Kapitel sieben
Nachdem ihr im Sweetheart Park die Augen geöffnet worden waren, ging eine Veränderung in Sarah vor. Sie fühlte sich ruhiger, mehr mit sich im Reinen, und sie regte sich nicht mal auf, als Raylene und Dotty Mae ihr mitteilten, dass sie jetzt zu einem Treffen des First Love Cookie Clubs aufbrechen würden.
»Wir versammeln uns immer ab Mitte Oktober«, erklärte Dotty Mae auf dem Weg zu Christine Nobles Bäckerei, wo die Treffen stattfanden. »Und bei unserer letzten Zusammenkunft am zweiten Freitag im Dezember findet die große Plätzchenbörse statt.«
»Ihr braucht zwei Monate, um einen Plätzchentausch vorzubereiten?«, fragte Sarah.
»Oh, wir haben noch viel mehr zu tun als nur diese Veranstaltung zu organisieren.« Raylene wedelte mit der Hand. »Wir sind die treibende Kraft hinter sämtlichen Aktivitäten, die während der Weihnachtszeit stattfinden. Wir backen die Plätzchen, die auf dem Dickens-Festival verkauft werden. Wir organisieren das Schmücken des Wunschbaums. Wir beaufsichtigen das alljährliche Aufstellen des Weihnachtsbaums in der Woche vor Weihnachten und backen dafür ebenfalls Plätzchen. Du kannst davon ausgehen, dass wir an jeder Veranstaltung in unserem Städtchen beteiligt sind.«
»Wow, ihr Mädels mischt ja ganz schön mit.«
»Deine Großmutter war ebenfalls dabei«, sagte Raylene. »Sie war eine von uns.«
»Und dabei denken die Leute, wir wären bloß ein paar alte Schachteln, die stricken, Decken nähen und Plätzchen backen.« Dotty Mae zwinkerte, als sie um die Bäckerei herumgingen. »Wenn die wüssten.«
Raylene trat vor, um die Seitentür zu öffnen. »Willkommen im Allerheiligsten, in der Kommandozentrale.«
Ein Schwall von köstlichen Gerüchen stieg Sarah in die Nase und zog sie vorwärts. Im Eingang blieb sie stehen; es machte sie wie immer nervös, einen unbekannten Ort zu betreten, während die Schriftstellerin in ihr die satte sinnliche Erfahrung aufsaugte, die auf sie einstürmte.
Am stärksten duftete es nach Hefe, ein starker, voller Geruch wie nach selbst gebrautem Bier. Weitere Düfte folgten: Zimt, Butter, Vanille und unterschwellig, aber unverkennbar ein Hauch von Mandel.
Sarah atmete tief ein, verkostete die Düfte wie ein Wein-Connaisseur eine Flasche 1982er-Château-Mouton-Rothschild, ließ sie in sich nachklingen, spürte ihre Beschaffenheit, schnupperte das Bouquet, schmeckte die Explosion des Aromas, hörte nahezu den Widerhall all der Köstlichkeiten, die hier liebevoll von Hand gefertigt wurden. Im Geiste probierte sie alles, was die Bäckerei anzubieten hatte: Blätterteighörnchen, körnige Zuckerplätzchen, leichte, aber knusprige Baklava, gepuderte Donuts und komplizierte Strudel, süße, weiche Kolatschen und luftige Sopaipillas.
Und Kuchen.
Viele Kuchen. Deutscher Schokoladenkuchen, orangefarbener, saftiger Karottenkuchen und Ananaskuchen. Becherkuchen und rosa-weißer Engelskuchen. Zitronen-, Erdbeer- und Bananenkuchen. Sarah weidete sich an dieser Vielfalt von kulinarischen Exzessen.
Erinnerungen an köstliche Aromen stiegen in ihr auf und versetzten sie zurück in die Wonnen von Grams Küche. Sie sah sich und Gram, wie sie gemeinsam in dem gemütlichen kleinen Raum backten; sie trug eine Schürze, die zu groß für sie war, stand auf einem Tritthocker und rührte Schicksalsplätzchenteig. In diesem Augenblick brach der Frieden, den sie im Sweetheart Park verspürt hatte, über ihr zusammen wie eine Welle, und sie ertrank in Emotionen, die so stark waren, dass sich ihr Herz zusammenzog.
Die Vielzahl von Gefühlen überwältigte sie; sie konnte den plötzlichen Ansturm von Freude, vermischt mit bittersüßer Trauer, die mit dieser emotionalen Heimkehr einherging, nicht so schnell verarbeiten. Da stand sie nun wie angewurzelt mit einem Fuß in der Bäckerei und stellte fest, dass alle sie neugierig anstarrten.
Beweg dich, du Dummkopf.
Mit einem entschlossenen Kopfschütteln vertrieb sie die Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle, zwang sich zu einem Lächeln und trat ein.
