Barry und ich wollten heiraten.« Ann Buffolinos hellbraune Augen füllten sich mit Wasser, und Tränen rollten über ihre rot geschminkten Wangen.

»Ich weiß.« Als Antwort auf die Frage auf Buffies bleichem Gesicht fügte Wetzon hinzu. »Georgie hat es mir erzählt.«

»Ach, Sie kennen Georgie.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

»Nur ganz flüchtig.« Besser als ihr lieb war.

»Wir sind alle zusammen in die Schule gegangen.« Buffie schien die zusammengeknüllten feuchten Kleenextücher zu betrachten, die neben dem nicht angerührten Cappuccino lagen. Eine dicke Träne rollte über ihre Nase und blieb unbeachtet an der Spitze hängen. »Wir waren unzertrennlich. Alle für einen, einer für alle. Wie Die drei Musketiere- wir lieben diese alten Filme.«

»Ohne D’Artagnan?« fragte Wetzon. Buffie würde wahrscheinlich die Anspielung nicht verstehen.

Doch Buffie überraschte sie. »Barry war D’Artagnan.« Sie wischte mit dem Handrücken die Träne von der Nase. »Er sieht so gut aus. Ich meine, sah, oder? Ich kann nicht glauben, daß er tot ist.« Sie preßte die Hände aufs Gesicht und rieb die verquollenen Augen. Sie sah wie ein gekränktes Kind aus.

Wetzon tätschelte mitfühlend ihre Schulter und bemerkte zugleich, wie groß Buffies Hände für so eine zierliche Person waren. An den Fingern steckten keine Ringe; der glänzende rosa Lack auf den langen ovalen Fingernägeln war rissig. »Es tut mir so leid. Haben Sie Familie? Sie sollten jetzt wirklich nicht allein sein.«

Buffie schluckte und rülpste leise. Sie leckte den Cappuccinoschaum von den Lippen. »Ich habe meine Arbeit«, sagte sie. Ihre baumelnden Ohrringe schaukelten hin und her, wenn sie den Kopf bewegte. »Das ist gut. Und die Jungs sind so nett zu mir gewesen — besonders Georgie.«

»Was arbeiten Sie denn?« Etwas Warmes, Lebendiges berührte Wetzons Bein. Erschrocken schaute sie nach unten und sah eine große orange gestreifte Katze, die laut schnurrte und sich an ihr rieb. Wetzon nieste. Sie war allergisch gegen Katzen. »Was für ein schönes Tier«, sagte Buffie und hob die Katze hoch, um sie zu streicheln. »Ich unterrichte Aerobics bei Body Beauty in der 79. Street.« Sie schwieg, den Blick erwartungsvoll auf Wetzon.

»Warum wollten Sie mich sprechen?« Wetzon hätte Barry nie mit Ann Buffolino in Verbindung gebracht — in tausend Jahren nicht. Das Mädchen war merkwürdig, verrückt, aber vielleicht kam das daher, daß sie immer noch unter dem Schock stand. Sie fragte sich, ob Barry sie wirklich geheiratet hätte. Die orange Katze rekelte sich genüßlich auf Buffies schwarzem Kasack und hinterließ eine Spur aus kurzem orangefarbigen Haar, rollte sich dann zufrieden auf dem mageren Schoß zusammen und schlief ein.

Buffie, die Hände brav über dem orangefarbigen Kissen, das die Katze war, gefaltet, bekam klare Augen. »Barry sagte, er würde für mich sorgen, falls ihm etwas zustieße. Er sagte, er hätte seine Lebensgeschichte aufgeschrieben, und ich sollte diese Frau — Mildred Gleason — anrufen, und sie würde mir das Versicherungsgeld auszahlen.«

Wetzon schloß die Augen. Sie konnte nicht glauben, daß dies wirklich passierte. Buffie hatte soeben, vielleicht unabsichtlich, vielleicht bewußt, einen völlig neuen Aspekt des Mordes an Barry verraten. »Haben Sie nicht mit der Polizei gesprochen?«

Buffie sah Wetzon an, als hätte diese den Verstand verloren. »Ja, gestern, aber ich sage denen doch nichts davon.«

