18
Im Hafen von Leith lagen zahllose Schiffe und Boote vor Anker, und der Mann, der Sophia ruderte, musste sich vorsichtig einen Weg suchen. Leith war der Hafen von Edinburgh, in dem es immer geschäftig zuging, so dass man fast das Gefühl hatte, angefeuert von den Rufen der angetrunkenen Seeleute von Boot zu Boot über das grüne Wasser gehen zu können.
Sophia zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und wandte traurig den Blick von dem französischen Schiff ab, dessen Segel in Fetzen herunterhingen und dessen Flanken von Kanonenkugeln der Engländer zerrissen waren.
Die Leopard hingegen lag träge im Wasser wie die große Raubkatze, nach der sie benannt war. Der Ruderer brachte ihr Boot knirschend längsseits, ergriff die von dem Schiff herunterhängende Strickleiter und rief hinauf: »Ich hab hier eine Dame für euren Captain.« Sein anzügliches Grinsen ließ keinen Zweifel daran, wofür er sie hielt.
Sophia machte sich nicht die Mühe, ihn eines Besseren zu belehren, bevor sie an Deck kletterte, wo sie klaglos den lüsternen Blick des Seemanns ertrug, der sie zum Kapitän führte.
Sie hörte die zweideutigen Bemerkungen der Mannschaft, schenkte ihnen aber genauso wenig Beachtung wie den Tauen und dem Geruch der feuchten Segel. So lange hatte sie davon geträumt, ein Schiffsdeck zu betreten, doch nun nahm sie kaum etwas von ihrer Umgebung wahr. Sie interessierte nur der Kapitän und was sie ihm sagen wollte.
Durch die Flügelfenster am anderen Ende der Kabine drang das klare Licht des Nachmittags herein und erhellte die holzvertäfelten Wände sowie den Schreibtisch, an dem der Kapitän saß.
»Besuch, Sir«, sagte der Matrose mit einem leisen Hüsteln und zog sich diskret zurück.
Als der Kapitän Sophia sah, bekam er große Augen.
»Captain Gordon«, begrüßte sie ihn.
Überrascht stand er auf, trat um den Schreibtisch herum und ergriff ihre Hand, um sie an seine Lippen zu heben, selbst in einer unerwarteten Situation wie dieser ganz Gentleman. »Wie zum Teufel sind Sie hierhergekommen?«
»Das war nicht schwer«, log sie. »Ich habe mich erkundigt, welches Schiff das Ihre ist, und mir jemanden zum Herrudern gesucht.«
»Nein, ich meine, was Sie in Leith machen. Warum sind Sie nicht in Slains?«
Sie entzog ihm die Hand. »Die Countess war der Ansicht, eine Luftveränderung würde mir guttun. Ich bin schon seit ein paar Wochen bei Freunden von ihr, nicht weit von hier.«
»Oh, aye? Bei welchen Freunden?«
»Ich glaube nicht, dass Sie sie kennen«, antwortete sie vorsichtig.
Captain Gordon musterte sie nachdenklich. »Setzen wir uns doch.«
Die Kabine war männlich-funktional eingerichtet, aber nicht gänzlich ohne Luxus. Neben den tiefrot gepolsterten Stühlen glänzte auf einem Tischchen ein Silbertablett mit kleinen Porzellantassen und -tellern sowie einer Teekanne. »Sie kommen gerade zur rechten Zeit«, sagte der Kapitän. »Gestern hätte ich Ihnen noch kaum etwas zur Erfrischung anbieten können, doch heute hat mein Koch von einem weit gereisten holländischen Schiff eine Kiste chinesischen Tee erworben, für dessen Geschmack er mich zu erwärmen versucht.« Er goss die klare braune Flüssigkeit in eine der Tassen. »Ich muss gestehen, dass mir mein Whisky lieber ist, aber man hat mir gesagt, dass Teetrinken bald Mode sein wird. Hier.« Er reichte ihr die Tasse. »Er müsste noch heiß sein.«
Sie nahm die Tasse und sah zum Fenster hinüber, hinter dem sich die Silhouette des beschädigten französischen Schiffs abzeichnete wie ein Schattenriss. Der Tee schmeckte bitter.
