17. KAPITEL

Die Apostelkirche St. Andrews ragte gewaltig vor mir auf und schien verlassen und verschlossen. Das Schild am Tor war kaputt, und die Glasscherben der Fenster lagen auf dem Rasen verstreut, der vermutlich seit Jahren nicht gemäht worden war. Das Gebäude sah zugleich gewaltig und traurig aus.

Dieser Teil der Stadt war von der Wirtschaftskrise hart getroffen worden, und die meisten Läden hatten dichtgemacht. Das Gleiche galt anscheinend für die Kirche.

Vorsichtig näherte ich mich der Vordertür, als könnte sie jeden Augenblick aufschwingen und mich hineinsaugen. Es war schwer, das Bild der schwarzäugigen Carly aus dem Kopf zu bekommen. In der einen Sekunde ein Monster und in der nächsten die Freundin, die ich seit dem Kindergarten kannte. Das jagte mir solche Angst ein, dass ich am liebsten weglaufen und so tun wollte, als sei das alles nicht passiert. Aber das war es. Und ich musste mit den Folgen leben. Bishop musste mir versprechen, auch Carlys Seele zu retten. Ich wollte nicht, dass sie dem Hunger zum Opfer fiel. So viel Angst ich im Moment hatte, so viel Angst hatte ich auch um sie. Ich konnte das in Ordnung bringen. Mit aller Macht klammerte ich mich an diese Hoffnung.

An der Seite des Gebäudes war eine Tür geöffnet worden und wurde von einem Stein offen gehalten. Es war der einzige Hinweis darauf, dass die Kirche nicht vollkommen verlassen war. Oh nein, eine kleine Gruppe aus Engeln und Dämonen hatte hier Quartier bezogen. Ich fragte mich, ob ein Dämon eine Kirche betreten konnte, in der noch Gottesdienste abgehalten wurden.

Das Bedürfnis, Bishop zu sehen, trieb mich an. Die Türe quietschte, sowie ich sie weiter aufstieß und in die kühle dunkle Halle von St. Andrews trat. Stimmen hallten durch den Gang, und ich drang an der Mauer entlang tastend weiter in die Kirche vor. Es roch hier alt, nach Schimmel und verrottendem Holz. Obwohl mir eh immer kalt war, kroch mir ein Frösteln über den Rücken. Die Furcht war sehr präsent in diesem zurzeit seelenlosen Körper.

„… sollte inzwischen hier sein“, meinte Kraven, den ich noch nicht sehen konnte. „Ich habe die Nachricht gleich heute Morgen hinterlassen.“

„Das geht dich nichts an.“ Bishops Stimme klang verärgert und zittrig.

Mein Atem stockte, und ich erschauerte.

„Es geht mich nichts an, wenn es dir schlecht geht? Du bist Teil dieser Mission. Wenn du aufgibst, müssen wir anderen ein Viertel mehr an Verantwortung tragen. Und das hier ist noch nicht vorbei.“ Danach sprach Zach mit ausgeglichener und beruhigender Stimme. Es klang so, als sei er es gewohnt, zwischen den beiden Frieden zu stiften. „Es wird sich alles fügen. Ich glaube daran.“

„Wie nett für dich“, antwortete Kraven trocken.

„Ich hasse das!“, knurrte Roth, und ich hörte, wie etwas zu Boden krachte. Ich schaute um die Ecke und stellte fest, dass der Dämon gegen einen Haufen Stühle getreten hatte, die im vorderen Teil des Kirchenschiffs in der Nähe der Kanzel aufgestapelt waren. Sie waren wohl einmal als Ergänzung gedacht gewesen, wenn in den Holzbänken nicht genug Platz für die Gläubigen war. Zwei der großen Glasfenster waren zerschmettert, aber das an der Spitze war noch intakt und sogar in der Nacht wunderschön.

„Was ist dein Problem?“, fuhr Kraven ihn an.

„Mein Problem?“ Roth griff sich eine Vase von einem Seitentisch und wollte sie anscheinend durch das Fenster hinter sich werfen. Kraven packte seinen Arm, um ihn davon abzuhalten . Roth stieß den anderen Dämon weg. „Mein Problem ist, dass es nervt. Alles hier. Worauf warten wir heute Nacht? Ich will raus.“

„Du hast dich hierfür gemeldet. Und du hattest die Wahl, wenn du dich mal erinnern würdest. Du kannst noch nicht zurück.“

„Ich meine nicht zurück in die Hölle, ich meine nach draußen. Ich will auf Patrouille gehen. Mir ist so langweilig! Ich habe letzte Nacht drei von diesen Seelen saugenden Freaks getötet, und ich will heute wenigstens genauso viele erwischen, sobald sie aus ihren Löchern kriechen. Gib mir den Dolch.“

„Bishop gibt ihn nicht aus der Hand“, sagte Zach. „Er denkt, du würdest dann Samantha jagen.“