»Warum nicht? Es könnte dazu beitragen, Barrys Mörder zu finden.«

»Dann hätte ich überhaupt nichts«, sagte das Mädchen wehleidig. »Und er wollte, daß ich es bekomme. Ich habe Barry geliebt, aber ich kann ihn nicht wieder lebendig machen. Georgie hat mir gesagt, daß Sie wissen, wo er es versteckt hat, weil Sie die letzte Person sind, mit der er gesprochen hat.«

»Ich habe Georgie gesagt, daß Barry mir überhaupt nichts erzählt hat. Ich wußte nicht einmal von Ihrer Existenz, bevor Georgie Sie erwähnte. Sie müssen der Polizei sagen, was Sie wissen.« In Wetzon keimte der Verdacht, Georgie habe sie aufgehetzt.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Ohne Vorwarnung schlug Buffie die Hände vors Gesicht und fing wieder an zu weinen. Die Katze wachte auf und sprang mit zuckendem Schwanz von ihrem Schoß.

Die Schatten auf den Sandsteinhäusern um sie herum waren länger geworden. Die Luft wurde allmählich kühl.

»Buffie, weinen Sie doch nicht.« Wetzon warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor vier. »Erzählen Sie mir, was Barry von dieser Lebensgeschichte gesagt hat. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, sie zu finden.«

Buffie trocknete sich die Augen mit den restlichen Kleenex-tüchern. Sie nahm nicht das Päckchen, das Wetzon ihr angebo-ten hatte. Sie schniefte und hustete. »Es war, nachdem sein Chef angefangen hatte, ihn zu schikanieren.«

»Jake Donahue?«

»Ja, der. Jake sagte zu ihm, >Ich habe schon manchem eine Kugel in den Kopf gejagt.< Einmal holte er sogar eine Pistole aus seinem Schreibtisch und zielte auf Barry. Barry drehte fast durch.«

»Wie kam Jake dazu, so etwas zu Barry zu sagen?« Kein Wunder, daß Barry eine Pistole in seinem Diplomatenkoffer hatte.

»Ich weiß nicht, aber Barry meinte, es würde Jake leid tun, wenn er und Mildred Gleason mit ihm fertig wären.«

»Was erzählte er noch von Mildred Gleason? Von Georgie weiß ich, daß Barry mit ihr Geschäfte machte.« Allmählich ging ihr ein Licht auf. Mildred Gleason würde sich hinter Georgie und Buffie und jedem anderen, der entschlossen war, Barrys letzte Worte an Wetzon herauszubekommen, anstellen müssen.

»Vermutlich.« Buffie senkte den Kopf und begann, an dem rissigen Nagellack herumzuzupfen. »Er redete nicht viel vom Geschäft, wenn er zu mir kam.«

»Sie haben nicht zusammen gewohnt?«

»Nur ab und zu.« Tränen traten in die verquollenen Augen.

»Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte und warum er nicht gesagt hat, wo es ist.«

»Es muß in Ihrer Wohnung sein — oder in seiner.«

»Es ist nicht in seiner.« Sie sagte es sehr bestimmt.

»Woher wissen Sie das?« Was tust du da? dachte sie. Du fragst sie aus wie ein Polizist. Andererseits hatte sie bemerkt, daß ihr neuerdings Leute Dinge erzählten, die sie der Polizei nicht verraten würden. Vielleicht konnte sie alle Auskünfte zusammentragen und Silvestri helfen...

»Weil Georgie und ich unten waren und nachgesehen haben.«

»Es tut mir wirklich leid, Buffie, aber ich weiß nichts, was weiterhelfen könnte.« Wetzon sah sich nach dem Kellner um. »Vielleicht hat Barry es sich anders überlegt und nichts geschrieben.« Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, daß Barry sich hinsetzte und seine Autobiographie schrieb. »Oder vielleicht hat er es bei einem andern gelassen.«

Buffie wurde aufgeregt. »Nein! Nein! Er hätte es ihr niemals gegeben. Das konnte er nicht. Es gehörte mir, meine Versicherung. Er hat es versprochen!«

»Ihr? Ich verstehe nicht.« Wußte Buffie über die andere Frau Bescheid, die von Donahue, von der Georgie erzählt hatte, daß sie mit Barry ging?

