6
Sir Albert Nickerson, der links von Caroline an dem langen Tisch im eichengetäfelten Esszimmer saß, riss ein Stück von seiner Brioche ab und bestrich es mit Butter und Auvergnat-Fruchtpaste. Er schnalzte mit der Zunge und wandte sich der nackten Holly zu, die neben ihm auf dem Teppich hockte, die Hände hinter dem Rücken gefesselt.
Sie blickte auf und öffnete ihren Mund, damit Sir Albert sie füttern konnte.
»Nimm alles«, forderte er sie auf und lächelte, als die erfahrene Sklavin mit sinnlichem Vergnügen Butter und Fruchtpaste von seinen Fingern schleckte.
Er zog sie auf seinen Schoß, sodass sie ihn anschaute. Rasch knöpfte er seine Hose auf, was Caroline veranlasste, starr auf ihren Teller zu blicken. Aber aus den Augenwinkeln sah sie trotzdem, wie er einen Klecks Butter nahm und ihn auf seinem steifen Glied verrieb.
»Lass dir Zeit«, erklärte er, als sie sich auf seinen gefetteten Schaft setzte. »Ja, so ist es richtig. Genau so.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
Mit Ausnahme von Lord Rexton, der düster schweigend vor sich hin brütete, beobachteten die Gentlemen am Tisch die Szene mit offenem Interesse. Zwei oder drei der ungebundenen, sklavenlosen Gentlemen – die man daran erkannte, dass sie kein schwarzes Herz um den Hals trugen – streichelten sich verstohlen unter dem Tisch.
Monsieur Pomerleau, der gegenüber von Caroline saß, sprach leise mit der dunkelhaarigen Poppy, die neben ihm stand. Sie trug ein rosa kariertes Flanellkleid, das unschuldig ausgesehen hätte, wenn es nicht am Busen zwei spitzengesäumte Löcher gehabt hätte, aus denen ihre cremeweißen Brüste mit scharlachroten Nippeln herausragten. Sie ließ sich auf alle viere nieder und kroch unter den Tisch, während ihr Herr sich im Stuhl zurücklehnte, den Blick erregt auf Sir Albert und Holly gerichtet.
Von den Sklavinnen im Esszimmer war Caroline die Einzige, der es erlaubt war, sich am üppigen Buffet zu bedienen und am Tisch zu sitzen. Drei mussten am Boden hocken und wurden wie Hunde gefüttert, zwei andere standen da und bekamen anscheinend gar nichts zu essen. Sie waren entweder völlig nackt oder nach den Wünschen ihres Herrn bekleidet – außer Caroline. Nachdem sie am Morgen gebadet und ihren Schwamm frisch getränkt hatte, hatte sie Lord Rexton gefragt, was sie anziehen sollte, aber er hatte nur entgegnet, das sei ihm gleichgültig und sie solle ihn nicht mit solchen lästigen Fragen behelligen.
Daraufhin hatte Caroline ein Kleid aus dünnem weißem Batist gewählt, das sie über mehreren Schichten von Unterröcken trug, damit es nicht durchsichtig war. Es war zwar lächerlich, weil sie ja am Abend zuvor de facto nackt vor allen gestanden hatte, aber sie fühlte sich so doch ein wenig wohler. Allerdings stand ihre Kleidung in absurdem Kontrast zu ihren goldenen Fesseln und der Leine, die Rexton wieder an ihrem Halsband befestigt hatte, bevor sie zum Frühstück gegangen waren.
Rextons Frühstück bestand aus einer Tasse Kaffee mit einem Schuss Brandy – als Gegenmittel für seinen Kater. Er hatte bis nach zehn Uhr draußen auf dem Balkon geschlafen und war völlig zerschlagen und mürrisch aufgewacht. Als er sich jedoch gewaschen, rasiert und angezogen hatte, war Caroline überrascht, wie gut er aussah. Statt der Kniehosen trug er, wie die meisten jüngeren Männer, lange Hosen. Aber er war neben Mr. Brummel, der das Esszimmer gerade verließ, als Caroline und Rexton es betraten, der Einzige, der statt des Cutaways eine der neuen, modernen Jacken trug, die vorn ganz zugeknöpft werden konnten.