„Dafür brauche ich den Dolch nicht. Ich kann eine Gray wie sie auch ohne ihn töten – es ist nur etwas mehr Mühe. Ich hatte es fast erledigt, aber du musstest sie ja heilen.“

Zach wandte sich von dem Dämon ab und stellte sich zu Bishop, der sich mit dem Rücken an die Wand lehnte, als könnte er sich ohne Stütze nicht aufrecht halten. „Was können wir tun, um dir zu helfen?“

Bishop schüttelte den Kopf. „Nichts. Gebt mir nur etwas Zeit. Dann geht es wieder.“

Kraven stöhnte. „Ich werde sie holen. Selbst wenn ich sie vorher k. o. schlagen muss, werde ich ihren Arsch hierher schleifen.“

„Nein“, antwortete Bishop entschieden und schaute den Dämon durchdringend an. „Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, reiße ich dich in Stücke.“

Das war lächerlich. Ich setzte einen mutigen Gesichtsausdruck auf, trat hinter der Ecke hervor und ging den Gang entlang auf sie zu. Die anderen drei sahen mich überrascht an. Bishop hob langsam den Kopf und schaute mir in die Augen. Bei seinem Anblick schlug mir das Herz höher. Ich hatte bis zu diesem Moment nicht gewusst, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Am liebsten wäre ich einfach zu ihm gerannt, aber ich hielt mich zurück. Wenn es um den Engel ging, spielten meine Gefühle verrückt. Ich begriff nicht, was ich für ihn empfand. Heute hatte ich schon zu viel begreifen müssen. Was ich für ihn fühlte, war echt, und dieses Wiedersehen bewies es mir.

„Hallo, was sagt man dazu?“, sagte Kraven. „Dir müssen ja die Ohren klingen, Süße?“

„Ein bisschen“, gestand ich. Die Begrüßung zwischen uns war beinahe schon als freundlich zu bezeichnen, gemessen an dem Blick, den ich von Roth zugeworfen bekam. Schließlich war ich eins der Dinger, die er heute aus purer Langeweile jagen und zur Strecke bringen wollte. Wenn er erzählte, dass er gestern drei getötet hatte, wie viele weitere gab es dann noch? Wie groß war das Problem mit den Grays in der Stadt geworden? Es war keine Massenpanik ausgebrochen, und es standen auch nicht an jeder Straßenecke Polizisten. Also hatten sie es wohl unter Kontrolle. Das hoffte ich jedenfalls. Wenn ich mir jedoch ins Gedächtnis rief, wie Bishop das Ritual durchführte, war es für alle ein sehr gewaltsames Ende. Obwohl mich Carlys Verhalten zu Tode erschreckte, war ich nicht der Meinung, dass sie es verdiente, dafür einen Dolch ins Herz gerammt zu bekommen. Paul hatte den Laden lebend verlassen, auch wenn ihm jetzt ein Teil seiner Seele fehlte. Ich hoffte nur, dass sie ihm keinen dauerhaften Schaden zugefügt hatte.

„Was guckst du so?“, fauchte ich Roth an.

Ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen. „Abendessen.“ Ich schauderte. „Träum weiter, Freak!“

„Jede Nacht.“

„Du wirst dich von mir fernhalten.“

Er zuckte die Achseln. „Vielleicht tue ich das, vielleicht auch nicht. Habe gehört, was du so anstellen kannst – unsere Gedanken lesen. Versuch das nicht bei mir.“

Ich schaute ihn eindringlich an und sah ihm länger, als es mir angenehm war, in die Augen. „Zu spät. Schon passiert.“ Ich musste sie nicht berühren, sondern ich brauchte nur Blickkontakt und einen offenen Geist. Heute schien er sich gut geschützt zu haben – ob es ihm nun bewusst war oder nicht.

„Er zog die Brauen zusammen. „Was denke ich denn gerade?“

Ich fühlte mich mit jedem Moment stärker. Die Kräfte von Himmel und Hölle – Natalie zufolge hatte ich Zugang zu ihnen. Das hier war nur ein Vorgeschmack.

„Du hoffst, dass niemand bemerkt, was für einen Schiss du hast. Und dass das alles eine Nummer zu groß ist. Du fragst dich, wie ein bedeutungsloser Arsch wie du für so eine Mission ausgewählt werden konnte.“ Ich zwang mich, ihn anzulächeln. „Ich umschreibe es natürlich nur, aber bin ich nahe dran?“

Er zuckte zurück, als hätte ich ihn tatsächlich geschlagen. Nett. Der Selbsthass dieses Typen ließ Kraven wie Mr Ausgeglichen wirken.

