19. Kapitel

Ich lande so hart auf dem Rücken, dass mir die Luft wegbleibt, und knalle mit dem Hinterkopf auf den Boden. Die Arme über dem Kopf ausgestreckt, liege ich da, die .38er noch immer fest umklammert. Ich kann mich nicht bewegen, kann nicht sprechen oder schreien oder atmen.

Ich liege da, versuche Luft in meine gequetschte Lunge zu bekommen. Die Decke des Gebäudes ist ein verschwommenes Gebilde aus Stahlträgern, kaputten Lampen, Rostflecken und getrockneten Resten von Vogelnestern. Als ich mich keuchend auf die Seite drehe, entkommt meinem Mund ein unwürdiger Ton. Ich blicke zur Laderampe, darauf gefasst, den Schützen mit einem Gewehr in der Hand zu sehen, aber da ist niemand. Die kaputte Stahlstange baumelt an einem einzigen Strang. Der Stahlpfosten war durchgerostet und ist gebrochen, als ich mich dagegen gelehnt habe.

»Verdammter Mist!« Mein Funkgerät knistert, hektische Stimmen und Polizeicodes, die mir nichts sagen, obwohl ich sie kennen müsste, dringen an mein Ohr. Ich muss antworten, versuche aber immer noch, Luft in meine Lunge zu bekommen. Mein Brustkorb und der Rücken schmerzen, ich bewege die Beine und bin froh, dass es geht. Auf einen Ellbogen gestützt, setze ich mich auf.

Wo zum Teufel ist der Schütze?

Ich rappele mich auf die Füße, stolpere geduckt an die Wand der Laderampe und spähe über den Rand. Niemand da. Ich hebe meine .38er und rufe: »Polizei! Waffe auf den Boden!«

Meine Stimme hallt hoch und dünn im Gebäude wider. Ich lausche nach Schritten, einer Tür, die auf- oder zugeht, einem Motor draußen auf dem Platz, doch ich höre nichts. Ich drücke auf mein Ansteckmikro. »Unbekannter Schütze! Brauche Unterstützung!«

»Wo sind Sie? Wo verdammt sind Sie?«, ertönt eine Stimme, die ich nicht kenne.

»County Road 24«, sage ich. »Hewitt Hog Producers.«

»Bin auf dem Weg«, erwidert eine andere Stimme. Es ist Glock. Ruhig, bestimmt, kompetent – Glock eben. »In zwei Minuten bin ich da.«

* * *

»Chief?«

Ich stehe mit der .38er in der Hand unten an der Laderampe und höre dem Funkverkehr zu, als Glocks Stimme ertönt.

»Ich bin hier!«

Er steht dicht hinter der Tür, Pistole im Anschlag, Gewehr über der Schulter, Schutzweste über dem Uniformhemd. Aus dem Funkverkehr weiß ich, dass der Deputy von Coshocton County hinter das Gebäude gegangen ist und ein anderer in seinem Streifenwagen um das Gelände herumfährt.

Ich nehme die Stufen zur Rampe hinauf, wobei meine Beine zittern, was ich zu verbergen suche. »Haben Sie vorne gecheckt?«

»Niemand da.« Er kommt zu mir, sieht mich prüfend an. »Sind Sie getroffen?«

»Nein, alles okay.«

Sein Blick fällt auf die baumelnde Stange vom Geländer. »Sind Sie gefallen?«

»Das Geländer war durchgerostet.« Ich bürste mit der Hand das trockene Gras und den Schmutz von der Hose. »Bin auf den Hintern gefallen.«

»Brauchen Sie einen Krankenwagen?«

Ich schüttele den Kopf. »Nicht nötig, alles gut.«

In der Nähe ertönen Sirenen. Ich weiß, dass Dienststellen in Coshocton und Holmes County meinen Notruf empfangen haben, Polizisten die wenig befahrenen Straßen rund um den ehemaligen Schweinezuchtbetrieb kontrollieren und das Gelände absuchen.

