5
Caroline hatte das Gefühl, alles Blut würde aus ihrem Gesicht weichen. Ihre Lippen wurden taub.
Die Sklavinnen warfen sich ernste Blicke zu. Ein Gentleman, der nahe am Block stand, sagte leise zu seinem Nebenmann: »Sieh mal, sie ist leichenblass geworden.«
»Das würdest du auch, wenn du an den Peitscher verkauft würdest.«
»Ich habe neununddreißigtausendfünfhundert Guineen«, verkündete Mr. Riddell. »Höre ich vierzig?«
Die Männer berieten sich leise und schüttelten die Köpfe. Es war kein Wunder; vierzigtausend Guineen waren eine astronomisch hohe Summe.
»Vierzigtausend für eine beinahe jungfräuliche Sklavin von unvergleichlicher Schönheit«, sagte Riddell. Er hielt inne, um seinen Blick über das Publikum schweifen zu lassen, dann hob er den Hammer.
Denk nach, befahl Caroline sich. Sollte sie versuchen, die Woche zu überstehen, oder sollte sie lieber gleich auf das Geld verzichten?
Ihr Anteil würde fünfunddreißigtausendfünfhundertfünfzig Guineen betragen. Du lieber Gott! Das konnte sie doch nicht ausschlagen! Aber konnte sie es zulassen, dass Dunhurst sie so brutal misshandelte, wie er es bei Dahlia getan hatte …? Nachdem Caroline ihrem Vater entkommen war, hatte sie sich doch geschworen, dass sie so etwas nie wieder erdulden würde.
»Sprecht jetzt, Gentlemen, sonst entgeht Euch diese seltene Gelegenheit«, mahnte Mr. Riddell.
»Nun denn.« Er hob den Hammer hoch über den Kopf.
»Vierzigtausend.«
Erstaunte Ausrufe wurden laut, und alle Köpfe drehten sich zu Lord Rexton um, der mit gekreuzten Knöcheln am Konsoltisch lehnte, den Cognacschwenker erhoben, als wolle er den Zuschauern zuprosten.
Caroline starrte ihn an, aber er würdigte sie keines Blicks.
Mr. Riddell senkte langsam den Hammer. Stirnrunzelnd sagte er: »Mylord, wollt Ihr damit sagen, dass Ihr bieten …«
»Das kann er nicht«, warf Dunhurst ein. »Er ist in offiziellem Auftrag hier. Es wäre unüblich, wenn er eine Sklavin kaufen würde.«
»Unüblich vielleicht«, erwiderte Rexton, »aber nicht verboten. Nirgendwo steht geschrieben, dass der Rechtsberater keine Sklavin erwerben darf. Habe ich recht, Riddell?«
Der Auktionator überlegte einen Moment lang, dann erwiderte er widerstrebend: »Ich glaube, das ist korrekt, Mylord.«
Die anderen Gentlemen applaudierten; die Sklavinnen lächelten einander zu.
»Ich habe vierzigtausend Guineen von Lord Rexton«, sagte Mr. Riddell. »Höre ich …?«
»Das ist ungeheuerlich!«, rief Dunhurst aus. »Eine verdammte Farce!«
»Höre ich …?«
»Fünfzigtausend.« Dunhurst warf Rexton einen bösen Blick zu.
»Sechzig.« Rexton trank einen Schluck Brandy.
Dunhurst knirschte mit den Zähnen. »Siebzig.«
Mit einem müden Blick an die Decke, als ob ihn das alles enorm langweilen würde, sagte Rexton: »Hunderttausend Guineen.«
Dunhurst klappte der Unterkiefer herunter. Erregtes Stimmengewirr erfüllte den Saal, und ein paar Jubelrufe ertönten. »Bravo, Rexton!« »So ist es richtig!«
Lord Dunhurst wurde purpurrot im Gesicht. Er stach mit seinem Spazierstock in die Luft und rief aus: »Hundertzehntausend Guineen.«
Der Viscount lächelte ihn nachsichtig an. »Ja, nun, leider, alter Knabe, steht es Euch nicht frei, so hoch zu bieten.«
»Den Teufel werde ich tun!«
»Laut der Bewertung Eurer finanziellen Umstände, die mein Partner Sir Charles Upcott durchgeführt hat, dürft Ihr höchstens hunderttausend Guineen bieten«, sagte Rexton.
