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Noch zwei Minuten bis zur Inspektion, Mädels. Stellt euch in einer Reihe auf.« Mr. Llewellyn zeigte mit seiner Peitschenspitze auf die Mädchen. »Violet zuerst, dann Angelique, dann Laurel, dann … o Mann.« Er zog das Kompendium aus seiner Tasche und blätterte es durch, um die Sklavinnen in die richtige Reihenfolge zu bekommen. »Nach Laurel kommt Narcissa, dann Jessamine, Jonquil, Elle, Aster, Iris, Columbine, Poppy, Holly, Tulip, Rose, Lili und Saffron. Leckt euch über die Lippen und kneift noch mal in eure Nippel.«

Caroline rang nach Luft, als sie ihren Platz einnahm. Was tue ich bloß? Was in Gottes Namen tue ich hier bloß?

»Jede Sklavin muss den Ring am Ende ihrer Leine an der Sklavin vor ihr festmachen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Handgelenke sich über der Leine befinden«, fuhr der kleine Kerl fort. »Du natürlich nicht, Violet, deine Leine nehme ich, um die Prozession in den Saal anzuführen. Wenn die Inspektion vorbei ist, gehen wir am anderen Ende des Saals hinaus und warten im Hof, während jede von euch einzeln auf den Versteigerungsblock tritt.«

»Oh, Gott«, murmelte Caroline und befestigte mit zitternden Händen ihre Leine an Tulips Halsband. »Das ist Wahnsinn. Ich kann das nicht.«

Eine kühle Hand strich beruhigend von hinten über Carolines Schulter. »Hab keine Angst«, flüsterte Lili. »Es ist nicht so schlimm. Vielleicht findest du sogar Gefallen daran.«

Gefallen daran finden? Caroline warf Lili einen Blick über die Schulter zu. »Gefällt es dir denn?«

»Natürlich. Warum sollte ich es sonst tun?«

»Wegen des Geldes.«

»Ich brauche kein Geld. Was ich brauche, ist … Stimulation.«

Caroline war überrascht. Sie hatte Lili nicht so eingeschätzt.

»Du brauchst ja nicht zu bleiben, wenn du nicht willst«, fuhr Lili fort. »Du kannst auf der Stelle nach Hause gehen. Wo bist du denn zu Hause? In London?«

»Ja. Nein. Ich … ich habe kein Zuhause, keine Familie. Deshalb bin ich auch hier. Ich bin in einer verzweifelten Lage. Du hast keine Ahnung, wie verzweifelt.« Hilflos schüttelte sie den Kopf. »Ich kann nicht gehen. Ich muss hierbleiben, aber es ist … ich kann mir nicht vorstellen, wie ich es überstehen soll. Ich bin nicht so eine Frau, die … die so etwas tun kann. Ich bin eine Pfarrerstochter.«

»Legt eure Hände hinter den Kopf«, befahl Mr. Llewellyn. »Eure Handschellen werden von der Sklavin hinter euch am Halsband befestigt. Angelique, du machst es bei Violet, Laurel, du bei Angelique und so weiter. Saffron, ich mache es bei dir, weil du die Letzte in der Reihe bist.«

»Dann sei einfach jemand anderer«, flüsterte Lili. »Sei nicht Caroline. Sei Rose. Rose hätte keine Angst. Sie würde das Ganze als großartiges Abenteuer sehen. Und in einer Woche ist alles vorbei, und du hast das Geld.«

»Aster! Iris!« Llewellyn tippte den beiden Mädchen mit der Spitze seiner Peitsche auf die Schulter. »Hört auf, so albern zu kichern. Demut und Unterwürfigkeit! Ihr seid doch Sklaven, um Himmels willen!«

Von der anderen Seite des Vorhangs ertönte die Stimme von Mr. Hamilton Archer, dem englischen administrateur von Théophile Morel, dem geheimnisvollen Seigneur des Ombres, dem Grotte Cachée gehörte. Caroline mochte Archer, der die Sklavinnen bei ihrer Ankunft auf dem Schloss herzlich und respektvoll begrüßt hatte. Mr. Archer hielt eine kurze Begrüßungsansprache, dann stellte er Mr. Oliver Riddell von Riddells Auktionshaus vor, der mit dürren Worten verkündete, die Sklavinnen würden in Kürze den Saal betreten.

