29. Kapitel
Um mich herum das Grunzen von Schweinen. Mein Rücken auf nassem Beton. Ich weiß nicht, wo ich bin. Es stinkt nach Dung. Hufe scharren über den Boden. Ich habe Schmerzen, kann aber nicht genau sagen wo. Der Kopf, das linke Handgelenk, der Rücken …
Ich öffne die Augen. Einen Moment lang ist mir völlig unklar, was ich sehe. Als mein Verstand wieder funktioniert, erkenne ich die Heuladung, die vier Meter über mir baumelt. Um mich herum laufen Schweine, schnüffeln am Boden und fressen die herabfallenden Halme. Meine Gegenwart hat ihre Neugier geweckt. Ein mächtiger Eber mit nur einem Hauer, eine dicke Sau mit blutigem Stumpf anstelle des Ringelschwanzes und einer großen Fleischwunde am Hinterteil.
Ich bin mit Farmtieren aufgewachsen – Rinder, Schweine, Pferde und Schafe – und habe nie Angst vor ihnen gehabt. Aber die Schweine hier gefallen mir nicht. Sie scheinen verwildert und so, wie sie sich über das runterfallende Heu hermachen, sind sie auch sehr hungrig.
Als ich mich auf die Hände gestützt aufsetze, entfährt mir ein Stöhnen. Mein linkes Handgelenk tut höllisch weh. Ich versuche es zu bewegen, und ein weiterer Schmerz durchzuckt mich. Wahrscheinlich gebrochen, denke ich.
Ich sehe nach oben zur Speichertür, aber da ist niemand. Ich blicke um mich herum über den Boden, suche meine .38er, doch kann sie nirgends entdecken. Der Koben ist etwa einhundertvierzig Quadratmeter groß und in schlimmem Zustand. Dutzende Schweine sorgen für einen ohrenbetäubenden Lärm. Mehrere Tiere balgen sich um die wenigen Heuhalme.
Ich rappele mich aufs Knie und weiter auf die Beine, taumele schwindlig zur Seite, doch ich finde schnell mein Gleichgewicht wieder. Mein Blick fällt auf Kaufman, der etwa drei Meter weiter bewegungslos auf dem Betonboden liegt. Mit mehreren Schweinen zwischen uns, kann ich sein Gesicht nicht sehen und weiß nicht, ob er bei Bewusstsein ist oder vielleicht sogar tot.
Ich spreche ins Ansteckmikro. »Benötige Hilfe. Brauche Krankenwagen. Kaufman-Farm«, füge ich hinzu und nenne die Adresse.
Das Funkgerät in meinem Ausrüstungsgürtel fängt an zu knistern, mehrere Dienststellen reagieren auf meinen Notruf. »Bin auf dem Weg.«
Das war Skid, und sofort verspüre ich Erleichterung. Auch andere Gesetzeshüter sind unterwegs – wenn ein Polizist in Gefahr ist, spielt Zuständigkeit keine Rolle mehr, jeder lässt alles stehen und liegen und macht sich auf den Weg.
Ich spreche wieder ins Ansteckmikro. »Abigail Kline, sie ist vielleicht bewaffnet.«
»Wo ist sie?«
»Alte Scheune ganz hinten auf dem Grundstück, halbe Meile vom Haus entfernt. Schicken Sie Krankenwagen.«
»Verstanden.«
Ich habe mich noch keine drei Schritte auf Kaufman zubewegt, als ein Schwein mich so fest ins Bein rammt, dass ich fast das Gleichgewicht verliere.
Ich trete mit dem Stiefel nach ihm. »Verschwinde!«
Ich verfehle es zwar, aber es weicht zurück. Der Eber trottet vorbei, schnüffelnd, lauernd. Sein Hauer ragt fünf Zentimeter aus dem Unterkiefer. Die meisten Schweinefarmer kürzen die Hauer einmal im Jahr, weil die Tiere damit im Zaun hängen bleiben und sich verletzen können. Ohne sie runterzuschleifen, werden sie bis zu zehn Zentimeter lang und zur Gefahr für andere Tiere und alle, die mit ihnen umgehen.