»Leider … leider ist das tatsächlich der Fall, Mylord«, warf Mr. Riddell ein.
Dunhurst deutete erregt mit dem Finger auf Rexton. »In seinen Finanzen hat Sir Charles nicht herumgeschnüffelt. Wer sagt denn, dass er überhaupt so viel bieten kann?«
Riddell erwiderte: »Ich würde sagen, jedermann hier kennt den Wert von Rextons Besitz.«
Ein Raunen der Zustimmung ging durch den Saal. Mr. Riddell musste seine Stimme erheben, damit man ihn überhaupt noch verstehen konnte. »Einhunderttausend Guineen sind geboten von Lord Rexton. Möchte jemand höher gehen?« Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann murmelte Riddell so leise, dass nur Caroline es hören konnte: »Nein, wahrscheinlich nicht.« Sein Hammer knallte auf das Podium wie ein Gewehrschuss. »Verkauft für die außergewöhnliche Summe von einhunderttausend Guineen an David Childe, Viscount Rexton.«
Jubel schallte durch den Saal. »Gut gemacht, alter Knabe!«
»Eure Sklavin, Mylord«, sagte Mr. Riddell und zog Caroline an ihrer Leine zu den Stufen am Rand des Podests.
Rexton leerte sein Glas, richtete sich auf und trat zu ihr. Als er die Leine ignorierte und Caroline die Hand reichte, um ihr die Stufen herunterzuhelfen, sagte Riddell leise: »An der Leine, Mylord. Es ist Vorschrift.«
Mit einem Seufzer ergriff Rexton die Leine und führte Caroline an seinen Konsoltisch. Dort unterzeichnete er diverse Dokumente vor Zeugen, unter anderem auch einen Schuldschein über die Summe von neunzigtausend Guineen für »Miss Caroline Keating aus London, England«.
Neunzigtausend Guineen. Es schien nicht real zu sein. Nichts hier kam ihr real vor.
Mr. Riddell tupfte sein Gesicht mit seinem Taschentuch ab, dann wandte er sich zur Tür in den Hof und rief: »Dürfen wir bitte die reizende Lili sehen?«
Lord Rexton drückte eine schwere Eichentür im zweiten Stock des Westflügels des Schlosses auf und führte Caroline in ein prächtiges, von Kerzen erleuchtetes Schlafzimmer, das im Stil einer römischen Villa eingerichtet war. Die Wände waren aus Marmor mit goldenen Kerzenhaltern und Basreliefs aus vergoldeter Bronze, die Lyren, Lorbeerkränze und geflügelte Pferde darstellten. Die Möbel waren aus goldverziertem Ebenholz, Vorhänge und Bettwäsche aus scharlachrotem, goldbesticktem Damast. An der hinteren Wand stand ein opulentes Bett, dessen vier Pfosten die Form einer hohen, goldenen Vase hatten. Türen mit Glasscheiben standen offen. Sie führten auf einen Balkon, auf dem sich eine Korbliege befand.
Auf einer Bank am Fußende des Bettes lag der zerschlissene alte Lederbeutel, den Caroline aus London mitgebracht hatte. Inmitten all dieser Pracht wirkte er grotesk fehl am Platz. Daneben prangte ein rechteckiger schwarzer Lederkoffer. Ein Schrankkoffer, auf dessen Namensschild Rose stand, befand sich neben einer Kleidermangel mit kunstvollen Schnitzarbeiten. Daneben war eine große, lederbezogene Truhe mit eisernem Vorhängeschloss.
»Dieses Zimmer heißt la Chambre Romaine«, sagte Rexton und hockte sich vor die Truhe, um seine Schreibschachtel daneben auf den Aubusson-Teppich zu stellen. »Für meinen Geschmack ein bisschen zu überladen, aber richtet Euch so gut ein, wie Ihr könnt.«
»Danke, My…« Mylord? Sollte sie ihn noch so anreden?