»Kinn hoch, Augen geradeaus«, befahl Llewellyn und ergriff Violets Leine. »Geht gerade, Brust heraus. Mit anmutigen Schritten und immer eine Leinenlänge Abstand von der Sklavin vor euch.«

»Ohne weitere Vorrede«, verkündete Mr. Riddell, »präsentiere ich Euch … die Inspektion der Sklavinnen.«

Llewellyn schob den Vorhang mit seiner Peitsche beiseite und trat hindurch, wobei er Violets Leine hielt, als führe er ein Pony am Zügel. Sie richtete sich auf und folgte ihm. Angelique flüsterte ein leises Stoßgebet, dann trat auch sie in den Saal hinaus, gefolgt von Laurel, Narcissa, Jessamine …

Von ihrem Platz ganz hinten in der Reihe konnte Caroline nur wenig vom Saal sehen, aber sie hörte den Applaus, mit dem jede Sklavin begrüßt wurde. Die Parade wohlgeborener junger Frauen in durchsichtigen Gewändern, aneinandergefesselt wie Tiere, war wohl ein ziemliches Schauspiel. Dadurch, dass die Hände hinter dem Kopflagen, wurden die Brüste hochgereckt, und durch den dünnen Stoff waren die Nippel und die dunklen Schatten zwischen ihren Beinen deutlich zu erkennen.

»Sei Rose«, flüsterte Lili, als Caroline mit klopfendem Herzen Tulip in den riesigen Saal mit der hohen Decke folgte. An der Wand rechts waren hohe Fenster, die offen standen, um die warme Nachtluft hereinzulassen. An der linken Wand öffneten sich zwei Türen zum Schlosshof, der prächtige Haupteingang und eine Dienstbotentür neben dem mit Samt verhängten Podest am hinteren Ende des Saals, das später als Auktionsblock dienen würde.

Die elegant gekleideten Männer standen alle auf, nur Rexton blieb auf seinem Samtsofa sitzen. Eine nach der anderen betrachtete er die Sklavinnen, als sie ihre Plätze an der Fensterwand einnahmen, dirigiert von Llewellyns Peitsche.

Caroline blickte starr geradeaus, aber sie sah doch, dass der Viscount mit gerunzelter Stirn die Reihe der Sklavinnen ein weiteres Mal musterte. Sein Blick glitt an Caroline vorbei, kehrte dann jedoch zu ihr zurück. Er studierte sie einen Moment lang, wobei er offensichtlich über ihr verändertes Aussehen nachdachte. Sein Blick fiel auf ihre Brüste, aber dann wandte er sich ab und hob seinen Cognacschwenker an den Mund.

Als der Applaus verebbte, begannen sich die potenziellen Bieter untereinander zu beraten. Sie zeigten auf diese oder jene Sklavin, während sie in ihren Kompendien blätterten. Die meisten schienen britischen, amerikanischen oder nordeuropäischen Ursprungs zu sein, aber es gab auch ein paar feurige Südländer und einen Mulatten. Und sogar ein Chinese war anwesend, groß für seine Rasse und exotisch attraktiv in seinem europäischen Anzug.

»Gentlemen, wenn ich um Eure Aufmerksamkeit bitten dürfte …« Mr. Riddell, der an seinem Podium stand, klopfte ein paarmal mit seinem Auktionshammer. »Ich bemühe mich, mich so kurz wie möglich zu halten, aber ich muss vor Beginn der Inspektion sicherstellen, dass die wesentlichen Erfordernisse des Sklavenbesitzes gewährleistet sind. Sollte irgendein Aspekt Euch missfallen, so ist jetzt der Zeitpunkt, vom weiteren Verlauf zurückzutreten.

Bitte beachtet, wenn Ihr heute Abend eine Sklavin erwerbt, dass sie die ganze Woche über Tag und Nacht Halsband und Fesseln tragen muss. Sollte es aus gesundheitlichen Gründen notwendig sein, sie daraus zu befreien, so wendet Euch an Mr. Llewellyn oder Dr. Coates, die beide im Besitz eines Schlüssels sind, um die Fesseln der betreffenden Sklavin aufzuschließen.