»Dunhurst! Ihr seht ja schrecklich aus!«, begrüßte Lord Gatleigh den Marquess, der mit verquollenen Augen an den Tisch trat. Er setzte sich an das andere Ende, einen Teller mit Eiern und Speck in einer Hand, seinen Spazierstock in der anderen. Er stellte den Teller auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heraus und ließ sich vorsichtig darauf nieder.
»Lange Nacht, was?«, erkundigte sich Sir Edmund Bryde, der silberhaarige Gentleman, der Caroline so gründlich gemustert, aber keine Sklavin gekauft hatte.
»Ganz richtig!«, grunzte der Marquess, schnitt ein Stück Speck ab und spießte es auf seine Gabel.
Caroline fragte sich, ob er sich überhaupt an etwas erinnern konnte, da er doch unter Hypnose gestanden hatte.
»Lass uns spüren, wie du kommst«, drängte Sir Albert, während Holly sich auf ihm wand. »Sag uns, wenn du so weit bist.«
»Ja, Herr.«
Caroline warf ihnen einen verstohlenen Blick zu. Es erstaunte sie, dass Holly sich vor all diesen lüsternen Fremden so gehen lassen konnte. Es schien sogar echt zu sein. Ihre Bewegungen wurden immer schneller, und ihr Gesicht und ihre Brüste waren dunkel errötet.
»Bist du nahe dran?«, fragte ihr Gebieter, der ebenso atemlos war wie sie.
»Ja, Herr«, keuchte sie.
Caroline wollte sich nicht von dieser schamlosen Handlung erregen lassen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Wie mochte es wohl sein, dachte sie, einen sexuellen Akt vor anderen durchzuführen? Für Caroline wäre es entsetzlich peinlich. Aber Rose würde die Erfahrung vielleicht genießen.
Lord Gatleigh stieß Dunhurst mit dem Ellbogen an. »Hast die wollüstige kleine Heidin deinen Pimmel spüren lassen, was?«
»In jedes Loch. Vielleicht habe ich ihr sogar ein paar neue gemacht.«
»War sie unterwürfig? Ist sie vor dir gekrochen?«
»Sie hat um Gnade gefleht, wollte aber gleichzeitig immer weiter gefickt werden.« Dunhurst schob sich eine Gabel voll Speck in den Mund und kaute grinsend – bis ein besonders dramatisches Stöhnen von Holly seine Aufmerksamkeit auf Carolines Platz lenkte. Er hielt inne und blickte sie aus seinen harten kleinen Augen nachdenklich an. Seine Wangen wurden hochrot.
Dann blickte er abrupt weg. Als er seine Teetasse an den Mund hob, verschüttete er den halben Inhalt auf das Tischtuch. »Herrgott noch mal!«
In diesem Moment wurde Caroline klar, dass er sich an alles erinnerte – auch daran, dass sie Zeugin seiner Erniedrigung geworden war. Er und nicht Lili hatte unterwürfig gefleht, und was noch schlimmer war, Caroline wusste auch, dass er Lili gar nicht penetrieren konnte, geschweige denn in »jedes Loch«.
Bei dem Gedanken an Dunhursts Impotenz fiel Caroline ein, dass Rexton die Nacht lieber auf dem Balkon verbracht hatte, als zu ihr ins Bett zu kommen. Auch damals, in der ersten Nacht bei ihm zu Hause, hatte er ihr widerstrebendes Angebot, mit ihm zu schlafen, weil er sie vor dem Irrenhaus bewahrt hatte, abgelehnt. Konnte es sein, dass Rexton auch impotent war? Sie hatte gehört, dass das geschehen konnte, wenn jemand zu viel Alkohol trank.
»Ich komme, Herr«, keuchte Holly. Sie zitterte am ganzen Körper. Sir Albert bäumte sich auf und gab einen leisen, erstickten Laut von sich.
»Dunhurst, alter Knabe«, sagte Sir Edmund im Plauderton, als bekäme er diese lüsterne Szene gar nicht mit, »wo ist denn Euer schwarzes Herz? Wir sollen es doch immer tragen. Wenn diese kleine Tunte Llewellyn Euch sieht, trägt er es gleich an Riddell weiter, und Ihr bekommt einen Verweis.«
Der Marquess blickte finster auf seinen Teller. »Die kleine Fotze war keinen Schilling wert, geschweige denn das, was ich für sie hätte zahlen müssen. Ehe ich mir so etwas wie sie noch einmal antue, bleibe ich lieber allein.«
Oh, zum Teufel, dachte Rexton. Wie war er bloß auf die Idee gekommen, er könne seinen Kater in Ruhe auskurieren?