Den meisten der Frauen war sie schon am Vorabend begegnet, aber es war alles so schnell gegangen, und sie hatte noch nicht alle Namen den Gesichtern zugeordnet. Die blasse Frau mit der Schürze, die mit einem Topflappen in der Hand bei den Öfen stand, kannte sie noch nicht. Sie war jünger als die anderen Damen in der Gruppe, um die dreißig, und sie hatte weiches glattes braunes Haar und noch weichere braune Augen. Als sie von Ofen zu Ofen ging, stellte Sarah fest, dass sie hinkte. Sofort verspürte sie einen Anflug von Zusammengehörigkeit und Mitgefühl. Von einer versehrten Frau zur anderen. Sie tastete nach ihrem Bauch, spürte die harten Wulste der Narbe durch ihren weichen Pullover.
»Kommen Sie rein, kommen Sie rein.« Eine füllige lächelnde Dame bedeutete ihr, näherzutreten. Sarah erkannte die Frau wieder, die während des Umzugs für die Wagen verantwortlich gewesen war. »Mein Name ist Belinda Murphey, für den Fall, dass Sie das bei dem gestrigen Trubel vergessen haben.«
»Hallo«, sagte Sarah. Die Schüchternheit, die sie Zeit ihres Lebens bekämpft hatte, machte sich wieder bemerkbar. Resolut straffte sie die Schultern.
»Nehmen Sie Platz«, lud sie die Frau an den Öfen ein. »Ich bin übrigens Christine Noble, und das ist meine Bäckerei. Willkommen.«
Die Seitentür fiel hinter ihr ins Schloss, der Ausgang war versperrt. »Danke«, murmelte sie.
Mit gesenktem Kopf setzte sich Sarah auf den freien Stuhl, welcher der Tür am nächsten stand, flankiert von Dotty Mae und Raylene.
Die anderen Damen begrüßten sie, stellten sich noch einmal vor und versicherten ihr, wie glücklich sie waren, dass sie nach Twilight zurückgekehrt war.
»Ich wünschte, Mia wäre hier«, seufzte Dotty Mae. »Ich vermisse sie so sehr.« Ihre Augen begegneten Sarahs. »Deine Großmutter wäre so stolz auf dich gewesen. Eine so wundervolle Erzählung für Kinder zu schreiben. Ihre Schicksalsplätzchentradition zu würdigen. Ich hoffe, du weißt das.«
Sarah nickte. Auch ihr fehlte ihre Großmutter schmerzlich. Sie konnte sie beinahe vor sich sehen, wie sie am Tisch saß und mit ihren Freundinnen lachte und scherzte.
»Wir alle vermissen Mia zutiefst«, erklärte eine der Frauen. »Ihre Großmutter war etwas Besonderes, Sarah.«
»Das war sie.« Sarah verspürte einen Klumpen im Hals.
»Aber wir sind wirklich froh, dass Sie hier sind. In Ihnen lebt Ihre Großmutter fort.« Belinda streckte den Arm aus und tätschelte Sarahs Hand.
Sie gaben ihr das Gefühl, dazuzugehören, und das jagte Sarah einen Mordsschrecken ein. Warum waren sie so nett zu ihr? Sicher, sie war Mias Enkelin, aber Gram war seit fast neun Jahren tot. Twilight war nie ihre Heimat gewesen. Sie hatte keinen wirklichen Bezug zu diesen Menschen, und trotzdem behandelten sie sie, als wäre sie eine von ihnen. Was wollten sie von ihr?
Um ihre Nervosität abzulegen und zu der Gelassenheit zurückzufinden, die sie im Sweetheart Park überkommen hatte, ließ Sarah den Blick durch den Raum gleiten. Es half ihr, die Dinge einzuordnen, vernünftiger zu betrachten.
Die Backstube war größtenteils professionell eingerichtet und voller makelloser Edelstahlbecken und -geräte, doch hier und da waren persönliche Gegenstände zu finden, die Hinweis gaben auf die Wesensart ihrer Besitzerin. Ein altmodisches Butterfass stand in einer Ecke, daneben ein Melkschemel mit einem blauen, bestickten Gingankissen. Überhaupt gab es hier viel aus diesem mit schmalen Längs- und Querstreifen versehenen Baumwollstoff, angefangen bei den festlichen roten Gardinen, die die Fenster der Backstube umrahmten, bis hin zu dem grünen Gingantopflappen, den Christine in der Hand hielt.
Der uralte Holztisch mit den stabilen Beinen, an dem alle saßen, war ein Erinnerungsstück an die Zeit der Farmer, als sich große Familien zu kräftigen Mittagsmahlzeiten drum herum versammelten. Acht Stühle passten mühelos daran, und es blieb noch reichlich Platz, um weitere dazuzustellen. Unterhalb der Decke waren die Wände von Hand mit Schablonenmalerei versehen worden, Kühe und Enten, Schweine und Hühner bildeten eine ländlich-idyllische Borte. Das Ganze löste ein anheimelndes, behagliches Gefühl in ihr aus, dem Sarah jedoch misstraute. Diese Backstube wirkte entschieden zu fröhlich, zu freundlich, zu süßlich.