Eure Sklavin ist mit einer geeigneten Garderobe ausgestattet, die nach Abschluss der Auktion auf Euer Zimmer gebracht wird, ebenso wie eine Kiste mit weiteren Utensilien, die sich als nützlich erweisen könnten. Wie Ihr sie ausstattet, liegt jedoch völlig an Euch. Sie mag Kleidung tragen, die Ihr selbst mitgebracht habt, oder auch überhaupt keine Kleider, wenn Ihr das wünscht. Sie muss in dem Zimmer schlafen, das Ihr zugewiesen bekommen habt, es sei denn, Ihr würdet sie vor der Tür anbinden oder im Stall halten.«

Im Stall? Caroline blickte die anderen Sklavinnen an, um zu sehen, wie sie darauf reagierten, aber sofort versetzte ihr Mr. Llewellyn einen kleinen Schlag mit der Peitsche auf die Wange. »Augen geradeaus, Rose.«

»Ihr könnt Eure Sklavin nur dann alleine im Zimmer lassen, wenn sie sicher festgebunden ist«, fuhr Mr. Riddell fort. »Wenn sie Euch begleitet, muss sie ständig unter Kontrolle stehen. Das heißt, Ihr führt sie entweder an der Leine oder bindet sie irgendwo fest. Ihr müsst sie mit dem Namen anreden, der ihr gegeben worden ist, und sie darf Euch nur mit ›Herr‹ anreden. Ich darf Euch daran erinnern, dass den Gentlemen, die gegen diese Regel öfter verstoßen, die Sklavin weggenommen und an einen der anderen Gentlemen versteigert wird.

Da die Zahl der anwesenden Gentlemen die Zahl der Damen, die zur Versteigerung stehen, übersteigt, werden einige von Euch leider keine Sklavin ersteigern können, Ihr seid jedoch für die Sklavenwoche als Gäste hier auf Grotte Cachée willkommen. Denkt daran, dass ein ungebundener Gentleman keine Sklavin anfassen darf, es sei denn, ihr Herr gewährt Euch ihre Dienste. Sollte er einem solchen Privileg zustimmen, wird er die Art und Weise vorschreiben, in der Ihr sie benutzen könnt. Unter gar keinen Umständen dürft Ihr Euch ohne Erlaubnis einer Sklavin nähern. Das Gleiche gilt für Herren, die die Sklavin eines anderen Herrn benutzen wollen. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt nur, wenn der fragliche Sklave dies hier trägt.«

Er hielt eine schwere Goldkette hoch, an der ein herzförmiges Schloss aus schwarzer Emaille hing, das goldfarben verziert war. »Das ist die Herrenkette, bekannt auch als schwarzes Herz, das jedem Herrn zusammen mit seinem Schlüssel ausgehändigt wird, wenn er seinen Slaven in Besitz nimmt. Das Herz kann man herunternehmen und an das Halsband der Sklavin anschließen, wenn Ihr sie zeitweise zur öffentlichen Verfügung anbieten wollt. In diesem Fall müsst Ihr sie an einem Platz anbinden, der für alle zugänglich ist, und dort muss sie auch nach Gebrauch bleiben, damit andere sich ebenfalls an ihr vergnügen können. Eure Sklavin muss dieses Herz auch bei Spielen oder anderen Amüsements tragen, bei denen sie intimen Berührungen anderer Gentleman ausgesetzt ist.«

Ach du lieber Himmel, dachte Caroline. In was für eine Lage habe ich mich da gebracht?

»Und nun steht es Euch frei, die Sklavinnen ausführlich zu inspizieren«, sagte Riddell und fügte hinzu: »Ihr dürft sie untersuchen, wie es Euch angemessen erscheint, aber Ihr dürft weder das Inspektionsgewand heben noch sie auf schmerzhafte Art und Weise berühren. Eine Sklavin darf erst entkleidet werden, nachdem sie gekauft worden ist, und dann auch nur von ihrem Herrn oder dem Gentleman, dem ihr Herr diese Gunst gewährt hat.«

Caroline hatte das Gefühl, ihr Herz würde gleich aus dem Körper springen, als ein zerklüftet aussehender Mann mit einer Augenklappe – zweifellos Lord Cutbridge, Held der Schlacht von Vitoria – auf sie zutrat und grüßend den Kopf neigte. So gutes Benehmen hatte Caroline unter den Umständen nicht erwartet. Er ergriff ihr Kinn und drehte ihren Kopf hin und her.