Ich schlängele mich zwischen den Tieren hindurch, will sie nicht noch weiter beunruhigen. Ihre Körper pressen gegen meine Beine, und als ich eine Sau mit dem Knie anstoße, quiekt sie, dreht sich rum und zwickt mich in die Wade. Der Schmerz zieht bis hoch in meinen Oberschenkel.
Ich beuge mich vor und versetze dem Schwein einen festen Schlag auf den Rücken. »Zurück! Hau ab! Weg hier!«
Die Sau schlurft grunzend davon. Beim Blick auf mein Bein sehe ich entsetzt, dass Blut durch den Stoff meiner Hose sickert, was mich schaudern lässt. »Mist. Mist.«
Ich erreiche Kaufman und gehe neben ihm in die Hocke. In seinen halb geschlossenen Augen ist nur das Weiße sichtbar. Sein Mund steht offen, ein abgebrochener Zahn hat sich in die Unterlippe gebohrt, aus der Blut auf sein Kinn läuft. Im ersten Moment denke ich, er ist tot, doch dann sehe ich, dass seine Brust sich hebt und senkt. Auf der linken Seite, ein Stück über dem Hosenbund, durchtränkt Blut sein Hemd. Die Schusswunde.
»Bleiben Sie ruhig liegen«, sage ich. »Der Krankenwagen ist auf dem Weg.«
Seine Lider zucken, seine Augen sind auf mein Gesicht gerichtet. »Heeda der saus«, flüstert er. Vorsicht vor den Schweinen.
Meine Nackenhaare sträuben sich. Beim Blick über die Schulter sehe ich, dass die großen Schweine die heruntergefallenen Heuhalme verschlingen und die jüngeren Tiere, die ein paar stehlen wollen, wegbeißen.
»Was zum Teufel ist mit den Tieren los?«, frage ich.
Er antwortet nicht. Aber ich weiß es auch so: Sie sind am Verhungern. Diese Erkenntnis jagt mir richtig Angst ein.
»Können Sie laufen?«, frage ich.
Er versucht sich aufzusetzen, plumpst aber nur herum wie ein Fisch. »Meine Beine … gebrochen, glaube ich«, sagt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Mr Kaufman, wir müssen aus dem Koben raus.«
»Das Tor.« Er zeigt zu einem Eisentor, das mit einer Kette gesichert ist. »Da.«
Ich blicke mich nach seinem Gewehr um, kann es aber nirgendwo sehen. Dann bücke ich mich, packe sein Handgelenk und schleife ihn über den Beton. Kaufman schreit auf, aber ich ziehe weiter. Er ist zwar nicht sehr groß, aber schwer wie ein Sack, und ich brauche alle meine Kraft, um ihn fortzubewegen, wenn auch nur qualvoll langsam. Ich versuche, den Schweinen aus dem Weg zu gehen und die stinkenden schwarzen Dunghaufen zu vermeiden, aber der Koben ist so voll und verdreckt, dass das kaum möglich ist.
Ich bin fünf Meter vom Tor entfernt, als ein Schuss fällt. Ich blicke zur Speichertür, in der Abigail steht, ein Gewehr im Anschlag, auf den Koben zielend. Ich lasse Kaufmans Handgelenk los und ducke mich. »Abigail! Nein! Legen Sie das Gewehr weg!«
Sie folgt weder meiner Anweisung, noch lässt sie erkennen, ob sie mich überhaupt gehört hat. Ein weiterer Schuss. Ein Querschläger prallt vom Beton ab und landet wenige Zentimeter neben Kaufmans Kopf.
