7
Plötzlich schaute Moray aufs Meer hinaus und brachte den Wallach zum Stehen.
»Was ist?«, fragte Sophia und hielt ebenfalls an.
Doch da entdeckte auch sie das Schiff, das im Süden in Sicht kam. Die Flagge konnte sie noch nicht erkennen, aber die Art und Weise, wie es sich lauernd die Küste entlangbewegte, ließ sie misstrauisch werden.
Mit starrer Miene wendete Moray sein Pferd. »Wir sollten umkehren.«
Sophia folgte ihm in behäbigem Schritttempo, das sie im Vergleich zu dem schnellen, lautlosen Schiff kaum voranzubringen schien. Da sie wusste, dass Moray nur ihretwegen so langsam ritt, trieb sie ihr Pferd zu einer schnelleren Gangart an.
Moray passte sich ihr überrascht an, und als sie die Stallungen von Slains erreichten, ergriff er das Zaumzeug der Stute, um sie zum Halten zu bringen.
»Informiert man bei Wettrennen die anderen Teilnehmer nicht, wann es losgeht?«, fragte Moray mit einem amüsierten Lächeln, schwang sich vom Sattel und umfing Sophias Taille mit beiden Händen, um ihr beim Absteigen zu helfen.
»Ich hatte kein Wettrennen im Sinn«, wehrte sich Sophia. »Ich wollte nur …«
»Aye«, sagte er. »Ich weiß, was Sie wollten.« Obwohl sie mittlerweile festen Boden unter den Füßen hatte, nahm er seine Hände nicht von ihrer Leibesmitte. Seine Berührung war sanft, anders als die von Billy Wick zuvor. »Wenn ich Ihnen wieder einmal zu langsam sein sollte, brauchen Sie es mir nur zu sagen.«
Sie wurde rot, und ihr Herz begann, wie wild zu klopfen.
»Colonel Moray!«, hörten sie da Rory rufen, der zu ihnen rannte. »Die Countess bittet Sie, sofort zu ihr zu kommen.«
Morays Hände glitten von ihrer Taille, und er verabschiedete sich mit einem höflichen Nicken von ihr. »Wenn Sie mich entschuldigen würden …«
»Aber natürlich«, sagte sie, um innere Ruhe bemüht.
Widerwillig streifte sie Morays Handschuhe ab, um sie ihm zurückzugeben, doch er hatte mit festem Schritt und schwingendem Umhang schon fast den halben Hof überquert. Sophia fragte Rory, welches Schiff sich da Slains nähere, aber auch er befand sich mit den beiden Pferden bereits beim Tor der Stallungen.
Von Panik ergriffen, raffte sie die Röcke und lief zu der großen Tür, durch die Moray soeben verschwunden war.
Im dunklen Innern, wo sie zunächst nichts erkennen konnte, stieß sie mit einem Mann zusammen.
»Cousine«, fragte der Earl of Erroll. »Wohin so hastig?«
»Entschuldigung«, sagte Sophia und versteckte die Handschuhe hinter dem Rücken. »Da ist ein Schiff …«
»Die Royal William, aye. Ich soll dich holen, weil der Captain dieses Schiffs dich im Kreis der Familie sehen möchte, sobald er an Land ist. Was hältst du davon, in ein anderes Kleid zu schlüpfen?«, fragte er mit einem neckenden Lächeln.
Sie strich das Gewand mit der freien Hand glatt und klopfte den Staub vom Reiten ab. »Danke, nein«, antwortete sie, weil sie fürchtete, dass sich in einem anderen Kleid die Erinnerung an Morays Berührung zu schnell verflüchtigen würde, und schloss die Finger enger um die Handschuhe, die sie hinter dem Rücken verbarg.
»Dann komm.« Der Earl hielt ihr den Arm hin. »Wir werden deinen Captain Gordon im Salon empfangen.«
Einige Minuten später gesellte sich die Countess zu ihnen. »Mr. Moray«, verkündete sie, »bleibt in seinem Zimmer, bis wir sehen, ob Captain Gordon allein ist.«
»Klug von ihm«, meinte ihr Sohn. »Obwohl ich nicht weiß, ob wir ihn überhaupt mit Captain Gordon zusammenbringen sollten.«
»Er ist ein Freund.«
»Fünfhundert Pfund sind fünfhundert Pfund«, erinnerte der Earl sie. »Geringere Männer haben geringeren Versuchungen nicht widerstehen können.«
»Thomas Gordon ist kein Verräter.«
»Ich beuge mich wie immer deinem besseren Wissen.« Er trat neben die Witwe und schaute hinaus zu dem Schiff, das nun vor der Küste ankerte. »Die Royal William hat nicht mehr das weiße Andreaskreuz auf blauem Grund als Flagge.«
»Sondern?«, fragte seine Mutter.