»Ihr habt das Gesicht einer Göttin«, sagte er.

»Danke, Sir.«

»Ein Gentleman wird mit Sir angeredet, wenn ihr Erlaubnis habt, mit ihm zu sprechen, nie mit seinem richtigen Namen und Titel«, hatte Mr. Llewellyn sie angewiesen. »Nur der Gentleman, der euch kauft, wird natürlich mit ›Herr‹ angeredet.«

Cutbridge wies auf das Kompendium in seiner Hand und sagte: »Ist es wahr, dass Ihr beim Liebesakt Lust empfindet?«

»Äh … ja, Sir.«

Als ob er ihre Behauptung überprüfen wolle, fuhr er mit den Fingerspitzen über dem Gewand am Rand ihres Geschlechts entlang. Caroline stockte der Atem.

»Mir liegt nichts daran, mein Bett mit einer Dame zu teilen, die den Akt lediglich erträgt oder Lust vortäuscht, aber dabei nur ans Geld denkt.« Er streichelte sie leicht, und Carolines Haut begann zu prickeln. »Dann kann man ja gleich mit einem Möbelstück schlafen. Und viele Frauen auf dieser Welt sind so, viel zu viele. Ich habe da meine Erfahrungen. Wenn ich in einer Frau bin, möchte ich spüren, wie sie sich windet und zittert, wenn ihre Lust wächst. Ich möchte spüren, wie sich ihr Geschlecht um meines zusammenzieht, wenn sie kommt.«

Caroline stieg die Röte in die Wangen, als sie spürte, wie sie feucht wurde. Sie wusste, dass er das durch den dünnen Chiffon fühlen konnte.

»Reizend«, sagte er und lächelte. Er schlug sein Kompendium auf der Seite auf, über der ROSE stand, und machte sich eine Notiz, die Caroline entziffern konnte: Reagiert erstaunlich gut.

Nach ihm trat ein würdevoller, silberhaariger Mann zu ihr, der Caroline so gründlich betastete, als wäre sie eine Zuchtstute, die er kaufen wollte. Er öffnete ihr sogar den Mund und betrachtete ihre Zähne und ihr Zahnfleisch.

Dann schloss er die Finger um ihre Brüste und drückte sie, als wolle er ihre Nachgiebigkeit überprüfen. »Ihr habt nie ein Kind gehabt?«

»Nein, Sir.«

»Und Ihr habt nur das eine Mal Verkehr gehabt?«

»J-ja, Sir.«

Er schrieb auf ihre Seite: Fast eine Jungfrau, müsste eng sein.

Als er weiterging, schloss sie die Augen und holte tief Luft. Rechts von ihr ertönte ein beinahe unhörbares Flüstern: »Sei Rose.«

Verstohlen wandte Caroline den Blick nach rechts. Lili zwinkerte ihr zu. Hinter ihr stand ein gelehrt aussehender Mann mit Brille und knetete nachdenklich ihr Hinterteil.

Immer mehr Männer kamen und gingen. Sie musterten Caroline, fassten sie an und fragten sie die entsetzlichsten Dinge. Ihr einziger Trost lag in der Tatsache, dass sie nicht allein war. Jede Sklavin in der Reihe musste die gleiche demütigende Behandlung über sich ergehen lassen, manche mit offensichtlichem Unbehagen und andere, wie Lili, anscheinend gleichmütig.

Trotz ihrer Verlegenheit und ihrer Angst konnte Caroline es nicht verhindern, dass sich ihr Blut regte, als fremde Hände ihren Körper betasteten. Es lag ein seltsamer Trost darin, gefesselt zu sein, sodass sie sich gegen die lüsternen Angriffe nicht wehren konnte. Es war, als ob das schwere Halsband und die Handschellen dazu beitrugen, dass sie die Empfindungen genießen konnte, die die fremden Hände in ihr auslösten. Zuerst erschreckte es sie, dass sie Lust empfand, aber dann wurde ihr klar, dass sie die Woche, die vor ihr lag, wesentlich leichter überstehen würde, wenn sie ihre Vorbehalte ablegte und die Rolle spielte, die sie freiwillig angenommen hatte.