Ich bin vollkommen ungeschützt. Sie ist kaum zehn Meter weit weg und hat von dort oben eine hervorragende Sicht. Selbst für jemanden mit wenig Schießerfahrung geben wir eine hervorragende Zielscheibe ab. »Legen Sie die Waffe weg!«, schreie ich. »Sofort!«
Ohne den Blick von ihr abzuwenden, strecke ich den Arm aus, packe erneut Kaufmans Handgelenk und zerre an ihm. »Helfen Sie mir, verdammt nochmal!«, fahre ich ihn an.
Er schiebt sich mit dem linken Bein vorwärts. Als er mich ansieht, stehen Panik und Schmerz in seinen Augen. »Meine Beine …«
Ich ziehe ihn ein Stück weiter und bin jetzt nur noch wenige Meter vom Tor entfernt, als hinter uns ein Schwein angelaufen kommt. Es stößt mir die Schnauze ins Bein, legt den Kopf schief und beißt mir fest in die Wade, was höllisch schmerzt. Dann zerrt es an mir, ich habe Mühe, nicht umzufallen, lasse Kaufmans Hand los und kann nur mit Müh und Not mein Gleichgewicht halten.
»Lass los! Hau ab!« Ich schlage der Sau mit aller Wucht auf den Kopf. Sie lässt mein Bein los und macht sich davon, dreht sich dann aber um und starrt mich aus frechen, intelligenten Augen an.
Keine zwei Meter weit weg steht zähnefletschend der Eber.
»Kaufman!«, schreie ich. »Stehen Sie auf!«
Der Eber greift an. Trotz seiner Größe ist er wendig und schnell und stößt Kaufman mit der Schnauze unterhalb der Schulter in den Rücken. Kaufman bäumt sich auf und fällt auf die Seite. Erst als ich Blut sehe, wird mir klar, dass er mit dem Hauer aufgespießt wurde.
»Das Tor! Aufmachen«, schreit der alte Mann.
Die Sau umkreist mich, plant ihren nächsten Angriff. Ich mache einen Schritt zurück, lasse sie nicht aus den Augen. Der nächste Schuss fällt. Ich höre, wie die Kugel in Fleisch eindringt. Kaufman zuckt heftig, der Ärmel seines Hemdes läuft rot an, Blut tropft auf den Beton. Sein Schrei durchschneidet die Luft.
Ich riskiere einen Blick nach oben, wo Abigail das Gewehr für den nächsten Schuss anlegt. »Waffe auf den Boden!«, schreie ich. »Runter damit! Sofort, verdammt!«
Ein weiterer Schuss fällt, der Querschläger fliegt keinen halben Meter an mir vorbei, schleudert Betonsplitter an mein Hosenbein. Ich wirbele herum und laufe zum Tor, bin kaum zwei Meter weit gekommen, als der Eber mir nachsetzt, schnell wie der Wind, der Hauer leuchtend weiß. Ich trete ihm mit dem Stiefel in die Schnauze, er brüllt und weicht zurück.
Ich schwinge mich übers Tor, und fluche, als ich auf der anderen Seite auf mein verletztes Handgelenk stürze. Ich rolle ein Stück und bleibe still liegen. Einen Moment lang höre ich nur mein Keuchen, die grunzenden und quiekenden Schweine und in der Ferne das Heulen der Sirenen.
Dann hieve ich mich ans Tor gestützt auf die Beine. Abigail Kline steht immer noch in der Speichertür und starrt hinab auf die Schweine.