»Wir freuen uns wahnsinnig, Sie bei uns zu haben«, sagte eine große, muskulöse Frau mit kakaofarbener Haut und attraktiven Flechtzöpfchen. »Ich bin übrigens Marva, Marva Bullock.«
»Ich erinnere mich von der Party gestern Abend an Sie.« Sarah lächelte.
»Haben Sie sich gut amüsiert?«
»Es war sehr schön, vielen Dank«, sagte Sarah und betete, dass niemand ihren Tanz mit Travis und den Kuss unter dem Mistelzweig zur Sprache bringen würde. Unbewusst fuhr sie sich bei dieser Erinnerung mit der Hand über die Lippen, doch als sie merkte, was sie da tat, hielt sie noch in der Bewegung inne.
Glücklicherweise hatten sich die Frauen wieder ihrem Gespräch zugewandt, in das sie offenbar vertieft gewesen waren, bevor Sarah, Raylene und Dotty Mae zu ihnen stießen.
Marva zog ein Brautmagazin aus dem Leinenbeutel, den sie über die Stuhllehne gehängt hatte. »Ich habe euch ein Foto von dem Kleid mitgebracht, das sich Ashtons zukünftige Braut ausgesucht hat«, sagte sie an die Gruppe gewandt, dann drehte sie sich zu Sarah um und erklärte: »Ashton ist mein Sohn. Er heiratet im Mai.«
»Ist das das Kleid, das sie ruinieren wird?«, fragte eine Blondine Ende fünfzig mit einem missbilligenden Ton in der Stimme. »Ich verabscheue diesen Trend. ›Trash the dress‹ – nach der Hochzeit Kleid und Anzug zu zerstören und dabei auch noch Fotos zu machen. Das ist so respektlos.«
»Du wirst langsam alt, Patsy«, sagte Raylene. »Seien wir ehrlich, das ist nicht mehr die Welt, in der du und ich aufgewachsen sind, und das sollte sie auch nicht sein. Die Dinge ändern sich, und entweder du hältst damit Schritt oder du machst die Bahn frei!«
Patsy kniff die Augen zusammen. »Respekt sollte etwas sein, das niemals aus der Mode kommt.«
»Ich neige dazu, dir zuzustimmen, Patsy«, sagte Marva. »Aber Sheniqua wird meine Schwiegertochter werden, und ich werde wegen so etwas keinen Aufstand machen. Man muss sich gut überlegen, wofür man sich aus dem Fenster lehnt. Ihre Mutter, die das Kleid bezahlt, nimmt das Ganze gelassen. Wer bin ich, dass ich deswegen Unfrieden stifte?«
»Ich weiß nicht«, sagte Patsy. »Das scheint mir einfach ein Risiko zu sein.«
»Ein Risiko?«, fragte eine Latina mit einem modischen Kurzhaarschnitt. Sie sah aus wie die Teilnehmerin einer Realityshow, die Sarah im Fernsehen verfolgte. »Wovon sprichst du?«
Patsy wackelte mit dem Kopf. »Ruinier das Kleid, Terri, und du ruinierst deine Ehe.«
»Das ist reiner Aberglaube«, widersprach Belinda Murphey mit Nachdruck.
»Geht es bei Hochzeiten denn nicht ohnehin um reinen Aberglauben?« Patsy nahm sich ein Plätzchen aus der Schale in der Mitte des Tisches. »Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes, etwas Blaues.«
»Das Kleid zu ruinieren klingt nach einer Menge Spaß. Ich wünschte, das hätte es schon zu meiner Zeit gegeben.« Terri rieb sich die Hände, dann nahm sie sich ebenfalls ein Plätzchen.
»Ach du meine Güte!«, rief Patsy. »Diese Pekannuss-Sandplätzchen sind fabelhaft. Köstlich und knusprig. Wer hat die denn gebacken?«
Christine hob die Hand.
»Das war ja klar, die Profibäckerin! Das ist das Rezept, das du für den Plätzchentausch ausgesucht hast, oder?«
Christine nickte. »Bei einer Hochzeit geht man immer ein Risiko ein«, sagte sie. »Und Marva, du wirst eine wunderbare Schwiegermutter abgeben. Du bist fair und ausgeglichen im Umgang mit Menschen. Außerdem bist du hilfsbereit und zeigst stets Anteilnahme, ohne neugierig zu sein. Sheniqua kann sich glücklich schätzen, egal, ob ihr das klar ist oder nicht.«
»Danke, Christine, es ist nett, dass du das sagst.« Marva reichte Terri das Brautmagazin; ein Eselsohr zeigte an, auf welcher Seite das infrage kommende Kleid abgebildet war.
Terri biss in ihr Plätzchen. »Die sind wirklich fantastisch, Christine.« Dann schlug sie die Seite auf und warf einen Blick auf das Kleid. »Das ist von Vera Wang. Bitte sag nicht, dass sie ein Kleid von Vera Wang zerstören will!«
»Wer ist Vera Wang?«, erkundigte sich Dotty Mae.
