10
Caroline bäumte sich auf und warf den Kopf wild hin und her, als er in sie eindrang. Sie versuchte zu schreien, aber es kam natürlich kein Ton. Er packte ihre Schenkel, als er sie nahm. Seine Stöße waren zuerst langsam und wurden dann immer schärfer und tiefer.
Ein Schluchzen erschütterte ihre Brust, aber durch den Knebel drang kein Laut. Ihre Augenbinde saugte die Tränen auf; der Mann merkte zweifellos gar nicht, dass sie überhaupt weinte. Ihre Nase war verstopft, und sie bekam kaum noch Luft. Panik ergriff sie, und sie hatte auf einmal wieder das Gefühl zu ertrinken.
Der Stallbursche hielt inne, und dann spürte sie, wie seine Hände an ihrem Knebel zerrten und ihn nach unten schoben. Sie spuckte den Ball aus, keuchte und rang nach Luft.
Abrupt zog er sich von ihr zurück und knöpfte seine Hose wieder zu. Der kalte Stahl seines Messers glitt über ihren Oberschenkel, als er die Fessel an ihrem linken Bein durchschnitt. Mit dem anderen Bein verfuhr er ebenso, dann trat er um den Baum herum und löste die Fessel um ihr Handgelenk.
Caroline nahm die Augenbinde ab und sank zu Boden. Als er vor sie trat, schlug sie die Hände vors Gesicht und flehte mit tränenerstickter Stimme: »Geht weg. G-geht. Laissez-moi tranquille. Je vous prie …«
»Miss Keating.«
Sie blickte auf.
Lord Rexton hockte sich vor sie und hielt ihr ein Taschentuch hin.
Sie wich zurück, bis sie an den Baum stieß. Er trug die Jacke des Stallknechts und dessen fingerlose Arbeitshandschuhe. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
»Ich habe mir die Sachen von Sébastien ausgeliehen«, sagte er.
»Was? Aber …« Sie blickte auf das schwarze Herz an ihrem Halsband, stellte jedoch fest, dass es nur ein ganz gewöhnliches Vorhängeschloss war. »W-warum?« Sie rieb sich über die feuchten Wangen. »Warum tut Ihr so etwas? Nur um mir zu beweisen, dass Ihr mich jedem Alptraum aussetzen könnt, der Euch einfällt?«
Er seufzte schwer. Sie dachte, er würde etwas sagen, aber er bot ihr nur wieder das Taschentuch an. »Hier, nehmt …«
Sie schlug nach seiner Hand. »Bastard. Ungeheuer!«
Er erhob sich und blickte mit grimmigem Gesichtsausdruck auf sie herunter. »Seht Ihr?«, sagte er leise.
»Das verspricht, aufregend zu werden«, sagte Narcissa zu Caroline, als sie nebeneinander in einer Ecke des von Kerzen beleuchteten Esszimmers saßen, die Leinen um die Beine eines Tischs geschlungen, der sich unter den traditionellen Desserts der Auvergne bog. Sauerkirschen, Walnusskuchen, Brioche mit Früchten, Aprikosenpastete und süße Pfannkuchen mit Pfirsichen und Blaubeeren. Ein paar weitere Sklaven waren in anderen Ecken des riesigen Raums angebunden, während die übrigen mit ihren Herren am langen Esstisch saßen.
Auf dem Tisch stand zwischen Spielkarten und Flaschen die zierliche Jessamine und schnallte sich einen Lederharnisch mit zwei polierten Ebenholz-Phalli um. Einen hatte sie eingefettet und schob ihn sich hinein, der andere ragte vor ihr wie eine riesige schwarze Erektion auf.
»Wo hat sie das Ding her?«, fragte Caroline. »Ich habe es in der Lederkiste nicht gesehen.«
»Sie hat es selbst mitgebracht«, antwortete Narcissa. »Du weißt doch, dass sie zu den Jungs gehört, oder?«
»Sie soll es zuerst ihrer Freundin Laurel besorgen«, rief Mr. Charles Bricks, ein reicher Fabrikant von Dampfmaschinen, der Narcissa zu ihrem Entsetzen ersteigert hatte. Er war in ihren Augen ein Niemand, und entsprechend hochnäsig und von oben herab behandelte sie ihn. Deshalb war sein Verhalten ihr gegenüber von Tag zu Tag gröber geworden, und er hatte sie ständig bestraft. Das wiederum hatte sie so sehr erregt, dass sie eingewilligt hatte, auch nach ihrer Rückkehr nach London ihre Liaison fortzusetzen.
