Es geht mir wirklich gut, ganz bestimmt«, sagte Wetzon nachdrücklich. »Hör bitte auf, soviel Wirbel um mich zu machen.« Sie standen auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus. Larry, der Portier, lehnte ohne Jacke an der Hauswand, rauchte, redete mit einem aus dem Viertel und achtete nicht auf sie. »Es war nur, daß ich noch einmal darüber reden mußte, wie ich Barry fand, das war schuld daran.«
»Du hast ausgesehen, als würdest du gleich umkippen«, sagte Smith. »Du hast ihm doch nicht von dem anderen Schlüssel erzählt?«
»Natürlich nicht. Das würde ich doch nicht tun, ohne es dir als erstes zu sagen.«
Ein neuer Hondaroller fuhr in ihrer Nähe an den Straßenrand, und ein Mann mit großem grauem Sturzhelm und Motorradbrille, der einen weißen Kittel und eine etwas verrutschte Krawatte trug, stieg ab und sah neugierig zu Smith und Wetzon hin.
Er setzte den Sturzhelm ab, unter dem krauses graues Haar zum Vorschein kam, und ging, indem er die Schutzbrille abnahm, über den Bürgersteig, um mit Larry zu reden. Gelangweilt zeigte Larry vage auf Smith und Wetzon und vertiefte sich wieder in sein Gespräch.
Der Mann im weißen Kittel machte kehrt und kam auf sie zu. »Miss Wetzon?« fragte er, indem er von einer zur andern blickte.
»Ich bin Leslie Wetzon«, sagte Wetzon, indem sie Smith’ Ellbogen auswich. »Sie suchen mich?«
»Ja, ich bin Dr. Pulasky, Rick Pulasky vom York Hospital.« Er lächelte sie an. Er hatte ein nettes Lächeln und warme dunkelbraune Augen. Sein Haar war zerzaust. Zu alt für einen Assistenzarzt. »Ich bin für die Überwachung der ambulanten Patienten der Unfallabteilung am York zuständig.«
»Oh, das ist nett«, sagte Wetzon beeindruckt. »Ich wußte nicht, daß Krankenhäuser solche Leistungen anbieten.«
Er strahlte sie an. »Es ist ein Versuchsprogramm, und wir sind die einzigen in der Stadt, die es jetzt schon durchführen. Ich bin hier, um zu kontrollieren, wie es Ihnen geht.«
»Es geht mir prima«, sagte sie leichthin. »Keine Probleme.« Lügnerin, dachte sie. »Wie Sie sehen.« Sie breitete die Arme aus und unterdrückte einen Schmerzenslaut.
»Dr. Pulasky«, sagte Smith in ihrer samtweichen Stimme, indem sie das »Doktor« betonte. Sie lächelte verführerisch und reichte ihm die Hand.
Wetzon fragte sich, ob Smith sich etwa auch zu Pulasky hingezogen fühlte. Oder war es ihr einfach zur zweiten Natur geworden, das bei allen Männern zu machen? Eigenartig, daß ihr das früher nie an Smith aufgefallen war, aber schließlich hatten sie, außerhalb ihrer geschäftlichen Partnerschaft, nie viel Umgang miteinander gehabt. Oder vielleicht war sie auch so müde, daß sie sich über alles ärgerte. Sie fühlte sich langsam wie eine Beobachterin ihres eigenen Lebens.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Das ist Xenia Smith.«
Pulasky nahm kurz Smith’ Hand, dann ließ er sie fallen. «Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er gleichgültig, den Blick auf Wetzon. »Sie sehen wacklig aus. Sie hätten die Nacht im Krankenhaus verbringen sollen... Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen. Sie können sich nicht einfach wieder in den Trubel stürzen, als ob nichts passiert wäre.« Er war sehr eindringlich und attraktiv. Seine Augen waren Zigeuneraugen, so dunkel, und er war schlank, wie Wetzon die Männer mochte.
»Na, da haben Sie recht, sie gehört unbedingt ins Bett«, sagte Smith, »aber sie kann so dickköpfig sein.« Sie lächelte ihr kleines Gaunerlächeln.
»Ich bin jetzt wirklich sehr müde«, sagte Wetzon gereizt. Sie wandte sich ab, verärgert, weil Smith über sie redete, als wäre sie nicht da.
