Kapitel vierzehn

In Nord-Zentral-Texas war der Winter ein launischer Geselle. Morgens konnte es bis zu zwanzig Grad warm sein, doch wenn am Nachmittag ein Nordwind vom Panhandle, dem im Westen an New Mexico und im Norden und Osten an Oklahoma grenzenden Areal, dem »Pfannenstiel« von Texas, ins Land fegte, konnten die Temperaturen bei Anbruch der Dunkelheit bis unter den Gefrierpunkt sinken. Die Nordtexaner wussten, dass sie immer einen warmen Mantel im Auto haben sollten, nur für den Fall, dass das milde Wetter scheußlich wurde. Die besonders Umsichtigen hatten außerdem Decken und Notvorräte im Kofferraum, sollte ein Eissturm über sie hereinbrechen. So etwas kam jeden Winter wenigstens ein-, zweimal vor, und jedes Mal geschah es völlig unerwartet.

Am Samstagmorgen, als Travis und Sarah aufbrachen, um den perfekten Weihnachtsbaum für Twilight auszusuchen, war es warm wie im April. Sarah konnte fast die Knospen an den Pfirsichbäumen auf dem Gelände des Merry Cherub aufspringen hören, wo sie ihr verfrühtes Debüt gaben. Die Pfirsichbäume von Texas waren bekannt für ihr schlechtes Timing. Ein paar warme Tage, und sie standen bereits in voller Blüte, völlig ungeachtet des Kalenders und der heimtückischen Nordwinde aus dem Panhandle.

»Heute ist es so herrlich draußen, dass ich beschlossen habe, zu Fuß zu gehen«, sagte Sarah, als sie in Travis’ Garten geschlendert kam, wo er damit beschäftigt war, die Außenwasserhähne einzupacken.

Er schob seinen grauen Filz-Cowboyhut in den Nacken und betrachtete den Himmel. »Darauf solltest du dich besser nicht verlassen. Nimm einen wärmeren Mantel mit.«

»Ich koche ja schon in dieser Jacke«, sagte sie. »Außerdem werden wir doch nicht so lange bleiben. Höchstens zwei Stunden, oder?«

Er sah aus, als wolle er widersprechen, doch dann zuckte er die Achseln. »Hast du vergessen, wie hier im Winter das Wetter ist? Es kann von einem Augenblick auf den anderen umschlagen.«

»Selbst wenn es in Texas kalt ist, ist es immer noch wärmer als in New York.«

Er zog die Augenbrauen hoch, ging zur Hintertür und hielt sie für sie auf. »Wie du willst, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

»Also, wie läuft diese ganze Baumfällaktion eigentlich ab?«, fragte sie, als sie in die Küche trat.

»›Baumfällaktion‹? Was ist das denn? Schriftstellersprache?«

Sie lachte. »Es zeigt lediglich meine absolute Unkenntnis, was anständige Weihnachtstraditionen anbelangt.«

»Bist du nie mit deinen Eltern losgezogen, um euren Weihnachtsbaum zu fällen?«

Sarah brach in glucksendes Gelächter aus. Sie versuchte, sich die Doktoren Mitchell und Helen Collier beim Absägen eines Weihnachtsbaums vorzustellen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Die einzigen Sägen, die die beiden in die Hand nahmen, waren die chirurgischen Instrumente in einem OP. »Nein. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie mein Dad einen Weihnachtsbaum fällt. Schließlich könnte er sich dabei seine Chirurgenhände verletzen. Ich habe die Feiertage immer bei Gram verbracht, erinnerst du dich? Und sie war ein bisschen zu alt, um Bäume abzusägen. Es war schon toll, wenn meine Eltern es überhaupt geschafft haben, an Weihnachten hier aufzukreuzen.«

»Da hast du aber wirklich etwas verpasst.«

»Ja, schrecklich, ich weiß. Ich hoffe, du hast Mitleid.«

»Nun«, sagte er, und seine Augen funkelten verschmitzt, »dann erlebst du also mit mir dein erstes Mal.«

»Ja«, gab sie schnell zurück. »Das setzt dich ganz schön unter Druck. Ein Mädchen hat schließlich gewisse Erwartungen. Das erste Weihnachtsbaumfällen sollte schon etwas ganz Besonderes sein.«

Er grinste und blickte dann auf ihre Füße.