»Nicht Laurel«, sagte Dunhurst. »Sie soll ein Mädchen reiten, dem es noch nie eine andere Frau besorgt hat.«
»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte Jessamines Herr, Beau Brummel. »Sie soll mit Laurel beginnen – vorausgesetzt, Don Ortiz stellt uns seine schöne Sklavin zur Verfügung.«
»Aber natürlich.« Der galante, elegante Don Ortiz erhob sich und half Laurel auf den Tisch mit der Damast-Tischdecke.
Die beiden Frauen umarmten und küssten sich mit der Ungezwungenheit des langjährigen Liebespaars, das sie offensichtlich waren.
»Du liebe Güte, doch nicht so!«, bellte Dunhurst Jessamine an. »Sie ist eine Sklavin. Behandle sie auch so!«
Einige der anderen Männer schlossen sich ihm an. Sie blickten zu Mr. Brummel, der die Achseln zuckte und zu Jessamine sagte: »Das ist die Gelegenheit für dich, den Gebieter zu spielen. «
Die beiden Sklavinnen verständigten sich mit einem kurzen Blick. Laurel nickte fast unmerklich. Jessamine löste sich von ihr und versetzte der anderen Frau zwei scharfe Schläge über die Brust. »Auf die Knie, du Luder!«
Alle Männer verfolgten gespannt das Geschehen, außer Lord Rexton, der am Tischende saß, Gin trank und eine Zigarre rauchte. Er hatte sich weder am abendlichen Whistspiel der Männer beteiligt noch an ihren lockeren Gesprächen. Jessamines kleine Darbietung schien ihn auch nicht zu interessieren. Er wollte wohl nur trinken, und dabei hatte er bereits mehr getrunken, als Caroline bisher erlebt hatte.
Narcissa, der aufgefallen war, dass Caroline zu ihm blickte, flüsterte: »David hat schon die halbe Flasche geleert, während wir hier sitzen, und es sieht nicht so aus, als wolle er aufhören. «
David. Caroline hatte noch nie mit seinem Vornamen an ihn gedacht. Aber natürlich würde die Frau, die seine Geliebte gewesen war, ihn so nennen.
»Du hast ungeheures Glück gehabt, dass er dich gekauft hat«, sagte Narcissa zu Caroline.
»Ja, findest du?«
»Ich habe das Bett mit ihm geteilt, meine Liebe. David ist unvergleichlich. Wenn er nur nicht so gefühlskalt wäre.«
Vor diesem Abend und der herzlosen Episode im Nemeton hätte Caroline ihren distanzierten, grüblerischen »Herrn« vielleicht verteidigt. Aber seitdem er sie in dem Glauben gelassen hatte, jemand anderer würde sie nehmen, sah sie David Childe, Lord Rexton, mit anderen Augen. Er war ein Monster, und Caroline wollte nur noch den nächsten, letzten Tag der Sklavenwoche überstehen und ihre neunzigtausend Guineen einstecken. Seltsam, wie wenig sie in dieser Woche an das Geld gedacht hatte. Jetzt allerdings dachte sie nur noch daran, weil es der einzige Grund war, warum sie überhaupt hierblieb und sich mit Leuten wie Rexton abgab.