»Die beste Brautkleid-Designerin, die je gelebt hat«, schwärmte Belinda und breitete die Arme aus, als versuchte sie, die ganze Welt zu umfangen. Sarah hatte gesehen, dass Oprah Winfrey im Fernsehen eine ähnliche Geste benutzt hatte. Belinda hatte eine mollige Figur und ein unwiderstehliches Lächeln. Für Sarah war Essen stets ein Kampf gewesen. Sie war sich sicher, dass Belinda eine völlig andere Einstellung zu diesem Thema hatte. Belinda aß aus tief empfundener Lebensfreude, als könnte sie einfach nicht genug bekommen. Sarah hatte sich vollgestopft, um ihre Gefühle zu besänftigen, ihre innere Leere zu füllen. Heutzutage füllte sie diese Leere mit Schreiben. Doch die Schreibblockade drohte ihre ausgewogene Ernährung durcheinanderzubringen und die Kleidergröße achtunddreißig zu gefährden, die sie seit über einem Jahr beibehalten hatte. Sie betrachtete die Plätzchen in der Tischmitte. Ihr Magen knurrte.
»Ich wette, du wirst langsam nervös«, sagte Terri zu Marva.
»Es ist ganz schön nervenaufreibend. Ich bin nur froh, dass ich die Mutter des Bräutigams bin.«
Dann plauderten sie weiter, sprachen über Hochzeiten und ihre Kinder.
Sarah studierte die Gruppendynamik wie eine Anthropologin, notierte im Geist die unterschwelligen Hinweise – Körpersprache, unausgesprochene Worte, leichte Veränderungen im Tonfall – und setzte daraus die Geschichte dieser Frauen und ihr Verhältnis untereinander zusammen wie eine Patchwork-Meisterin die einzelnen Flicken zu einer Decke. Menschen faszinierten sie, auch wenn sie abseits stand. Wenn sie aus ihnen schlau wurde, könnte sie vielleicht ihre eigenen Handlungsimpulse verstehen. Sie blickte sich in der Backstube um, versuchte, alle sieben einzuschätzen.
Da war zunächst einmal Patsy, ein gebieterischer Mensch und der moralische Kompass der Gruppe. Wenn sie mit etwas, das jemand anders von sich gab, nicht einverstanden war – und soweit Sarah erkennen konnte, war dieser Jemand meistens Raylene –, zog sie die Augenbrauen hoch und warf einen herrischen Blick über den oberen Rand ihrer Lesebrille. Außerdem neigte sie dazu, tadelnd den Zeigefinger zu erheben. Ihre Kleidung war nüchtern und sachlich: eine schwarze Bundfaltenhose, die ihre rundliche Mitte kaschierte, dazu eine langärmelige weiße Leinenbluse, akkurat gebügelt. An den Kragen hatte sie eine Brosche in Form eines Adventskranzes gesteckt. Alles an dieser Frau wirkte wohlüberlegt, geplant, strukturiert. Bei ihrem Anblick musste Sarah an Martha Stewart denken, »Amerikas beste Hausfrau«, bekannt durch ihre zahlreichen Fernsehsendungen. Sie hatte den Eindruck, dass Patsy sich bei allem, was sie in Angriff nahm, hervortat.
Neben Patsy saß Raylene. Travis’ Tante war die schillerndste Person in der Truppe. Sie hatte die Feinfühligkeit eines entgleisten Güterzugs, doch bei ihr konnte man wenigstens sicher sein, woran man war. Raylene hatte Pfeffer im Hintern – wie ihre Großmutter zu sagen gepflegt hatte. Auch wenn sie ihre Röcke viel zu kurz für ihr Alter trug, konnte sie es sich bei ihren Beinen absolut leisten. Sie war stets unverblümt, und sie gab einem das Gefühl, immer mittendrin zu sein. Wohin Raylene auch ging, es floss Energie. Sie war eigensinnig, dreist und lebensfroh, und sie entschuldigte sich für nichts.
»Wir reden zu viel und kümmern uns nicht genug um unsere Vorbereitungen. Wenden wir uns besser wieder dem eigentlichen Zweck zu«, warf Marva dazwischen und zog an ihrem Ohrring – eine unbewusste Angewohnheit, stellte Sarah fest, um ihr Unbehagen zu verbergen. Bereitete es ihr Sorge, dass die Gruppe von der vorgegebenen Tagesordnung abgewichen war? Oder machte ihr etwas anderes zu schaffen? Gebannt betrachtete Sarah die ältere Frau mit dem vollgestopften Leinenbeutel an der Stuhllehne. War sie einst bei den Pfadfinderinnen gewesen und hatte sich deren »Allzeit bereit«-Motto zu Herzen genommen? Oder lag ihr das Hamstern einfach im Blut, weil sie nur ungern feststellte, dass ihr plötzlich etwas ganz Bestimmtes fehlte? Was auch immer es war, Sarah hatte das Gefühl, sollte sie jemals auf einer einsamen Insel stranden, hätte sie Marva gern bei sich.