»Du willst doch nicht etwa diese Stiefel tragen?«

Sie bewegte ihre Zehen. »Was stimmt denn damit nicht? Sie sind warm.«

»Wir werden durch die Landschaft wandern.«

»Es macht nichts, wenn sie ein bisschen schlammig werden.«

»Es sind Stilettos, verdammt noch mal«, sagte er. »Du wirst dir das Genick brechen.«

»Andere habe ich nicht.«

»Wart mal. Ich bin gleich wieder da.« Travis flitzte in die Garage und ließ sie in der Küche stehen, die einst ihrer Großmutter gehört hatte. Sie blickte sich um und erinnerte sich. In dem Eckschrank gegenüber dem Herd hatte Gram ihre Dosenvorräte aufbewahrt. Und dort hatte Sarah auf dem Tritthocker gestanden und das Mehl für die Schicksalsplätzchen, das Gram abgemessen hatte, in eine große gelbe Schüssel gekippt. Bald würde diese Küche ihr gehören.

»Auf geht’s!« Travis kam zurück ins Zimmer gestürmt, ein Paar schwarze Damengummistiefel in der Hand.

Beim Anblick der Stiefel wich ihr die Luft aus den Lungen. »Die … die gehören meiner Großmutter.«

»Ich hab sie bei unserem Einzug im Gartenschuppen gefunden.«

Eine Welle von Nostalgie schwappte über Sarah hinweg. Sie erinnerte sich an Gram, wie sie nach einem Sommerregen in ebendiese Stiefel geschlüpft war, um in den Garten hinauszugehen und zu ernten.

Travis streckte ihr die Stiefel entgegen. Ihre Finger berührten sich. Ein emotionaler Großbrand breitete sich in ihr aus, wie jedes Mal, wenn er sie berührte. Sarahs Magen geriet ins Schlingern. Oh, das war gar nicht gut. Was hatte sie mit ihm auf einer isolierten Ranch beim Aussuchen eines Weihnachtsbaums verloren? Sie sollte im Merry Cherub sein und ihr Buch fertigstellen.

»Bist du startklar?«, fragte er, als sie ihre italienischen Lederstilettos gegen Grams Gummistiefel getauscht hatte. Sie fühlten sich stabil, solide und sehr bequem an.

»Ja. Brauchen wir eine Säge oder Ähnliches?«

»Ist alles in der Werkzeugkiste hinten in meinem Pick-up«, sagte er.

Natürlich. Schließlich war er ein Mann der Wildnis. Sie folgte ihm hinaus zu seinem Wagen, an dem ein langer, flacher Anhänger befestigt war, worauf der Weihnachtsbaum transportiert werden sollte. Er hielt ihr die Beifahrertür auf. Sie stellte einen Fuß auf das Trittbrett und kletterte auf den Sitz. Travis streckte eine Hand aus, um ihr behilflich zu sein. Er gab ihr das Gefühl, dass er sich um sie sorgte, und das war in der Tat ein gefährliches Gefühl.

Er stieg ein und nahm ein Paar schmutzige Arbeitshandschuhe aus dem Handschuhfach.

»Na sieh mal einer an«, sagte sie, »du verwahrst ja tatsächlich Handschuhe in deinem Handschuhfach.«

»Du nicht?«

»Ich habe nicht mal ein Auto. Denk dran, ich wohne in Manhattan.«

Er warf ihr die dreckigen Handschuhe in den Schoß.

»Igitt, was soll das denn?«

»Zieh sie an.«

»Ich habe selber Handschuhe, vielen Dank.« Sie zog ein Paar empfindliche Lederhandschuhe aus ihrer Jackentasche.

»Vertrau mir, du wirst diese anziehen wollen.«

Mit spitzen Fingern nahm sie einen der ihr angebotenen Handschuhe und hielt ihn am kleinen Finger in die Höhe. »Da ist Schmiere dran.«

»Das sind ja auch Arbeitshandschuhe. Diese Mädchendinger, die du da hast, bieten keinen Schutz für deine Hände. Wir fahren auf abgelegenes Weideland einer Rinderfarm, da gibt es niemanden, den du mit deinem großartigen Gespür für Mode beeindrucken könntest.«

»Findest du, dass ich ein großartiges Gespür für Mode habe?«

»Hör auf, nach Komplimenten zu fischen.«

»Findest du, dass ich gut aussehe?«

Travis grinste. »Verführerisch gut.«

»Danke.«

»Und jetzt zieh die Handschuhe an.«

»Das zerstört den ganzen Eindruck.«

»Der ist sowieso hin wegen der Gummistiefel.«

»Da hast du recht.« Sie steckte die Finger in die Handschuhe. Sie waren viel zu groß. »Sieh mal, ich habe Hände wie Paul Bunyan, dieser riesige Holzfäller.«