»Ich habe ihn mit ihr gesehen.«

»Wer ist sie?«

»Woher soll ich das wissen?« Buffie schien es zu ärgern, daß sie unterbrochen worden war.

»Tut mir leid«, sagte Wetzon zum x-tenmal, weil ihr nichts Besseres einfiel. »Wann war das?«

»Im letzten Herbst, Oktober, um Hallowe’en, weil ich mich an die Laternen erinnere...« Buffie tupfte ihre Augen ab. »Er wartete immer in meiner Wohnung... Mein letzter Kurs war erst um neun Uhr zu Ende. Er war ständig am Telefon — Sie kennen Barry-, aber dieses eine Mal drehte er mir den Rücken zu, als ich hereinkam. Er verhielt sich irgendwie komisch.« Ihre Unterlippe kräuselte sich nörgelig.

»Was meinen Sie mit komisch?«

»Na ja, irgendwie heimlichtuerisch, als ob er was zu verbergen hätte.«

Der Kellner kam auf sie zu. Er bewegte sich wie ein Tänzer, was er vermutlich auch war. »Haben Sie noch einen Wunsch?« fragte er. Er hatte einen angenehme Stimme. Wetzon schüttelte den Kopf.

»Jedenfalls«, fuhr Buffie wie aufgezogen fort, »fragte ich ihn, ob etwas im Gange sei, worüber ich nicht Bescheid wissen sollte.« In ihre geschwollenen braunen Augen kam ein schwacher Funke von Zorn. Ihre großen Hände auf dem Tisch ballten sich zur Faust und öffneten sich. »Und er sagte, es habe nichts mit mir zu tun, es ginge um ein spezielles Geschäft, und es sei geheim, es sei die Sache, auf die er sein Leben lang gewartet habe. Er würde mir alles erzählen, wenn es vorbei wäre.«

»Ich verstehe immer noch nicht, woher Sie wußten, daß da eine andere war.« Verdammt. Sie geriet immer tiefer hinein, fühlte sich in den Strudel hineingezogen, der zu Barrys Tod geführt hatte.

»Weil er am nächsten Morgen ganz früh aufstand und mir sagte, er müsse vor der Arbeit jemand treffen.« Das kleine Gesicht wurde hart. »Also folgte ich ihm.« Sie grinste, gar nicht mehr das hilflose Kind, beinahe listig.

»Sie wissen also, wie die Frau aussah?«

»Nicht genau. Er verließ die Wohnung ganz früh, so um acht. Ich wartete ein paar Minuten, dann ging ich ihm nach. Es war kalt, kälter, als ich dachte, und ich hatte nur einen Pullover über meinem Gymnastikanzug, aber ich mußte es wissen. Er ging schnell die Central Park West runter und bog dann bei der 72. Street in den Park ein. Es waren noch andere da, deshalb tat ich so, als wäre ich eine Joggerin und blieb ihm aus den Augen.« Sie lachte, ganz in ihre aufregende Geschichte vertieft. Ihr Gesicht bekam wieder Farbe. »Er fror auch. Ich merkte es daran, daß er ständig die Hände zusammenschlug.«

Auf der anderen Straßenseite ging der Alarm in einem weißen Porsche los. Zwei Teenager, die sich an das Auto gelehnt hatten, ließen ihre Bierdosen fallen und setzten sich auf Spanisch fluchend in Bewegung. Ein hagerer Schwarzer kam aus dem nächstgelegenen Sandsteinhaus und ging einmal um das Auto herum, tätschelte liebevoll die Motorhaube, schaltete dann den Alarm ab und ging wieder nach drinnen.

