Das Taxi setzte sie vor einem flachen modernen Gebäude ab, einem Bau aus hellgelben Backsteinen und sehr viel Glas.

»Das kann es nicht sein«, sagte Wetzon. Sie hatte die Polizeistation aus Hill Street Blues erwartet, eine alte, schlachtgeprüfte graue Festung, arg mitgenommen, hohe Steintreppe, NYPD in Stein geschnitten über massiven Türen. Was für eine Enttäuschung. Jener Stil hätte viel besser zu einem Polizeirevier gepaßt.

»Es sieht wie Marks erste Schule in Virginia aus«, meinte Smith. »Verdirbt den ganzen Zauber.«

Als sie die Tür öffneten, sah es auch innen wie in einer Schule aus. Steinböden, gekachelte Wände, Neonlampen, ein Münztelefon rechts in einem Wald von Pflanzen.

Unbedingt enttäuschend. Schwer vorstellbar, daß in dieser Atmosphäre echte Verbrechen aufgeklärt wurden.

Es war laut, ziemlich laut sogar, aber es war eher wie der Lärm aus einem Männerumkleideraum. Tatsächlich, dachte Wetzon, wirkte und roch das Ganze wie eine Turnhalle. Es gab einen mitgenommenen alten Metalltisch in Amtsgrau an der Tür, aber niemand saß daran, und uniformierte Polizisten kamen und gingen, streiften Smith und Wetzon beinahe, ohne sie im geringsten zu beachten.

Sie gingen ein paar Schritte geradeaus, bis sie zu einem großen Durchgang links kamen und durch ihn einen saalartigen Raum betraten, der nun wirklich wie eine Turnhalle aussah. Links von ihnen lief durch die ganze Länge des Raums ein niedriges Gitter, hinter dem sich Schreibtische, Computer, ein Schaltbrett und Männer befanden, manche in Uniform, andere nicht. Alles war im gleichen häßlichen Grün gestrichen.

»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte ein Uniformierter. Er hatte aufgehört zu tippen.

»Ja«, begann Wetzon,

»Wir möchten zu Detective Silvestri«, unterbrach sie Smith, die wieder ihr besonderes Lächeln lächelte.

»Bitte sehr«, sagte der Uniformierte. Er war ein sympathischer junger Mann mit buschigem Schnauzbart und Haaren, die im Nacken bis auf seinen Hemdkragen fielen. Auf seinem Namensschild stand Gallo. »Warten Sie einen Moment, ich sage ihm...« Er zögerte.

»Smith and Wetzon«, sagte Smith gedehnt, der Wirkung wegen.

Der nette junge Mann lächelte höflich, nicht sicher, ob man sich über ihn lustig machte. Er nahm das Telefon ab, hielt den Hörer mit der Schulter, während er wieder anfing zu tippen, und sagte: »Sag Silvestri, daß zwei Damen für ihn hier sind.«

»Er erwartet mich«, sagte Wetzon, »um vier.«

»Sie sind etwas zu früh. Er ist in einer Konferenz. Nehmen Sie so lange Platz.« Er deutete auf die lange Reihe von Stühlen aus Metall und Plastik, ebenfalls grün, die an der Wand gegenüber standen. Sie waren frei bis auf einen mitten in der Reihe, auf dem verloren eine ältere Frau saß, die anscheinend mit jemandem, der nicht da war, in einem mit starkem deutschem Akzent gefärbten Englisch ein Gespräch führte. Sie hatte eine große Einkaufstasche vor den Füßen stehen, in der sie unentwegt kramte.

»Reizend«, sagte Smith. »Wir setzen uns nicht. Wir können uns ein wenig umsehen.«

»Mir tut alles viel zu weh, als daß ich mir eine Gelegenheit zum Sitzen entgehen ließe.« Wetzon ging auf dem kürzesten Weg auf einen der Plastikstühle zu. Sie holte einen Spiegel aus der Handtasche und betrachtete sich. Gräßlich. Dunkle Ringe unter den Augen, schwere Lider, die offene, grindige Wunde auf der Stirn. Sie steckte den Spiegel weg, lehnte sich zurück und schloß die Augen.

Unruhig schlug sie sie wieder auf, gerade rechtzeitig, um Smith in der Richtung, aus der sie gekommen waren, verschwinden zu sehen. Polizisten in Uniform kamen und gingen, legten Papiere ab, nahmen Funksprüche auf. Ständig in Bewegung, ohne daß es nach Eile aussah. Sie zählte drei Polizistin-nen.

Smith kam zurück und setzte sich neben Wetzon. »Du siehst verheerend aus. Wenn das hier vorbei ist, gehst du nach Hause ins Bett...«

»Och, Ma, muß ich wirklich?« sagte Wetzon mit einem schwachen Grinsen. Sie bemerkte, daß Smith sich gekämmt und Lippenstift aufgetragen hatte. Sie sah in dem schwarzen Kostüm und der weinroten Seidenbluse sehr attraktiv aus. Auf jeder Wange hatte sie einen lebhaften Farbfleck. Offenbar hatte sie auf ihrem Rundgang eine Toilette gefunden.