Doch ich war noch nicht ganz fertig. „Ich denke, du willst nicht, dass jeder hier erfährt, was für ein Feigling du in Wirklichkeit bist, oder?“

Seine Augen wurden zu Schlitzen. „Pass auf, Miststück.“ „Oh, das habe ich vor.“

Er stürmte aus dem Raum. Ja, ich hatte definitiv ins Schwarze getroffen, ich war mir aber nicht sicher, ob das so gut war. Er würde eine ziemliche Wut auf mich haben.

Zach berührte meinen Arm, und ich erschrak. Zwar hatte ich mir eine harte Schale zugelegt, doch innerlich zitterte ich schon wegen meiner bloßen Anwesenheit hier. „Ignoriere ihn, Samantha. Alles in Ordnung? Hast du dich von dieser Nacht erholt?“

Ich schaute hinauf in seine blassgrünen Augen und suchte darin nach Hinweisen auf Täuschung und Grausamkeit. Aber alles, was ich fand, war ein ernsthafter Engel, der wirklich wissen wollte, ob es mir gut ging.

„Es geht mir besser, danke! Wenn du mich nicht geheilt hättest … Aber darüber will ich gar nicht nachdenken.“

„Ich wünschte nur, ich könnte auch ihm helfen.“ Er nickte in Bishops Richtung.

Kraven sah mich nach meinem Wortgefecht mit dem anderen Dämon etwas verunsichert an. „Bist du jetzt hier, um deine Magie auf mein geliebtes Brüderchen anzuwenden, oder möchtest du uns vorher noch ein paar Kartentricks vorführen?“ Die Nachricht, das Kraven und Bishop miteinander verwandt waren, war wohl kein Geheimnis mehr.

Zach reagierte gar nicht darauf.

Ich näherte mich Bishop langsam, und mein Blick glitt über seine große Gestalt, seine breiten Schultern, sein dunkles Haar. Seine Muskeln zeichneten sich unter dem T-Shirt ab. Seit ich angekommen war, hatte er nicht aufgehört, mich anzuschauen. Ich hatte seine Anspannung gespürt, sowie Roth wieder gewalttätig zu werden drohte, so als wollte er sich bereit machen, ihn zu überwältigen. Jetzt lehnte er jedoch schwerfällig an der Wand, als wäre sie das Einzige, das ihn noch aufrecht hielt. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und sein Blick ging ins Leere.

Mein Herz schlug wie wild, während ich meinen Kopf schüttelte. „Was soll ich nur mit dir machen?“

Er ließ ein kurzes Lachen hören, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. „Gute Frage.“

Ich dachte an den Obdachlosen, den ich jetzt schon ein paarmal gesehen hatte. Ich war mir sicher, dass auch er ein dem Wahnsinn verfallener Engel war. „Warum lässt der Himmel zu, dass dir so etwas geschieht?“

„Wurde durcheinandergewirbelt auf dem Weg hierher … Sie wussten nicht, dass es passieren würde. Nicht so schlimm.“

„Ist das eine Vermutung oder eine Hoffnung?“

Er wandte nicht den Blick von mir ab, doch darin lag ein glasiger Ausdruck, der mir Angst machte. „Beides.“

Ich stemmte meine Fäuste in die Hüften. „Mal ehrlich, Bishop. Du hättest früher zu mir kommen sollen. Warum hast du gewartet, bis ich zu dir komme?“

Er biss die Zähne zusammen. „Ich wollte das alleine regeln.“

„Netter Gedanke. Aber jeder braucht irgendwann mal Hilfe.“ Ich streckte ihm meine Hand entgegen. „Und?“ Ich hatte nicht vor, ihn zu zwingen; er musste selbst entscheiden. Er hatte mich am Anfang gebeten, ihm zu helfen, und es war sogar Teil unseres Deals. Doch ich wusste, dass er selbst seine Wahl treffen musste.

Schließlich beugte er sich vor und ergriff meine Hände. Wie bei unserer ersten Berührung war es, als würden wir vom Blitz getroffen. Er keuchte laut. Die knisternde Elektrizität war sogar stärker als zuvor. Die Wärme durchflutete mich und vertrieb mein Frösteln. Unsere Blicke trafen sich, und unsere Verbindung fühlte sich an wie pure Magie. Ihm so nahe zu sein machte mich schwindelig. Er war anders als alle anderen Jungs, die ich je getroffen hatte. Aber er war kein Junge – er war ein Engel. Und ich vermisste ihn – seinen Geruch, seine Wärme, seine Augen, seinen Mund … Alles an ihm zog mich an und weckte in mir den Wunsch, immer bei ihm zu bleiben. Wow, das war intensiv! Unsere Verbindung überwältigte mich schon bei einer einzigen Berührung. Den Obdachlosen hatte ich so nicht heilen können, und dabei hatte mich auch nicht diese Wärme erfüllt. Dieser Zauber passierte nur mit Bishop. Wie konnte ich etwas so Unglaubliches je anzweifeln?

Bishop atmete tief ein und schloss die Augen, sowie sich sein Griff verstärkte. Nachdem er seine Augen schließlich wieder geöffnet hatte, waren sie wieder blau und klar, und er schien bei Verstand zu sein.