»Abigail. Legen Sie die Waffe weg!«, schreie ich. »Sofort! Hinlegen!«
Ein erstickter Schrei dringt aus dem Koben, ich bücke mich und sehe durch die Eisenstäbe des Tors hindurch, dass Kaufman von Schweinen umgeben ist. Die größeren Tiere schießen vor, zerren an ihm und beißen. Die kleineren Tiere quieken und kämpfen um einen guten Platz. Der alte Mann sitzt und schlägt mit beiden Armen um sich, Grauen im Gesicht und den Mund in einem lautlosen Schrei geöffnet. Jetzt drängt sich eine große Sau zu ihm vor, beißt zu. Ein grauenvoller Schrei durchschneidet die Luft. Die Sau tritt zurück, einen blutigen Fetzen im Maul. Ein Stück seines Hemdes. Und entsetzt wird mir klar, dass sie ihn zerfleischen …
»Scheiße. Scheiße!« Mit zittriger Hand taste ich nach meinem Ansteckmikro. »Mann am Boden! Im Koben. Die Schweine zerfleischen ihn!«
Ich stelle mich auf die untere Torstrebe und brülle die Tiere an. »Zurück! Haut ab!«
Doch die Tiere sind jetzt wie wild. Kaufman, verletzt und am Boden, wehrt sich nur noch schwach. Den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, zu ihm zu gehen und ihm zu helfen. Aber ich weiß, die Schweine würden sich auch auf mich stürzen.
»Haut ab!«, brülle ich nach Leibeskräften. »Haut ab!«
Die Schreie des amischen Mannes sind entsetzlich, eine schrille Totenklage, die mir den Magen umdreht. Ich blicke mich nach etwas zum Werfen um, sehe ein abgebrochenes Stück Zaun und einen kaputten Backstein auf dem Boden, hebe beides auf und ziele damit auf die Schweine so fest ich kann. Ich treffe zwar jedes Mal, aber die Wucht ist nicht groß genug, um das Massaker zu stoppen.
Ich hänge die Kette aus und reiße das Tor auf. Mehrere Schweine wenden den Kopf in meine Richtung, eines der kleineren Tiere kommt auf mich zu. Ich drehe mich um und laufe zur Scheune. Kaufmans Schreie folgen mir, die schauderhaften Laute eines Mannes, der bei lebendigem Leib gefressen wird …
Ich klettere über den ersten Zaun, den ich erreiche, will möglichst viele Hindernisse zwischen mich und die Schweine bringen. Dann bin ich in einem alten Stall an der Unterseite der Scheune, entdecke eine Heuluke, schiebe die Abdeckung beiseite und hieve mich hoch auf den Rand.
Ein Deputy mit Gewehr und Schutzweste kommt angelaufen. »Wo ist der Schütze! Wo ist der Schütze?«
»Speicher«, sage ich. »Eine Frau. Sie hat ein Gewehr.«
Er sprintet zur Treppe, die hoch zum Speicher führt, ich stehe auf und drücke aufs Ansteckmikro. »Mann in Schweinekoben gefallen! Wird zerfleischt!«
»Schützin in Gewahrsam«, meldet eine Stimme, die ich nicht kenne.
»Chief!«
Ich drehe mich um. Der düster blickende Glock eilt durch das Scheunentor auf mich zu.
»Sind Sie verletzt?«, fragt er.
»Kaufman liegt im Schweinekoben. Herrgottnochmal, die Schweine töten ihn!« Ohne eine Antwort abzuwarten, umfasse ich mein verletztes Handgelenk, lasse mich hinab in die Ställe und renne hinaus zum Koben. Ich merke sofort, dass sich etwas verändert hat. Kaufman ist verstummt. Die Schweine sind ruhig.
Ich erreiche das Tor und schrecke zusammen, als ein junges Schwein an mir vorbei auf die Weide rennt. Ich blicke in den Koben, aus dem jetzt die meisten Schweine geflohen sind. Schock und Entsetzen überkommen mich, als ich Kaufman in einer Blutlache liegen sehe.
»Was zum Teufel?«, flüstert Glock hinter mir.
Der amische Mann liegt auf dem Bauch, das Gesicht abgewandt. Seine Arme sind ausgestreckt, die Hände sind verschwunden, die Hemdsärmel zerfetzt und blutdurchtränkt. Ein Bein liegt gebeugt über dem anderen. Die riesige Blutlache ist mit den Fußspuren von Paarhufern durchzogen.