»Haben Sie ihn gesehen?«, fragt Glock, wobei sein Blick weiterhin durch das Gebäudeinnere schweift, zur Tür, dem offenen Bereich weiter hinten.

Wieder schüttele ich den Kopf. »Nein.«

»Fahrzeug?«

Erneutes Verneinen.

»Wie viele Schüsse?«

»Drei.«

»Polizei!«, ertönt es vor dem Gebäude, wahrscheinlich jemand vom Sheriffbüro.

»Gesichert«, ruft Glock zurück. »Polizei Painters Mill! Hier drüben.«

Kurz darauf erscheinen zwei uniformierte Deputys von Coshocton County mit gezogener Pistole, die sich nach allen Seiten hin absichern. Einer trägt ein Gewehr.

»Glauben Sie, Kester ist derart dämlich, dass er so was hier abzieht?«, fragt Glock.

»Keine Ahnung. Vielleicht.« Ich halte seinem Blick stand. »Bei unserem letzten Gespräch war er ziemlich angepisst.«

Er sieht mich eindringlich an. »Sie wollen sich wirklich nicht untersuchen lassen?« Er zeigt auf das kaputte Geländer. »Das war ein Sturz von mindestens eineinhalb Metern.«

Sein Blick gefällt mir nicht. Als wäre er gleichzeitig besorgt und wütend und würde in dem Moment, wo ich weg bin, vergessen, dass er Polizist ist.

»Ich will nicht, dass Sie in Ihrem aufgebrachten Zustand mit Kester reden.«

»Chief, wenn dieser Mistkerl einfach so auf Polizisten ballert, muss ihm jemand das Handwerk legen.«

»Finden Sie heraus, wo er wohnt«, sage ich. »Besorgen Sie sich einen Durchsuchungsbeschluss, und bringen Sie ihn aufs Revier.«

Erneut Stimmen vor dem Gebäude. Deputy Fowler »Folly« Hodges und ein zweiter, mir unbekannter Deputy kommen zur Tür herein.

»Ich werde hier eine Zeitlang beschäftigt sein«, sage ich zu Glock. »Wenn der Richter Ihnen Stress macht, sagen Sie, er soll mich anrufen. Und nehmen Sie Skid mit.«

»Ja, Ma’am.« Er salutiert grinsend und geht.

»Glock.«

Er bleibt stehen und dreht sich um.

»Und wenn es nicht allzu viele Umstände macht: Seien Sie vorsichtig.«

* * *

In den nächsten drei Stunden zeige ich mich von meiner besten Seite und gehe mit Arnie Redman, dem Sheriff von Coshocton County, jeden Aspekt des Vorfalls durch, während Deputy Fowler fleißig mitschreibt. Der kaum zwanzig Jahre alte Sanitäter, mit dem ich nett plaudere, checkt meinen Blutdruck und meine Pupillen und verkündet, dass ich noch ein paar Jahre zu leben habe.

Ein halbes Dutzend Deputys hat die Wälder hinter dem Grundstück durchforstet, aber nichts gefunden. Doch wenige Meter vor der Einmündung in die Zufahrt hatte ein Deputy von Coshocton County frische Reifenspuren entdeckt, die weder zu meinem noch zu Glocks Wagen gehören. Der KTU-Techniker vom BCI hat einen speziellen Gips gemischt, einen Abdruck genommen und ein Foto gemacht, das er in den Computer scannen kann. Damit wird ein Analyst versuchen, Größe und Typ des Reifens zu bestimmen, was hoffentlich dazu führt, den Hersteller, den Händler – und letztendlich die Person zu finden, die ihn gekauft hat.

Ein Deputy von Coshocton County hat bei der Suche außerdem zwei .22er Patronenhülsen gefunden – der gleiche Typ, der am Tatort an der County Road 14 gefunden wurde. Ganz sicher ist das erst nach der ballistischen Untersuchung, aber ich weiß jetzt schon, dass sie vom gleichen Schützen stammen.