»Bitte, die Damen, Sie können die Treppe rechts oder den Aufzug draußen in der Halle nehmen.«

Wetzon wandte sich nach rechts, als sie den großen Raum verließen.

»Wohin gehst du, Wetzon«, fragte Smith. »Du bist so müde, daß du kaum stehen kannst, aber du willst die Treppe nehmen?«

»Fahre nie, wenn du laufen kannst«, erwiderte Wetzon. »Es ist gut für die Waden.«

»Danke, ich nehme den Aufzug.«

Weiterer Raum mit weiteren grünen Schreibtischen und läutenden Telefonen. Die Schreibtische waren mit Papieren überhäuft. Männer in Straßenkleidung lungerten herum, standen, saßen, redeten miteinander oder an den Telefonen. Das hektische Geklapper der Schreibmaschinen trat an die Stelle der Fernschreiber, aber sonst schien Wetzon das Terrain vertraut.

»Sieht aus wie in einem Maklerbüro«, flüsterte sie Smith zu, als diese aus dem Aufzug trat und sich zu Wetzon gesellte. »So gesehen fast wie bei Jake Donahue.«

Smith sah wirklich strahlend aus. War es Silvestri, die Umgebung oder einfach die Aufregung? Je mehr Smith glühte, desto grauer fühlte sich Wetzon.

Silvestri kam aus einem Büro am Ende des Raums und winkte sie zu sich. Er trug denselben zerknitterten braunen Anzug, und er sah nicht danach aus, als hätte er eine Verabredung zum Essen an diesem Abend.

»Miss Wetzon«, sagte er förmlich, als er ihr die Hand gab. »Wie geht es Ihnen heute?«

»Alles, was ich brauche, ist eine ganze Nacht Schlaf«, antwortete sie. »Was macht Ihr Arm?«

»Alles, was ich überhaupt je brauche, ist eine ganze Nacht Schlaf«, sagte Silvestri, aber er sah Smith an.

»Es ist ein wenig voll hier«, bemerkte Smith mit einem Blick über Silvestris Schulter. Zwei Schreibtische und mehrere abgenutzte Metallstühle waren in ein winziges Zimmer gezwängt. Ein Schreibtisch war besetzt. Wetzon erkannte Metzger vom letzten Abend im Four Seasons. Seine Tränensäcke sahen bei Tageslicht noch schlimmer aus. Metzger war am Telefon und machte Notizen in einem Notizbuch mit Eselsohren. »Ich warte lieber unten oder hier draußen«, sagte Smith, indem sie auf den »Börsensaal« deutete.

»Meinen Sie?« Silvestri schien etwas enttäuscht. »Wir können noch einen Stuhl holen.«

»Nein, nicht nötig. Ich möchte sowieso im Büro anrufen.«

»Sie können einen von den Schreibtischen hier draußen benutzen.«

»Ich gehe runter zum Münztelefon«, sagte Smith fröhlich. »Zerbrecht ihr beide euch nicht meinetwegen den Kopf.«

Wetzon schaute Smith argwöhnisch an. Smith führte etwas im Schilde. Wenn sie am unschuldigsten aussah und klang, hatte sie etwas höchst Unheilvolles im Sinn.

»Hier, Miss Wetzon, setzen Sie sich. Ich hole einen Stenografen.« Silvestri ging in den Hauptraum und sprach mit einem ordentlich gekleideten Mann in einer buntkarierten Sportjacke und grauen Hose. Der Mann nahm einen Metallkasten und kam hinter Silvestri ins Büro. Er legte sein Arbeitsgerät bereit und wartete. Silvestri rutschte auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und gab Metzger ein Zeichen, der darauf sein Telefongespräch beendete.

Wetzon sah Smith warten, bis alle saßen, dann sich schnell umdrehen und in Richtung Treppe verschwinden. Sie trug Sandaletten, und das Geräusch der klappernden Absätze trug bis in Silvestris Büro. Warum hatte sie unbedingt mit dem Lift nach oben fahren wollen und ging nun die Treppe hinunter? Smith war ein solches Rätsel.

Wetzon richtete ihre Aufmerksamkeit auf Silvestri und spürte eine warme Woge von den Fingerspitzen bis in die Wangen aufsteigen. Sie fühlte sich so zu ihm hingezogen, daß sie fürchtete, man könne es ihr ansehen. Sie senkte den Blick auf die Hände. Sie wünschte so sehr, einen guten Eindruck zu machen. Er räusperte sich höflich, und sie hob den Kopf. Silvestri sah sie erwartungsvoll an, als habe er eine Frage gestellt.

»Verzeihung.« Sie war verwirrt. »Haben Sie etwas gesagt?«

»Ja. Ich habe Sie gefragt, ob Sie bereit sind anzufangen.«

Wetzon nickte und schluckte dabei mühsam.

»Seien Sie ganz locker«, sagte er verständnisvoll. »Beantworten Sie einfach die Fragen so genau wie möglich. Ich lege Ihnen keine Daumenschrauben an. Möchten Sie einen Kaffee oder eine Cola?«

Sie schüttelte den Kopf und fühle sich sehr allein. »Nur Wasser bitte, und ich bin bereit.«