Sei Rose …

Rose würde sich keine Gedanken machen. Sie würde voller Abenteuerlust auf die Erfahrung zugehen, so wie Lili.

Immer mehr Männer musterten sie. Sie hoben ihre Brüste, zupften an ihren Nippeln, ließen ihre Hände zwischen ihre Hinterbacken und ihre Schamlippen gleiten … und dann gingen sie weiter und taten das Gleiche bei der nächsten Sklavin. Einer der wenigen, die sie nicht begrapschten, war ein attraktiver Mann mit hellen Haaren, in einem maßgeschneiderten Jackett und langen Hosen, was für abends eine unorthodoxe Wahl war. Sie hatte ihn schon in Magazinen abgebildet gesehen. Es war der im Exil lebende Beau Brummel. Flüchtig glitt sein Blick über sie, er machte ihr ein Kompliment über ihre Augen, und dann trat er zur nächsten Sklavin.

Caroline war überrascht, dass gelegentlich eine Sklavin und ein Gentleman sich näher kannten. Der Chinese trat auf Tulip links von ihr zu. Er sagte leise etwas zu ihr in ihrer Muttersprache, und sie antwortete ihm in der gleichen Sprache. Ein Lächeln huschte über ihre normalerweise wachsamen Züge. Zärtlich streichelte er ihr über die Wange, dann setzte er sich wieder und zündete sich eine Zigarre an.

Nicht lange danach, als »der Stiefelknecht« gerade vor Caroline kniete, ihre Slipper streichelte und dabei murmelte: »Reizend, reizend«, trat ein gut aussehender junger Mann zu Lili und begrüßte sie vertraulich. Er hatte ein jungenhaftes Lächeln und dunkle Locken, die sich im Nacken ringelten. Wie Mr. Brummel trug auch er statt der Kniehosen lange Hosen. Noch bevor Lili ihn beim Namen nannte, wusste Caroline, dass es sich um Inigo handeln musste, von dem die erfahreneren Sklavinnen erzählt hatten.

Lili nickte zu einem der Fenster und sagte: »Wir haben Gesellschaft. «

Caroline folgte Inigos Blick. Dort saß eine Katze, die ihr nie aufgefallen wäre, da ihr Fell so grau war wie die steinerne Fensterbank, auf der sie hockte. Inigo zwinkerte ihr zu, und sie zwinkerte zurück – oder es sah zumindest so aus.

»Hat dir schon einmal jemand die Möse geleckt?«

Der Stiefelknecht war weitergegangen, und jetzt stand ein großer, bulliger Mann vor ihr, der eher wirkte wie ein Preis-boxer, trotz seiner eleganten Kleidung. In einer Hand hielt er das Kompendium, aufgeschlagen auf ihrer Seite, die andere schloss sich um den Elfenbein-Knauf seines Spazierstocks.

Es war der Marquess of Dunhurst.

Der Peitscher.

Er sagte: »Ich habe dir eine Frage gestellt, Rose.«

»Nein … noch nie, Sir«, stieß sie hervor. Ihr Mund war auf einmal ganz trocken.

»Hast du mit den Jungs Fummeln gespielt?«

»N-nein, Sir.«

»Und wenn ich glauben soll, was hier steht«, sagte er und zeigte auf das Büchlein in seiner Hand, »dann sind sowohl dein Mund als auch dein Arsch in tadellosem Zustand.«

»J-ja, Sir.«

»Das Jungfernhäutchen allerdings nicht mehr.« Er senkte den Blick auf das Kompendium und las vor: »Defloriert vor zwei Jahren, aber seitdem kein Verkehr mehr.« Er blickte auf. »Kein einziger Stich in zwei Jahren?«

»Nein, Sir.«

Er las weiter: »›Charmant, unschuldig und ungeübt in den Liebeskünsten. Rose wuchs als jüngstes Kind eines Pfarrers auf dem Land auf.‹«

»Ja, Sir.«

»Ich habe dir keine Frage gestellt, Rose.« Dunhursts Augen waren hart wie kleine schwarze Knöpfe. »Hat man dir nicht beigebracht, deinen hübschen kleinen Mund zu halten, bis dir Erlaubnis zum Sprechen erteilt wird?«

Caroline versagte die Stimme. Sie schluckte und erwiderte: »Ja, Sir.«

Er machte sich eine Notiz: Nimmt keine Lehre an.