Ich habe Tomasetti zweimal angerufen, aber jedes Mal ist seine Mailbox angesprungen. Ich habe ihm zwei Nachrichten hinterlassen. Eine, dass es einen Vorfall gegeben hat, die andere, dass es mir aber gutgeht. Von solchen Vorfällen müsste er eigentlich von mir persönlich erfahren, aber eine Nachricht ist besser als nichts.

Als mein Adrenalinspiegel wieder sinkt und mir das Geschehen richtig ins Bewusstsein dringt, fangen meine Hände und Beine an zu zittern. Und nicht zum ersten Mal an diesem Tag wird mir speiübel. Mein linkes Handgelenk ist verstaucht – was ich nicht bemerkt hatte, als die Sanitäter hier waren und wir uns über irgendwas aufgeregt haben, an das ich mich schon nicht mehr erinnern kann.

Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass ich schwanger bin. Solche Dinge sollten einer schwangeren Frau nicht passieren, und mich überkommt eine ungeheure Wut auf den Schützen. Eine solche Reaktion ist zwar üblich nach einem traumatischen Vorfall, aber dieses Wissen hilft nur wenig, und als der Abend näher rückt, will ich nur noch nach Hause und in mein Bett kriechen.

Mit Tomasetti habe ich hier nicht gerechnet. Meiner letzten Information zufolge müsste er in Cleveland bei einem Meeting mit ein paar Anzugträgern sein. Was wohl auch der Grund dafür ist, warum er mich noch nicht zurückgerufen hat. Ich kann ja nicht wissen, dass er das Meeting verlassen hat und nach Coshocton County gerast ist.

Ich stehe vor der Laderampe und rede mit einem der Deputys, als er durch die Tür kommt. Seine Silhouette würde ich überall erkennen, die Art, wie er sich bewegt, Abstand hält. Sein Gesicht kann ich nicht sehen, er ist zu weit weg, aber ich spüre, dass er mich gerade entdeckt hat. Seine Körpersprache verändert sich. Er kommt die Treppe herunter auf mich zu, mit großen, festen Schritten. Ich merke, dass ich ihn anstarre, kann den Blick aber nicht abwenden.

Mein Mund ist trocken, meine Handflächen sind schweißnass, und mein Herz pocht heftig. Meine Beine zittern. »Tomasetti.«

»Chief.« Sein Gesicht verrät nichts. Keine Emotionen, keine Besorgnis. Würde ich ihn nicht so gut kennen, könnte ich denken, das BCI hätte ihn in einer Routineangelegenheit hergeschickt. Aber der kühle Ausdruck in seinen Augen beunruhigt mich. »Bist du okay?«

»Mir geht’s gut.« Am liebsten würde ich zu ihm gehen und mich von ihm in die Arme nehmen lassen, aber es sind zu viele Menschen um uns. Keiner von ihnen weiß, dass wir ein Paar sind.

Er stellt sich dem Deputy vor, und die beiden Männer begrüßen sich mit Handschlag. Dann wendet er sich mir zu. »Sieht ganz so aus, als hättest du es mit einem Schützen zu tun, der es auf Polizisten abgesehen hat.«

»Glock und Skid holen gerade Nick Kester zu Hause ab«, sage ich.

»Das ist immerhin ein Anfang.« Er sieht den Deputy an. »Können Sie uns kurz allein lassen?«

»Sicher.« Der Deputy sieht mich an, tippt an seine Mütze und geht.

»Bist du wegen des Falles hier?«, frage ich.

»Ich bin deinetwegen hier«, sagt er leise. »Hast du hier noch was zu tun?«

»Ich bin fertig.«

Er zeigt zur Tür. »Ich fahre hinter dir her.«

* * *

Die Fahrt von Coshocton nach Wooster dauert eine Stunde. Als wir schließlich auf der Farm ankommen, ist es dunkel. Von unterwegs habe ich Glock angerufen und erfahren, dass er den Durchsuchungsbefehl zwar bekommen hat, Nick Kester aber unauffindbar sei. Sie haben mit seiner Frau gesprochen, die behauptet, sie hätten sich gestritten und Nick sei zum Mosquito Lake gefahren, um Hechte zu angeln. Da der Mosquito State Park außerhalb unserer Zuständigkeit liegt, habe ich Glock beauftragt, den diensthabenden State-Park-Officer zu kontaktieren und ihn zu bitten, Kester ausfindig zu machen.