»Die der neuen Union mit den kombinierten Kreuzen des heiligen Andreas und des heiligen Georg«, antwortete ihr Sohn in bitterem Tonfall. »Was bedeutet, dass es unsere schottische Marine nicht mehr gibt.«
»Nun …«, seufzte seine Mutter. »Wir hatten ja auch nur drei Schiffe.«
»Aye, aber die gehörten uns«, erwiderte er. »Jetzt haben wir auch sie verloren. Ich frage mich, ob unser Freund, der Duke of Hamilton, ruhig schlafen kann ob des Preises, den die Sicherung seiner Güter in Lancashire gekostet hat.«
Sophia überlegte, was sie mit Morays Handschuhen machen sollte, die sie immer noch zwischen den Fingern hielt. Sie glaubte nicht, dass die Countess und der Earl etwas gegen ihren Ausritt mit Moray hatten, doch die Handschuhe würden ihnen auffallen. Da sie kein passenderes Versteck fand, setzte sie sich kurzerhand darauf.
Sie saß immer noch auf dem Stuhl, als Captain Gordon angekündigt wurde.
Er trug einen langen blauen Mantel mit goldenen Tressen und glänzend polierten Knöpfen. Nachdem er die Countess und den Earl begrüßt hatte, ergriff er Sophias Hand, hob sie an seine Lippen, verbeugte sich tief und sagte mit einem charmanten Lächeln: »Und, Mistress Paterson – Sie haben sich, hoffe ich, von dem kleinen Pferderennen neulich erholt?«
»Ja, Sir, danke.«
»Das freut mich zu hören.«
Als er sich wieder aufrichtete und ihre Hand losließ, fragte der Earl ganz unumwunden: »Kommen Sie allein?«
»Aye. Captain Hamilton wird erst in ein paar Stunden hier sein.«
»Dann«, sagte die Countess, »haben Sie hoffentlich genug Zeit, um mit uns zu essen.«
»Es wäre mir ein Vergnügen.« Und mit einem vielsagenden Blick fügte er hinzu: »Man hat mir mitgeteilt, dass Sie noch einen weiteren Gast haben.«
»Das stimmt.«
»Ich bin gekommen, so schnell es ging.« Bevor er fortfuhr, sah er kurz hinüber zu Sophia, und der Earl erklärte: »Sie können ganz offen sprechen in Gegenwart von Mistress Paterson. Sie genießt unser Vertrauen.« Dabei trat er neben Sophia und legte zur Bekräftigung seiner Aussage die Hand auf ihren Stuhl. »Colonel Hooke war vor ein paar Tagen hier und ist nun zu Verhandlungen mit unseren Adeligen unterwegs. Er hat uns jemanden dagelassen, der Sie, wenn Sie möchten, mit den Plänen des jungen Königs vertraut machen kann.«
Captain Gordon runzelte die Stirn. »Und wer wäre das?«
»Ich glaube, er meint mich«, erklang da Morays Stimme von der Tür aus. An die Countess gewandt, fügte er hinzu: »Verzeihen Sie, aber ich habe vom Fenster meines Zimmers aus gesehen, dass der Captain allein ist.«
»Mr. …?«, fragte der Captain unsicher.
»Moray.«
»Ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet, vor drei Jahren, vor dem Tod Ihres Vaters«, sagte der Captain.
»Ja, daran erinnere ich mich.« Er klang nicht gerade freundlich.
»Damals standen Sie in Diensten des Königs von Frankreich«, bemerkte Captain Gordon.
»Aye. Daran hat sich nichts geändert.«
»Und er hat Ihnen befohlen, nach Schottland zu reisen, obwohl eine Belohnung auf Sie ausgesetzt ist?«
»Es steht einem Soldaten nicht zu, Befehle anzuzweifeln«, antwortete Moray. »Die Pflicht gebietet lediglich, sie zu befolgen. Ich hätte mich genauso wenig gegen diese Reise wehren können wie Sie sich dagegen, die Flagge der Union an Ihrem Mast zu hissen.«
»Thomas, Mr. Moray weiß sehr wohl um die Risiken seines Aufenthalts hier«, mischte sich die Countess ein. »Deshalb hat er beschlossen, bei uns in Slains zu bleiben.«
»Ich wollte damit nicht andeuten, dass Sie waghalsig sind«, sagte Captain Gordon zu Moray.
»Nae?«
»Nein.« Und mit einem charmanten Lächeln fügte der Captain hinzu: »Sie haben vollkommen recht: Wenn es nach mir ginge, würde ich nicht unter der Flagge der Union segeln. Unter uns: Vielleicht tue ich es auch in Kürze nicht mehr.«
»Warum das?«, erkundigte sich der Earl.
»Weil ich mich möglicherweise schon bald gezwungen sehen werde, aus dem Dienst auszuscheiden.« Captain Gordon hob bedauernd die Schultern. »Man wird mir und allen anderen Offizieren einen Eid abverlangen, in dem wir King James und seinem Anspruch auf den Thron abschwören müssen.«
»Oh, Thomas«, seufzte die Countess.