Auf dem Ritt zurück ins Château hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Als sie in ihrem Zimmer waren, hatte er ihrer Zofe aufgetragen, ihr Wein und etwas zu essen zu bringen und ihr ein Bad einzulassen. Aber wie um ihr zu beweisen, dass dies nicht aus Freundlichkeit geschah, hatte er hinzugefügt : »Wir gehen heute Abend zu den anderen hinunter, und ich möchte nicht, dass meine Sklavin aussieht wie ein Straßenmädchen aus St. Giles.«
»Was soll ich anziehen, Mylord?«
»Schwarze Strümpfe und diese schwarzen Samtslipper.«
Sie hatte einen Moment lang gewartet, dass er weiterredete. Als er jedoch schwieg, hatte sie geantwortet: »Ja, Mylord.«
Caroline hatte die ganze Woche über gehofft, dass sie niemals komplett unbekleidet vor den anderen erscheinen müsste. Es war zwar üblich, dass die Sklavinnen nackt waren – und im Übrigen auch einige der Herren –, aber sie hatte die Vorstellung immer schrecklich gefunden. Rexton hatte das wohl gespürt, denn er hatte es nie von ihr verlangt. Aber jetzt hatte sich alles geändert. Er wollte anscheinend unbedingt demonstrieren, dass ihre Gefühle ihm gar nichts bedeuteten. Caroline hingegen hatte am Nemeton den Entschluss gefasst, sich nie wieder so der Verzweiflung hinzugeben. Zu ihrem eigenen Besten musste sie genauso kalt und gleichgültig sein wie Rexton.
Als er sie, nackt bis auf Schuhe und Strümpfe, ins Esszimmer führte, ging sie mit hoch erhobenem Kopf neben ihm. Die meisten Männer musterten sie mit unverhohlener Neugier. Sie hatte nichts anderes erwartet. Es gab ein paar bewundernde Kommentare – nichts Grobes, abgesehen von Sir Edmund Bryde. »Seht ihr?«, sagte er, als Rexton sie am Tischbein ankettete. »Ich wusste doch, dass sie blond ist.«
Die Bemerkung wurde mit Gelächter quittiert, in das alle außer Rexton einstimmten – und außer Dunhurst, der Caroline auf eine Art anstarrte, die sie erschauern ließ.
Rexton hatte finster das Gesicht verzogen, als Charles Bricks später Narcissa dicht neben Caroline angebunden hatte. Wahrscheinlich vermutete er, dass seine Sklavin und seine frühere Geliebte über ihn reden würden. Gespräche zwischen den Sklavinnen waren erlaubt, wenn sie auf ihre Herren warteten, solange sie in ihren vorgeschriebenen Positionen verharrten und leise redeten. Caroline hatte schon gedacht, dass er sie trennen würde, aber wahrscheinlich war er bereits viel zu betrunken gewesen, als dass es ihn gestört hätte.
»War David die ganze Woche über blau?«, fragte Narcissa.
»Wie, blau?«
»Hat er sich mit Gin volllaufen lassen? Er hat schon viel getrunken, als ich mit ihm zusammen war, aber so viel doch nicht.«
»So ist es richtig, du kleine Schlampe. Nimm ihn tief auf.« Jessamine stand breitbeinig auf dem Tisch, die Hand in Laurels Haaren, während die andere Frau an dem großen Ebenholz-Phallus saugte. Mit einer Hand streichelte Laurel sich selbst, mit der anderen manipulierte sie den Phallus auf eine Art, die Jessamine höchst erregend zu finden schien. Sie stieß immer schneller zu, und ihr Atem kam in keuchenden Stößen.
»Hast du dich deshalb von Lord Rexton getrennt?«, fragte Caroline. »Wegen des Trinkens?«
»O nein, meine Liebe, ich hätte ihn nie verlassen. Er mag ja ein Bastard sein, aber er konnte die ganze Nacht durchhalten. Ich war manchmal am nächsten Tag so erschöpft, dass ich nicht aus dem Bett kam. Nein, er hat es beendet. Ich habe den unverzeihlichen Fehler begangen, ihm zu gestehen, dass ich mich in ihn verliebt hätte. Er zog sich sofort an und ging, und wenn wir uns nicht ab und zu einmal bei einem Ball oder in der Oper über den Weg laufen würden, hätte ich ihn nie wiedergesehen. Hier sehen wir uns natürlich, aber er tut so, als wäre ich unsichtbar. Er hat die ganze Woche über noch kein Wort zu mir gesagt.«
Jessamine und Laurel kamen gleichzeitig, und das Publikum klatschte zufrieden Applaus. Laurel wurde vom Tisch gehoben und durch Aster ersetzt. Jessamine nahm sie mit dem umgeschnallten Phallus, während sie gleichzeitig ihren Hintern mit der Leine peitschte.