»Außerhalb dieses Zimmers sagt Ihr wohl besser ›Herr‹ zu mir«, sagte er und schob einen Schlüssel in das Vorhängeschloss. »Oliver Riddell konnte mich noch nie leiden. Er würde Euch mir sofort wieder wegnehmen und Euch an jemand anderen versteigern – es sei denn, natürlich, das wäre Euch lieber.«
Er verstaute die Schreibkiste in der Truhe, nahm eine viereckige grüne Flasche heraus, auf der GORDON’S SPECIAL DRY LONDON GIN stand, und entkorkte sie. »Ich brauche etwas frische Luft«, sagte er und erhob sich. »Ihr braucht nicht aufzubleiben, um auf mich zu warten.«
»Mylord«, sagte Caroline, als er auf die Tür zutrat.
Er drehte sich um und sah sie zum ersten Mal an diesem Abend an.
Sie hob die Hände, die immer noch gefesselt waren. »Könnt Ihr … könnt Ihr …«
Er löste die Handschellen. Dann ging er.
Caroline starrte auf die Tür. Er hatte sie nicht verschlossen, aber sie würde sich hüten, alleine im Schloss herumzulaufen. Schließlich standen neunzigtausend Guineen auf dem Spiel.
Die wütende Stimme eines Mannes drang gedämpft durch die offenen Glastüren. Caroline verstand nicht, was er sagte, deshalb schlüpfte sie aus ihren Schuhen und huschte auf bloßen Füßen auf den Balkon hinaus.
Die Blätter an den Bäumen regten sich in der leichten Brise, und durch die Äste schien ein drei viertel voller Mond.
»Ich sagte, zieh dich aus, du unverschämte Fotze!«
Die Stimme, die durch das offene Fenster des angrenzenden Zimmers drang, war die des Marquess of Dunhurst, der Lili ersteigert hatte, nachdem Lord Rexton ihm Caroline weggeschnappt hatte. Caroline war entsetzt gewesen, aber Lili hatte ihr lächelnd zugezwinkert, als der Peitscher sie mitgenommen hatte.
Lili sprach so leise, dass Caroline sie kaum verstehen konnte. »Nacktheit kann so banal sein, findet Ihr nicht auch?«
Caroline trat an den Rand des Balkons, bis sie teilweise in den schwach beleuchteten Raum blicken konnte. Eine Gestalt ging am Fenster vorbei – Dunhurst, ohne Hemd und mit einem perforierten Holzpaddel, das er in den Bund seiner Breeches geschoben hatte. Er zog etwas aus der Tasche, verschwand aber dann aus ihrem Blickfeld. Kurz darauf hörte Caroline, wie er die Tür abschloss.
Dann tauchte er wieder auf und trat an die schwarze Lederkiste, die genauso aussah wie die in Rextons Zimmer. Sein nackter Rücken war fleischig und muskulös.
»Genau das Richtige.« Er zog einen Stab aus glänzendem Stahl heraus, etwa so lang und so dick wie Carolines Unterarm, abgerundet an einem Ende und mit einem Griff am anderen. Dann blickte er zu Lili und fragte: »Bist du schon mal in den Arsch gefickt worden?«
»Ja, sicher, Mylord.« Es erstaunte Caroline, wie entspannt sie wirkte.
»Ich bin dein Herr«, brüllte Dunhurst, »und so wirst du mich auch anreden!«
»Ja, Herr.« Beinahe klang es so, als ob Lili sich das Lachen verkneifen müsse.
»Ja, natürlich hast du dich schon mal in den Arsch ficken lassen, du schamlose Hure. Ich wette, du hast es geliebt. Hast dich vornübergebeugt und dir einen dicken, harten Steifen in den Hintern schieben lassen.«
»Ja, genau.«
Caroline schüttelte verwirrt den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, bei einem solchen Akt Lust zu empfinden.