Er lachte. »Es ist lustig, dich so zu sehen.«

»Was meinst du damit, dass ich aussehe wie ein Clown?«

»Nein, du siehst so fröhlich aus. Sonst bist du immer so ernst.«

»He, das Leben ist ernst.«

»Und genau deshalb brauchen wir diese fröhlichen Momente … damit sie uns durch die schlechten Zeiten bringen.«

»Du bist ein unverbesserlicher Optimist, hab ich recht?«

»Wenn du ein krankes Kind hast, musst du das sein.«

»Es geht Jazzy wirklich gut, oder? Trotz dieses Rückschlags?«

»Ja.« Er nickte. »Aber selbst ein Optimist fürchtet manchmal, dass seine Hoffnung zu groß ist. Sie ist schon so lange krank und hat so viel durchgemacht, da fällt es schwer zu glauben, dass dieses eine Medikament einen solchen Unterschied macht. Danke, dass du bereit warst, das Haus zu kaufen und uns zur Miete zu überlassen.«

»Danke, dass du das Haus zuerst mir angeboten hast.«

Er sah sie lange an, dann murmelte er: »Du bist eine fantastische Frau, Sadie Cool.«

Travis bog vom Highway auf eine unbefestigte, einspurige Straße ab und holperte über ein Viehgitter. Um sie herum lag vertrocknetes, winterlich gelbes Weideland. Sie fuhren etwa fünfzehn Minuten durch raues Gelände – Rinnen und durch Erosion entstandene Bodenunebenheiten –, ohne irgendwem oder irgendwas zu begegnen außer ein paar Angus-Rindern, bis sie an ein umzäuntes Gebiet kamen. Travis hielt den allradgetriebenen Pick-up an, stieg aus und öffnete das Gatter. Sarah blieb in der Fahrerkabine sitzen und sah ihm zu. Er wirkte stattlich mit seinem grauen Cowboyhut, der so gut zu seinen Augen passte, seinem blauen Flanellhemd, den verwaschenen Jeans und den abgetretenen Stiefeln.

Als das Gatter offen war, machte er kehrt und fing ihren Blick auf. Er legte den Kopf schräg und bedachte sie mit einem unbekümmerten Grinsen, das ihre Knie schwach werden ließ. Zum Glück saß sie. Mit seiner drahtigen Figur hätte er einen guten Bullenreiter abgegeben.

Er kletterte wieder in den Pick-up und brachte den Geruch der freien Natur mit sich: Gras, Zedern und Erde. Sie schmolz dahin. Jedes Mal, wenn sie mit diesem Mann zusammen war, verlor sie die Fähigkeit, klar und vernünftig zu denken, und wurde mit einer Flut von Gefühlen konfrontiert.

Travis passierte das Gatter, stieg aus und schloss es hinter sich. Sie fuhren noch eine Zeit lang weiter, vorbei an Mesquitesträuchern, Buscheichen, Kakteen und Pekannussbäumen, bis sie schließlich zu einer kleinen Blockhütte auf einer Lichtung gelangten. Hinter der Lichtung war ein großes Zederndickicht.

»Wo sind wir hier?«

»An der Jagdhütte, die Frank Jennings manchmal vermietet. Ich denke nicht, dass er um diese Jahreszeit an Jäger verpachtet, also sollte niemand außer uns hier sein.«

Travis stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Sarah folgte ihm. Er ging nach hinten zur Ladefläche und nahm eine langstielige Axt, Seile und Gummiseile herunter.

»Wie kann ich dir helfen?«

»Indem du den perfekten Weihnachtsbaum aussuchst.«

Sie gingen durch das Zederngehölz, die Luft duftete weihnachtlich. Sarah nahm die Bäume in Augenschein auf der Suche nach einem, der die richtige Höhe hatte und rundum gut gewachsen war.

»Wie lange bist du schon der offizielle Weihnachtsbaumfäller von Twilight?«, fragte sie und stapfte durchs Unterholz und über hohes, abgestorbenes Gras. Jetzt war sie froh, dass sie Gummistiefel trug. Grams Gummistiefel. Sie wackelte mit den Zehen und dachte an ihre Großmutter, fühlte sich ihr so nahe wie schon seit Jahren nicht mehr.