»Hast du Lord Rexton letztes Jahr hier während der Sklavenwoche kennengelernt?«, fragte Caroline.
»Ach, du liebe Güte, nein. Ich bin letztes Jahr nur hierhergekommen, weil ich wusste, dass er hier sein würde. Unsere Trennung war noch nicht lange vorbei, und ich wollte wissen, wie er reagieren würde, wenn er mich als Sex-Sklavin eines anderen Mannes sehen würde. Ich war eine Närrin. Er zeigte keine Spur von Eifersucht. Ich glaube, er bemerkte nicht einmal, dass ich überhaupt da war. Allerdings wurde mir klar, wie sehr ich die Sklavenwoche genossen habe, also war es keine komplette Zeitverschwendung.«
»Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«, fragte Caroline.
»Oh, ich kenne David schon seit meiner Kindheit. Ich habe ihn über seine Cousine, Clarissa Lefever, kennengelernt. Nun, damals hieß sie noch Clarissa Bensley. Sie und ich waren Busenfreundinnen, sind es heute noch. Wir sind im gleichen Viertel in London aufgewachsen. Clarissas Mutter, Davids Tante, hat David bei sich aufgenommen, als seine Mutter gestorben ist. David hat als Sechsjähriger Scharlach gehabt. Seine Mutter hat die Dienstboten und die Familie weggeschickt, damit sie sich nicht ansteckten, aber sie ist dageblieben, um ihn zu pflegen. Er war eine ganze Woche lang alleine im Haus mit ihrer Leiche, weil Lord Rexton – der verstorbene Lord Rexton, Davids Vater – auf Nachricht von Lady Rexton gewartet hatte, ehe er mit den anderen wieder nach Greyton Hall, dem Familiensitz, zurückkam. Als er dann schließlich eintraf, verweste seine Frau schon in ihrem Bett, und David hatte sich im Stroh im Stall vergraben, starrte in die Luft und weigerte sich zu sprechen. Schreckliche Geschichte.«
Caroline verschlug es die Sprache. Sie blickte zu Lord Rexton, der erneut sein Glas mit Gin füllte. Er verschüttete ein paar Tropfen auf das Tischtuch, als er die Flasche mit unsicherer Hand abstellte.
»Schließlich war Seine Lordschaft es leid, dass David sich stumm stellte«, fuhr Narcissa fort. »So etwas kann einem aber auch auf die Nerven gehen. Und außerdem konnte er es David nicht vergessen, dass er für den Tod seiner Mutter verantwortlich war. Das sagte er ihm auch. Ihn im Haus zu haben war eine schmerzliche Erinnerung an …«
»Er hat einem sechsjährigen Kind gesagt, es habe seine Mutter getötet?«
»Na ja, in gewisser Weise war es ja auch so. Auf jeden Fall schickte sein Vater ihn nach London, zu den Bensleys, aber seinen älteren Bruder Alex behielt er bei sich zu Hause. In den ersten Wochen bei Clarissa und ihrer Familie gab er kein einziges Wort von sich. Ich sagte zu Clarissa, sie sollten den kleinen Idioten doch besser nach Bethnal Green schicken.«
»Das ist aber eine ziemlich … frühreife Äußerung für eine Sechsjährige«, sagte Caroline. Frühreif und unglaublich grausam.