»Ja, nun, das hier wird dir nicht gefallen. Ich werde ihn dir hineinrammen, bis du schreist und blutest.« Er stieß mit dem großen, stählernen Phallus in die Luft. »Das wird dich lehren, mir so schnippisch zu antworten.«
»Ja, bestimmt.«
»Zieh dich aus, und knie nieder«, befahl er und zeigte auf die Bettkante. »Und reck deinen hübschen runden Hintern hoch!«
Was kann ich bloß tun?, dachte Caroline. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Wie kann ich ihr helfen? Selbst wenn sie in das Zimmer hineinkäme, so hätte sie doch keine Waffe, um sich gegen Dunhurst zur Wehr zu setzen.
»Tu es !«, schrie er und zerrte das Paddel aus dem Hosenbund. »Sonst wird es dir über die Maßen leidtun!«
»Ihr braucht das nicht, Mylord«, sagte Lili und trat zu ihm. »Aber ich kann es gut gebrauchen.«
»Was zum Teufel soll das …«
»Sittu.« Sie berührte seine Stirn.
Er schloss die Augen, seine Arme sanken schlaff herunter. Das Paddel und der Phallus fielen zu Boden.
Was war das?, wunderte sich Caroline. Er sah so aus, als sei er plötzlich im Stehen eingeschlafen.
Lili strich über seine Stirn und murmelte etwas in einer Sprache, die Caroline noch nie gehört hatte.
Dunhurst öffnete die Augen und blinzelte verwirrt.
»Knöpf die Hose auf«, befahl Lili. »Und zieh deine Unterhose aus.«
Er gehorchte ihr, ohne zu zögern. Caroline hatte schon von Hypnotiseuren gelesen, die mit bestimmten Worten und Gesten einen tranceähnlichen Zustand herbeiführen konnten. Anscheinend beherrschte Lili diese Kunst.
»Schieb sie bis auf deine Knöchel herunter«, sagte Lili, »und verschränk die Hände hinter dem Nacken.«
Er gehorchte. Sein männliches Teil hing schlaff herunter. Das hätte Caroline nicht erwartet. Sie hatte geglaubt, dass Männer wie Dunhurst sexuell erregt wurden, wenn sie anderen Schmerzen und Demütigungen zufügten.
Lili betrachtete das schlaffe kleine Glied interessiert. »Natürlich, das hätte ich mir denken können. Du kannst die Fahne nicht mehr hochziehen, was?«
Verlegen zuckte Dunhurst mit den breiten Schultern.
Lili schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht.
Caroline keuchte auf.
»Antworte deiner Herrin, wenn sie dir eine Frage stellt. Bist du impotent?«
»J-ja, Herrin.«
»Andere Männer leiden an dieser Krankheit, ohne dabei gleich zu brutalen Bestien wie du zu werden.« Sie ergriff den Phallus und das Paddel und trat um ihn herum, wobei sie ihn von Kopf bis Fuß musterte. Als er sich nach ihr umdrehte, schlug sie ihm mit dem Paddel fest auf den Hintern. Er jaulte auf. »Augen nach vorn, du Hund!«
»Ja, Herrin.« Als er den Kopf drehte, fiel sein Blick auf Caroline, und er hielt inne.
»Nach vorn!« Lili versetzte ihm einen weiteren Schlag.
Er gehorchte. Einen Moment lang sorgte sich Caroline, dass er sie gesehen haben könnte, aber in seinem hypnotisierten Zustand würde er sich wahrscheinlich nicht an das erinnern können, was hier geschah.
Lili lächelte verschmitzt und sagte: »Warte!«
Er zögerte.
Sie schlug ihn erneut. »Du hast mich verstanden.«
Er beugte sich vor und legte die Hände auf die Knie.
Sie legte das Paddel beiseite, nahm eine kleine grüne Dose aus der Lederkiste, die anscheinend Creme enthielt. »Bist du jemals in den Arsch gefickt worden?«, fragte sie und verteilte einen Klecks Creme über dem Phallus.
»Ja, Herrin.«
»Ja? Wer war es? Ein älterer Schulkamerad?«
»Ja, Herrin.«
»Aber seitdem nicht mehr?«
»Nein, Herrin.«
»Nun, dann würde ich sagen, du bist überfällig.« Sie spreizte seine Arschbacken mit einer Hand und brachte den Stahlschaft in Position.