»Es überrascht mich, Sie auf einem neuen Schiff anzutreffen«, sagte sie.
»Aye, die Edinburgh hat leider die Strapazen der letzten Reise nicht überdauert. Wie Sie sich vielleicht erinnern, bestanden ohnehin schon Zweifel an ihrer Seetauglichkeit«, erklärte er lächelnd.
»Daran erinnere ich mich allerdings, Captain«, sagte Sophia. »Glauben Sie immer noch, King James wird Sie zum Admiral ernennen, wenn er kommt?«, fragte sie mit einem weiteren Blick in Richtung Fenster und französisches Schiff. »Wie konnten Sie uns nach allem, was Sie der Countess und dem Earl versprochen haben, so hintergehen?«
»Es war meine Pflicht«, antwortete er mit ruhiger Stimme.
»Die Pflicht mag von Ihnen verlangen, dass Sie sich auf die Seite der Engländer schlagen, vielleicht sogar auf die Franzosen feuern, aber alles entschuldigt das nicht. Nur Ihr Schiff hat Gefangene gemacht. Meiner Meinung nach hat das nichts mit reiner Pflichterfüllung zu tun.«
»Nein«, bestätigte er mit ernster Stimme, erhob sich von seinem Stuhl, atmete deutlich vernehmbar aus, wandte sich ab und trat ans Fenster. Ein paar Minuten lang schwieg er, bevor er sagte: »Auf meine Entscheidungen an jenem Tag bin ich stolzer als auf alles andere in meinem Leben.«
Sophia verstand nicht, was er meinte.
Ein Mann in seiner Position, erklärte er, könne in Zeiten wie diesen nicht einfach sein eigenes Süppchen kochen, doch immerhin habe er getan, was er konnte. Er hatte die Edinburgh, so lange es ging, am Lossegeln gehindert und war selbst an Land geblieben, in der Hoffnung, dass der König die Zeit nutzen würde. Vergebens. Am Ende hatte Captain Gordon den Befehl erhalten, die Leopard nach Norden zu bringen.
»Selbst Kapitäne müssen Befehle befolgen.«
Als er vor dem Firth angekommen war, hatte er die Leopard aus dem Kampf der englischen gegen die französischen Schiffe herausgehalten, und mit augenscheinlich unbeholfenen Manövern war es ihm gelungen, der fliehenden Proteus Deckung zu geben.
»Mehr war nicht möglich«, sagte er mit einem Blick auf die beschädigte französische Fregatte. »Die Salisbury konnte ich nicht retten. Sie fuhr früher unter englischer Flagge, wussten Sie das? Die Franzosen haben sie uns vor einer Weile abgenommen. Als der französische Kommandant sein Geschwader nach Norden abdrehen ließ, bildete sie die Nachhut.«
Die englischen Schiffe holten sie ein, und auch die beiden französischen Fregatten, die umkehrten, konnten der Salisbury nicht helfen. Die Schlacht tobte den ganzen Nachmittag und Abend, bis die anderen französischen Schiffe schließlich flohen und die Salisbury den Feinden überließen.
»Ich dachte, wenn ich sie schon nicht retten kann, müsste ich wenigstens versuchen, der Mannschaft einen Dienst zu erweisen«, sagte Captain Gordon. »Es war besser, wenn sie in meine Hände fielen als in die von Jakobiten-Hassern.«
Also gab er Anweisung, sofort ein Boot zu Wasser zu lassen, mit dem er durch Rauch und verkohltes Treibgut zur Salisbury hinübergebracht wurde, bevor die anderen englischen Schiffe sie erreichen konnten.