»Ich habe gesagt, David war sechs. Wie alt ich war, habe ich nicht erwähnt. Ich habe auch nicht die Absicht.«
»Ah.«
»Ein paar Jahre später«, fuhr Narcissa fort, »schickte Davids Vater ihn nach Eton – Alex war bereits dort. David folgte Alex auch nach Oxford, und seine Lehrzeit als Anwalt verbrachte er bei Sir Charles Upcott. Laut Clarissa hatte er geglaubt, Jura sei ein altruistisches Fach, deshalb war er wohl ziemlich enttäuscht, als er feststellen musste, dass Burnham und Upcott kein Interesse daran hatten, sich mit dem Schmutz und Elend kleiner Schurken auseinanderzusetzen. Er kaufte eine Beteiligung an den königlichen Dragonern und überredete seinen Bruder, das Gleiche zu tun. Clarissa sagte immer, David könnte nicht einmal Wasser lassen, ohne dass Alex ihm die Stange hielt.«
»Hat David dir damals schon den Hof gemacht, oder kam das erst später?«
»Den Hof gemacht?« Narcissa kicherte spöttisch. »Schätzchen, er hat mir nie den Hof gemacht, wir haben einfach gefickt – allerdings erst letztes Jahr. Augie – mein verstorbener Mann – lebte noch. Ich muss zugeben, dass ich vor ein paar Jahren schon einmal versucht habe, David zu einer diskreten kleinen Affäre zu überreden – er war zu einem strammen jungen Mann herangewachsen –, aber da war er schon mit dieser absurden kleinen Ungarin verlobt, in die er wahnsinnig verliebt war, deshalb konnte ich ihn nicht überreden.«
Jessamine stöhnte ekstatisch auf und rammte ihren Phallus fest in Aster hinein, als sie der Orgasmus überwältigte. Brummel erlaubte ihr, ihre nächste Partnerin selbst auszusuchen, und auf Jessamines Bitte hin kam Angelique an die Reihe. Der Ebenholz-Phallus wurde gegen einen Elfenbein-Phallus gewechselt, der aussah wie ein männliches Glied mit zwei Köpfen, einem an jedem Ende. Jessamine rieb den Schaft gründlich mit Öl ein. Sie wies Angelique an, sich auf den Rücken zu legen und die Beine breitzumachen. Dann schob sie der zierlichen Französin ein Ende des Phallus hinein und setzte sich selbst auf das andere Ende. Mit sinnlicher Hingabe rieben sich die beiden Frauen aneinander. Sie küssten und liebkosten sich, und vor allem Angelique legte beträchtlichen Eifer an den Tag. »Oh, oui, baisez-moi! Baisez-moi!«
Laurel, die neben Don Ortiz stand, blickte weg. Ihre Augen schimmerten feucht.
»Sieht so aus, als ob Jessamine morgen Ärger kriegen würde«, meinte Narcissa.
»Was du da vorhin gesagt hast, dass David verlobt war …«, begann Caroline. »Ist er … er ist doch nicht verheiratet, oder?« Die Möglichkeit war ihr nie in den Sinn gekommen.
»Ach, um Himmels willen, nein. Die Verlobung endete auf unschöne Art und Weise, aber vorher schmachtete David sie an wie ein Schuljunge. Sie war recht hübsch – blond mit großen, grauen Augen –, und sie verstand es, sich anzuziehen und sich zu präsentieren, aber sie war ein Niemand, nicht von Adel und dazu auch noch eine Ausländerin.«
»Wie haben sie sich kennengelernt?«, fragte Caroline.
»Sie war die Tochter seines Philosophieprofessors. Er starb eines Tages an einem Schlaganfall und ließ Natalia mittellos und ohne Dach über dem Kopf zurück. David bat Alex und seine Frau, sie aufzunehmen – sie wohnten mittlerweile bei Lord Rexton in Greyton Hall, wegen Alex’ militärischer Verpflichtungen. David hatte Greyton Hall wegen seines Vaters immer gemieden, aber als jetzt Natalia dort wohnte, kam er öfter dorthin, und schließlich machte er ihr einen Heiratsantrag. Ein paar Monate später wurden er und Alex nach Waterloo geschickt, Alex wurde von einer Kugel in den Kopf getroffen, und David …«
»Alex ist in Waterloo gestorben?« Caroline setzte sich auf.