Er setzte seine Kaffeetasse ab und beugte sich vor, sodass er Dunhurst direkt ansah. »Was hast du mit ihr gemacht?«
Dunhurst verzog höhnisch die Mundwinkel. »Eure Sorge ist rührend, Rexton, aber an sie verschwendet.«
»Und wo ist sie?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war sie weg. Sie hat eine Notiz hinterlassen, sie wolle nicht mehr meine Sklavin sein.«
»Una donna astuta«, murmelte der frauenlose Conte Montesano, der rechts neben Rexton saß. »Sehr klug, nicht wahr?«, fügte er hinzu.
»È molto astuta«, pflichtete Rexton ihm bei.
»Ich glaube, ich habe sie heute Morgen auf dem Weg zum Badehaus gesehen«, warf Lord Madderly ein, der ebenfalls keine Sklavin hatte. »Sie war mit Cutbridge und dessen Sklavin, dieser prachtvollen Blonden, zusammen.«
Dunhurst zeigte mit seinem Messer auf Rexton und sagte: »Ich erwarte von Euch, dass Ihr meinen Schuldschein zerreißt. Ich schulde ihr jetzt keinen Penny mehr. Und ich erwarte, dass Ihr das Weib wegschickt. Sie soll wieder in die Türkei oder nach Ägypten, oder wo sie sonst herkommt, verschwinden. Sie muss weg.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Rexton.
» Was?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Vertragsbedingungen verletzt hat.«
»Doch, natürlich. Sie … sie …« Der Marquess blickte in die Runde. »Sie …«
»Wenn ich Euch Glauben schenken darf«, sagte Rexton, »hat sie Euch erlaubt, sie ›Eurem Willen zu unterwerfen‹, was bedeutet, dass sie ihren Teil des Vertrags erfüllt hat. Aber anscheinend hat sie sich freiwillig dazu entschieden, ihn aufzulösen und auf das Geld zu verzichten, nur um von Euch wegzukommen. «
Einige der Gentlemen kicherten, und selbst Dunhursts alte Kumpel, Gatleigh und Sir Edmund, mussten sich das Lachen verkneifen.
Dunhurst warf Rexton einen bösen Blick zu. »Ob freiwillig oder nicht, das kommt doch auf dasselbe heraus.«
Rexton schüttelte den Kopf. »Nicht laut Vertrag. Da sie ihn beendet hat, werde ich Euren Schuldschein tatsächlich zerreißen, Dunhurst, aber ich habe keine Handhabe, sie wegzuschicken, wenn sie hierbleiben will.«
»Hierbleiben?«, rief Dunhurst. »Als was denn? Sie wäre doch dann keine Sklavin mehr.«
»Versteigert sie doch erneut!«, schlug Sir Edmund vor.
»Nur wenn sie es wünscht«, sagte Rexton. »Ansonsten muss ich ihr gestatten, hierzubleiben als … na ja, als freie Frau sozusagen. «
»So etwas gibt es nicht«, sagte Dunhurst.
»Doch, jetzt schon«, widersprach Rexton. »Wenn die Dame es wünscht.«
»Hurensohn!«, knurrte Dunhurst und ballte die Hände zu Fäusten. Er warf Rexton einen finsteren Blick zu. »Ihr habt etwas gegen mich seit letztem Sommer, als diese verdammte Dahlia meinen guten Namen in den Dreck gezogen hat. Ihr habt gegen den Herrn Partei für die Sklavin ergriffen. O ja, ich weiß Bescheid. Ihr wart derjenige, der veranlasst hat, dass mein Zimmer nach diesem Stock durchsucht worden ist, den sie sich eingebildet hat, als ob ich ein gewöhnlicher …«
»Diese Unterhaltung ermüdet mich«, sagte Rexton. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Ich weiß, dass Ihr sie mit sechzehntausend Guineen nach Hause habt gehen lassen, die sie nicht verdient hatte«, tobte Dunhurst.