»Seit Crystal uns verlassen hat. Ich wollte alles tun, um die Feiertage für Jazzy zu etwas ganz Besonderem zu machen, und sie findet es ganz toll, dass ich den Weihnachtsbaum für den Stadtplatz fälle.«

»Warum haben wir sie nicht mitgenommen?«

»Meine Tante Raylene wollte sich mit ihr den Nussknacker in der Bass Hall in Fort Worth anschauen. Das hatte sie schon lange vor, aber ich hatte immer Angst, Jazzy so weit von zu Hause fortzulassen. Jetzt, da es ihr besser geht, hatte ich keinen Grund mehr, es zu verbieten. Sie machen sich einen schönen Tag. Tee im Worthington, shoppen, all den Mädchenkram.«

»Es muss wirklich schwer für dich gewesen sein«, sagte Sarah, »ohne deine Eltern, allein mit einem kranken Kind.«

Travis zuckte die Achseln. »Ich krieg’s hin.«

»Du kriegst es mehr als nur hin. Jazzy ist ein erstaunliches Kind. Positiv, frohen Mutes.«

»Manchmal frage ich mich, ob sie den Eindruck hat, dass sie für mich immer ein fröhliches Gesicht aufsetzen muss«, sagte er, »weil ich immer versuche, ein fröhliches Gesicht für sie aufzusetzen.«

Sarah stockte der Atem. Selbst wenn es keinen Sinn machte, selbst wenn sie so unterschiedlich waren, spürte sie ein Band zwischen ihnen. Und verschieden waren sie in der Tat. Er war gesellig. Sie war schüchtern. Er liebte das Land. Sie hatte sich ein Zuhause in New York City geschaffen. Sie hielt die Leute auf Distanz. Er würde am liebsten die ganze Welt umarmen. Doch sie hatten beide gelitten. Er mehr als sie. Er hatte seine Eltern verloren, und es war durchaus möglich, dass er auch sein Kind verlor. Sarah konnte sich nicht ansatzweise vorstellen, was für ein Gefühl das sein mochte.

Aber auch sie hatte gelitten. Sie hatte nie wirklich Zugang zu ihren Eltern gefunden. Sie hatte ihre geliebte Großmutter verloren. Und dann war da noch das Desaster gewesen, bei dem mehr verletzt worden war als nur ihr Körper. Sie hatte zugelassen, dass ihre Angst sie davon abhielt, emotionale Risiken einzugehen, während Travis es sich nicht erlauben konnte, irgendetwas aufs Spiel zu setzen.

Sie hatten sich beide verändert durch das, was sie erlebt hatten. Travis hatte sich von einem leichtsinnigen jungen Mann in einen verantwortungsvollen Vater verwandelt, während aus der jungen, naiven Romantikerin Sarah eine absolute Zynikerin geworden war. Als Kinder waren ihrer beider Leben durch Sarahs Besuche bei Gram verknüpft gewesen, und jetzt, Jahre später, war seine Tochter der gemeinsame Berührungspunkt.

Ihr Blick glitt an einer hohen Zeder hinauf, die majestätisch grün vor einem Himmel stand, der vorhin noch leuchtend blau gewesen war und an dem sich jetzt plötzlich graue Wolken zusammenballten. Der Wind hatte gedreht und wehte nun von Norden. Sie fröstelte und stellte den Kragen ihrer Jacke auf. Travis war mit diesen Umschwüngen durch seine Arbeit als Jagdaufseher vertraut, erlebte die Natur so, wie sie war – schön, aufregend, gewaltig. Das Morgenlicht wurde gedämpft, dann wieder strahlend hell, dann wieder gedämpft, als würde es Fangen spielen mit den düsteren Wolken, die sich über den Horizont im Westen schoben.

»Eine Sturm- und Gewitterfront«, sagte Travis.

»Wie bitte?«

Er nickte in Richtung Himmel, den Kopf in den Nacken gelegt, und atmete tief ein. »Ein Sturm zieht auf. Riechst du den Wind?«

»Ähm … nein … nicht wirklich.«

»Eis«, sagte er. »Diese Wolken bringen Eis mit.«

»Woher weißt du das?«

»Ich sehe es, ich rieche es. Lass uns den Baum schlagen und zusehen, dass wir zurück in der Stadt sind, bevor es losgeht. Ich hoffe, Raylene behält den Himmel im Blick. Es täte mir leid, wenn Jazzy und sie bei einem solchen Unwetter in Fort Worth festsitzen würden. Beeil dich und such einen Baum aus.«

»Es sind aber so viele!«

»Groß und voll tut’s.«

Sarah spürte, dass er unter Druck stand, und umrundete mehrere Bäume. »Oh, oh, den hier!«, rief sie dann aus und deutete auf einen makellos gewachsenen Baum, den sie zuvor übersehen hatte.