»Sind wir etwa vom Thema abgekommen?«, fragte Dotty Mae. »Das habe ich gar nicht bemerkt!«
»Wenn ich uns nicht bei der Stange halte, schweifen wir ständig vom Thema ab«, erklärte Marva, »aber wenn man sich einfach mit dem Strom treiben lässt, ist man immer glücklich, egal, wo man landet.«
»Nicht immer«, widersprach Dotty Mae, »aber ich kann nicht meckern.«
Dotty Mae war Gramma Mias beste Freundin gewesen, und Sarah kannte sie besser als die meisten der anderen Frauen. Dotty Mae neigte dazu, ihr Fähnlein stets nach dem Wind zu drehen. Ihre kornblumenblauen Augen blickten stets verträumt, was nichts mit ihrem Alter, doch alles mit ihrer unbeschwerten Persönlichkeit zu tun hatte. Sie trug bequeme Hauskleider, die ihr zu groß waren. Wenn das Gespräch hitzig wurde, senkte Dotty Mae die Augenlider, als blende sie die Spannungen einfach aus. Doch Dotty Mae war weitaus tiefgründiger, als man auf den ersten Blick vermuten konnte. Sie hatte eine Vorliebe für Pfefferminzschnaps und Nelkenzigaretten (die sie nur heimlich rauchte), und sie spielte liebend gern Bingo, egal, ob sie gewann oder verlor. Soweit Sarah wusste, hatte Gramma Mia nie geraucht oder gespielt, und das einzige Mal, dass sie sie Alkohol hatte trinken sehen, war an jenem ersten Weihnachtstag vor neun Jahren gewesen, als Dotty Mae sie zu einem Schnaps verführt hatte.
»Nun, dann mal raus mit der Sprache, wenn du etwas zu sagen hast.« Raylene hob die Arme über den Kopf und streckte sich wie eine Katze. »Sonst gehst du in der Menge unter.«
»Hab ich’s nicht gewusst?«, brummelte Dotty Mae leise.
»Wir müssen die Speisekarte für unsere Plätzchenbörse nächste Woche fertigmachen«, meldete sich Christine zu Wort. »Schließlich wollen wir nichts doppelt haben.«
Christine sprach nicht viel, und soweit Sarah dem Gespräch hatte entnehmen können, war sie die Einzige im Plätzchenclub, die nie geheiratet hatte.
»Das Plaudern macht so viel Spaß, warum heben wir uns die organisatorischen Dinge nicht für den Schluss auf?« Terri hatte ein strahlendes Lächeln und die lebensfrohe Ausstrahlung von jemandem, der stets in Stimmung für eine Party war. Ihr sonniges Gemüt spiegelte sich in ihrer Kleiderwahl wider: Sie trug einen gelben Pullover und eine weiße Hose, obwohl es schon Monate nach dem Labor Day war; sie richtete ihr Leben nicht nach altmodischen Regeln aus.
»Na schön«, stimmte Marva zu. »Lasst uns zu dem zweiten Thema auf der Tagesordnung übergehen. Jazzy Walker.«
Bei der Erwähnung von Jazzys Namen setzte sich Sarah aufrecht und betrachtete die Gesichter der Frauen um sie herum.
»Jazzys gesundheitlicher Zustand hat sich phänomenal verbessert, seit sie dieses neue Medikament bekommt.« Marva griff nach einem Plätzchen.
»Es ist ein echtes Wunder«, pflichtete ihr Dotty Mae bei. »Das Kind ist gesünder denn je zuvor.«
»Wenn man bedenkt, dass sie so lange an der Schwelle des Todes stand und man davon ausgehen musste, dass sie das gleiche Ende nimmt wie einst ihre Großmutter …« Belinda schüttelte den Kopf. »Wenn ich daran denke, möchte ich am liebsten nach Hause flitzen, meine Lieben in den Arm nehmen und mich vergewissern, dass mit ihnen alles in Ordnung ist.«
Marva aß ihr Plätzchen auf und wischte sich die Krümel von den Fingerspitzen. »Unser momentanes Hauptanliegen ist also, dass es Jazzy weiterhin so gut geht.«
»Ähm, ich möchte nicht begriffsstutzig wirken«, ließ sich Sarah vernehmen, »aber warum geht Sie Jazzy Walkers Gesundheitszustand etwas an?«
Sieben Köpfe fuhren zu ihr herum. Sieben Münder klappten auf. Sie starrten sie an, als hätte sie soeben ein Verbrechen begangen.