„Besser?“, fragte ich.

Langsam nickte er. „Sehr viel.“

Ich lächelte. „Ich bin hier, um zu helfen.“

Er hielt meine Hand fest und nahm auch noch die andere. „Du hättest trotzdem nicht herkommen sollen. Es ist zu gefährlich.“

„Aber hier bin ich trotzdem. Also gewöhn dich dran. Ich meine …“ Ich sah hinunter auf unsere Hände. „Ist das so schlimm?“ Sein Blick traf meinen wieder. „Es ist gut. Und darum ist es so schlimm.“

Während er seine Finger mit meinen verschränkte, vergaß ich für einen Moment alles um mich herum, und es gab nur noch ihn. Wenn Bishop bei Verstand war, wollte ich ihn so dringend küssen, dass ich mich kaum beherrschen konnte. Und da war auch diese Art, wie er mich ansah – voller Dankbarkeit und auf eine Art, die noch viel tiefer ging …

„Ich kann die Geigen förmlich hören“, kommentierte Kraven gedehnt. „Sollen Zach und ich euch allein lassen, damit ihr zwei loslegen könnt, oder was?“

Vernichtend schaute ich ihn an. „Bist du manchmal auch kein kompletter Arsch?“

„Niemals“, bestätigte er.

„Wie war das, als du ein Mensch warst?“

Sein Klugscheißer-Grinsen verschwand. „Darüber rede ich nicht.“

„Aber du wolltest, dass ich deinen menschlichen Namen kenne und erfahre, dass du und Bishop Brüder wart. Will einer von euch vielleicht noch ein bisschen mehr erzählen?“

Sein finsterer Blick wanderte zur Seite, als die Tür dort zuschlug. Roth war von seiner Selbstmitleids-Auszeit zurückgekehrt. Er betrachtete uns mürrisch, sagte aber nichts.

„Das war nur ein Probelauf für die Notfall-Kommunikation, Süße“, sagte Kraven. „Lass dir nicht zu Kopf steigen, dass ich persönlich mit dir geworden bin.“

„Nicht in meinen wildesten Träumen, James.“ Ich hatte wohl gerade die Achillesferse des Dämons entdeckt. Es war nicht erlaubt, über sein Leben als Mensch zu sprechen. Aber ich wollte diese Grenze wohl ein bisschen austesten.

Der Gebrauch seines richtigen Namens brachte mir einen Blick voller Verachtung ein. „Heute schon irgendwelche Seelen ausgesaugt, Gray-Mädchen?“

„Nein. Irgendwelche hilflosen Opfer erstochen?“

„Unsere Opfer sind nicht hilflos“, antwortete Bishop.

Ich funkelte ihn an. „Natürlich sind sie das nicht.“

„Du hast noch keine Grays gesehen, nachdem sie zu viel aufgesaugt haben.“

Ich schauderte, sowie die Erinnerung an Carly durch meinen Kopf schoss.

„Samantha.“ Bishop drückte meine Hand, damit ich ihn ansah statt des dämlichen Dämons. „Was ist passiert? Was hast du beobachtet?“

Meine Kehle wurde eng. „Meine Freundin – ich glaube, sie steckt in Schwierigkeiten.“

„Die Freundin, die letzte Nacht bei dir war?“

Ich nickte, und mein Magen krampfte sich zusammen. „Ich mache mir Sorgen um sie.“

„Hast du miterlebt, wie sie dem Hunger nachgegeben hat?“, fragte Zach.

Ich antwortete nicht gleich, und der Blick, den sie untereinander austauschten, beunruhigte mich. Ich konnte nicht zugeben, was Carly getan hatte, und sie damit in Gefahr bringen. Ich wusste, was sie tun würden, wenn sie die Wahrheit erfuhren.

„Bishop, du hast gesagt, du kannst mir meine Seele wiedergeben. Ich will, dass du auch ihre zurückholst.“

„Seelen zurückholen?“, warf Roth ein. „Hier lebt wohl jemand in einer Traumwelt, oder?“

Ich schaute ihn wütend an. „Was?“

„Man kann eine menschliche Seele nicht zurückholen, wenn sie einmal weg ist.“ Er sah zu Bishop hinüber, der ihm einen finsteren Blick zuwarf.

„Was denn?“, fragte er gereizt.

Mein Mund wurde plötzlich staubtrocken. „Bishop hat gemeint …“

„Klar, ich bin mir sicher, er hätte so ziemlich alles versprochen, damit du deinen mysteriösen Hokuspokus bei ihm einsetzt, oder? Gute Aktion, Engel.“ Ein Lächeln breitete sich auf Roths hübschem Gesicht aus. „Gut und hinterhältig. Ich bin beeindruckt.“

Zum zweiten – oder dritten? – Mal heute Nacht fühlte ich mich, als hätte sich der Boden unter mir geöffnet und ich würde in einen dunklen Abgrund stürzen. „Bishop, ist das wahr?“

Bishop warf Roth einen düsteren Blick zu, der einen schwächeren Dämon problemlos auf die Größe einer Rosine geschrumpft hätte. Als er sich schließlich wieder zu mir umdrehte, hatte sein Blick sich kaum aufgeheitert.