Ich senke den Kopf zum Ansteckmikro. »Wann trifft der Krankenwagen ein?« Aber ich weiß, es ist zu spät.
»Sanitäter sind gerade am Haus angekommen, Chief«, ertönt T.J.s Stimme. »Soll ich sie nach hinten zu Ihnen schicken?«
»Korrekt. So schnell es geht.«
Ich will nicht in den Koben zurückgehen. Ich will nicht aus nächster Nähe sehen, was die Schweine noch alles mit Kaufman gemacht haben, der Anblick soll sich nicht in mein Gedächtnis einbrennen. Aber ich habe keine Wahl. Ich bin die Erste vor Ort und ausgebildet als Rettungssanitäterin. Es ist meine Pflicht, alles zu tun, um Leben zu retten, bevor professionelle Hilfe eintrifft.
Glock stößt das quietschende Tor ganz auf, und wir gehen zu dem am Boden liegenden Mann. Der Dunggestank ist überwältigend, doch ich nehme ihn kaum wahr. Jetzt kann ich das Blut riechen – zu viel, um zu überleben.
»Das ist richtig schlimm«, murmelt Glock.
Einen Meter vor Kaufman bleibe ich stehen. Hemd und Hosenträger sind zerfetzt und vom Leib gerissen. Sein Oberkörper ist total zerbissen. In seinem Bauch klafft eine Wunde, aus der etwas Graues mit blauen Adern hervorquillt. Beim Anblick seines Gesichts steigt mir Galle in den Mund. Seine Augen starren blicklos in die Ferne, die rechte Wange ist aufgerissen, Zahnfleisch, Zähne und ein Teil des Kiefers sind entblößt. Das rechte Ohr fehlt. Die Hände sind weg. An den Stümpfen der Handgelenke hängen Fleischreste, die weiß-rosa Knochen sind sichtbar.
»Ein grauenvoller Anblick«, murmelt Glock.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ob ich überhaupt sprechen könnte, falls ich es versuchte.
Er zieht einen Latexhandschuh aus seinem Ausrüstungsgürtel, streift ihn über die rechte Hand, geht in die Hocke und drückt den Zeigefinger auf Kaufmans Halsschlagader.
Einen Moment später senkt er den Kopf, schüttelt ihn und sagt: »Der hat ins Gras gebissen.«
Die nächsten Stunden verbringe ich wie im Nebel. Abigail Kaufman wurde verhaftet und ins Gefängnis nach Holmesville in Holmes County gebracht. Der Bezirksstaatsanwalt wird sich durch eine ganze Liste Anklagepunkte arbeiten müssen: versuchter Mord an einem Polizeibeamten, versuchter Mord an ihren Eltern und Mord an ihrem Ehemann, den sie vergiftet hat. Und nicht zu vergessen die Schüsse auf ihren Vater. Da sie auch ihren Bruder mit dem Tod von Leroy Nolt in Verbindung gebracht hatte, sind zwei Deputys von Holmes County zu seiner Farm gefahren, um ihn zum Verhör aufs Revier zu bringen.
Doc Coblentz erklärt Reuben Kaufman noch im Koben für tot. Es ist zu früh, um die exakte Todesursache zu bestimmen, aber in einem Gespräch unter vier Augen lässt er mich wissen, dass Kaufman – hätte meine Kugel ihn getötet – nicht mehr so stark geblutet hätte, als die Schweine sich über ihn hermachten. Zwar hatten der Sturz und die Kugel ihn fast kampfunfähig gemacht, aber gestorben ist er höchstwahrscheinlich an dem nachfolgenden Blutverlust durch die Bisswunden der Schweine. Die entlaufenen Tiere wurden im Verlauf der nächsten Stunden von Mitarbeitern einer örtlichen Tierschutzorganisation eingefangen. Was mit ihnen geschieht, weiß ich nicht – was mir ehrlich gesagt auch ganz recht ist.