»Komm, Rose«, sagte Rexton.
»Ach, das wollt Ihr wohl nicht hören, was?« Dunhurst sprang auf. »Ihr wollt nicht daran erinnert werden, was für ein Gimpel Ihr wart. Habt diesem verlogenen Miststück sechzehntausend Guineen in den Rachen geworfen.«
Rexton ergriff Caroline am Arm und trat mit ihr an den Ausgang zum Rosengarten an der Westseite des Schlosses.
»Und ich weiß auch, dass Ihr versucht habt, mich von der Sklavenwoche auszuschließen«, wütete der Marquess. »Aber Sir Charles und Oliver Riddell wussten, was ich für eine Sklavin bezahlen kann, und sie wollten ihren Anteil daran. Ihr nicht, Rexton, was? Ihr braucht ja mein Geld nicht, Ihr habt selber genug – jedenfalls so viel, dass Ihr hunderttausend Guineen für so eine«, er zeigte mit seinem Stock auf Caroline, »zahlen könnt, nur damit ich sie nicht bekomme. Warum hättet Ihr das sonst tun sollen? Sie ist ja schließlich nichts Besonderes, nur eine gierige kleine Schlampe wie all die anderen …«
Er tobte immer weiter. Rexton zog Caroline einen gepflasterten Weg entlang, der von schmiedeeisernen Bänken gesäumt war. Auf einer saß Beau Brummel mit seiner Sklavin, der jungenhaften Jessamine. Jessamine, die nur ein Männerhemd trug, kniete mit dem Gesicht zur Lehne auf der Bank, Hände und Füße an die schmiedeeisernen Verzierungen gekettet. Sie zuckte bei jedem Stoß des elegant gekleideten Brummel zusammen. Er stand hinter ihr, hielt mit einer Hand ihre kurzen Haare gepackt und hatte mit der anderen das Hemd hochgeschoben, um ihre Vereinigung beobachten zu können.
Sie kopulierten auf griechische Art, stellte Rexton fest. Auch Caroline war es nicht entgangen, denn sie wurde blass und blickte weg, als sie an dem Paar vorbeikamen.
Sie versuchte, ihren Arm aus seinem Griff zu winden, als er sie zum Badehaus führte.
»Mylord«, flehte sie. »Ihr tut mir weh.«
Er blieb stehen und ließ sie los. Als er seine Fingerabdrücke auf ihrem Arm sah, verzog er das Gesicht. Er nahm seinen Flachmann heraus und trank einen Schluck.
»Ist … ist das wahr?«, fragte Caroline und rieb ihren Arm. »Dass Ihr Dahlia sechzehntausend …«
»Ihr dürft nur sprechen, wenn Ihr etwas gefragt werdet.« Er verschloss die Flasche wieder und steckte sie in die Tasche.
»Aber …« Sie blickte sich um. »Hier ist doch niemand, und ich dachte, die … die Regeln seien Euch gleichgültig.«
»Bis auf die eine, dass Ihr Euren Mund halten sollt.«
Caroline blickte Rexton mit ihren großen, unergründlichen Augen an.
»Ja, Herr«, sagte sie dann – nicht spöttisch oder unterwürfig, sondern mit einer boshaften Nuance, die er unwillkürlich bewundern musste.
»Unverschämtes Ding!« Er packte ihre Leine und zog sie mit sich.
Er wollte sie nicht bewundern. Er wollte eigentlich gar nichts mit ihr zu tun haben, aber jetzt hatte er sie die gesamte Woche über am Hals. Dunhurst hatte recht. Er war ein Trottel. Zuerst Dahlia, und jetzt diese hier. Diese bedrängten Jungfrauen, das war seine Achillesferse. Sein Drang, den Retter zu spielen, war die einzige verletzliche Stelle in dem undurchdringlichen Panzer, den er sich in den letzten zwei Jahren zugelegt hatte. Er machte ihn schwach und dumm, und er musste endlich versuchen, ihn zu überwinden.