Dunhurst zuckte zusammen und verzog ängstlich das Gesicht.
»Verkrampf dich nicht«, sagte sie. »Dann tut es nur umso mehr weh.« Sie schob den Phallus ein Stück hinein. Er heulte auf. »Siehst du?«
»J-j-ja, Herrin.«
»Ich habe ihn zumindest für dich eingefettet«, sagte sie und drehte ihn hin und her. »Das hättest du für mich nicht getan, oder?«
Dunhurst stöhnte gequält. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»Habe ich recht?« Lili ergriff das Paddel und schlug ihm fest auf das gerötete Hinterteil. »Antworte mir, Hund!«
Stöhnend sagte er: »J-ja, Herrin.«
Sie versetzte ihm immer weiter Schläge auf den Hintern, während sie den Phallus mit schnellen, festen Stößen tiefer hineintrieb. »Du brauchst das«, sagte sie zu ihm. »Du solltest mir danken, dass ich das für dich tue.«
»D-danke, Herrin.«
»Wenn ich ihn ganz eingeführt habe«, fuhr sie fort, »werde ich ihn festbinden, damit er in dir drinbleibt, und dann musst du mich lecken, bis ich ein Dutzend Mal gekommen bin. Wenn du deine Sache gut machst, werde ich den Silberschaft entfernen. Wenn nicht, bleibt er drin, bis du weinst und mich anflehst, ihn herauszunehmen. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Herrin.«
»Ficke ich dich hart genug, oder brauchst du es härter?«
»H-härter, Herrin.« Er stöhnte, als sie den Schaft kraftvoll hineinstieß.
»Musst du noch mit dem Paddel geschlagen werden?«, fragte sie.
»Ja, bitte, Herrin. Schlag fest, damit es wehtut.«
Caroline trat wieder ins Zimmer und schloss die Doppeltüren. Sie zog die Vorhänge zu, aber sein rhythmisches Grunzen und seine servilen Äußerungen waren doch noch zu hören.
Um sich abzulenken, wandte sie sich der schwarzen Lederkiste zu.
Misstrauisch betrachtete sie sie, aber wenn sie aufrichtig war, so war sie auch neugierig, was wohl darin sein mochte. Auf dem Deckel war eine Orchidee mit einer Kette eingeätzt, wie auf dem Umschlag von Kompendium der Blumen. Sie entriegelte die Kiste und hob den Deckel an.
Das Innere war mit goldfarbenem Satin ausgeschlagen, mit Ausbuchtungen, um die einzelnen Gegenstände aufzunehmen. Eine runde Nische war leer. In den anderen lag eine verwirrende Vielzahl von Dingen. Zahlreiche Phalli, wobei der Stahlschaft der größte war. Drei weitere – aus Fischbein, aus Holz und aus Schildpatt – ähnelten erigierten Penissen in jedem Detail. Zwei andere, einer aus Bronze und einer aus Silber, waren viel kleiner, mit breiter Basis. Und dann gab es ein sehr seltsames Ding aus schwarzem Gummi mit zwei verschiedenen Phalli, einer ein bisschen dicker als der andere. Es gab einen kleinen Gummiball, eine Handvoll Vorhängeschlösser, ein kleines poliertes Steinei, eine Kette aus Onyxperlen mit einem kleinen Griff am Ende, zwei Stahlkugeln, die ein bisschen größer als Murmeln waren, einige merkwürdige Clips und Ringe, schwarze Seidenkrawatten, die Cremedose und eine Flasche, auf der OLIVENÖL stand.
Diese Gegenstände lagen auf einem Tablett, das man herausnehmen konnte. Als Caroline es anhob, fand sie darunter drei Fächer. In einem lagen Ketten, in einem anderen Lederriemen mit Schnallen, und das dritte enthielt einen schwarzen Samtbeutel mit kleinen goldenen Klemmen um die Öffnung. Bei näherer Inspektion entdeckte sie zwei unterschiedlich große Schlitze, die mit Goldfaden eingefasst waren und aussahen wie überdimensionale Knopflöcher. Caroline drehte und wendete den Beutel ratlos hin und her, bis sie ihn schließlich mit der Öffnung nach unten hielt. Da entdeckte sie, dass die Löcher zum Atmen gedacht waren, das größere für den Mund, das kleinere für die Nase.