»Ungeachtet der öffentlichen Meinung«, sagte er, »ist es meine Erfahrung, dass die meisten Töchter des Klerus von beschränkter Tugend und minderem Charakter sind. Als junger Mann fiel ich einer Pfarrerstochter zum Opfer, die treulos und liederlich war wie jede Hure in Covent Garden. Es war eine schmerzliche, aber äußerst erhellende Lektion.« Er steckte das Büchlein in seine Jackentasche und fragte: »Besorgst du es dir selbst?«

»Ich … Entschuldigung, Sir, ich weiß nicht, was Ihr damit meint.«

»Befingerst du den kleinen Ackermann, schiebst du dir Dildos rein …« Er griff nach ihren Nippeln durch das Gewand und rollte und kniff sie mit starken Fingern. »Spielst du damit, um deine Lust zu entzünden?«

»Ich … ich … nein.«

Er funkelte sie böse an.

»Nein, Sir.« Caroline hatte sich tatsächlich ein paarmal, nachdem Aubrey mit dem Regiment in die Schlacht gezogen war, selbst berührt, weil sie versucht hatte, die kostbare Intimität ihrer einzigen gemeinsamen Nacht wieder heraufzubeschwören – aber danach schämte sie sich immer entsetzlich.

»Seltsam.« Dunhurst griff erneut zum Kompendium und las vor: »›Rose empfindet große Lust am Spiel der Venus und kommt leicht zum Höhepunkt.‹ Und doch bist du erst ein Mal gefickt worden. Ich habe bisher noch nie erlebt, dass ein Mädchen Lust bei der Entjungferung empfunden hat. Und du behauptest, du hättest es dir nie selbst besorgt? Woher willst du denn dann wissen, ob du überhaupt einen Orgasmus bekommen kannst?«

Caroline starrte ihn an. Vergeblich rang sie um eine Antwort.

Mit eisiger Stimme sagte er: »Du bist eine Lügnerin, Rose. Jemand sollte dich mit harter Hand erziehen.« Er kniff sie so fest in ihren linken Nippel, dass sie vor Schmerz aufschrie.

»Das reicht, Dunhurst.« Viscount Rexton, der wie aus dem Nichts auf einmal neben ihm stand, schob den Peitscher zur Seite und stellte sich selbst vor Caroline.

»Nur ein kleiner Appetithappen, alter Knabe«, sagte der Marquess. »Mir ist schon klar, dass ich die gesamte Mahlzeit erst genießen kann, wenn ich sie gekauft und bezahlt habe.«

Caroline war ihr Entsetzen wohl deutlich anzusehen, denn Lili wandte sich mit kokettem Lächeln an Dunhurst und sagte: »Ihr solltet mich kaufen, Lord Dunhurst. Ich könnte eine strenge Peitschenhand brauchen. Auf mein Wort, es fällt mir teuflisch schwer, brav zu sein.«

Dunhurst musterte sie mit glitzernden Augen von oben bis unten. Caroline dachte schon, er würde sie bestrafen, weil sie ihn ungefragt und dazu auch noch mit seinem Namen angesprochen hatte. »Lili, nicht wahr? Ich werde darüber nachdenken. «

»Geht weiter«, sagte Rexton zu Dunhurst. »Hier seid Ihr mit der Inspektion fertig.«

Rexton folgte Dunhurst auf den Fersen, ohne das Wort an Caroline gerichtet oder sie angesehen zu haben.

Caroline flüsterte Lili zu: »Das hättest du nicht tun brauchen. Wenn er am Ende nun dich ersteigert?«

Die schöne Perserin lächelte geheimnisvoll. »Ich habe meine eigenen Methoden, mit ungezogenen Jungen fertig zu werden. «

 

 

»Kneif dir in die Wangen, Rose«, flüsterte Mr. Llewellyn, der mit Caroline, Lili und Saffron im mondbeschienenen Hof vor der Dienstbotentür darauf wartete, dass der Auktionsblock frei wurde. »Sie sind mit Tulip beinahe fertig. Du bist die Nächste.«

Caroline hob ihre zitternden Hände, die zwar immer noch mit Handschellen gefesselt, aber nicht mehr am Halsband befestigt waren, und wischte sich die Stirn ab. Trotz der kühlen Nachtluft schwitzte sie.

Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und Mr. Riddells Stimme war klar und deutlich zu vernehmen. »Ich habe siebzehntausendfünfhundert Guineen von Sir Peter Byrde. Wer sagt achtzehntausend? Höre ich achtzehntausend für diese exotische Schönheit aus dem geheimnisvollen Osten? Sie kennt Stellungen, die ihren westlichen Schwestern fremd sind, und sie ist äußerst geschmeidig. Achtzehn?« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Achtzehntausend werden von Monsieur Inigo geboten. Bekommen wir achtzehntausendfünfhundert? Achtzehntausendfünfhundert von Lord Madderly. Höre ich neunzehntausend ? Monsieur Inigo bietet neunzehntausend. Wer bietet neunzehntausendfünfhundert?«

Es gab eine weitere, längere Pause. »Es ist wenig genug für diese bezaubernde Orientalin.« Es war allerdings mehr, als für jede andere Sklavin an dem Abend geboten worden war, abgesehen von Elle, die an Lord Cutbridge für siebenundzwanzigtausendfünfhundert Guineen versteigert worden war, ein neuer Rekord in der Sklavenwoche. »Neunzehntausend. Höre ich neunzehntausendfünfhundert?«

Einige Sekunden vergingen. »Das ist Eure letzte Gelegenheit, Gentlemen … dann.« Mr. Riddell schlug mit seinem Hammer krachend aufs Podium. »Verkauft für neunzehntausend Guineen an Monsieur Inigo. Monsieur, Ihr müsst nur bei Lord Rexton die nötigen Dokumente unterschreiben, und die bezaubernde Tulip gehört Euch.«

»Mach dich bereit«, flüsterte Mr. Llewellyn Caroline zu.

»Sei Rose, sei Rose, sei Rose«, hauchte Caroline.

Lili küsste sie auf die Wange. »Rose ist wunderschön, und sie weiß es. Sie liebt es, auf dem Block zu stehen. Du wirst schon sehen.«

»Unser nächstes Angebot«, verkündete Mr. Riddell, »ist ein exquisites, liebenswertes Geschöpf, das höchsten Ansprüchen genügt. Gentlemen, hier ist … Rose.«

Mr. Llewellyn öffnete die Tür weit und scheuchte Caroline in den Saal hinaus. Applaus brandete auf, als sie auf den Block stieg und ihren Platz neben Mr. Riddells Podium einnahm.

Sie stand mit dem Gesicht zum Publikum, das jetzt nicht mehr nur aus den zwei Dutzend Gentlemen bestand, sondern auch aus den dreizehn Sklavinnen, die bisher versteigert worden waren. Manche der Sklavinnen standen, wie Elle. Andere hockten auf den Hacken, eine Position, die Mr. Llewellyn ihnen beigebracht hatte. Sie mussten sie einnehmen, wenn ihr Herr »Sitz« sagte. Die anderen Kommandos waren »Knie«, »Auf Hände und Knie«, »Warte«, was bedeutete, dass man sich mit den Händen auf den Schenkeln vornüberbeugen musste, und »Knie nieder«, wobei man sich hinknien und mit einer Wange den Boden berühren musste, eine Position, die Caroline schrecklich peinlich war. Schließlich gab es noch Kommandos, sich hinzulegen, »Auf den Bauch« und »Auf den Rücken«, beides mit gespreizten Beinen.

Carolines Hände zitterten, und Hitze stieg ihr ins Gesicht. Sie hatte sich vorher entblößt gefühlt, aber jetzt, wo sie alleine und beinahe nackt auf dem Block stand und so viele Augen auf sie gerichtet waren, verstärkte sich das Gefühl noch. Sie hielt den Blick starr auf die leere Musiker-Galerie am anderen Ende des Saals gerichtet, aber aus den Augenwinkeln konnte sie das meiste in dem riesigen Saal doch sehen. An der äußeren Wand stand ein hoher Konsoltisch, an dem Inigo, mit Tulip neben sich, stand und Papiere unterzeichnete, die Lord Rexton ihm reichte.