»O mein Gott!«, sagte sie, als sie hinter einer Wegbiegung das Badehaus erblickte. »Es ist ganz großartig! Wurde es tatsächlich von den Römern erbaut?«
Er seufzte und erwiderte: »Ihr habt nicht die Absicht, den Mund zu halten, oder?«
»Oh, Entschuldigung – ich habe es vergessen.«
»Nun, wenn Ihr es in Gegenwart der falschen Person vergesst, werdet Ihr am Ende noch an jemanden wie Dunhurst versteigert. Und dann kann ich Euch nicht mehr helfen.«
Als sie näher an das Badehaus herankamen, sah Rexton Gilles Bertrand und seine nackte Sklavin, die große, rundlich hübsche Jonquil, die an einem Baum standen und sich umarmten. Jedenfalls glaubte er das, bis er noch näher kam und feststellte, dass Jonquil mit dem Gesicht zum Baum stand und Bertrand hinter ihr sie langsam stieß. Schon wieder ein Geschlechtsakt im Freien – es musste an der guten Luft liegen.
Caroline blickte betont weg, wie sie es schon bei Brummel und Jessamine getan hatte, und er hätte sie für prüde gehalten, wenn sie an den lüsternen Vorgängen am Frühstückstisch nicht so schlecht verborgenes Interesse gezeigt hätte.
»Na, steht Ihr schon unter Schock?«, fragte er und führte sie an der Leine zum Eingang des Badehauses. »Die Woche hat doch gerade erst begonnen.«
»Ich … ich bin nicht schockiert.« Sie wirkte gekränkt.
Rexton schnaubte zweifelnd.
»Nein, wirklich nicht. Ich bin vielleicht nicht so … erfahren wie manche, aber ich bin doch weltgewandter, als Ihr glauben mögt.«
»Sir Charles hat mir erzählt, dass Ihr beinahe in Ohnmacht gefallen seid, als er Euch seine kleine Sammlung von schmutzigen Bildern gezeigt hat.«
Sie errötete und sagte: »Ja, nun, seit damals habe ich mich daran gewöhnt, dass es … in diesen Angelegenheiten verschiedene Geschmäcker und Vorlieben gibt. Aber manche Dinge …« Ohne hinzublicken, wies sie mit dem Kinn in die Richtung von Bertrand und Jonquil. »Es ist einfach nicht normal.«
»An sexueller Lust ist nichts Unnatürliches«, sagte Rexton. »Außer man treibt es mit Tieren.«
»Ein Mann mag ja vielleicht Gefallen an einem solchen Akt finden, aber eine Dame? Ich denke nicht.«
»Ihr denkt zu viel. Habt Ihr nie Eure Vorurteile über Bord geworfen und Euch einfach einer neuen Erfahrung hingegeben …?«
»Wenn es mir falsch vorkommt, nicht«, antwortete sie. »Uns stehen ja nicht ohne Grund die Kräfte der moralischen Beurteilung zur Verfügung.«
»So spricht eine Pfarrerstochter«, murmelte er.
Carolines Nasenflügel zuckten, als sie das Badehaus betraten. »Was ist das für ein süßlicher Geruch?«
»Raucht man in St. Giles kein Opium?«
»Das ist Opium?« Sie riss die Augen auf, als sie in den Baderaum trat und sah, was dort vor sich ging.
Auf dem Marmorboden um das Becken lagen Seidenkissen, auf denen sich etwa ein Dutzend Körper räkelten, alle nackt oder so gut wie entkleidet – mit Ausnahme des völlig bekleideten Li Menshang, der mit einem Lacktablett neben dem Eingang zur Höhle saß und eine Spindel, an der eine braune, blubbernde Paste hing, über einer Spirituslampe drehte. Das gekochte Opium drückte er in die Höhlung einer Bambuspfeife, wobei er darauf achten musste, dass es nicht zu kalt wurde und erstarrte. Es war ein komplizierter Vorgang, den auch Rexton erst nach einiger Zeit beherrscht hatte.
Als er fertig war, zog er die Spindel mit einer raschen Drehbewegung heraus und reichte die Pfeife Inigo, der neben ihm lag, Lis Geliebte, Tulip, in den Armen. Inigo war von der Taille aufwärts nackt, und seine Hose war nicht zugeknöpft. Als er leicht die Hüften drehte, sah Rexton, dass sein Schwanz in ihr steckte.