In Anbetracht der ernsten Situation müsste ich auf dem Revier sein. Säße Tomasetti mir nicht im Nacken, wäre ich das auch, trotz meines schmerzenden Körpers und pochenden Kopfes. Aber ich weiß, dass er aufgebracht ist, und dies ist einer der Momente, in denen mein Job hinter meinem Privatleben zurücktreten muss. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, will es aber auf jeden Fall in Ordnung bringen. Wenn ich nur wüsste wie.

Als ich die Hintertür aufschließe und ins Haus trete, höre ich Tomasettis Autotür zuschlagen. Ich knipse die Deckenlampe an und habe eine aufgeräumte Küche vor Augen und den Duft von Vanille in der Nase. Auf dem Tisch hat sich eine dünne Staubschicht gebildet. Ich ziehe die .38er aus dem Schulterholster und lege sie auf den Tisch, nehme den Ausrüstungsgürtel und das Knöchelhoster mit der .22er Mini-Magnum ab und hänge beides über den Stuhlrücken. Ich gehe zur Spüle, um mir die Hände zu waschen, wobei ich versuche, die dunkle Vorahnung abzuschütteln, die mich beschleicht.

Als Tomasetti hereinkommt, nehme ich das Handtuch vom Haken und trockne mir die Hände. »Hast du Hunger?«, frage ich. »Ich hatte kein Mittagessen, und ich –«

»Wir müssen darüber reden, was passiert ist«, unterbricht er mich.

Ich nicke bedächtig. »In Ordnung.«

»Kate, das ist jetzt das zweite Mal, dass jemand versucht hat, dich zu töten. Du weißt nicht, wer es ist und warum er das macht. Du weißt nicht, wie entschlossen er ist und ob er es wieder versuchen wird.«

»Das ist mir klar«, sage ich. »Mehrere Polizeidienststellen arbeiten daran, einschließlich des BCI. Wir konnten Reifenabdrücke sichern, und Glock und Skid werden Nick Kester zur Be-«

»Du weißt nicht, ob es Kester war.«

»Genauso wenig, ob er es nicht war. Er ist ein Verdächtiger.«

»Kate, der Punkt ist, dass du schwanger bist.«

»Wage nicht, mir das vorzuhalten«, sage ich, überrascht von der unbeabsichtigten Schärfe in meiner Stimme.

Meine Worte kommen nicht gut an. Ich sehe, wie Wut in ihm aufsteigt – seine Lippen werden schmal, seine Augen ausdruckslos und kalt – und ich merke zu spät, dass ich einen Fehler gemacht habe.

»Du warst allein da draußen«, fährt er mich an. »In irgendeiner Scheune mitten im Dreck. Wo zum Teufel war Glock?«

»Er hatte seine Arbeit getan.« Ich ziehe das Handtuch von meiner Schulter und werfe es auf den Tisch. »Ich weiß, dass du ihm gesagt hast, er soll auf mich aufpassen. Tomasetti, ich bin sein Boss. Ich bin genauso leistungsfähig wie er. Es steht dir nicht zu, das zu tun.«

Tomasetti verzieht keine Miene angesichts der Vorwürfe. »Das ist mir egal. Aber dass du dich selbst in diese Situation gebracht hast, war absolut unverantwortlich.« Er zeigt auf meinen Bauch. »Es geht nicht mehr nur um dich, Kate. Nicht einmal nur um uns.«

Über die Jahre habe ich Tomasetti viele Male wütend erlebt. Normalerweise ist seine Wut kalkuliert und entspringt einem Ort, an dem er seine Emotionen unter Verschluss hält – was sich in dem Moment ändert, wenn er etwas verdeutlichen oder sie als Werkzeug benutzen will, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Doch diese Wut jetzt ist anders, maßlos und böse. Ich habe ihn noch nie so nah an dem Punkt gesehen, die Kontrolle zu verlieren.