Der Kapitän der französischen Fregatte empfing ihn trotz seiner Müdigkeit und seiner blutbefleckten Kleidung mit ausgesuchter Höflichkeit. »Sehr freundlich von Ihnen«, sagte er, als Gordon ihm seine Hilfe anbot. »Ich würde gern ein paar Briefe nach Paris schicken, wenn das möglich wäre.«
»Dafür sorge ich.«
»Und noch eins: An Bord meines Schiffs befindet sich ein sehr wichtiger Passagier, Lord Griffin …«
»Griffin! Ist er am Leben?«
»Er wird wegen einer leichten Verletzung gerade von unserem Schiffsarzt versorgt, aber es ist nicht auszudenken, was passiert, wenn die Engländer ihn gefangen nehmen.«
Diese, da pflichtete ihm Gordon bei, wären alles andere als erfreut, den betagten Lord an Bord anzutreffen, der vor langer Zeit dem alten King James gedient hatte und seitdem am Hof von Saint-Germain lebte. »Wieso haben sie ausgerechnet Lord Griffin geschickt, einen Mann seines Alters?«
»Es war sein eigener Wille«, antwortete der Kapitän mit einem Achselzucken. »Lord Griffin erfuhr erst kurz vor unserer Abreise von den Plänen des jungen Königs, besorgte sich ein Pferd und ritt sofort nach Dünkirchen, um sich einen Platz auf meinem Schiff zu sichern. Ich möchte nicht, dass ihm etwas geschieht.«
»Wo ist er jetzt?«
»Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm.«
Der alte Mann wirkte inmitten der Verletzten und Toten trotz seines bandagierten Kopfs ausgesprochen lebendig. Er hörte sich Captain Gordons Pläne höflich an, winkte dann jedoch ab: »Ach, machen Sie sich nicht die Mühe, mein Junge. Mir passiert schon nichts.«
»Mylord, wenn die Engländer einen französischen Adeligen gefangen nehmen, fassen sie ihn mit Glacéhandschuhen an, aber einen englischen wie Sie müssen sie wegen Hochverrats anklagen. Sie werden Ihren Kopf fordern.«
»Ich bin ein alter Mann«, erwiderte Lord Griffin, »und meine Knochen tun mir in einem Palast genauso weh wie im Gefängnis. Aber«, fügte er hinzu, »wenn Sie das beruhigt, mein Junge, begleite ich Sie.«
Er erklärte sich bereit, sich auf einer Bahre von Bord tragen und in die Obhut des Schiffsarztes auf der Leopard bringen zu lassen. »Der ist«, erklärte Gordon, »Jakobit wie ich und wird Sie verbergen, bis wir Sie an einen sichereren Ort verlagern können.«
Da wurde Gordon angerempelt, so dass er gegen einen Verwundeten stieß, der bewusstlos und flach atmend dalag.
In dem trüben Licht war sein Gesicht nicht zu erkennen. »Was ist mit diesem Mann passiert?«, fragte Gordon.
»Er wurde verwundet, als er einen Burschen vor einer Kanonenkugel rettete«, antwortete Lord Griffin. »Der Junge blieb unverletzt. Leider hat diese Kugel die Decke getroffen, die mir dann auf den Kopf gefallen ist, und seitdem erinnere ich mich an nichts mehr.«
»Ich kenne ihn nicht«, sagte der Kapitän des französischen Schiffs, »aber der Uniform nach zu urteilen, ist er Offizier bei den irischen Brigaden des Königs. Von ihnen befinden sich mehrere auf der Salisbury.«
»Meine Landsleute dürften auch nicht allzu begeistert sein, sie hier zu sehen«, bemerkte Lord Griffin.