„Wenn es einen Weg gibt, deine Seele zu retten, werde ich ihn finden.“

Ich ließ seine Hand los und stolperte rückwärts. „Du hast mich angelogen? Du … hast mir gesagt, Engel würden nicht lügen.“

„Oh, Engel können auf jeden Fall lügen, wenn es sein muss“, schaltete Kraven sich ein. „Das kannst du mir glauben. Sie bevorzugen es nur, das nicht zu tun, weil sie sich dann so schmutzig vorkommen.“

Bishops Anspannung wuchs. „Es war keine Lüge. Ich sagte dir, dass ich dir helfen würde – dass ich glaube, es gebe einen Weg. Und sobald ich in den Himmel zurückkehre, werde ich ihn finden.“

Ich wurde von Panik ergriffen. „Das ist nicht, was du mir versprochen hast!“

Er runzelte die Stirn. „Doch, das ist es.“

„Oh, oh, Ärger im Paradies“, murmelte Kraven. „Bleiben Sie dran.“

Trotz meiner übrigen Befürchtungen hatte ich darauf vertraut, dass Bishop in dieser Sache ehrlich zu mir gewesen war. Um jetzt zu hören, dass alles eine Lüge war. Damit war für Carly und mich alles verloren. Er war nicht besser als ein Dämon! Bevor Bishop noch etwas sagen konnte, rannte ich von ihm fort den Gang hinunter und durch die offene Tür. Ich lief bis zu dem zerbrochenen Schild vor der Kirche und brauchte dann erst einmal einen Augenblick, um meine aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich stemmte die Hände in die Hüften und schnappte nach Luft.

Ich hatte diesem Deal zugestimmt und meinen Teil der Abmachung erfüllt, aber er hatte die ganze Zeit gewusst, dass es ihm vielleicht nicht möglich sein würde, seinen Teil des Pakts einzuhalten. Ich hatte mich in einen Typen verliebt, der versprach, mich zu retten, nur um dafür etwas von mir zu bekommen. Mein Herz fühlte sich an, als sei es in tausend Stücke zersprungen, die auf dem Rasen verstreut lagen wie die Glasscherben. Wie hatte er mir das antun können? Ich konnte mich nicht an seine genauen Worte erinnern, doch er hatte mich in dem Glauben gelassen, dass er eine Lösung kannte. Die Lösung. Ich hatte ihm Vertrauen und mein Herz schenken wollen, aber wie konnte ich das jetzt noch tun? Engel mochten normalerweise nicht lügen, allerdings bedeutete das nicht, dass sie nicht schamlos ein Mädchen belügen konnten, das sich unsterblich in einen Engel mit blauen Augen verliebt hatte.

„Samantha, warte!“ Bishop lief mir nach, während die anderen in der Kirche blieben. Er fasste mich am Handgelenk, um zu verhindern, dass ich weiterrannte. Ich schlug ihn so fest ich konnte ins Gesicht. Der überraschte und aufgebrachte Ausdruck, mit dem er mich ansah, war beinahe komisch. Ich vermute, dass ihn vorher noch nie ein hysterischer Teenager geschlagen hatte. Ich bemerkte, wie meine Wangen feucht wurden. Die Tränen, die ich die ganze Nacht unterdrückt hatte, flossen jetzt über mein Gesicht. Verärgert wischte ich sie fort. „Du hast mich glauben lassen, es gäbe eine Möglichkeit, meine Seele zu retten, aber du hast nur geraten. Warum hast du mir das angetan? Du weißt, wie wichtig mir das ist!“

Er schnaubte frustriert. „Was? Denkst du, ich sei so ein skrupelloser Kerl, der draufsteht, unschuldige Mädchen anzulügen? Ich hatte angenommen, du würdest mich besser kennen.“

„Ich kenne dich überhaupt nicht! Du und Kraven, ihr seid wirklich Brüder. Vielleicht seid ihr euch viel ähnlicher, als ich dachte. Vielleicht solltest du auch ein Dämon sein.“

Seine Gesichtszüge spannten sich an. „Du hast recht, das sollte ich.“

Mein Atem stockte. „Was?“

„Vor langer Zeit war ich einer der bösen Jungs.“ Sein Gesicht war wie versteinert. „Wirklich böse, Samantha – du hast keine Ahnung. Aber ich habe mich verändert. Neuer Name, neuer Job … neue Existenz. Alles ist jetzt anders.“

Er warf mich komplett um mit diesem plötzlichen Einblick in seine Vergangenheit. Aber wahrscheinlich log er nur wieder. Ich schaute ihn durchdringend an, und er hielt meinem Blick stand. In diesem Augenblick existierten nur wir beide. „Du bist immer noch einer der bösen Jungs, Bishop. Das hier beweist es.“ Ich zwang mich dazu, mich abzuwenden, aber er wirbelte mich an meinem Arm herum, sodass er mir wütend in die Augen sehen konnte.

