KAPITEL 15

Das gelbliche Licht der Autoscheinwerfer sauste durch die Bäume, als Anna-Maria und ich uns versteckten. Etwa eine Stunde hatten wir im stockdunklen Wald gewartet, hatten die Frösche quaken und die Mücken um uns herum summen gehört. Der Wagen hielt, und zwei Männer stiegen aus. Sie kamen herüber und blendeten uns mit einer Taschenlampe. Ohne ein Wort zu sagen, zogen sie uns zum Auto, warfen uns auf den Rücksitz und bedeckten uns mit einem Stück Zeltplane. Der Motor wurde gestartet, und wir fuhren los.

Wut kochte in mir hoch. Vorhin waren wir über die Autobahn gefahren, und der Mann, der uns Sweta abgekauft hatte, hatte angehalten, war ausgestiegen und in der Dunkelheit verschwunden, um einen Anruf zu machen. Anna-Maria und ich waren allein gewesen. Das war die Gelegenheit, die ich seit meiner Ankunft bei Sweta herbeigesehnt hatte.

Doch als die Scheinwerfer von der Straße blitzartig unser Auto erhellt hatten, hatte etwas mich davon abgehalten, die Wagentür zu öffnen. Ich war so verängstigt und verwirrt gewesen, als ich auf den Türgriff gestarrt hatte – ängstlich, weil dort draußen womöglich etwas noch Schlimmeres auf mich wartete, so dass ich wie gelähmt gewesen war. Ich war untätig geblieben.

Nun aber lag ich unter der Zeltplane, und in mir stritten Ärger und Scham. Was für eine Mutter war ich? Wieso hatte ich solche Angst? Warum war ich nicht weggelaufen, als ich die Möglichkeit dazu hatte? Es war genau wie immer – ich ließ zu, dass Leute mir wehtaten, und hielt sie nicht davon ab.

Bald wurde der Wagen langsamer, hielt an, und die Türen gingen auf. Es war vollkommen dunkel, als wir ausstiegen, aber ich glaubte, dass wir in einer Art Scheune waren. Ein weiterer Mann mit einer Pistole an der Seite stand vor uns und gab uns mit Zeichen zu verstehen, dass wir in ein kleines Nebengebäude gehen sollten. Dort wurden wir in einen Raum geführt, in dem ein Einzelbett, ein Tisch und ein Schrank standen, und dann wurde die Tür abgeschlossen. Ohne ein Wort zu sagen, legte sich Anna-Maria gleich ins Bett und schlief ein. Ich freute mich für sie, dass sie Schlaf fand, aber ich konnte mich nicht entspannen. Nach all diesen Tagen des Wartens hatte ich plötzlich Angst, weil meine Reise nun tatsächlich begonnen hatte.

Ein paar Stunden später kam der Mann wieder und warf das Oberteil eines schwarzen Trainingsanzugs für mich aufs Bett. Ich trug eine schwarze Hose und hochhackige Schuhe, und er legte den Finger an die Lippen und wies mich an, die Jacke anzuziehen und meine Sachen zu nehmen. Offenbar ging es weiter mit unserer Reise. Ich nahm meinen kostbaren Koffer und hielt mich bereit, ihm zu folgen. Der Mann schien nervös, als er uns aus dem Raum führte und wir auf eine Straße hinaustraten. Obwohl es sehr dunkel war, erkannte ich, dass wir uns offenbar am Rand eines Dorfes befanden, denn als wir an ein paar Häusern vorbeigingen, sahen wir Nebengebäude und Scheunen voller Heu und Sonnenblumen. Der Mann zwang uns, sehr schnell zu gehen, fast zu laufen, und von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um zu horchen. Seine Nervosität steckte mich an – ich lief, wenn er lief, blieb stehen, wenn er stehen blieb, und als wir auf freiem Feld waren, schien es, als blieben wir gar nicht mehr stehen. Mein Koffer war klein, aber wie ich ihn so mit mir schleppte, wurde er allmählich ganz schwer; doch unter gar keinen Umständen hätte ich ihn zurückgelassen. Bald wurde mir klar, dass ich auf meinen hochhackigen Schuhen nicht würde Schritt halten können, also zog ich sie aus. Ich lief barfuß weiter und spürte, wie das feuchte Gras wie Messer in meine Schienbeine schnitt, während sich Steine und Wurzeln in meine Fußsohlen gruben. Aber ich fühlte keinen Schmerz – ich hörte nur mein Blut in den Ohren rauschen, als ich vor meinem Feind davonrannte.

Es kam mir so vor, als wären Stunden vergangen, als ein Stacheldrahtzaun uns den Weg versperrte. Die Nervosität des Mannes schien ihren Höhepunkt zu erreichen, und ich ahnte, dass dies die Grenze sein musste, vermutlich die Grenze zu Serbien. Er hielt den Draht für uns hoch, als Anna-Maria und ich unsere Taschen hindurchschoben und dann hinterherkrochen. Als wir drei sicher auf der anderen Seite des Zauns angelangt waren, führte er uns ein paar Meter weit weg, und wir setzten uns im Dunkeln, hielten den Atem an und gaben unserer Erschöpfung nach. Unser Begleiter setzte sich mit gekreuzten Beinen neben uns; immer noch war er wachsam und hielt die Pistole fest umklammert, als er sich in der Nacht umschaute.

Dann erfüllten plötzlich ein Schrei und ein Krachen die Luft. Ich sah auf in den Himmel und erkannte, was das plötzliche Geräusch verursacht hatte, als der Mann aufsprang.

»Lauft!«, rief er, zerrte uns hoch und setzte sich in Bewegung.

Wieder hörte ich ein Krachen und begriff, dass es ein Schuss war. Ich drückte mir den Koffer vor die Brust und wollte hastig hinter unserem Führer herlaufen, aber Panik stieg in mir auf, und ich strauchelte. Anna-Maria streckte die Hand aus, um mir aufzuhelfen, als die Kugeln um uns durch die Luft flogen und ein helles Licht über unseren Köpfen kreiste. Ich hatte keine Ahnung, wo das Licht herkam, blieb allerdings auch nicht stehen, um mich umzudrehen. Anna-Maria war so schnell, so stark, und ich stolperte hinter ihr her und versuchte, mit ihr Schritt zu halten.

Im Laufen sah ich die Gesichter meiner Kinder. Ich musste leben.

Wir kamen an ein Sonnenblumenfeld, wo wir uns auf den Boden warfen, wenn das Licht über uns hinwegfegte, und standen wieder auf, sobald das Licht sich weiterbewegte. Die Sonnenblumen zerkratzten mir das Gesicht, als ich zwischen ihnen hindurchrannte, und das Gewicht meines Koffers ließ mich beinahe das Gleichgewicht verlieren.

Schüsse peitschten durch die Luft, während das Licht uns umkreiste, und mein Herz schlug rasend. Ich dachte an gar nichts mehr, sondern lief einfach nur; verzweifelt floh ich vor den Schüssen, und es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis ich endlich sah, wie der Himmel sich aufhellte. Ich rannte zur anderen Seite des Feldes und merkte auf einmal, dass sich die Geräusche entfernten, und schließlich verfielen wir in eine Art Trott, dann ins Gehen, bis wir zu einer Baumreihe kamen, wo wir uns hinsetzten.

Keiner sagte ein Wort während unserer Rast. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, aber ich schätzte, es musste Serbien sein. Dies war die nächste Etappe einer Reise, deren Ende ich nicht abzusehen wagte.