Inigo ergriff die Pfeife und überraschte Rexton, als er Li auf Chinesisch dankte. »Fei chang gan xie.«
»Bie ke qi.« Li lehnte sich an die Felswand und zog sanft an der Leine seiner eigenen Sklavin, Violet, die bis jetzt an seinen Füßen gelegen und sich träge mit einem Elfenbein-Dildo masturbiert hatte. Ihr Gesichtsausdruck zeigte die gleiche sinnliche Verzückung wie die Miene ihres Herrn, Inigos und Tulips. Die Pfeife ging wahrscheinlich schon eine ganze Weile herum.
»Auf französische Art, bitte«, sagte Li auf Englisch mit schwerem Akzent zu Violet und knöpfte seine Hose auf.
Inigo hatte sich im Jahr zuvor mit Rexton angefreundet. Jetzt nickte er ihm zu. Rexton erwiderte den Gruß, dankbar dafür, dass Inigo durch die Pfeife am Sprechen gehindert wurde. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, mit den anderen Männern zu plaudern, während sie sich mit ihren Frauen vergnügten.
»Kann Opium einen Rausch verursachen, wenn man bloß die Luft einatmet, wo es geraucht wird?«, fragte Caroline leise, damit die anderen sie nicht hörten.
»Spürt Ihr es auch?« Rexton fühlte sich benommen, seit er das Badehaus betreten hatte. Aber am Tag zuvor war es ihm schon genauso gegangen, als er noch vor dem Morgengrauen alleine hier gebadet hatte, und da hatte niemand Opium geraucht. Das Gefühl war stärker geworden, als er in die Höhle hineingegangen war, deshalb hatte er nach hundert Metern wieder umgedreht und war zurückgegangen.
Caroline blickte auf die Statuen von Satyr und Nymphe und sagte: »Es kommt mir vor wie in einem fantastischen Traum.«
Rexton nickte. Er schaute dem Rauch von Inigos Pfeife nach, der zum Becken trieb und von dort durch das offene Dach verschwand.
Einige Personen hielten sich im Wasser auf. Dazu gehörten auch Lili, Elle und Rextons alter Bekannter, der Held von Vitoria, Jack Compton, Baron of Cutbridge. Seine Lordschaft stand bis zur Taille im Wasser und beglückte Elle, die sich an den Rand zurückgelehnt und ihre langen Beine um seine Taille geschlungen hatte. Lili stand hinter Cutbridge und bewegte etwas unter Wasser, wahrscheinlich einen der kleinen Dildos aus der Lederkiste, die für den Anus gedacht waren. Zärtlich streichelte sie über Elles Bein, und Elle blickte sie mit einem intimen Lächeln an. Es war Rexton nie in den Sinn gekommen, dass die beiden Frauen lesbisch sein könnten.
Da man ihm gesagt hatte, die Wassertemperatur variiere dramatisch von Tag zu Tag, hockte er sich hin und ließ die Hand hineingleiten. In diesem Augenblick schoss die Erregung wie Mörserfeuer durch ihn hindurch. Sofort bekam er eine Erektion. Zum Glück hatte er heute ein langes Jackett angezogen, das ihn vorn bedeckte. Er hätte es gehasst, wenn er mit einem sichtbaren Ständer hätte herumlaufen müssen, wie es einige dieser geilen Typen in ihren engen Kniehosen taten. Allerdings schien sich niemand etwas dabei zu denken.
Er warf Caroline einen Blick zu. Sie blickte entgeistert von einem entblößten Körper zum nächsten …
»Einen Penny für Eure Gedanken, Miss Kea…« Er blickte sich um. »Rose. Oder ich sollte wahrscheinlich sagen, hunderttausend Guineen.«
Caroline straffte die Schultern und sagte bemüht nonchalant : »Ich habe gerade gedacht, wie beschäftigt hier alle sind, obwohl es doch noch früh am Tag ist.«
Er schmunzelte, schüttelte den Kopf, und sie wandte sich mit einem verlegenen Lächeln ab. Wie war es ihm bei ihrem ersten Treffen vor vierzehn Tagen nur entgangen, wie unglaublich schön sie war? Ja, sicher, sie war völlig durcheinander und ängstlich gewesen, durchnässt und mit wirren Haaren, aber er hätte sich doch am nächsten Tag an ihre großen Augen, ihr zartes Näschen, ihre üppigen Lippen erinnern müssen. Wahrscheinlich war er wieder viel zu betrunken gewesen. Lieber wäre es ihm auf jeden Fall, sie hätte sich nicht die Haare mit Henna gefärbt und sich so stark geschminkt. Denn dass ihre Haare im natürlichen Zustand blond gewesen waren, so blond wie Natalias, daran erinnerte er sich.