„Habe ich dich willentlich etwas glauben lassen, das nicht einhundert Prozent wahr ist? Vielleicht. Allerdings hast du behauptet , du würdest mich hassen. Ich musste etwas sagen, das dich in meiner Nähe bleiben ließ. Um jeden Preis.“

„Ich hasse dich wirklich.“

Seine Finger krallten sich in meine Schulter. „Das ist deine Entscheidung. Doch wenn ich in den Himmel zurückkehre, werde ich eine Lösung finden. Ich werde dich retten.“

„Lass mich in Ruhe.“ Ich riss mich von ihm los und ging.

Er ließ nicht locker und folgte mir weiter, was es nur schwieriger machte. Sobald er mir nah war, fiel mir das Denken schwer. Er sagte, er war einmal einer der Bösen gewesen. Ich erschauerte. Wer war er? Was hatte er getan, und wie lange war es her? Und warum war er ein Engel geworden, während Kraven zum Dämon wurde?

Schließlich blieb ich stehen und drehte mich zu ihm um. Ich blickte in sein Gesicht. Trotz der Dunkelheit, die uns umgab, glänzte ein beständiges Leuchten in seinen schönen Augen, als er mich ansah. Sowie ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen und die richtigen Worte zu finden, machte ich eine überraschende Entdeckung. Ich starrte über seine Schulter hinauf in den Himmel.

Er runzelte die Stirn. „Was ist los?“

Ich brauchte einen Moment, um meine Stimme wiederzufinden. „Kraven hat gemeint, dass vier von euch in deinem Team sein sollten, oder? Zwei Engel und zwei Dämonen.“

„Ja, vier.“

Ich blickte auf die Lichtsäule, die gerade am Nachthimmel erschienen war. „Scheint so, als bekommt ihr ein Bonusmitglied.“

Er drehte sich in die gleiche Richtung wie ich. „Du siehst noch eine Lichtsäule?“

Ich nickte nur.

Er schwieg, dennoch war mir klar, was er wollte. Ich sollte ihn an den richtigen Ort führen, genau wie bei den anderen.

Offenbar war es nicht ganz sicher, wie viele Engel und Dämonen gerade in der Stadt unterwegs waren. Wenn es noch einen weiteren gab, konnten sich sehr gut auch noch mehr hier aufhalten. Die Möglichkeit, meine Seele wiederzubekommen, war heute Nacht gestorben, egal, was der Engel mir als Nächstes versprechen würde. Die Frage war, ob er für mich die alleinige Schuld daran trug, was er mich hatte glauben lassen. Hätte ich in seiner Lage genau das Gleiche getan, wenn ich gewusst hätte, was auf dem Spiel steht, falls ich die anderen nicht finden würde? Verdammt, wahrscheinlich hätte ich das.

Deswegen war es nicht in Ordnung, wie er gehandelt hatte, und minderte auch nicht die Wut und den Vertrauensbruch, die ich ihm gegenüber empfand, trotzdem konnte ein Teil von mir es verstehen. Er wollte mir helfen. Er war sich nur nicht sicher, ob er es konnte. Wenn er das so klar gesagt hätte, hätte ich ihm möglicherweise gar nicht erst meine Hilfe zugesichert. Ich atmete kräftig aus. „Das war es dann, Bishop. Das ist definitiv das letzte Mal, dass ich dir helfe.“

Wir konnten beide ganz gut lügen. Natalie wollte den Dolch, damit sie mit meiner Unterstützung die Stadt verlassen konnte. Dafür war ich noch nicht bereit. Mir blutete das Herz wegen der Dinge, die sie mir über meine Eltern erzählt hatte, dennoch konnte ich das, was sie von mir verlangte, nicht tun. Noch nicht, jedenfalls. Allerdings konnte ich Bishop genau so wenig zu der Quelle bringen und meine Tante ermorden lassen – die einzige Verbindung, die ich zu meinem leiblichen Vater hatte. Es sah so aus, als steckte ich immer noch mittendrin – nicht gerade der beste Ort, an dem man sich aufhalten konnte.

Inzwischen war es schon beinahe Routine, der Lichtsäule zu folgen, die uns zu einem Engel oder einem Dämon leiten würde. Ich hielt einige Schritte Abstand zwischen Bishop und mir, damit ich mich nicht so zu ihm hingezogen fühlte wie sonst. Es half nicht besonders. Obwohl ich noch immer verletzt war, weil er mich betrogen und belogen hatte, war seine Anziehungskraft stärker als je zuvor. Auf dem Weg konnte ich seine glühenden Blicke spüren. Es war so verdammt unfair.