Buffie beugte sich vor, lehnte sich zurück, zupfte an ihrem Kasack und schlug ein Bein über. »Als er zur Tavern on the Green kam, bog er zur Stadtmitte ab, ich weiß nicht, ob ich überhaupt schon mal in dem Teil des Parks gewesen bin. Wir gingen den steilen Hügel runter, und er blieb stehen, um diese Statue, wissen Sie, die von dem Hund zu betrachten. Mir schwante schon etwas Komisches, dann fiel mir ein, daß dort der Zoo ist. Er ging hinein, aber ich konnte ihm nicht nach — es war zu ungeschützt. Der einzige Mensch dort war eine dicke alte Frau mit einem Einkaufswagen aus dem Supermarkt, der mit Bündeln und Tüten vollgepackt war. Sie roch schlimmer als die Tiere.« Buffie krauste die Nase. »Ich versteckte mich praktisch hinter ihr. Barry sah ständig auf die Uhr und ging auf und ab, wie um sich warmzuhalten. Einmal dachte ich, ich hätte ihn verloren, aber dann entdeckte ich ihn mit einem Kaffeebecher.« Sie rutschte nervös auf dem Stuhl. »Er sah sie nicht kommen, aber ich...«

»Woher wußten Sie...«

Der Kellner brachte die Rechnung, und Wetzon legte fünf Dollar auf den Tisch und stellte ihre Tasse darauf. Die Schatten des späten Nachmittags waren grotesk lang geworden. Wetzon fröstelte.

»Ich weiß nicht... vielleicht weil sie nicht dorthin paßte. Sie gingen ein Stück nebeneinander. Zuerst dachte ich, sie würden streiten. Dann legte er einen Arm um sie, und sie gingen in eines der Tierhäuser. Es war niemand sonst da, und ich dachte, sie würden es gleich dort treiben. Ich versteckte mich nahe beim Eingang — und ich sah, daß sie ganz eng beieinanderstanden und redeten, aber ich konnte nichts hören, nur das Kreischen der Affen. Und die ganze Zeit hielt er ihre Hand.« Wieder, ganz und gar nicht hilflos, funkelte Buffie Wetzon an. »Ich hätte ihn umbringen können.«

Wetzon zuckte zusammen. Trotz allem war sie von dem Geständnis und der plötzlichen Veränderung in Buffies Persönlichkeit schockiert.

»Aber ich habe es nicht getan — ich hätte es nicht gekonnt«, sagte Buffie hastig.

»Nein, bestimmt nicht.« Aber Wetzon fragte sich unwillkürlich, wie aufgebracht Buffie tatsächlich gewesen war. Sie griff nach ihrer Aktentasche. Sie wollte weglaufen, nach Hause kommen, sich verstecken. »Ich bin verabredet«, murmelte sie.

Buffie starrte auf ihre Hände und rieb die vorstehenden Knöchel ihrer Daumen. »Barry sagte immer, er könne Ihnen vertrauen. Er muß Ihnen gesagt haben, was er mit seinen Sachen gemacht hat.«

Wetzon seufzte. Warum hackte jeder auf ihr herum? «Aber er hat nichts gesagt. Wenn es nicht in seiner Wohnung und nicht in seinem Spind ist, wie Georgie behauptet, wo könnte es sonst sein?«

Buffie stand auf. »Bitte Wetzon, es dauert nicht lang — ich wohne hier in der Nähe — könnten Sie nicht mitkommen und mir noch einmal suchen helfen? Barry hat immer gesagt, daß Sie so klug sind. Vielleicht sehen Sie etwas, was wir übersehen haben.«

Warum fiel es ihr immer so furchtbar schwer, nein zu sagen? grübelte Wetzon, als sie mit Buffie die Columbus zur 74. Street hochging. Hätte sie zu Barry von vornherein nein gesagt, wäre sie nie in diesen ganzen Schlamassel hineingezogen worden. Aber wie Carlos sagte, gehörte nein nicht zu ihrem Wortschatz.

»Buffie, woher wissen Sie, daß Barry sich immer noch mit dieser Frau traf? Das war vor mindestens sechs Monaten. Vielleicht war es nur ein...«

»Weil er letzte Woche noch mit ihr telefoniert und sich verabredet hat, deshalb«, erwiderte Buffie streitlustig.

»Wie sah sie aus? Konnten Sie sie von Ihrem Platz aus sehen?«

Buffie spielte mit dem Riemen ihrer rosa Umhängetasche und schwang sie im Gehen hin und her. »Ich konnte sehen, daß sie groß war, fast so groß wie Barry. Und sie trug so einen langen schwarzen Ledertrenchcoat. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil sie eine große dunkle Brille trug und ein Kopftuch, das unter dem Kinn gebunden war.«