»Stimmt«, pflichtete ihm Captain Gordon bei und bat um eine weitere Tragbahre. »Den Mann nehme ich lieber auch mit.«
»Aber«, erwiderte der Kapitän des französischen Schiffs, »wird es nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn Sie zwei Verwundete mit dem kleinen Boot zu Ihrem Schiff bringen?«
»Darf ich Sie daran erinnern, Sir«, erklärte Gordon kühl, »dass dieses ›kleine Boot‹ meinem Befehl untersteht, wie übrigens auch Ihr Schiff? Folglich bitte ich Sie, meine Anweisungen nicht infrage zu stellen.«
Daraufhin wurden die beiden Verwundeten in das Boot und zur Leopard gebracht. Auf seine Männer konnte sich Gordon verlassen; sie würden nichts von dem Krankentransport verraten.
Als die Decke über dem immer noch bewusstlosen Soldaten auf der einen Tragbahre zu verrutschen begann, steckte Gordon sie unter dem unverletzten Arm des Mannes fest.
»Sie kennen ihn«, stellte Lord Griffin fest, der ihn dabei beobachtete.
»Ja.«
»Er spricht mit schottischem Akzent und verteidigt den König wohl nicht zum ersten Mal.«
»In der Tat. Auf ihn ist eine hohe Belohnung ausgesetzt.«
Lord Griffin nickte. »Ah. Gott sei Dank haben Sie Ihren Freund vor den Engländern entdeckt.«
Gordon betrachtete noch einmal Morays Gesicht. »Ich glaube nicht, dass er mich als Freund erachten würde.«
»Aber Sie bewundern ihn.«
Gordon überlegte einen Moment. »Er steht jemandem sehr nahe, der mir sehr wichtig ist. Das bindet uns aneinander, egal, ob uns das passt.«
Kurze Zeit später erreichten sie die Leopard, wo der Schiffsarzt Gordon versicherte, dass Moray nicht ernsthaft verletzt sei. »Ein scharfer Gegenstand ist in seine Schulter eingedrungen, kein Schwert, sondern eher ein spitzes Stück Holz. Das hat die heftige Blutung verursacht. Die Wunde wird genauso gut verheilen wie die an seiner Seite.«
Lord Griffin, der das Angebot des Arztes, ihm eine Hängematte zur Verfügung zu stellen, ausgeschlagen hatte und auf einem Stuhl an der Wand saß, bemerkte: »Offenbar war das nicht der erste Versuch, dem Jungen ans Leben zu gehen.«
Er hatte wie Gordon die Narben gesehen, die Morays Brust und Arme von früheren Schlachten zierten. Um seinen Hals hing ein Lederband mit einem kleinen schwarzen Stein.
Lord Griffin hielt ihn für einen Talisman. »Soldaten sind höllisch abergläubisch.«
»Während ich ihn verbinde«, sagte der Arzt, »wird er kurze Zeit ohne ihn auskommen müssen.« Als er den Stein und das Lederband von Morays Hals entfernen wollte, schloss sich dessen Hand um sein Gelenk.
»Lassen Sie das«, sagte Moray mit rauer Stimme und öffnete halb die Augen.
»Sie sind verletzt, Sir«, teilte der Arzt ihm mit. »Ich muss die Wunde verbinden, und dabei behindert mich der Stein.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Moray den Griff um das Handgelenk des Arztes lockerte und den Stein an dem Band vorsichtig selbst abnahm. Den Blick auf den Arzt gerichtet, stellte er fest: »Sie klingen wie ein Engländer.«
»Ja, Sir.«
Nur Gordon fiel auf, dass Morays linke Hand zu seiner Hüfte wanderte, als befände sich sein Schwert noch dort. »Auf welchem Schiff bin ich?«
»Keine Sorge, mein Junge«, mischte sich Lord Griffin ein. »Wir sind an Bord der Leopard, in Sicherheit, bei Freunden.«
Als Moray sich erstaunt Lord Griffin zuwandte, entdeckte er Gordon, der zwischen ihnen stand, und sah ihn herausfordernd an. »Bei Freunden«, wiederholte er spöttisch.