Das Licht führte uns nicht allzu weit von der verlassenen Kirche fort. Die Straßen waren hier beinahe menschenleer im Gegensatz zu dem bevölkerten Einkaufsviertel, in dem wir Roth entdeckt hatten. Verlassen, leer und einsam – ziemlich deprimierend. Ein großer Teil von Trinity war heute so, als wäre alles Leben, das hier vorher existiert hatte, ausgelöscht und hätte eine Geisterstadt zurückgelassen.

Das Licht leitete uns zu einem weiteren Jungen – nicht dass ich wegen seines Geschlechts überrascht war. Er war etwas kleiner als Bishop, was immer noch bedeutete, dass er etwa einen Meter achtzig groß war, mit dunkler Haut und dunklen Augen. Natürlich war er attraktiv – auch das erstaunte mich wenig. Er trug eine schlecht sitzende Kakihose und einen grünen Pullover mit Knopfleiste. Sein schwarzes Haar war millimeterkurz geschnitten, und er sah beinahe kahl rasiert aus. Er hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und stapfte den Gehweg entlang Richtung Innenstadt.

„Ist er das?“, fragte Bishop.

Der Klang seiner tiefen sanften Stimme durchdrang mich und ließ mich zittern. Ich wollte ihm verzeihen, auch wenn die Erinnerung an seinen Betrug noch schmerzte. Doch meine zwiespältigen Gefühle im Bezug auf Bishop waren jetzt nicht gerade hilfreich. Sie lenkten mich nur ab.

„Ja“, antwortete ich schließlich. „Aber ich verstehe es nicht. Warum sollten sie Kraven erzählen, dass ihr zu viert seid, und dann gibt es noch jemanden?“

„Keine Ahnung.“ Er schien nicht sehr glücklich darüber.

Ich dachte daran, was bei Roth geschehen war, und an unsere Sorge, dass wir einen Fehler gemacht und einen unschuldigen Jungen getötet hatten. „Kontrolliere ihn doch diesmal vorher.

Also … tu es nicht einfach.“

„Das mache ich. Du kannst jetzt gehen.“ Er machte eine Pause. „Wenn du es möchtest.“ Ich beobachtete ihn von der Seite, als wir weitergingen, und schlang meinen Mantel gegen die Kälte fester um mich. Da wir nicht gerade Händchen hielten, spürte ich die eisige Luft deutlich. „Und die ganze Aufregung verpassen?“

Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Jungen. „Ich weiß, dass du diesen Teil nicht magst.“

„Bishop, dem Tag, an dem ich gern beobachte, wie jemand einen Dolch ins Herz gestoßen bekommt, sehe ich nicht gerade mit Freude entgegen.“

Er schüttelte den Kopf. „Du warst so tapfer bei dieser ganzen Sache.“

Verächtlich schnaubte ich. „Das ist nicht gerade ein Wort, das ich benutzen würde, um mich selbst zu beschreiben.“

Er sah mich an, und mein Herz schien auszusetzen. Offenbar hatte es sich schon davon erholt, gebrochen worden zu sein. Launisches Herz. „Ich wünschte nur, dass ich verstehen könnte, wie du das machst“, sagte er. Er kannte die Wahrheit über diesen … Nexus nicht, wie Natalie es nannte. Da ich im Moment nicht bereit war, diese Information mit ihm zu teilen, musste er wohl weiterraten. Bishop stoppte mich. Der Junge war auch stehen geblieben und hatte sich zu uns umgedreht.

„Verfolgt ihr mich?“, fragte er.

„Wir?“ Ich antwortete als Erste. „Ähm, vielleicht. Hallo! Wie geht’s dir denn so heute Nacht?“

Er schaute mich an, als sei ich verrückt. „Das hier ist ein schlechtes Viertel, ist euch das klar? Gefährlich bei Nacht.“

„Worauf möchtest du hinaus?“

„Was wollt ihr von mir?“

Bishop trat einen Schritt vor. „Wir wissen, dass du den Weg verloren hast, und wir möchten dir helfen.“

Die Augen des Jungen waren nicht so dunkel, wie ich aus der Entfernung vermutet hatte. Sie waren hellbraun mit goldenen Sprenkeln darin. Er wandte sich nun wieder mir zu und zog die Brauen zusammen. „Kenne ich dich?“

„Mich?“ Ich zeigte auf mich selbst. „Ja, du kommst mir bekannt vor.“

Bishop und ich wechselten einen Blick. „Er gehört ganz dir“, sagte ich zu ihm und machte einen Schritt zurück. Daraufhin schenkte er mir sein seltenes, wundervolles Lächeln, das in meinem Herzen wie ein Blitz einschlug.