»Ich muss meine Arbeit machen«, fahre ich ihn an. »Leute verlassen sich auf mich. Ich kann nicht weglaufen und mich verstecken, bis das hier vorbei ist. Himmelherrgott, Tomasetti, ich bin Polizistin.«

»Dann solltest du das vielleicht nicht sein.«

Fassungslosigkeit überrollt mich wie eine Sturzflut, die alles zerstört. »Du hast kein Recht, das von mir zu verlangen. Das kannst du nicht machen.«

»Erzähl mir nichts von meinen Rechten oder was ich fühlen soll. Ich wollte nicht, dass das passiert. Aber es ist nun mal geschehen, und jetzt müssen wir damit umgehen.«

»Tomasetti, Painters Mill ist eine Kleinstadt, Verbrechen fallen gewöhnlich nicht ins Gewicht. Es ist ein sicherer Ort für Polizisten. Der heutige Tag ist nicht die Norm.«

»Dann sag das doch dem Schützen, Kate! Sag das dem Typ, der dich im Visier und abgedrückt hat. Alles, was er braucht, ist eine Kugel und einen Glückstreffer!«

»Das gehört zu meinem Job, und das weißt du. Wenn du das nicht akzeptierst, wird das mit uns nicht funktionieren.«

»Genau das ist das Problem. Es funktioniert nicht, Kate!«

»Du übertreibst«, stoße ich atemlos hervor.

»Meinst du wirklich? Sag mir, dass du nicht jedes Mal denkst, dass was passiert, wenn du jemanden anhältst. Wenn du mitten in der Nacht in der Pampa bist und nicht weißt, wer oder was dich erwartet. Wird er gesucht? Hat er eine Waffe im Hosenbund? Ein Gewehr auf dem Boden? Ein Messer auf dem Beifahrersitz? Ist er bereit, es zu benutzen, um nicht ins Gefängnis zu kommen? Sag mir, dass du nicht deine Hand griffbereit auf der .38er hast. Kannst du mir das sagen? Ehrlich?«

»Natürlich denke ich das, wie jeder Polizist mit Verstand. Es nennt sich Vorsicht und Ausbildung, und das sind die Dinge, die uns am Leben halten.«

»Richtig, Painters Mill ist eine Kleinstadt. Sicher. Hier herrschen Friede, Freude, Eierkuchen. Aber ich sag dir eins: genau diese Polizisten in ländlichen Gegenden wie Painters Mill haben keine Verstärkung, wenn sie sie brauchen. Selbst wenn du es schaffst, einen Funkspruch loszulassen, wie schnell kann jemand da sein, wenn du in der Klemme steckst?«

»Mir ist bewusst –«

»Du hättest heute sterben können, verdammt nochmal!«

Ich habe nicht einmal gemerkt, dass ich einen Schritt zurückgetreten bin. Ich habe keine Angst vor ihm, ich vertraue ihm mein Leben an. Doch in wütendem Zustand ist er furchterregend. »Ich lebe aber noch.«

»Mehr hast du nicht zu sagen? ›Ich lebe aber noch‹?«

»Du gehst entschieden zu weit«, sage ich.

»Damit hast du verdammt nochmal recht«, sagt er. »Ich hab nämlich Angst um dich.« Er tippt sich mit dem Finger an die Schläfe. »Wieso kapierst du das nicht?«

Schweigen. Ich habe alles gespeichert, was gesagt wurde, und versuche jetzt, meine Gefühle in den Griff zu bekommen und meine Gedanken zu ordnen. »Okay, Tomasetti, alles, was du gesagt hast, ist wahr. Manchmal laufen Sachen schief. Aber nur im schlimmsten Fall. Die Wahrscheinlichkeit –«

»Ich will mich aber nicht auf Wahrscheinlichkeiten verlassen!«

»Hier geht es nicht nur um mich und dass ich schwanger bin. Es geht um dich und deine Vergangenheit und was dir passiert ist. Was mit deiner Familie passiert ist. Du lässt dich davon bestimmen, und das ist nicht fair.«

Sein Lachen ist freudlos. »Halt sie da raus.«

»Deine Reaktion ist übertrieben –«

»Ich reagiere übertrieben, weil ich dich liebe!«, schreit er.