»Danke, Doktor, aber wir brauchen Ihre Dienste nicht«, fertigte Smith ihn kühl ab. »Alles, was Miss Wetzon jetzt braucht, ist etwas Ruhe.«
Wetzon spürte, wie ihr der Zorn wie ein kleiner heißer Kloß in der Kehle hochstieg. Sie hatte Smith’ Einmischung in ihr Leben restlos satt, hatte Smith’ ständige Versuche satt, sie zu manipulieren. Mit einem koketten Lächeln wandte sich Wetzon an Dr. Pulasky und fragte: »Und was für eine Behandlung würden Sie vorzuschlagen geruhen, Dr. Kildare?«
»Vielleicht sollte ich morgen noch mal bei Ihnen reinschauen«, machte er das Spiel mit. »Streng dienstlich selbstverständlich.«
»Selbstverständlich.« Wetzon kniff die Augen zusammen.
»Seien Sie nicht so streng.« Er grinste. »Geben Sie einem armen Kerl eine Chance.«
»Na gut, rufen Sie mich an.«
»Nein, wie wäre es morgen? Und wie wäre es, wenn ich das Abendessen mitbringe? Ich bin ab halb neun dienstfrei.«
»Ich unterbreche nicht gern...« sagte Smith hochnäsig.
»Also, was meinen Sie?« sagte Pulasky, ohne Smith zu beachten. Er bekam Fältchen um die Augen, wenn er lächelte.
»Abgemacht«, sagte Wetzon. »Zwölf B.«
»Ich hoffe, Sie mögen Rippchen«, sagte er, indem er die Honda startete. »Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Miss...« Er hatte Smith’ Namen vergessen, dachte Wetzon triumphierend. Er hatte tatsächlich ihren Namen vergessen.
»Ja, mag ich«, rief sie ihm nach.
Smith war verärgert. »Er gefällt mir nicht.«
»Warum? Ich finde ihn nett.« Sie waren im Aufzug, und jemand war nebenan gewesen und hatte das Schwimmbad des Fitneßcenters benutzt, denn auf dem Boden des Aufzugs war eine kleine Blutlache. Blut? Wo hatte sie ihren Kopf? Eine kleine Wasserlache. Es war die Frau von 9A. Sie ging ständig schwimmen.
»Er ist nicht vertrauenswürdig«, sagte Smith. »Du verstehst die Körpersprache nicht, aber ich verstehe sie. Er sieht dir nicht in die Augen. Und er hat sehr eigenartige Augen.«
»Wen interessiert schon Körpersprache«, sagte Wetzon heiter. »Hauptsache, ein schöner Körper.« Smith konnte ihn wahrscheinlich nicht leiden, weil er nicht auf sie hereingefallen war.
Wetzon schloß ihre Tür auf und sah den Schatten eines Mannes im Sonnenlicht, das durch ihre Wohnzimmerfenster strömte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Halse. Sie umklammerte Smith’ Arm und wich zurück.
»Keine Angst, Schatz, ich bin’s bloß«, sagte der Schatten und ging auf sie zu.
»Mensch, Carlos, hast du mich erschreckt.« Sie trat zur Seite und ließ Smith vorbei, während sie den Schlüssel abzog.
»Ah, hallo, Carlos«, rief Smith mit falscher Begeisterung.
»Hallo.« Carlos war höflich. Mühsam.
Die Härchen in Wetzons Nacken kribbelten warnend. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn beide gegangen wären und sie allein gelassen hätten.
»Du bist spät dran, Carlos«, sagte sie, indem sie ihre Tasche im Flur fallen ließ und aus den Schuhen trat. Sie schüttelte ihre Jacke ab und ließ sie auf dem Boden liegen.
»Ich habe mir Sorgen wegen dir gemacht.« Er war sehr ernst, ganz und gar nicht ihr gewohnter Carlos und nicht wie am Morgen, als er so neugierig und vorwitzig gewesen war.
»Hat jemand was dagegen, wenn ich umkippe?« Sie ließ sich aufs Sofa sinken und zog die Füße hoch. Jeder Knochen ihres Körpers fühlte sich hundert Jahre alt.
Smith setzte sich auf einen der weichen Klubsessel und strahlte Carlos an. »Ich hätte gern was Kaltes zu trinken«, sagte sie.
»Ich kann nicht aufstehen, Smith, bediene dich doch bitte selbst«, sagte Wetzon.