Denk nicht darüber nach, befahl sich Caroline. Sie legte die Haube zurück in ihr Fach, setzte das Tablett wieder auf die Kiste und schloss den Deckel. Wasch dich, geh ins Bett und …
Und warte auf Lord Rextons Rückkehr.
Im Zimmer gab es keine Waschschüssel, aber in der Ecke war eine Tür, und vielleicht befand sich ja dahinter eine Art Badezimmer. Caroline öffnete die Tür und stand in einem eleganten, klassisch angehauchten Raum mit einer runden, in den Marmorboden eingelassenen Badewanne und Satinpolstern in kleinen Alkoven. Die Wände waren bemalt mit Szenen von Männern und Frauen, die alle möglichen obszönen Akte vollzogen, sodass es so aussah, als stamme dieser pompöse Salle de bain direkt aus Pompeji. Ein Waschbecken in einem vergoldeten Kabinett stand an einer Wand neben einem abgetrennten kleinen Raum, in dem es ein Wasserklosett gab, den modernsten Luxus, den Caroline hier in Grotte Cachée zum ersten Mal in ihrem Leben sah. In ihrem neuen Haus würde sie in jeder Etage ein Wasserklosett einbauen lassen und hübsche Waschbecken und Badewannen, die aus Dachzisternen mit Wasser gespeist wurden, wie es hier der Fall war. Warum sollte sie sich diesen Luxus nicht gönnen? Nach der Woche hier hätte sie ihn sich verdient.
Sie wusch sich das Gesicht und bürstete ihre Haare, dann öffnete sie den hohen Schrankkoffer, um nachzusehen, ob es auch Nachtwäsche für sie gab. Es gab Hüte, Hauben, Handschuhe, Slipper, Halbstiefelchen, Fächer, Sonnenschirme, eine Schublade voll mit Modeschmuck und einige indezent ausgeschnittene Kleider. Es fehlte das Seidenkleid, das sie bei Lord Rexton bekommen und das sie bei ihrer Ankunft hier getragen hatte. Dafür gab es zahlreiche durchsichtige Negligés, einen Seidenumhang, Reitkleidung und eine große Auswahl an Unterwäsche, meistens aus durchsichtiger Seide und Spitze. Allerdings gab es auch ein überraschend züchtiges Baumwollhemd, das sie jetzt wählte – obwohl es noch abzuwarten galt, ob es Lord Rexton gefallen würde.
»Jeden Morgen nach eurem Bad, jeden Abend vor dem Abendessen und jede Nacht vor dem Schlafengehen«, hatte Mr. Llewellyn sie angewiesen, »wird euer Herr euch befehlen, was ihr anzieht – oder auszieht –, und ihr werdet ihm aufs Wort gehorchen. «
Als Caroline sich das Inspektionsgewand über den Kopf zog, störte sie die Leine, die vorn an ihrem Halsband herunterhing. Die Vorstellung, damit ins Bett zu gehen, gefiel ihr nicht – aber konnte sie es wagen, sie abzumachen? Die Antwort hing wahrscheinlich davon ab, was Rexton mit ihr vorhatte. Seine Anweisung, ihn außerhalb des Zimmers mit »Herr« anzureden, was bedeutete, dass sie es in diesem Raum nicht brauchte, war schließlich keine Garantie dafür, dass er sie nicht als Sklavin benutzen wollte. Vielleicht fand er es ja einfach nur albern, von jemandem, den er bereits kannte, so genannt zu werden; er kam ihr sowieso recht zynisch vor. Er hatte jedoch hunderttausend Guineen dafür ausgegeben, sie in der kommenden Woche sexuell und in jeder anderen Form zu dominieren. Würde ein Mann, vor allem ein verwöhnter Freigeist wie Viscount Rexton, so viel Geld aufs Spiel setzen, ohne sein Recht wahrzunehmen?
