16

 

              Als sie die Kronwasser-Klinik verließ, sprach Gregor Massinger sie an. "Wie geht es ihm?” wollte er wissen.

              "Er ist wieder bei Bewusstsein”, antwortete Waltraude spröde.

              "Er ist mit der Birne ganz schön hart auf den Boden geknallt.”

              Waltraude musterte ihn ernst. "Wieso wartest du hier auf mich?”

              Gregor zuckte grinsend die Achseln. "Ich hatte nichts Besseres zu tun”, erklärte er. "Du siehst aus, als könntest du einen Drink vertragen.”

              "Ich möchte nichts trinken.”

              "Klar möchtest du”, sagte Gregor.

              "Nicht mit dir.”

              Gregor zeigte seine blitzweißen, regelmäßigen Zähne. "Was hast du gegen mich?”

              "Nichts.”

              "Dann kannst du dich doch von mir zu einem Drink einladen lassen”, sagte Gregor. "Ist doch nichts dabei.” Er lächelte. "Du kannst mir von Adalbert erzählen. Ich bin ein guter Zuhörer. Ich will nichts von dir.” Er hob die rechte Hand zum Schwur. "Heiliges Ehrenwort. Nur ein bisschen quatschen. Na komm schon.”

              Sie wusste nicht, warum sie mit ihm ging. Er schien die besondere Gabe zu besitzen, seinen Mitmenschen seinen Willen aufzuzwingen. Waltraude tat etwas, was sie eigentlich nicht wollte. Sie folgte Gregor Massinger zu seinem Wagen, und wenige Minuten später saß sie ihm in einer kleinen Vorstadtkneipe gegenüber und trank Kognak mit ihm. Wohl fühlte sie sich allerdings nicht dabei. Sie musste immerzu an Adalbert denken. Es hätte ihm bestimmt nicht gefallen, wenn er sie hier mit Gregor Massinger gesehen hätte. Es ist nicht richtig, was du tust, sagte sie sich schuldbewusst - und betäubte ihr schlechtes Gewissen mit Alkohol.

              "Sport ist Mord, da sieht man’s wieder”, meinte Gregor grinsend.

              "Man kann auch nachts aus dem Bett fallen und sich den Arm brechen.”

              "Seit wann gehst du mit Adalbert?” fragte Gregor unvermittelt.

              "Seit Silvester.”

              "Oh, eine Winterliebe. Ist noch nicht sehr lange”, meinte Gregor.

              Waltraude schwieg. Was tue ich eigentlich hier? dachte sie nervös. Was geht in meinem blöden Kopf vor? Wieso lasse ich mich von Gregor einladen? Er interessiert mich doch überhaupt nicht. Oder - etwa doch? Sie erschrak. Nein! Adalbert! Ich darf Adalbert das nicht antun! Sie musterte Gregor. Er hatte sehr männliche Züge, mit einem leichten Hauch von Brutalität. War es das, was ihn so anziehend machte? Gregor war mit Sicherheit kein Mann, mit dem eine Frau nur befreundet sein konnte. Wenn man die Unvorsichtigkeit beging, ihm den kleinen Finger zu reichen, griff er garantiert gleich nach der ganzen Hand… Es ist gefährlich, mit ihm hier zu sein! vernahm Waltraude eine warnende Stimme in sich.

              "Erst seit Silvester”, meinte Gregor Massinger nachdenklich. "Und du hast schon mit ihm geschlafen.”

              Ein jäher Ruck ging durch Waltraudes Körper, sie richtete sich steif auf, ihr Blick wurde abweisend und feindselig. "Das ist ja wohl meine Sache!” fauchte sie wütend.

              "Hat die Liebe bei dir wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen?”

              Waltraude presste die Lippen fest zusammen und starrte Gregor aus schmalen Augen zornig an. Ihr Herz klopfte heftig.

              "Liebst du Adalbert Siebenstern?”

              "Ja!” platzte es aggressiv aus ihr heraus. "Ja, ich liebe ihn - wenn du nichts dagegen hast!”

              Gregor lehnte sich zurück und sah sie mit erheblichem Zweifel im Blick an. "Wie kannst du nach knapp drei Wochen schon so sicher sein?”

              "Ich bin sicher.”

              "Klar.” Gregor bleckte die schönen Zähne. "Sonst wärst du mit ihm ja nicht ins Bett gehüpft. Fickt er gut?”

              Eine Zornwelle stieg in Waltraude hoch. "Wenn ich geahnt hätte, welche Art von Unterhaltung du zu führen gedenkst…”

              Gregor breitete selbstbewusst lächelnd die Arme aus. "Ich finde, man kann über alles reden. Die Menschen beschneiden ihre Freiheit an jedem Tag ihres Lebens mit viel zu vielen Tabus. Da spiele ich nicht mit.”

              Eine tiefe Unmutsfalte entstand über Waltraudes Nasenwurzel. "Ich werde jetzt gehen.”

              "Kannst du dir vorstellen, dich auch mal in mich zu verlieben?”

              Sie schüttelte heftig den Kopf. "Nein, absolut nicht.”

              "Ich bin ein sehr guter Liebhaber. Ich habe Erfahrung und eine verdammt flinke Zunge. Ich lecke dir die Möse, dass dir Hören und Sehen vergeht.”

              "Interessiert mich nicht”, sagte Waltraude frostig.

              Gregor schmunzelte amüsiert. "Bist du kein bisschen neugierig?”

              "Du weckst nicht die Spur von Neugier in mir.”

              Er lachte leise. "Das glaube ich dir nicht. Du sagst nicht die Wahrheit. Du hast nicht den Mut, zu deinen Gedanken zu stehen. Ich wette, du fragst dich in diesem Augenblick, wie es wohl mit mir wäre. Ob meine Cunnilingus-Künste tatsächlich so sensationell sind…”

              Sie stand abrupt auf. Ihr Stuhl wäre beinahe umgefallen. "Ich höre mir diesen Schwachsinn nicht länger an.”

              Sein Blick wanderte langsam an ihr auf und ab. Er gehörte zu jenen Männern, die eine Frau mit den Augen ausziehen. Waltraude kam sich plötzlich entsetzlich nackt vor, und sie schämte sich. "Du gefällst mir”, sagte Gregor. "Ich möchte dich haben, Waltraude. Eines Tages werden wir miteinander vögeln.”

              "Niemals.”

              Er hob gleichmütig die Schultern. "Ich habe Zeit. Ich kann warten.”

              Seine Gewissheit machte sie so wütend, dass sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Hastig stürmte sie aus dem Lokal. Draußen liefen ihr heiße Zornestränen über die Wangen. Gregor Massinger war ein unverschämter Kerl. Sie hoffte, ihn nie mehr wiederzusehen.