»Aye«, bestätigte Gordon. »Jedenfalls vorerst. Aber lange kann ich Sie hier nicht verborgen halten.« Seine nächsten Worte waren an den Arzt gerichtet. »Glauben Sie, er wird sich bis Einbruch der Nacht so weit erholt haben, dass er von Bord gehen kann?«
»Wohin wollen Sie mich bringen?«, fragte Moray argwöhnisch.
»Ich möchte die heutigen Siegesfeiern nutzen, um Sie beide an Bord des Fischerboots zu schmuggeln, das Sie nach Frankreich befördern wird«, antwortete Gordon.
»Und was ist mit den Leuten, die uns heute Morgen auf der Tragbahre gesehen haben?«, erkundigte sich Lord Griffin. »Werden die glauben, dass wir uns in Luft aufgelöst haben?«
»Morgen früh werden sie einem ordentlichen christlichen Begräbnis der beiden beiwohnen, denen unser Arzt leider nicht helfen konnte. Wir nähen Gewichte in die Laken, damit niemand merkt, dass sich keine Leichen darin befinden. So sind alle zufrieden, und Sie entkommen den Engländern.«
»Nein, nicht wir beide«, widersprach Lord Griffin. »Sie können uns nicht alle zwei sterben lassen, das glaubt Ihnen kein Mensch. Was für ein Licht würde das außerdem auf Ihren armen Schiffsarzt werfen?« Er lehnte sich lachend mit verschränkten Armen zurück. »Nein, sorgen Sie dafür, dass der Junge von Bord kommt. Ich weine gern bei seiner Trauerfeier, um Ihre Geschichte glaubwürdiger zu machen.«
Moray richtete sich auf. »Lord Griffin, ich bestehe darauf …«
»Immer mit der Ruhe. Sie sind jung und haben das Leben noch vor sich, während meines sich dem Ende zuneigt.« Und an Gordon gewandt fügte er hinzu: »Wie gesagt, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn man mich gefangen nimmt. Ich kenne Queen Anne seit Urzeiten und war in der Leibwache ihres Vaters. Mir passiert schon nichts. Außerdem finde ich die Aussicht auf ein Zimmer im Tower, von dem aus ich die letzten Jahre meines Lebens auf London blicken kann, gar nicht so abschreckend. Ich war lange nicht mehr zu Hause.«
Als Moray noch einmal widersprach, fuhr Gordon aus der Haut: »Mein Gott, Mann, wenn Sie jetzt nicht endlich aufhören, liefere ich Sie eigenhändig aus und hole mir die Belohnung. Sie haben selbst einmal gesagt, dass es einem Soldaten nicht zusteht, Befehle in Zweifel zu ziehen. Er muss sie einfach befolgen. Nun tun Sie das auch. Ihr zuliebe, wenn schon aus keinem anderen Grund.«
Moray hob bedächtig die Hand und legte das Lederband mit dem kleinen schwarzen Stein wieder an, als wäre der die einzige Rüstung, derer er nun noch bedurfte. Dann nickte er.
Sophia, die während seiner Ausführungen kein einziges Wort gesagt hatte, starrte Captain Gordon an, der immer noch mit dem Rücken zu ihr am Fenster stand.
»Und es gelang uns tatsächlich, ihn von Bord zu bringen«, schloss Gordon seine Erzählung. »Bei all dem Rum, der in jener Nacht floss, bekamen meine Männer nicht viel mit. Inzwischen dürfte er schon einen großen Teil des Weges hinter sich haben.«
»Ist Lord Griffin noch an Bord?«, fragte Sophia.
»Nein. Heute Morgen haben ihn Soldaten abgeholt. Ich hoffe nur, dass die Königin tatsächlich gnädig mit ihm umgeht.«
»Captain Gordon, können Sie mir vergeben, dass ich …?«
Er hob die Hand. »Schon vergessen.« Und nach einem Blick auf die Salisbury fügte er hinzu: »In einer Hinsicht hatten Sie recht. Was ich in jener Nacht tat, geschah nicht nur aus Pflichtbewusstsein, sondern für Sie.«
Dass ein Mann Existenz und Leben für sie riskierte, obwohl er wusste, dass sie seine Liebe nicht erwidern konnte, rührte Sophia. Leise sagte sie: »Es tut mir leid.« Und beiden war klar, dass sie damit nicht nur die ungerechtfertigten Anschuldigungen meinte.