»Wenn Ihr Eure Kompendien zurate ziehen wollt, Gentlemen«, sagte Mr. Riddell, »werdet Ihr sehen, dass unsere reizende Rose erst einmal gepflückt worden ist. Deshalb wird sie Gentlemen gefallen, die Unschuld bevorzugen, ohne jedoch die Mühe der Entjungferung auf sich nehmen zu wollen. Sie ist bezaubernd naiv, aber sehr lernwillig und von angenehmem Temperament. Und ich brauche wohl kaum zu betonen, dass ihre Schönheit unvergleichlich ist. Wir eröffnen die Auktion für diese Novizin bei zweitausend Guineen. Danke, Sir«, fügte er hinzu, als der Stiefelknecht seine Hand hob. »Zweitausend von Sir Thomas Quirk.«

Bitte, der Stiefelknecht soll mich kaufen, betete Caroline im Stillen. Bitte …

»Höre ich zweitausendfünfhundert?«, fragte Mr. Riddell. »Zweitausendfünfhundert werden geboten vom Conte Montesano. Wer sagt dreitausend? Ich habe dreitausend vom Marquess of Dunhurst.«

Nein, nein, nein, nicht er. Bitte, Gott, jeder andere, aber nicht er.

»Höre ich dreitausendfünfhundert …?«

Die Auktion, an der sich fast ein Dutzend Männer beteiligten, schritt rasch voran. Carolines Herz raste, als der Preis zehntausend Guineen, dann fünfzehntausend, überstieg. Das Feld der potenziellen Käufer wurde nur langsam kleiner. Vielleicht lag es ja daran, dass nach ihr nur noch Lili und Saffron kamen. Wenn jemand unbedingt eine Sklavin ersteigern wollte, musste er sich beeilen.

Einige Männer – leider auch der Stiefelknecht – boten nicht mehr mit, als die Grenze von zwanzigtausend Guineen überschritten wurde, da sie sich anscheinend nicht mehr leisten konnten. Gemurmel erfüllte den Saal, als die Summe Elles Kaufpreis von siebenundzwanzigtausendfünfhundert erreichte, und als der italienische Graf namens Montesano achtundzwanzigtausend bot, wurden anerkennende Rufe laut. »Gut gemacht, alter Knabe!« »Sie ist jeden Penny wert!«

Achtundzwanzigtausend Guineen, dachte Caroline benommen. Nach den zehn Prozent, die sie an das Auktionshaus und die Kanzlei abgeben musste, würden ihr noch fünfundzwanzigtausendzweihundert bleiben, eine unglaubliche Summe, mehr als genug für ein Cottage und eine Schule – oder vielleicht konnte sie auch ein eigenes Haus ganz nach ihren Vorstellungen bauen, mit Klassenzimmern und einem Schlafsaal.

Carolines Aufregung schwand jedoch, als Dunhurst den Italiener um fünfhundert Guineen überbot. Er warf Caroline einen kalten, höhnischen Blick zu, als er seinen Stock hob.

»Höre ich neunundzwanzigtausend?«, fragte der Auktionator. »Ich habe neunundzwanzigtausend vom Conte. Neunundzwanzigtausendfünfhundert ? Neunundzwanzig fünf von Lord Dunhurst. Wer bietet dreißigtausend?«

Der Graf zögerte. Er blickte zu Caroline, als wolle er sich vergewissern, dass sie ihren Preis wert war. Sie schenkte ihm ein liebenswürdiges, verführerisches Lächeln.

Bitte, o bitte …

Er hob die Hand unter dem Jubel der anderen.

Caroline stieß erleichtert die Luft aus. Bitte, biet weiter. Bitte, kauf mich. Ich kann nicht zu Dunhurst gehen.

Die Auktion ging zwischen den beiden Männern immer weiter, bis sie schließlich bei neununddreißigtausendfünfhundert Guineen angekommen waren.

»Wollt Ihr das Angebot des Marquess überbieten?«, fragte Riddell den Conte Montesano.

Montesano betrachtete Caroline bedauernd.

»Wollt Ihr vierzigtausend bieten, Sir?«, fragte Riddell.

Caroline blickte ihn flehend an, aber der Graf wandte sich mit einem resignierten Kopfschütteln ab.

Dunhurst lächelte Caroline aus toten Augen an.