Schließlich ließ Caroline die Leine am Halsband, zog das Hemd über und blies die Kerzen aus. Sie ging ins Bett, wobei sie sich ganz an den Rand legte, damit Rexton genug Platz blieb. Die Laken waren kühl und rochen nach grünem Gras und klarem blauem Himmel. Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, sie läge auf einer Wiese und weiße Leinenbettwäsche flattere im Wind. Aber ihre sorgenvollen Gedanken ließen sich nicht vertreiben, und der Schlaf wollte sich lange Zeit nicht einstellen.
Caroline erwachte, als die Tür in den Angeln quietschte.
Zuerst konnte sie sich nicht erinnern, wo sie war … aber dann fiel es ihr wieder ein. Sie lag auf der Seite und versuchte, nicht zu laut zu atmen, während sie die große Gestalt von Viscount Rexton im Mondlicht beobachtete. Seine Bewegungen waren langsam und überlegt, aber ein wenig unbeholfen.
Mit unsicheren Schritten trat er auf den Balkon und entkleidete sich mit dem Rücken zu ihr, wobei er sich an die steinerne Balustrade lehnte. Seine Kleider ließ er einfach zu Boden fallen. Nackt erinnerte seine Silhouette sie an einen Stich von Michelangelos David, den sie einmal gesehen hatte – breitschultrig, mit schmalen Hüften und langen Beinen.
Er drehte sich um.
Caroline schloss die Augen, aber vorher erhaschte sie noch einen Blick auf seine Geschlechtsteile. Eine Diele unter dem Teppich knackte, als er ans Bett trat. Einen Moment lang stand er still da. Caroline, die so tat, als ob sie schliefe, kam es vor wie eine Ewigkeit.
Sie spürte eine Bewegung an ihrem Halsband und roch seinen Gin-Atem, als er sich daran zu schaffen machte. Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, gleichmäßig und langsam weiterzuatmen, als er die Leine vom Halsband löste und sie wegnahm.
Als Caroline spürte, wie er sich vom Bett entfernte, blickte sie ihm verstohlen nach. Sie erstarrte, als er die Lederkiste öffnete und den Inhalt betrachtete. Er nahm den Silberschaft heraus, musterte ihn mit einem erstaunten Gesichtsausdruck, den sie sogar im Halbdunkel erkennen konnte, und legte ihn wieder hinein. Dann drehte er die Leine um die Hand und legte sie in die Kiste – wahrscheinlich in die runde Vertiefung, die leer gewesen war. Er schloss die Kiste und stellte sie auf den Boden, ebenso wie Carolines Beutel. Dann hob er den Deckel der Banktruhe und zog eine gefaltete Decke heraus, mit der er auf den Balkon ging. Anscheinend stieß er sich dabei den Zeh an, denn er fluchte leise.
Vom Bett aus konnte Caroline die obere Hälfte des Korbsessels sehen. Rexton arrangierte die Kissen, die darauf lagen, neu, wickelte sich in die Decke ein und legte sich hin. Es dauerte eine Weile, bis er seinen langen Körper auf der zu kurzen Liege einigermaßen bequem untergebracht hatte, aber schließlich lag er auf der Seite, das Gesicht abgewandt von ihr. Es war sicher äußerst unbequem für ihn, dachte Caroline, aber sie konnte sich nicht überwinden, ihn zu sich ins Bett zu bitten.
Sie schloss die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen, aber ihre Gedanken kreisten nur um all die Freizügigkeiten, die sie am folgenden Tag, am ersten offiziellen der Sklavenwoche, erleben würde. Einige der Veteraninnen hatten von einem wahren Feuerwerk an Obszönitäten berichtet, mit unaussprechlich wollüstigen Akten, die in aller Öffentlichkeit durchgeführt wurden, aber Caroline vermutete, dass sie sich nur auf Kosten einer Novizin lustig machen wollten.
Sie hoffte es jedenfalls.
Aber das war nicht der Fall, wie sie am nächsten Morgen feststellen musste.