»Keine Ursache«, antwortete Captain Gordon, ganz Gentleman. »Offen gestanden, bewundere ich Ihren Mut, hierherzukommen und mich zur Rede zu stellen. Bestimmt wären Sie auch von Slains angereist, wenn Sie es für nötig gehalten hätten.«
»Möglich.«
»Aber es freut mich, dass Sie nicht im Norden sind.« Er schenkte zwei Gläser Bordeaux ein. »Nicht nur, weil ich Ihren Besuch genießen durfte, sondern auch, weil die Engländer einen hohen Preis für das fordern werden, was sich abgespielt hat.«
Sophia nahm einen Schluck Wein, um den bitteren Geschmack des Tees wegzuspülen. »Der König ist entkommen«, sagte sie. »Möglicherweise bringen ihn seine Schiffe nach Norden, um eine bessere Stelle zum Landen zu suchen.«
»Vielleicht. Aber wenn das misslingt, stehen uns schwere Zeiten bevor, und es ist besser für Sie, wenn Sie nicht in Slains sind.«
Graham wandte mir im Halbschlaf das Gesicht zu. »Lord wer?«
»Lord Griffin. Er war, glaube ich, auf der Salisbury. Ein betagter Engländer, der in Saint-Germain gelebt hatte …«
»Ach, der.« Graham legte den Arm um meine Taille. »Was möchtest du über ihn wissen?«
»Was mit ihm passierte, nachdem die Engländer ihn gefangen genommen hatten. Wurde er wegen Hochverrats angeklagt?«
»Aye, und verurteilt.«
»Man hat ihn geköpft?«
»Nein. Einige Minister wollten das, doch Queen Anne hörte nicht auf sie. Er blieb bis zu seinem Lebensende ihr Gefangener, aber zumindest wurde er keinen Kopf kürzer gemacht.«
Er hatte also seinen Blick auf London bekommen. King James’ Invasionsversuch hingegen war gescheitert. Die Engländer hatten seine Schiffe nach Norden verfolgt, bis das schlechte Wetter sie schließlich zur Rückkehr nach Frankreich zwang, und seinen Anhängern tatsächlich die von Captain Gordon prophezeiten schweren Zeiten beschert.
»Graham?«
»Aye?«
»Wer wurde wegen seiner Teilnahme an dem Aufstand zum Tode verurteilt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er schläfrig.
»Aber die Engländer trieben alle Jakobiten zusammen und steckten sie ins Gefängnis, oder?«
»Aye. Die meisten Adeligen wurden in Ketten nach London gebracht, wo man sie dem Mob vorführte.«
»Befand sich der Earl of Erroll unter ihnen?«, fragte ich.
Graham nickte. »Angeblich wurde er so wütend, dass er mit einer Flasche nach dem Earl of Marischal warf und ihn am Kopf traf.«
»Vermutlich hatte der Earl of Marischal es verdient.«
Ich spürte Grahams Mund auf meiner Haut. »Du verteidigst ihn?«
Wie sollte ich ihm erklären, dass ich das Wesen des Earl of Erroll besser kannte als jeder Historiker, dass er für mich keine fiktionale Figur war, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut? Genau wie alle anderen, an deren Gesichter und Stimmen ich mich erinnerte.
»Graham?«
»Hm?«, murmelte er schläfrig.
»Was geschah mit ihnen, als sie in London waren? Wurden sie am Ende freigelassen?«
Ich hörte nur seinen regelmäßigen Atem. Er war eingeschlafen. Da mir die Frage, die ich ihm gestellt hatte, keine Ruhe ließ, löste ich mich am Ende aus Grahams Armen und tappte hinunter in die Küche.