»Ja. Das ist für gewöhnlich so, wenn man von einer Kugel in den Kopf getroffen wird. David hat seine Leiche nach Hause gebracht. Ich war auf der Beerdigung. Er war unglaublich in sich gekehrt, auf diese unheimliche, beherrschte Art. Außer mit Natalia hat er an diesem Wochenende kaum ein Wort gesprochen. Clarissa hat gehört, wie er zu Natalia sagte, sie sei jetzt alles, was ihm noch bliebe, und dass er an Alex’ Tod schuld sei, weil er ihn überredet hätte, sich bei den Dragonern einzukaufen. Und so war es natürlich auch.«
Caroline biss sich auf die Zunge, um Narcissa nicht zu sagen, was sie von ihr hielt. Sie hatte Angst, dass sie dann nicht mehr weitererzählte, und sie erfuhr von ihr viel mehr von Lord Rexton, als er selbst über sich preisgeben würde.
»David versuchte, Natalia zu überreden, ihn direkt anschließend zu heiraten«, fuhr Narcissa fort, »aber sie bestand darauf zu warten. Ich wusste, warum er es so eilig hatte. Trauer macht Männer geil – Frauen übrigens auch. Das habe ich immer wieder erlebt. Ein geliebter Mensch stirbt, und man will nur noch ficken. David wollte die süße, unschuldige Natalia nicht vor der Hochzeitsnacht anfassen, aber er hatte schließlich Bedürfnisse. Ich wiederholte mein Angebot, mich diskret mit ihm im Heu zu wälzen, aber er hatte Natalia Treue geschworen, als sie sich verlobt hatten. Also ging er wieder zu den Dragonern, und einen Monat später wurde er erneut nach Hause gerufen. Das Herz seines Vaters hatte versagt, während er es mit seiner jungen Geliebten getrieben hatte.« Mit verschwörerischem Lächeln fügte Narcissa hinzu: »Und stell dir Davids Überraschung vor, als er herausfand, dass die Mätresse niemand anderer als seine geliebte Natalia war.«
Caroline verschlug es die Sprache. Sie schloss die Augen.
»Sie flehte ihn unter Tränen um Verzeihung an«, sagte Narcissa, »aber David war völlig außer sich, weil sie ihn gerade mit seinem Vater betrogen hatte. Wütend und am Boden zerstört warf er sie aus dem Haus. Greyton Hall gehörte jetzt ihm, und er erbte auch den Titel, da ja Alex tot war. Und jetzt fängt das eigentliche Drama erst an.«
Es kam noch mehr?
»Etwa zwei Monate später kam Natalia wieder angekrochen und klopfte an die Tür von Alex’ Haus in London, um ihn um Gnade zu bitten. Es stellte sich heraus, dass der alte Schwerenöter sie geschwängert hatte. Sie war ruiniert oder würde es sein, wenn man ihr erst einmal ansah, dass sie ein Kind trug. Sie bat David, sie zu unterstützen, bis das Kind kam. Danach wollte sie nach Ungarn zurückkehren. Das Kind, das ja schließlich mit ihm verwandt war, konnte er dann als Mündel aufziehen, bot sie ihm an. Aber er wollte davon nichts hören und erklärte ihr, sie habe sich selbst in Schwierigkeiten gebracht, jetzt müsse sie die Suppe auch auslöffeln. Es sei eine Frechheit, dass sie ausgerechnet ihn um Hilfe bäte, nachdem sie ihm das angetan hätte.«
»Er hat sie weggeschickt?«
»Ja. Am nächsten Morgen wurde er auf die Wache in der Newcastle Street gerufen. Sie hatten unterhalb der Southwark Bridge eine junge Frau aus der Themse gezogen. Sie hatte einen Brief mit seinem Namen auf der Brücke zurückgelassen, und sie hofften, er könne sie identifizieren.«
Caroline starrte Narcissa an. Sie dachte an die Nacht, als sie aus der Themse gezogen worden war. »Sie … sie hat sich ertränkt?«
»Nicht das erste Mal, dass das passiert ist. Jeden Tag stürzen sich ruinierte Mädchen von diesen Brücken.«
»Oh, mon dieu!«, rief Angelique, die Jessamine eng umschlungen hielt. »Oh! Je jouis! Je jouis!« Sie kam mit kleinen, spitzen Schreien, in die Jessamine einstimmte, als sie erneut zum Orgasmus kam. Sie setzte sich auf, drehte Angelique um und befahl ihr, sich auf alle viere zu hocken. Dann rieb sie sich am hochgereckten Hintern der anderen Frau.