Bishop drehte sich wieder zu dem Jungen um. „Hast du von Samantha geträumt? Kennst du sie daher?“

„Von ihr geträumt? Genau genommen … Ja, das habe ich. Wie seltsam ist das denn?“

„Gar nicht seltsam. Es war das Zeichen dafür, dass wir kommen würden, um dir zu helfen.“

Der Junge runzelte die Stirn, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von etwas hinter unserem Rücken abgelenkt, und seine Augen weiteten sich vor Angst. „Von so etwas habe ich auch geträumt.“

Ich blickte mich um, und mir stockte der Atem. Ein riesiger Mann lief auf dem Gehweg auf uns zu. Er trug einen dunkelblauen Anzug, der zerknittert und schmutzig war. Ich konnte ihn schon aus zehn Metern Entfernung riechen, wie etwas Verrottetes, das man am Boden des Abfalleimers fand. Sein Gesicht war so bleich, dass es im Dunkeln leuchtete wie der Mond. Und seine Augen – sie waren schwarz und glänzend, ohne Gefühl und Verstand darin. Nur Hunger. Sie sahen genauso aus wie Carlys Augen zuvor, und ich war vor Entsetzen wie gelähmt.

Bishop schob mich beiseite, sowie der Mann auf uns zustürmte, wurde dann aber hart zu Boden geworfen. Ich kreischte, weil ich glaubte, dieses Monster würde Bishop verletzen, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm helfen konnte. Doch der Engel war nicht ohne Grund für diese Mission ausgewählt worden, und ich hatte bisher nur einen Bruchteil seiner kämpferischen Fähigkeiten zu Gesicht bekommen. Heute sollte ich eine weitere Kostprobe erhalten.

Er schlug mit der Faust ins Gesicht des Mannes und benutzte die Hebelwirkung, um ihn auf den Rücken zu schleudern. Der Mann wehrte sich, aber Bishop hatte die Situation absolut unter Kontrolle. „Kannst du mich verstehen?“, fragte Bishop. „Kannst du noch klar genug denken, damit du mir antworten kannst?“ Speichel floss aus dem Mund des Mannes, während er sich weiter mit aller Kraft wehrte, aber es gab kein Anzeichen dafür, dass er die Frage verstanden hatte. „Letzte Chance“, brachte Bishop knurrend hervor und sprang auf, um sich vor mich zu stellen, so als wollte er mich schützen. „Hörst du mich? Oder hat der Hunger deinen Verstand komplett benebelt?“ Der Mann war wieder auf den Beinen und rannte auf Bishop los.

Plötzlich hielt dieser den Dolch in der Hand und stieß ihn in die Brust des Mannes. Ich presste eine Hand auf meinen Mund, um nicht zu schreien. Es war alles so schnell gegangen.

Ein schrilles Kreischen, das nicht menschlich klang, entwich der Kehle des Mannes, während Bishop den Dolch herauszog, und der Angreifer fiel hart auf die Knie. „Samantha, geh zurück!“ Bishop griff nach meinen Mantelkragen und riss mich zur Seite, sodass wir etwa zehn Meter von dem Monster entfernt waren, das uns gerade angegriffen hatte. Der Junge, dem wir gefolgt waren, hechtete auch zu uns herüber, als ein schwarzer Strudel aus dem Nichts auftauchte. Selbst in der Dunkelheit war es pechschwarz, ein düsteres Loch von zwei Metern Durchmesser, das mitten in der Luft hing. Begleitet wurde die Erscheinung von einem lärmenden Geräusch – wie bei einem Tornado –, das es unmöglich machte, klar zu denken.

Es fühlte sich an, als würde alles eingesaugt werden.

Wir drei rutschten auf dem Asphalt in Richtung des Strudels. Ich sah ihn einfach nur mit aufgerissenen Augen an – zu Tode verängstigt. Bishop hielt mich eng umklammert und stemmte sich mit seinen Füßen fest auf den Boden. Ich packte den Arm des Jungen und krallte mich an ihn. Der Mann mit den schwarzen Augen war dem Wirbel am nächsten. Ich spürte, wie sein Blick mich für einen langen, furchtbaren Moment durchbohrte. Schließlich tat er seinen letzten Atemzug und kippte nach hinten um.

In der nächsten Sekunde war es, als würde der Strudel tatsächlich nach ihm greifen und ihn in die Dunkelheit zerren. Gerade noch war der lärmende Wirbel vor uns, und kurz darauf fiel er in sich zusammen und verschwand. Zurück blieb nichts als Stille.

Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren, und ich blieb einige Sekunden auf dem Fleck stehen, ohne mich zu bewegen und ohne zu atmen. Der Junge neben mir starrte schockiert in die Luft, wo gerade eben noch das schwarze Loch gewesen war.

„Was zur Hölle war das?“, brachte er schließlich heraus.

„Das“, sagte Bishop, „war das Schwarz.“