Der Gedanke an Natalia riss ihn aus seiner Träumerei.
Caroline blickte ihn ernst an. »Nun, es konnte ja auch unmöglich ewig dauern.«
»Was?«
»Ihr habt gelächelt. Ich habe Euch nie lächeln sehen. Ihr saht aus wie …«
»Wie ein grinsender Idiot?«
»Was? Nein. Nein, natürlich nicht.«
Er fühlte sich aber wie ein Idiot. Er hatte sie bestimmt wie ein Schuljunge angestarrt. Er war einfach ein Narr. Nichts hatte sich in den vergangenen zwei Jahren geändert; er hatte sich nicht geändert.
Lass sie nicht an dich heran, sagte er sich. Sie ist ein Niemand, eine Flussratte, nur eine von den Huren aus St. Giles, die für den höchsten Bieter die Beine breitmachen. Er sollte besser nicht vergessen, wer sie war, und nicht zulassen, dass sie ihm zu nahe kam.
Er zerrte an ihrer Leine und sagte: »Los, lasst uns hinausgehen. Und von jetzt an haltet Ihr Euren verdammten Mund.« In der nächsten Nacht schlief Rexton wieder auf dem Balkon, nachdem er eine Stunde lang allein mit seiner Flasche Gin dort gesessen hatte. Und wieder einmal lag Caroline die halbe Nacht lang wach. Ihr ging zu viel durch den Kopf, als dass sie hätte einschlafen können.
»Von jetzt an haltet Ihr Euren verdammten Mund.« Das hatte er gesagt, nachdem er sie kurz vorher noch so angelächelt hatte, dass ihr ganz schwindlig geworden war.
Mitten in der Nacht hörte sie ein leises Geräusch von draußen. Sie lag ganz still auf dem Rücken und atmete kaum, um sich darauf zu konzentrieren. Es klang so, als würden Finger schnell über eine Wolldecke reiben.
Langsam und vorsichtig drehte Caroline sich mit dem Gesicht zur Balkontür. Die Nacht war klar, und ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie Rexton auf der Liege gut erkennen konnte. Er lag halb sitzend da, weil er zu lang war, um sich ausstrecken zu können. Sie konnte ihn bis zu den Oberschenkeln sehen, um die er die Decke geknüllt hatte. Ansonsten war er nackt. Er hatte die Augen geschlossen, aber sein rechter Arm bewegte sich schnell hin und her, als wenn er sich den Bauch kratzen würde – und er hatte die Hand zur Faust geschlossen. Caroline brauchte nicht lange, um sich vorzustellen, was er darin hielt.
Eigentlich hätte sie die Augen schließen und ihm seine Privatsphäre lassen müssen, aber ihre Aufmerksamkeit war geweckt, und so lag sie ganz still da und beobachtete ihn. Er rieb immer schneller und fester; die Muskeln an seinem Unterarm traten hervor, und seine Hüften hoben sich.
In der linken Hand hielt er etwas Weißes – ein Taschentuch. Er drückte es auf die Spitze seines Glieds, wobei er mit der rechten Hand weiterpumpte. Dann bäumte er sich auf, sein ganzer Körper erschauerte, er stöhnte leise und tief und sank dann zurück in die Kissen. Einen Moment lang lag er schwer atmend da und blickte zum Himmel. Und dann drehte er sich um und blickte zu Caroline.
Sie schloss die Augen und zwang sich dazu, langsam und gleichmäßig zu atmen.
Eine Zeit lang hörte sie keinen Laut, dann seufzte er. Es raschelte leise, und er zog den Korken aus der Flasche.
Lord Rexton hatte wohl seine Gründe, nicht mit ihr zu schlafen, dachte Caroline, aber Impotenz war offensichtlich nicht im Spiel.