Alle am Tisch starrten fasziniert auf die stöhnenden, sich windenden Leiber, nur Rexton blickte nicht auf. Er saß da wie ein alter Mann, der vergessen hatte, wo er war, und sich jemanden herbeiwünschte, der ihm den Weg nach Hause zeigen konnte.
»Natalia?«, sagte Rexton mit schwerer Zunge. Verdammter Gin!
Es war stockdunkel, und er war betrunken. Er hörte, wie ihr durchnässter Rock auf dem Boden schleifte, aber er sah nur die wirre, feuchte Masse ihrer blonden Haare – bis sie in das bernsteinfarbene Licht einer Straßenlaterne trat.
Er schrie auf und taumelte zurück, als er ihr aufgedunsenes, fleckiges Gesicht sah, die glasigen Augen und den aufgerissenen Mund. »Himmel! O Gott, Natalia!«
»Mylord!«, sagte sie.
»Nein. Gott. Nein.« Er zitterte. »Natalia …«
»Mylord, wacht auf.«
Sie schüttelte ihn, sie berührte seine Schulter und sagte: »Mylord. David. Ihr habt einen …«
Er stieß sie weg und setzte sich in der Dunkelheit auf, zitternd und schwitzend. »Du lieber Himmel. Oh, verdammt.«
Er war in einem Bett, hatte aber, abgesehen von seinen Schuhen und seiner Jacke, seine Kleider an. Wo zum Teufel war er?
»Mylord, ist alles in Ordnung?«
Eine Frau saß neben ihm, ein Schatten in der Dunkelheit. Sie streckte die Hand nach ihm aus.
Er wich zurück, fiel aus dem Bett und landete hart auf dem Teppich. Mühsam rappelte er sich auf. Trotz der Dunkelheit erkannte er nach und nach seine Umgebung – la Chambre Romaine. Sein Magen hob sich. Er stürzte ins Badezimmer und übergab sich in die Toilette.
Danach lehnte er sich keuchend an die Wand. Und dann übergab er sich noch einmal. Als er schließlich fertig war, spülte er sich den Mund aus und spritzte Wasser in sein Gesicht. Seine Hände zitterten wie bei einem alten Mann.
Im Schlafzimmer war es nicht mehr ganz so dunkel, anscheinend hatte Caroline Kerzen angezündet.
Sie hatte ihm Schuhe und Jacke ausgezogen, fiel ihm ein, als er halb besinnungslos vom Gin aufs Bett gefallen war. Was vorher passiert und wie er ins Zimmer gekommen war, daran konnte er sich nicht mehr erinnern.
Doch, er konnte sich noch an etwas erinnern. Er war auf der Treppe gestolpert, und Caroline hatte ihn gestützt, als er nach oben geschwankt war.
»Du lieber Himmel!« Er fuhr sich durch die schweißnassen Haare. Sie hatte ihm mit ihren kühlen Fingern über die Stirn gestrichen, und er war in tiefen Schlaf gefallen. Am liebsten wäre ihm gewesen, sie hätte ihn immer weiter gestreichelt, zärtlich und sanft, als sei er ihr Geliebter,
Gott, Rexton, du Narr. Du blöder Idiot. Lernst du es denn nie mehr?
»Mylord?« Sie stand in der Tür zum Badezimmer, in ihrem ärmellosen Leinenhemd, und schaute ihn aus ihren großen Augen an.
»Halt den Mund und hör auf, mich so anzusehen. Hör einfach auf!« Frustriert schlug er mit der Faust gegen die Wand, traf dabei aber die gläserne Ablage über dem Waschbecken, die in tausend Scherben zersprang.
»Oh, Mylord … Ihr blutet.« Sie griff nach seiner Hand, an der ein langer Schnitt klaffte.
»Halt den Mund!« Er hob die Faust. »Lass mich einfach in Ruhe …«
Erschreckt wich sie zurück.
»Oh, Scheiße«, flüsterte er. Er hatte noch nie eine Frau geschlagen, und jetzt stand er hier mit erhobener Faust vor ihr. »Verschwinde endlich«, sagte er. »Raus hier. Raus.«
»Ihr meint …« Sie blickte zur Zimmertür.