»Bestimmt bringt Carlos uns was, sind Sie so lieb?« meinte Smith herablassend »Ich hätte gern eine Cola light mit viel Eis.«
Carlos sah sie kalt an. »Ihre Hände sind in letzter Zeit in so vieler Leute Taschen gewesen, sie müssen müde sein.« Er wandte sich an Wetzon. »Was möchtest du, Schatz?«
»Das gleiche bitte, Carlos.«
Als er die Colas holen ging, tadelte Wetzon: »Smith, bitte. «
»Er ist so ekelhaft und degeneriert. Du weißt nie, wer zu dir paßt. Deine Menschenkenntnis ist unmöglich.«
Wetzon schloß die Augen. Laß mich ausspannen, dachte sie.
Carlos kam mit einem alten Cola-Tablett und drei Gläsern Cola auf Eis zurück. Und mit einem gefährlichen Blick in den Augen.
»Hör zu, Les«, sagte er, »ich habe auf dich gewartet, weil gerade, als ich weggehen wollte... ich stand genaugenommen schon im Flur... also es hat sich jemand an deiner Tür zu schaffen gemacht.«
»Was?« Sie setzte sich auf.
»Wirklich?« Smith schien zu zweifeln.
»Ich weiß, daß jemand versucht hat einzubrechen«, sagte er ungeduldig. »Ich begann hier drinnen zu klappern und zu trampeln, und er muß mich gehört haben und weggegangen sein.«
»Wie konnte er am Pförtner vorbei?« fragte Smith.
»Larry ist nicht immer hundertprozentig bei der Sache, Smith«, erklärte Wetzon.
»Warum haben Sie nicht nachgesehen?« herrschte Smith ihn an.
»Sind Sie verrückt?« sagte er. »Vielleicht hatte er eine Waffe dabei... Er hätte mich durch die Tür erschießen können.«
Wetzon hatte plötzlich einen kalten Klumpen im Magen. Sie fröstelte, während sie Carlos anstarrte und zu begreifen versuchte, was er sagte.
»Na«, bemerkte Smith, »ein richtiger Mann hätte nachgesehen, wer es war.«
»Smith...« warnte Wetzon. »Carlos...«
»Hören Sie, Sie alte Schlange«, sagte Carlos liebenswürdig, indem er sich dicht über Smith beugte, Auge in Auge, »versuchen Sie nicht, mir Vorschriften zu machen. Es funktioniert nicht, und es macht mich...«
»Carlos! Xenia, um Gottes willen!« rief Wetzon.
»Jetzt reicht’s.« Smith stand auf. »Ich habe es nicht nötig, hier zu sitzen und mich von einer dreckigen Schwuchtel beleidigen zu lassen.«
Der Summer ertönte.
»Ich gehe hin«, sagte Carlos. »Vielleicht hat sie sich hinausgeschlichen, bis ich zurück bin.«
Smith war in Rage. »Eben ist Schluß, Wetzon. Ich habe nichts mehr zu sagen. Du sitzt da und läßt mich von dieser Kreatur beleidigen, die du als Freund bezeichnest...«
»Ihr Kavalier wartet in der Halle«, rief Carlos boshaft aus dem Flur. »Und vergessen Sie Ihren Besenstiel nicht.«
Smith stampfte aus der Wohnung, ohne sich umzudrehen, ohne ein Wort zu sagen. Die Tür schlug hinter ihr zu.
»Ach du Scheiße!« rief Wetzon und vergrub den Kopf in den Sofakissen.
»Oh, Mann, Kleines, es tut mir leid«, sagte Carlos, der sich neben sie gesetzt hatte und sie umarmte. »Aber mit der Frau stimmt etwas nicht. Siehst du das denn nicht? Sie ist keine Freundin, wenn sie versucht, dich von deinen Freunden zu trennen. Und immer duckt sie dich. Sie hat sich nicht einmal darüber aufgeregt, daß jemand hier einbrechen wollte.«
»Bitte, Carlos, nicht jetzt. Ich habe Angst.«
»Na, na, keine Sorge. Ich bin ja hier. Carlos paßt schon auf, daß dir nichts passiert. Mit wem könnte ich sonst tratschen?« Er küßte sie oben auf den Kopf. »Deshalb habe ich gewartet. Ich schlafe heute nacht auf dem Sofa, und morgen besorge ich dir einen Kettenriegel.«
»Danke, mein Freund«, sagte sie.
»Ich wünschte mir wirklich, daß du aus diesem schmutzigen Geschäft aussteigst«, sagte er, »und wieder zu uns zurückkommst, wo du hingehörst. Du bist zu gut für diese Leute. Sie sind alle wie die Haie, und irgendwann fressen sie dich lebendigen Leibes auf.«