Travis machte sich an die Arbeit und fällte die Zeder mit wenigen fachmännischen Schlägen. Sie half ihm, den stacheligen Baum auf den Anhänger zu laden. Gut, dass er sie dazu überredet hatte, Arbeitshandschuhe zu tragen.

Als sie den Baum sicher festgezurrt und mit einer großen blauen Plane abgedeckt hatten, blies der Wind eiskalt über das Weideland, und der Himmel hatte sich zusehends verdüstert. Travis rieb seine Handflächen gegeneinander. »Dann wollen wir mal sehen, was in dem Dodge steckt, Miss Kitty.«

Sie grinste und kletterte auf den Beifahrersitz, während Travis hinters Lenkrad glitt und sein Handy aus der Tasche zog. »Ich rufe nur schnell Tante Raylene an und sage ihr, dass sie nicht so lange bleiben soll.«

Sarah entnahm dem einseitigen Gespräch, dass Raylene den Wetterbericht gehört und den Ausflug abgeblasen hatte.

»Hallo …?« Travis presste den Hörer dicht ans Ohr. »Kannst du mich hören? Tante Raylene?« Er zögerte, dann blickte er auf den Display. »Verdammt.«

»Was ist?«

»Der Akku ist leer«, erklärte er. »Ich lade ihn schnell wieder auf.« Er steckte den Stecker ein. Sie warteten, aber der Akku lud nicht. Travis runzelte die Stirn. »Es ist hin. Hast du dein Handy bei dir?«

»Nein, das hab ich doch im See verloren, an dem Tag, an dem du mich gerettet hast. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu ersetzen. Tut mir leid.«

»Ist ja nicht deine Schuld, obwohl ich mich frage, wie du ohne Handy zurechtkommst.«

Sie zuckte die Achseln. »Ich telefoniere nicht gern.«

»Trotzdem solltest du eins für Notfälle bei dir haben. Wir werden dir ein neues kaufen, wenn wir wieder in der Stadt sind.«

»Ja, Sir.«

Er stieß die Luft aus. »Auf alle Fälle ist Jazzy in Sicherheit und fühlt sich auf Tante Raylenes Sofa pudelwohl. Sie hat sich in eine Decke gekuschelt und guckt wohl zum zwei Millionsten Mal Die kleine Meerjungfrau, da muss ich mir keine Sorgen machen.«

»Das ist gut.«

Durch die Windschutzscheibe sah Sarah, dass der Himmel die Farbe eines frischen Hämatoms angenommen hatte. Der Wind peitschte die Baumwipfel. In nur wenigen Stunden war die Temperatur dramatisch gefallen. Sie hatte vergessen, wie wechselhaft und unvorhersehbar das Wetter in Nordtexas sein konnte. Travis wendete und überprüfte im Rückspiegel den Anhänger.

Er fuhr in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Pick-up erklomm eine kleine Anhöhe. Auf der anderen Seite war eine tiefe Rinne in der unbefestigten Straße. Der Wagen setzte hart auf. Ein lauter Knall ertönte, die Erschütterung brachte Sarahs Zähne zum Klappern.

Der Pick-up kam zum Stehen.

Travis gab Gas, doch ein lautes Scheppern und Schleifen ließ ihn sofort den Fuß vom Pedal nehmen.

Er fluchte.

Sarah runzelte besorgt die Stirn. Das klang gar nicht gut. »Was ist los?«

»Bleib im Wagen«, sagte er und stieg aus. »Es ist saukalt draußen.«

»Was ist passiert? Kann ich helfen?«

»Bete einfach, dass es nicht das ist, was ich denke.«

Er knallte die Tür zu und verschwand aus ihrem Blickfeld, als er sich bückte, um unter den Pick-up zu blicken. Ein paar Minuten später war er wieder da, einen grimmigen Ausdruck im Gesicht.

»Ich nehme an, meine Gebete haben nichts genützt.«

»Die Achse ist gebrochen«, murmelte er.

»Was bedeutet das?«

»Dass der Wagen abgeschleppt werden muss. Mein Akku ist hin und …« Er verstummte, denn in diesem Augenblick öffnete der Himmel seine Schleusen und ließ eine Eislawine auf sie niederprasseln.