass du eine Hure bist.«
In meinem Kopf drehte sich alles, wie wir da so in der Dunkelheit standen. Er hatte recht. Wer würde mir schon glauben? Welcher Mann würde es zulassen, dass seine eigene Frau vergewaltigt wurde? Sogar Ira, die wusste, dass ihr Bruder ein Gewohnheitsdieb war, würde nicht glauben, dass er so tief gesunken war.
Ich hatte zwei kleine Kinder, das dritte war unterwegs. Es gab keine Möglichkeit, von ihm loszukommen. Ich konnte nur hoffen, dass sein Rachedurst gestillt war und er mich jetzt in Ruhe ließ.
»Na komm schon«, sagte Sergej leise.
Ich drehte mich um und folgte ihm nach Hause. Es war dumm von mir gewesen zu glauben, dass Sergej vergessen konnte, was die Männer von Aziz getan hatten. Diesen Fehler würde ich nicht wieder machen, also beobachtete ich Sergej und wartete ab, was er als Nächstes vorhatte. Ich provozierte ihn nicht, auch wenn er betrunken nach Hause kam und mich aus dem Bett stieß oder mich schlug, ohne ein Wort zu sagen – er war nur darauf aus, mich wieder zu verletzen, und ich wusste es. Es war, als könne er meinen Anblick nicht länger ertragen, und ich spürte, wie meine Unverzagtheit angesichts seines Hasses zu schwinden begann. Irgendwie musste ich doch wohl verdient haben, was mir passierte. Sergej hatte recht. Ich war nichts wert.
Inzwischen löste sich sein Leben auf. Sergej war jetzt ernsthaft drogenabhängig, und eines Abends sah ich ihn in der Küche mit einem Freund. Er saß am Tisch, schnürte sich den Arm ab und machte eine Faust, während sein Freund ihm eine Spritze setzte. Ich beobachtete ihn von der Tür her, als er sich im Dämmerlicht hinlegte, auf dem Gesicht ein Ausdruck seligen Vergessens.
So entfloh er also dieser erbärmlichen Existenz, und so verurteilte er seine Familie zu Hunger und Armut.
Inzwischen schlug mich Sergej regelmäßig, ganz gleich, wie ruhig und gefügig ich war. Er wachte schwitzend und zitternd auf und schlug mich, oder ich hatte ihm seine Grütze zu heiß serviert, und er schlug mich. Wir stritten viel über Lebensmittel, weil er oft alles allein aufaß und den Kindern und mir nichts übrig ließ.
Nach und nach zerbrach ich innerlich und fürchtete mich bald vor meinem eigenen Schatten. Ich glaubte Sergej, wenn er mir zubrüllte, wie hässlich, dumm und nutzlos ich sei. Wieso hätte mein Leben wohl sonst diese Wendung genommen?
»Du kannst doch bloß schwanger werden, und jetzt bist du schon wieder dick wie eine Kuh und erwartest noch ein Kind!«, rief er oft. »Du bist zu gar nichts gut.«
Das Leben wurde so leidvoll, dass ich mich in einen Automaten verwandelte und meine Gedanken und Gefühle abschaltete. Aufwachen, essen, waschen, putzen, kochen, stillen, baden ... In meinem Leben gab es nur noch diese geistlosen Dinge, und ich wollte nichts fühlen und nichts sehen, und ich sagte mir wieder und wieder, dass alles, was passierte, ja nur ein Film sei.
»Es wird ein Happy End geben«, flüsterte ich in mich hinein, wenn ich am Brunnen Wasser holte, um Saschas Kleidung zu waschen. »Das hier ist nicht wirklich, es ist reine Einbildung, und Papa passt auf dich auf.«
Nach einem schlimmen Streit nahm Sergej eine Wäscheleine und band mir Hände und Füße nach hinten zusammen, und so ließ er mich stundenlang auf dem Boden liegen. Er boxte und würgte mich und prügelte auf mich ein; ihm war ganz egal, was er tat, und beinahe schien es, als sei es auch mir egal. Das hier war meine Strafe.
»Du bist wie ein Hund«, sagte ich mir. »So ein Hund will fressen, und wenn ihn keiner füttert, wird er mager und hilflos. Du bist genauso wie solch ein Hund, und Sergej ist dein Herr.«
Ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder meinem Leben ein Ende machen und meine Kinder im Stich lassen oder dieses Leben beenden und ein neues beginnen. Ich musste nur daran glauben, dass der Schmerz aufhören würde, und meine Kinder lieben, während ich darauf wartete. Die Kinder waren das einzig Gute in meinem Leben – das Einzige, das mein zu Eis gefrorenes Herz erwärmen konnte –, und wenn Sascha nachts neben mir lag und schlief, strich ich mit den Händen über meinen gewölbten Bauch. Leise flüsternd sprach ich zu dem Kind in meinem Bauch, sagte ihm, dass wir eines Tages alle zusammen glücklich sein würden.