Die Anspannung reißt wie ein Stahlseil. Seine Worte lassen die Luft aus der Wut, die sich in mir aufgestaut hat. Ich sehe ihn an, liebe ihn und will, dass alles gut wird zwischen uns. Aber ich gehe nicht auf ihn zu. Dieser Konflikt lässt sich nicht so einfach beilegen. Vielleicht überhaupt nicht.

»Polizistinnen werden seit jeher schwanger und bekommen Kinder«, sage ich. »Es ist nicht ideal, aber sie kündigen deswegen nicht gleich ihren Job oder geben ihre Karriere auf.«

»Du kannst einen Kompromiss machen. Leichtere Aufgaben übernehmen. Keine nächtlichen Patrouillenfahrten mehr.«

»Das kannst du nicht von mir verlangen.«

Er sagt nichts, und der Boden unter meinen Füßen beginnt zu wanken. Ich starre ihn an, verwirrt – und so aufgebracht wie schon lange nicht mehr. »Tomasetti, tu mir das nicht an. Verlang nicht, dass ich mich entscheiden muss.«

»Wir haben beide darüber nachgedacht, Kate. Ich hab nur die Büchse geöffnet und es ausgesprochen.«

Ich starre meine Schlüssel auf dem Tisch an. »Ich muss gehen«, stoße ich aus und nehme sie, wirbele herum und reiße die Tür auf. Mit einem Satz bin ich die Treppe hinunter auf dem Weg zum Wagen, wobei mir bewusst wird, dass ich meine Waffen und den Ausrüstungsgürtel zurückgelassen habe. Ich aktiviere die automatische Türentriegelung, gleichzeitig geht die Innenbeleuchtung an.

Hinter mir höre ich die Haustür zuschlagen. Tomasettis schwere Schritte. »Kate. Kate!«

Ich erreiche den Wagen, reiße die Tür auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er auf mich zueilt. Ich steige ein, stecke den Schlüssel ins Schloss und lasse den Motor an.

»Geh nicht«, sagt er.

Ich will die Tür schließen, doch er steht im Weg und hindert mich daran. Er legt sanft die Hand auf meinen Arm und beugt sich zu mir. »Bitte«, sagt er. »Es tut mir leid. Geh nicht.«

»Tomasetti, was zum Teufel machen wir gerade?«

»Ich glaube, das gängige Wort dafür ist ›streiten‹.«

Ich lache auf. »Bring mich nicht zum Lachen, verdammt. Das ist ernst.«

»Ich weiß.«

Ich mache den Motor nicht aus. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Er fährt mit der Hand meinen Arm entlang, nimmt meine Hand und macht einen Schritt zurück. »Fürs Erste kannst du ja mal aussteigen.«

Ich stelle den Motor aus und lasse mich von ihm aus dem Wagen ziehen. Er schließt die Tür, schiebt mich rückwärts sanft dagegen und drückt sich an mich.

»Ich bin zu weit gegangen«, sagt er. »Tut mir leid.«

Als ich den Kopf abwende, umfasst er mein Kinn, zwingt mich, ihn anzusehen. »Das alles macht mir Angst«, sagt er. »Und mit Angst kann ich nicht gut umgehen.«

»Ich auch nicht.« Ich starre ihn an, versuche, die Gefühle zu entwirren, die in meinem Inneren toben, und die Worte zu sortieren, die mir auf der Zunge liegen. »Du hast aber deine Meinung nicht geändert, oder?«

»Du meinst, was uns betrifft?«

»Ich meine, wenn du Raum brauchst – den geb ich dir.«

»Ich brauche keinen verdammten Raum. Ich brauche dich.«

»Tomasetti, es gibt keine einfache Lösung für das Problem.«

»Ich weiß.« Er küsst mich, und die Lippen nah an meinen, sagt er: »Wir werden eine finden.«