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Besprechungen, Visite, Konferenzen, Umstrukturierung des OP-Plans, während der Vormittagssprechstunde gleich zwei schwierige Entbindungen… Der Alltag hatte Dr. Hadubrand Emmerson wieder. Das ganze Haus schien plötzlich ohne ihn nicht mehr auszukommen. Er wurde überall gebraucht, und er versuchte allen Kollegen, Pflegern und Schwestern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In solchen Situationen zeigte es sich ganz deutlich: Die Klinik - einst von seinem Schwiegervater Prof. Dr. Eberhard Kronwasser gegründet - zeigte in allen Belangen seine unverwechselbare Handschrift. Er hatte ihr im Laufe der Jahre seinen ganz persönlichen Stempel aufgedrückt und führte sie nach eigenem Gutdünken. Sein Schwiegervater redete ihm in nichts drein. Hadubrand hatte völlig freie Hand. Wie immer er entschied - er hatte das ausschließlich vor sich selbst zu verantworten, und man sagte, Prof. Dr. Eberhard Kronwasser habe seine Klinik zwar sehr gut geleitet, doch Dr. Hadubrand Emmerson mache seine Sache noch besser, umsichtiger und mit mehr Weitblick. Für den Nachmittag war eine Unterleibsoperation an einer siebenundzwanzigjährigen unverheirateten Patientin angesetzt. Dr. Emmerson nahm den Eingriff nicht selbst vor, aber er war dabei. Man entdeckte einen bösartigen Ovarialtumor. Dr. Tina Härtelmann, die Anästhesistin, beobachtete aufmerksam ihre Geräte. Alle Werte waren normal.
"Wir müssen eine Uterusamputation vornehmen”, entschied Dr. Emmerson schweren Herzens.
"Dann wird sie niemals Mutter werden können”, sagte Dr. Härtelmann.
Dr. Emmerson nickte ernst. "Aber sie wird leben. Wenn wir ihr die Totaloperation ersparen, kann es sie das Leben kosten. Es muss sein.”
Der Klinikchef forderte den Chirurgen auf, weiterzumachen - und OP-Schwester Claudette reichte die Instrumente. Sie wusste, dass Dr. Emmerson niemals leichtfertige Entscheidungen traf. Ihr war, wie jedem, der in der Kronwasser-Klinik arbeitete, bekannt, dass Dr. Emmersons Anweisungen stets wohlüberlegt und verantwortungsbewusst waren. Wenn er sagte, dass der Uterus raus musste, dann war das wirklich dringend nötig. Dr. Emmerson hätte niemals einer Frau die Möglichkeit genommen, Kinder zu kriegen, wenn es sich hätte vermeiden lassen… Nach der Operation brachte man die Patientin auf die Intensivstation. Ihr Zustand war zufriedenstellend stabil. Nun musste es die junge Frau nur noch seelisch verkraften, dass sie niemals Mutterfreuden erleben würde. Einer der an der Kronwasser-Klinik beschäftigten Psychiater würde ihr helfen, mit diesem schmerzlichen Problem fertigzuwerden.
"Das arme Ding”, sagte OP-Schwester Claudette, als ein Pfleger die Patientin fortbrachte.
"Das Leben kann manchmal sehr grausam sein”, seufzte Dr. Emmerson. Er verließ mit Schwester Claudette den Operationssaal.
"Sie wird sich nicht mehr als vollwertige Frau fühlen. Kinder zu gebären, ist unsere naturgegebene Bestimmung.”
"Sie wird sich - bestimmt nicht von heute auf morgen, aber in absehbarer Zeit - mit einem Leben ohne Schwangerschaft abfinden”, meinte Dr. Emmerson zuversichtlich. "Es gibt viele Frauen, die freiwillig darauf verzichten, um beruflich Karriere zu machen.”
Schwester Claudette streifte die hellgrüne OP-Kleidung ab. "Es ist ein Unterschied, ob man sich aus freien Stücken für ein kinderloses Leben entscheidet, oder ob man höheren Orts dazu ‘verurteilt’ wird.”
"Wir hatten keine andere Wahl.”
Schwester Claudette schlüpfte aus den OP-Schuhen. "Mein Mann ist seit vielen Jahren tot. Wie schrecklich leer wäre mein Leben, wenn ich keine Tochter hätte.”
"Ich hätte der Patientin diese Totaloperation sehr gerne erspart…”
Schwester Claudette nickte ernst. "Ich weiß, Chef. Ich versetze mich nur in die Lage dieser Frau - und ich fühle mich überhaupt nicht wohl dabei.”