»Sarah Collier«, flüsterte Dotty Mae. »Deine Großmutter Mia wäre so enttäuscht von dir gewesen.«
Ihre Worte trafen Sarah so, als hätte die alte Dame sie geohrfeigt. »W-was meinen Sie damit?«
Dotty Mae schnalzte mit der Zunge. »Du hast zu lange in einer Großstadt gelebt. Dir ist deine Mitmenschlichkeit abhandengekommen, Mädchen.«
»Es gibt sehr viel Mitmenschlichkeit in Manhattan«, brachte Sarah zu ihrer Verteidigung hervor. »Kleinstädte haben nicht das alleinige Anrecht auf Liebenswürdigkeit und Fürsorglichkeit.«
»Warum hast du dann diese Frage gestellt?«
Tja, warum nur? Sarah wünschte, der Boden würde sich auftun und sie verschlingen. »Manche Leute mögen es nicht, wenn sich andere in ihr Leben einmischen.«
»Wir mischen uns nicht ein.« Belinda wirkte beleidigt. »Wir helfen. Travis braucht uns. Er hat sonst niemanden.«
Na prima, jetzt stieß sie alle vor den Kopf. Sarah schluckte. Ihr fehlte das nötige zwischenmenschliche Geschick, um sich aus dieser Situation herauszuwinden. »Ist das nicht reine Vermutung? Was ist, wenn er Ihre Hilfe gar nicht möchte? Travis ist sehr stolz.«
»Twilight ist keine x-beliebige Stadt.« Dotty Maes Kopf zitterte beim Sprechen. »Wir sind eine Gemeinschaft. Wir helfen uns untereinander. Jazzy ist Raylenes Großnichte. Raylene würde ihre Behandlung bezahlen, wenn sie nicht einen Großteil ihres Geldes bei Immobiliengeschäften verloren hätte. Jazzys Unglück geht uns alle etwas an. Ihr neues Medikament ist teuer, und die Versicherung kommt nicht dafür auf. Travis wird bankrottgehen bei dem Versuch, seine Tochter am Leben zu halten, und wir werden nicht untätig herumsitzen und dabei zusehen, wenn wir genauso gut etwas tun können, um ihm zu helfen.«
»Sie haben recht«, sagte Sarah ruhig. Auf keinen Fall würde sie darauf hinweisen, dass dieses aufdringliche Verhalten Travis in Abhängigkeit stürzte. Wer war sie, dass sie sich ein Urteil über die Frauen bilden durfte? Sie verbrachte ja nicht einmal die Feiertage mit ihren Eltern. Ihr Entschluss, sich zurückzuziehen, bedeutete jedoch noch lange nicht, dass andere voneinander abhängig waren, nur weil sie füreinander einstanden. Vielleicht konnte sie einfach nicht verstehen, wie es war, wenn man so viele Leute um sich hatte, die einen so sehr liebten, dass man nicht mal in ein Schlagloch auf der Straße geraten konnte, ohne dass jemand da war, der einem aufhalf und den Staub von der Kleidung klopfte. »Ich habe nicht nachgedacht«, lenkte sie daher ein.
»Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte Dotty Mae. Sarah wagte nicht nachzuhaken, doch Dotty Mae fuhr ohnehin schon fort: »Dein Problem ist, dass du nie umsorgt worden bist, deshalb weißt du nicht, wie es ist, in einer liebevollen Gemeinschaft zu leben. Armes Mädchen.«
Einerseits war Sarah verärgert, weil Dotty Mae ein wenig herablassend wirkte, andererseits musste sie zugeben, dass die alte Frau recht hatte. Sie wusste nicht, wie es war, Freunde zu haben, auf die man seit Jahrzehnten zählen konnte. Die Beziehung zu ihren Eltern konnte man im besten Fall als freundlich distanziert bezeichnen und im schlimmsten Fall als stillschweigend entfremdet. Die einzige Person, die ihr das Gefühl gegeben hatte, unverbrüchlich hinter ihr zu stehen, war Gram gewesen.
»Wir planen einen Plätzchenverkauf, um damit zu den Kosten für Jazzys Behandlung beizutragen. Bist du dabei?«, fragte Raylene.
»Ich würde liebend gern Geld spenden«, sagte Sarah.
Dotty Mae seufzte.
»Was ist?« Sarah hob abwehrend die Hände. Offenbar waren emotionale Landminen über die ganze Backstube verteilt.
»Geld ist schön und gut«, erklärte Dotty Mae, »aber es ist nicht dasselbe, wie dich persönlich einzubringen. Ich weiß, dass du Plätzchen backen kannst, Sarah Collier. Deine Gramma Mia hat es dir beigebracht.«
»Schon gut, schon gut, ich werde Plätzchen backen«, willigte Sarah ein. »Sagt mir einfach, wann und wo.«
»Genau hier, genau jetzt«, erwiderte Christine. »Deshalb habe ich ja die Backöfen vorgeheizt.«
»Bitte sehr«, sagte Belinda und reichte Sarah eine blaue Ginganschürze.
Als Nächstes steckte Sarah bis zu den Ellbogen in Plätzchenteig, umgeben von Kameradschaftsgeist und saftigem Kleinstadttratsch. Sie musste zugeben, dass sie seit langer Zeit mal wieder richtig Spaß hatte. Irgendwann holte jemand eine Flasche Wein hervor, und die Geschichten wurden noch süffisanter, die Plätzchen noch köstlicher. Dann wandte sich das Gespräch wieder Travis zu. Das musste sie ihnen lassen: Die Damen vom First Love Cookie Club waren unbarmherzige Kupplerinnen.