»Geh!«, brüllte er.
»Ich … ich werde nach Hause geschickt, wenn man mich außerhalb dieses Zimmers ohne Euch sieht.«
Er drängte sich an ihr vorbei und nahm die Leine aus der schwarzen Kiste. Erfolglos versuchte er, sie an ihrem Halsband zu befestigen. »Mach es selbst!«
Dann packte er sie und riss die Tür auf.
»Wohin bringt Ihr mich?«, fragte sie, als er sie den Gang entlangzerrte.
»Habe ich dir erlaubt zu sprechen?«
»N-nein, aber …«
»Dann halt deinen verdammten Mund.«
Frederick Weatherall, Marquess of Dunhurst, der aufgewacht war, als nebenan im Zimmer Glas splitterte, stand am Fenster seines Schlafzimmers und beobachtete, wie Rexton mit der Laterne in der einen Hand und der Leine in der anderen dieses kleine Luder Rose über den Rasen hinter sich herzog. Der Gang des Mannes war schleppend und unsicher. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie viel er getrunken hatte.
Dunhurst blickte ihnen nach, bis sie im Wald, der die Stallungen und das Kutscherhaus umgab, verschwunden waren. Dann schenkte er sich einen großen Whiskey ein, trank ihn und blickte nachdenklich in die Nacht.
Was würde er dafür geben, diese kleine Fotze einmal alleine zu erwischen und ihr eine Lektion zu erteilen – beiden, auch diesem Rexton, der sich in alles einmischte. Als ob Rexton sich ihm gegenüber nicht schon letztes Jahr ungeheuerlich genug benommen hätte, als er sein Zimmer durchsucht und versucht hatte, ihn von der Sklavenwoche auszuschließen – dieses Jahr hatte er ihn auch noch vor allen lächerlich gemacht. Als einziger Mann, der reich genug war, um Dunhurst bei der begehrten Rose zu überbieten, hatte er sie ihm doch absichtlich weggenommen. Und Dunhurst hatte sich mit Lili begnügen müssen, die – er wusste immer noch nicht, wie – die Rollen vertauscht und ihn schrecklich gedemütigt hatte.
In dem Brief, den Lili ihm hinterlassen hatte, hatte sie versprochen, niemandem von seiner Erniedrigung zu erzählen, vorausgesetzt, er bliebe die Woche über »brav«. Wenn ich jedoch nur den leisesten Verdacht habe, hatte sie geschrieben, dass Ihr einer der Sklavinnen wehgetan habt, werden alle hier genau erfahren, was mit Euch in jener Nacht passiert ist. Nach dem Zwischenfall mit Saffron hatte sie ihn gewarnt, dass sie beinahe ihre Drohung wahrgemacht hätte und dass er sich besser zurückhalten würde.
Das Problem war, dass Lili nicht die Einzige war, die von jener Nacht wusste. Es hatte noch eine Zeugin gegeben – Rose. Dunhurst hatte genug Freunde hier, um zu wissen, dass sie noch niemandem etwas erzählt hatte, aber was würde passieren, wenn sie erst wieder in London wären? Vielleicht würde sie die Geschichte einer Freundin weitertratschen, die es ihrerseits dann drei oder vier anderen Personen zutragen würde. Er würde unweigerlich seinen guten Ruf verlieren. Binnen Kurzem würden sich alle über ihn lustig machen – hinter seinem Rücken, aber vielleicht auch offen.
Am Waldrand tauchte ein Licht auf. Dunhurst ließ sein Glas sinken, als er sah, dass Rexton allein war. Der Viscount kam über den Rasen auf das Schloss zu und blieb nur einmal stehen, um sich an einem Baum abzustützen. Etwa eine halbe Minute lang verharrte er so mit gesenktem Kopf, dann wandte er sich wieder in Richtung Stallungen.
»Nein«, flüsterte Dunhurst.
Als ob Rexton ihn gehört hätte, blieb er erneut stehen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Dann drehte er sich um und ging entschlossen auf das Château zu.
Dunhurst lächelte.