»Ich trage diese Uniform stolz seit vielen Jahren, aber gegen mein Gewissen werde ich nicht handeln«, erklärte Captain Gordon. »Den Eid schwöre ich nicht.«
»Was wollen Sie tun?«, fragte die Countess.
Captain Gordon sah Moray an, und einen Moment hatte Sophia Angst, dass er an die fünfhundert Pfund Belohnung dachte. Doch der Captain überraschte sie. »Wenn ich davon ausgehen könnte, dass der französische König bereit wäre, mich in seine Dienste zu nehmen, würde ich mit meiner Fregatte sofort nach Frankreich segeln.«
»Nun, vielleicht befinden Sie sich bald in Diensten des Königs von Schottland, wenn das Schicksal es gnädig meint.«
»Hoffen wir das Beste.« Der Captain wandte sich einem anderen Thema zu. »Was ist eigentlich aus dem französischen Schiff geworden, das Colonel Hooke und Mr. Moray zu Ihnen gebracht hat?«
»Wir haben den Kapitän dieses Schiffs gebeten, nach Norwegen zu segeln und in drei Wochen wieder zu uns zurückzukehren. Wir hoffen, dass Sie sich nicht begegnen.«
Der Captain runzelte die Stirn. »Ich kann Ihnen versprechen, dass ich mich nicht länger als fünfzehn Tage an diesem Küstenabschnitt aufhalten werde. Würden Sie dafür sorgen, dass Ihr französischer Kapitän nicht allzu lange in diesen Gewässern segelt? Wenn wir uns zu häufig begegnen, wird mein junger Kollege Captain Hamilton von der Royal Mary, der meine Ansichten nicht teilt, argwöhnisch. Genau wie meine Mannschaft. Etwas vor so vielen Männern zu verbergen ist nicht leicht.« Er schwieg kurz. »Als Colonel Hooke das letzte Mal in Slains war, habe ich mit dem Kapitän des Schiffs bestimmte Signale vereinbart, die es mir ermöglichen, ihn bei einer Begegnung auf See zu erkennen. Erinnern Sie sich daran?«
Der Earl wirkte unsicher, doch die Countess nickte. »Ja, wir wissen um sie.«
»Wenn Sie so freundlich wären, diese dem Kapitän des französischen Schiffs bei seiner Rückkehr mitzuteilen, versuche ich, ihm auszuweichen.« Nun wandte er sich mit einem freundlichen Lächeln Sophia zu. »Aber sprechen wir doch von weniger düsteren Themen. Mich interessieren Mistress Patersons Abenteuer hier in Slains.«
Auch die Countess lächelte, offenbar erfreut über die Aufmerksamkeit, die der Captain Sophia entgegenbrachte.
»Sir«, sagte Sophia, »ich kann von keinen Abenteuern berichten.«
»Dann«, erwiderte er, »müssen wir dafür sorgen, dass Sie welche erleben.«
Sophia spürte den ernsten Blick von Morays grauen Augen auf sich, der das Gespräch mit ungerührter Miene mitverfolgte, und war erleichtert, als eine junge Bedienstete hereinkam und verkündete, dass das Essen fertig sei.
»Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?«, fragte der Captain.
Da sie ihm keinen Korb geben konnte, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, nickte sie und erhob sich. Morays Handschuhe auf dem Stuhl hatte sie völlig vergessen. Als sie aufstand, fiel einer herunter, und Captain Gordon bückte sich, um ihn aufzuheben. »Was haben wir denn da?«
Sophia hielt den Blick gesenkt, während sie sich eine halbwegs glaubwürdige Antwort zurechtzulegen versuchte, doch bevor ihr eine einfiel, trat Moray zu ihr und holte den anderen Handschuh vom Stuhl.
»Die hatte ich schon gesucht«, erklärte er.
»Sie gehören Ihnen?«, fragte Captain Gordon.
»Aye. Glaubten Sie etwa, so große Handschuhe könnten Mistress Paterson gehören?«, scherzte er, doch der Captain musterte ihn nachdenklich, bevor er sich zu einem schmallippigen Lächeln durchrang.
»Nein.« Dann nahm er Sophias Hand in die seine und sagte: »Solche Finger verdienen eine zartere Hülle.« Er reichte Moray den zweiten Handschuh. »Passen Sie in Zukunft besser auf, wo Sie sie hinlegen, sonst verlieren Sie sie noch.«
»Keine Sorge«, erwiderte Moray und steckte beide Handschuhe in seinen Gürtel. »So leicht verliere ich Dinge, die mir gehören, nicht.«
Dann trat er einen Schritt zurück, um Sophia, die sich mittlerweile bei Captain Gordon untergehakt hatte, vorbeizulassen, und folgte ihnen mit dem Anflug eines Lächelns.