»Sie hätten Travis sehen sollen, nachdem Crystal ihn verlassen hatte«, erzählte Belinda. »Es war so bewegend. Er war im Supermarkt, schob mit Jazzy auf der Hüfte den Einkaufswagen vor sich her und deckte sich mit Saft und Früchte-Snacks ein. Sie trug niedliche Kleidchen, Spitzensöckchen und schwarze Lederschühchen, und ihr blondes Haar ringelte sich über ihre Schultern.« Belinda legte eine Hand aufs Herz. »Da war dieser Mega-Macho mit seinem markanten Gesicht und den durchdringenden grauen Augen, der ganz allein für dieses zarte kleine Mädchen sorgte. Mein Gott, was für ein Held.«
»Vor allem wenn man weiß, dass er vorher so ein Tunichtgut war«, fügte Patsy hinzu. »Als Jazzy auf die Welt kam, hat er sein Leben komplett umgestellt. Zu schade, dass man das nicht auch von Crystal behaupten kann.«
»Typisch für Patsy, dass sie ihn als ›Tunichtgut‹ bezeichnet.« Raylene verdrehte die Augen. »Nennen wir das Kind doch beim Namen: Er war ein echter Rabauke.«
»Raylene«, tadelte Marva, »er ist dein Neffe.«
»Genau, wer wüsste es besser als ich? Ständig hatte er wegen irgendwelcher Ordnungswidrigkeiten Probleme mit der Polizei.«
»Nach dem Tod seiner Mutter hat er sich so aufgeführt.« Marva warf Raylene einen strengen Blick zu. »Wir machen alle Fehler.«
»Mal ehrlich, Crystal zu schwängern war das Beste, das Travis je passiert ist«, sagte Dotty Mae. »Ich mag gar nicht daran denken, wo er ohne Jazzy gelandet wäre.«
»Hm-hm.« Die ganze Gruppe nickte in stummem Einvernehmen.
Sie so reden zu hören, festzustellen, wie bewegt sie über Travis und seine Verwandlung vom rebellierenden Teenager zum liebevollen Vater waren, berührte eine Saite in Sarah. Sie spürte, wie ebenjene Kreativität auftaute, die seit dem Erfolg ihres ersten Buches so tief und fest eingefroren zu sein schien.
Zunächst war da nur ein leichtes Tröpfeln, als wärmten die ersten Strahlen der Frühlingssonne die eisige Tundra. Doch als sie an den letzten Wunsch auf Jazzys Wunschzettel dachte und daran, wie sehr Travis in seine Tochter vernarrt war, keimte in ihr eine Idee auf, schlug Wurzeln und fing an zu gedeihen.
Egal, was mit dem Buch passierte, mit dem sie sich gerade abquälte – diese Idee war die einzig wahre. Sie konnte sie mit jeder Zelle ihres Körpers spüren. Es war dasselbe Gefühl, das sie überkommen hatte, als sie Das magische Weihnachtsplätzchen geschrieben hatte. Als würde sie von einem Strom der Kreativität davongetragen, den sie weder kontrollieren noch leugnen konnte. Sie würde dieses Buch schreiben, und sie wollte sofort damit anfangen.
»Sie haben dem Städtchen etwas gegeben, worüber es sich noch monatelang die Köpfe heißreden konnte«, sagte Belinda soeben.
Sarah brauchte eine Minute, um ihre Aufmerksamkeit von den Gedanken in ihrem Kopf loszureißen und wieder auf die Damen um sie herum zu richten. Offenbar hatten sie mit ihr gesprochen. Besser gesagt, nicht nur mit ihr, sondern über den Zwischenfall von damals. Sarah erwiderte nichts, sondern löffelte eifrig Plätzchenteig auf ein Backblech.
»Was war das Dümmste, was ihr jemals wegen eines Kerls angestellt habt?«, fragte Terri, während sie vorsichtig Lebkuchenmännchen mit grünen und roten Plätzchenförmchen ausstach. Sarah zog die altmodischen mit den scharfen Kanten vor, mit denen man ganz sauber ausstechen konnte.
Niemand sagte etwas.
»Kommt schon«, drängte Terri. »Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass Sarah die Einzige ist, die sich in ihrer Verliebtheit zum Narren gemacht hat.«
»Als ich vierzehn war, schwärmte ich für meinen Schulbusfahrer. Er hieß B. J. Peterson. Er trug eine schwarze Bomberjacke aus Leder, eine Brille wie John Lennon und machte stets ein verkniffenes Gesicht. Vermutlich weil er extrem kurzsichtig war, aber ich hielt ihn für düster und geheimnisvoll.« Belinda seufzte verträumt. »Ich wollte mit ihm reden, aber ich war zu feige, außerdem hatte er eine Freundin. Immer, wenn ich beim Babysitten war, hab ich ihn angerufen und wieder aufgelegt, nur um seine Stimme zu hören. Das ging einige Monate so, bis eines Tages die Polizei vor unserer Tür stand. Sie hatte die Anrufe zu den Nachbarn zurückverfolgt, zwei und zwei zusammengezählt und herausgefunden, dass das Telefon immer dann klingelte, wenn ich auf die Kinder aufpasste. Alle in der Schule erfuhren davon, und ich musste wochenlang Spott über mich ergehen lassen. Ich verlor meinen Job als Babysitter, und der düstere B. J. fuhr nicht länger den Bus. Ich betete darum, vom Erdboden verschluckt zu werden. Es war entsetzlich.«
»Belinda war eine Stalkerin, wer hätte das gedacht?« Terri lachte. »Sehen Sie, Sarah, Sie sind nicht die Einzige.«
»Da kann ich noch eins draufsetzen«, sagte Marva.