Offiziell ist Holmes County für den Fall zuständig, aber ich erzähle den verschiedenen Gesetzeshütern von Holmes und Coshocton County den Ablauf der Ereignisse gefühlte Dutzend Mal. Über Abigail Kaufman gebe ich dem ermittelnden Detective zweckdienliche Informationen und laufe mit ihm zusammen den gesamten Tatort ab, der skizziert, mit Video aufgenommen und fotografiert wird. Diesen Teil versuche ich, so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.
Sobald Kaufmans Leiche auf dem Weg ins Leichenschauhaus ist, macht sich die Spurensicherung des BCI an die Arbeit. Das Gewehr wird beschlagnahmt, und da ich mit der .38er, meiner Dienstpistole, geschossen habe, wird sie zur Überprüfung ebenfalls eingezogen – um, wie der Detective meinte, »bis aufs i-Tüpfelchen korrekt zu sein«. Die Spurensicherung ist gerade auf der Suche nach den Gewehrkugeln, als Tomasetti anruft.
»Bist du okay?«, beginnt er wie üblich.
»Ja, alles in Ordnung.« Aber ich erwähne mein Handgelenk. »Vielleicht ist es nur verstaucht.«
Der Laut, der ihm entfährt, klingt halb betroffen und halb missbilligend. »Das ist jetzt aber kein Synonym für ›offener Bruch‹, oder?«
Ich kann nicht anders und lache. Was sich nach allem, was ich heute Nachmittag erlebt habe, gut anfühlt. Es erinnert mich daran, dass ich noch am Leben bin und eine Zukunft mit dem Mann habe, den ich liebe.
Als könne er das gut nachvollziehen, verstummt Tomasetti und hört sich meinen Bericht an.
»Klingt wirklich schlimm«, sagt er, als ich fertig bin.
»Schweineschnitzel werde ich in nächster Zeit wohl nicht essen.«
Jetzt muss er lachen, aber nur kurz. »Nick Kester und seine Frau wurden verhaftet. Kester hatte eine Pistole bei sich, aber kein Gewehr.«
»Das hatte Reuben Kaufman.«
»Er wusste, dass du nah dran warst, den Fall zu knacken.«
Ich will noch sagen, dass es ein gutes Gefühl ist, einen Fall abzuschließen und der Gerechtigkeit Genüge getan zu haben, bin aber nicht sicher, ob das angebracht ist. Denn obwohl eine Mörderin verhaftet wurde und drei Fälle abgeschlossen werden können, gibt es für niemanden ein Happy End. Schon gar nicht für Lucy Kester, die einzige wirklich Unschuldige in dem ganzen Geschehen.
»Kate, warst du schon im Krankenhaus?«
»In ein paar Minuten mache ich mich auf den Weg.«
Er seufzt. »Also, ich kann sofort kommen, wenn –«
»Tomasetti, ich bin okay, wirklich. Du kannst nicht jedes Mal deine Arbeit stehen und liegen lassen, um mich zu retten, nur weil ich in ein Handgemenge geraten bin.«
»Das war ja wohl mehr als ein Handgemenge. Allein der Sturz –«
»Ich lasse mich von Glock ins Krankenhaus fahren. Die machen schnell eine Röntgenaufnahme, verbinden mein Handgelenk und schicken mich dann nach Hause.«
Das kommentiert er nicht. Ich weiß, dass ihm die Situation missfällt, aber das haben wir schon besprochen, und er will bestimmt nicht noch einmal alles durchkauen, schon gar nicht am Telefon.
»Ich bin zu Hause, bevor es dunkel ist«, sage ich. »Was hältst du davon, wenn wir uns draußen am Teich treffen und ein paar Fische fangen?«
Die Pause ist zu lang, aber dann sagt er: »Dann kaufe ich schon mal die Köder.«
»Nun, dann erwarte ich dich auf dem Steg«, sage ich und lege auf.