Alle Augen richteten sich auf Marva, die gewissenhaft die abgekühlten Weihnachtsmannplätzchen mit Zuckerguss lasierte.
»Du?«, fragte Raylene. »Das Musterkind unserer Gruppe?«
»Als ich G. C. das erste Mal begegnet bin, war er fest mit LaDonna Dawson zusammen, dem hübschesten Mädchen auf der Schule, die aber genauso ein tobendes Miststück sein konnte. Ich habe keine Ahnung, was G. C. in ihr gesehen hat.«
»Vielleicht war sie gut im Blasen«, schlug Raylene vor.
»Musst du immer das sagen, was dir gerade in den Kopf kommt?«, tadelte Patsy.
»Ich sage doch nur …« Raylene zuckte die Achseln. »Reich mir mal bitte die Rosinen, Christine.« Christine reichte ihr die Schachtel, und Raylene kippte sie in den Hafermehlteig. »Was ist aus LaDonna geworden?«
»Das war wirklich schlimm«, sagte Marva. »Jetzt tut es mir leid.«
»Was um alles auf der Welt hast du getan?« Dotty Mae blinzelte.
»Ich habe LaDonna einen Zettel geschrieben und so getan, als wäre ich Taz Milton, der Quarterback an unserer Highschool. Jeder wusste, dass LaDonna auf Taz stand, selbst G. C. In der Nachricht stand, dass sie Taz in der Jungenumkleide treffen und sich nackt ausziehen solle. Dann habe ich Taz gesagt, der Trainer wolle sich mit ihm in der Umkleide treffen. Und schließlich hat eine gute Freundin von mir G. C. gesteckt, dass LaDonna in der Umkleide mit einer Überraschung auf ihn warte. Der langen Rede kurzer Sinn: G. C. hat LaDonna und Taz dabei erwischt, wie sie es in der Dusche miteinander getrieben haben.«
Patsy schlug die Hand vor den Mund. »O mein Gott, Marva, das war heftig. Der arme G. C.«
Marva senkte den Kopf und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Ich weiß, ich hab euch doch gesagt, dass es schlimm war.«
»Und«, schaltete sich Belinda ein und maß zwei Tassen Mehl ab. »Hast du G. C. jemals die Wahrheit gesagt?«
»Ich hab’s ihm gleich nach unseren ersten Verabredungen gestanden.«
»Hat er’s locker genommen?«
»Nun, er hat mit mir Schluss gemacht, aber dann ist ihm klar geworden, dass LaDonna eine Schlampe war und ich das nur getan hatte, weil ich ihn so sehr begehrte.«
»Belinda war eine Stalkerin und Marva eine üble Verschwörerin.« Terri rieb sich die Hände. »Das wird ja wirklich pikant. Wie Sie sehen, Sarah, haben Sie Travis bloß Ihre Liebe erklärt … das ist alles in allem halb so wild.«
»Nun«, wandte sich Marva an Terri, »was hast du Peinliches für einen Jungen angestellt?«
»Ich?« Terri riss die Augen auf und versuchte, naiv zu wirken. »Ich war ein braves Mädchen.«
Patsy schnaubte. »Du warst doch bloß clever genug, deine Spuren zu verwischen.«
»Was ist mit dir, Raylene?«, bohrte Terri. »Du musst doch ein paar deftige Geschichten aus den Umkleideräumen auf Lager haben.«
Raylene, die für gewöhnlich die Erste war, die mit irgendwelchen empörenden Dingen herausrückte, ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und tat so, als wäre sie völlig darin vertieft, Zuckerstreusel auf die Plätzchen zu streuen. »Ihr kennt meine Geschichten doch schon alle. Es gibt nichts Neues zu beichten.«
»Du bist heute Nachmittag ziemlich still gewesen«, bemerkte Belinda. »Geht es dir gut?«
»Ja.« Raylene nickte. »Oh, schaut mal auf die Uhr. »Wir sind schon seit drei Stunden hier zugange. Ich bin mir sicher, Sarah würde gerne ins B&B zurückkehren. Sie ist seit heute früh unterwegs.«
»Das stimmt«, gab Sarah zu, obwohl sie sich fragte, warum Raylene plötzlich so bedacht darauf war, aufzubrechen. Doch egal aus welchen Gründen, Sarah war dankbar. Sie war bereit, ins Merry Cherub zurückzukehren und mit dem Buch zu beginnen, das ihr im Kopf herumschwirrte.
»Komm, Dotty Mae«, sagte Raylene, »lass uns aufbrechen.«