19. KAPITEL

Im Notfall wird sich kein echter Butler von speziellen Maßnahmen abhalten lassen, die einem Mann von seiner Klasse und Erziehung unter normalen Umständen verhasst wären. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen.

Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves

Prudence blinzelte. „Verzeihung. Was haben Sie gerade gesagt?“

Mrs. Fieldings schniefte. „Ich sagte, es ist der Captain oder der Earl oder wie auch immer er heißt. Er ist da. Im Salon.“ „Aber ... aber ..." Prudence saß in ihrem Schlafzimmer vor dem Spiegel, eine Bürste in der Hand. Sie blickte auf ihr Nachthemd. „Er ist jetzt zu Besuch gekommen?“

Mrs. Fieldings verschränkte die Arme. „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“

„Mir sind Ihre Würmer völlig egal. Es ist halb acht in der Frühe! “ Prudence ließ die Bürste sinken und beeilte sich, ihr Haar zu einem eleganten Nackenknoten aufzustecken. Mithilfe der Haushälterin war Prudence bald angekleidet und eilte die Treppe hinunter.

Was er wohl wollte? Vielleicht ... ein Hoffnungsfunke belebte ihr Herz. Vielleicht war er gekommen, um ihr zu sagen, dass er sie liebte.

Ihr schlug das Herz bis zum Halse, als sich dieser Gedan-ke bei ihr einschlich. Und wenn es so war? Hieß das, dass er seine Träume vom Segeln und einem freien, ungebundenen Leben aufgegeben hatte? Könnte er mit einer solchen Entscheidung je glücklich werden?

Das Morgenlicht strömte durch die Fenster, als Prudence die Tür zum Salon öffnete.

Tristan stand am Kamin und blickte in die züngelnden Flammen. Als er das Geräusch hörte, wandte er sich zu ihr um. Er trug einen der neuen Röcke, die Reeves für ihn hatte anfertigen lassen, sein Haar war ordentlich zurückgebunden, und seine Stiefel glänzten dermaßen, dass man sich in ihnen spiegeln konnte.

So attraktiv sah er aus, dass Prudence ein wenig aus dem Tritt geriet, obwohl sie es rasch unter einer strahlenden Begrüßung verbarg. „Guten Morgen. Ich hoffe, dass dir die Aufregungen der letzten Nacht gut bekommen sind.“

Sein Blick verdunkelte sich, als er sie sah. „Prudence.“ Sie knickste. „Guten Morgen“, wiederholte sie in festem Ton. Sie hoffte, er würde ihrem Beispiel folgen und es ihnen beiden dadurch leichter machen. Prudence nahm am Feuer Platz und wies auf einen Sessel. „Bitte setz dich doch.“

Er hielt inne und sah sie an. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet.

„Bitte“, wiederholte sie leicht verzweifelt. Sie wollte nicht weinen - sie würde auch nicht weinen.

Tristan setzte sich und legte den Stock ab, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen. Er wirkte ebenfalls müde. Außer diesem Umstand und dem Schnitt an seinem Kinn erinnerte nichts mehr an die Ereignisse des gestrigen Abends.

Sie berührte ihr eigenes Kinn. „Könnte sein, dass du da eine Narbe bekommst.“

„Narben sind für mich nichts Neues.“

Prudence nickte. „Wie geht es deinem Arm?“

„Gut. Prudence, wir müssen ...“

„Und deinem Bruder?“

Tristans Miene wurde weicher. „Gestern Nacht habe ich mit ihm noch über eine Stunde zusammengesessen. Ich habe ihn vermisst.“

Hinter diesen kargen Worten verbarg sich eine Welt an Ge-fühlen. Prudence wurde die Kehle eng. „Ich bin froh, dass du ihn gefunden hast. “

„Danke. Aber deswegen bin ich nicht hier. Wir hatten letzte Nacht keine Zeit mehr, über das zu sprechen, was geschehen ist. Prudence, ich bin zu einer Entscheidung gelangt. Wir müssen heiraten.“

Prudence verschlug es den Atem. Es fühlte sich an, als wäre ihr auf einmal das Herz gefroren. „Wir müssen?“

Er straffte die Schultern, als würde er vom ganzen Leid der Welt niedergedrückt. „Das ist das Richtige.“

Sie sah ihn an. Sie entdeckte nichts Leichtherziges oder Glückliches in seiner Miene, nur die grimmige Entschlossenheit eines Mannes, der seine Pflicht erfüllte.

Plötzlich fühlte sie sich mutlos. Pflicht. Er fühlte sich schuldig, und deswegen ... „Nein.“

Tristans Miene verfinsterte sich. „Nein?“

„Nein.“ Schade, dass die Liebe allein nicht in der Lage war, alle Probleme zu lösen. Erträglich konnte sie die Probleme schon machen - aber nur, wenn beide gleichermaßen liebten.

„Verdammt, warum nicht?“

„Ich war schon einmal verheiratet. Phillip und ich hatten unsere Liebe, gegenseitigen Respekt, gemeinsame Interessen, Verständnis ... Tristan, wir haben von alledem nichts.“ Er runzelte die Stirn. „Wir sind gern zusammen und ...“ „Uns verbindet die Leidenschaft, mehr nicht. Das ist nicht genug.“ Sie atmete zittrig ein und erhob sich. Er tat es ihr gleich, stützte sich mit düsterer Miene auf seinen Stock.

„Mir reicht das“, sagte er leise. „Ich habe nie zuvor den Wunsch verspürt zu heiraten. Aber jetzt wüsste ich nicht, warum nicht. Das muss doch genug sein!“

„Ist das alles, was dir dazu einfällt?“

Um Tristans Mund zuckte es. „Ich finde dich unterhaltsam.“

Na reizend. Sie glaubte, vor Liebe schier vergehen zu müssen, und er fand sie unterhaltsam. Tränen traten ihr in die Augen. „Tristan, du solltest etwas wissen: Zwei der Treuhänder haben unter Phillips Investitionen gelitten. Ehe ich London verließ, gab es einen riesigen Skandal. Phillip war schon gestorben, doch der Zorn wegen der finanziellen Verluste war noch sehr lebendig. Tristan, wenn uns diese beiden Treuhänder - Earl of Ware und Viscount Southland - zusammen sehen, werden sie nicht erfreut sein. Sie werden von dir verlangen, dass du mich fallen lässt.“

Sie wartete, und nach einem Augenblick zuckte er nur mit den Schultern. „Dann erzählen wir es ihnen eben nicht. Ich sage einfach, du hättest mich unterrichtet. Sobald das Vermögen mir gehört, kann ich tun und lassen, was ich will. Es würde ihnen recht geschehen, wenn ich sie derart an der Nase herumführen würde.“

Sie versteifte sich und sah ihn an. „Ich werde mich vor diesen Männern nicht verstecken. Jetzt nicht und sonst auch nicht.“

„Ich habe wirklich nicht anregen wollen, dass du dich versteckst, nur ... “ Er rieb sich über das Gesicht, als ränge er nach Worten.

Prudence wusste nicht, was sie sagen sollte. Das war ja noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Er wollte ihre Verbindung geheim halten und sie dann, wenn es nicht mehr darauf ankam, zum Beweis seiner Rebellion überall hinausposaunen. „Wie schmeichelhaft“, fuhr sie ihn an, nicht in der Lage, zu verbergen, wie verletzt sie war.

Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. Er wirkte verwirrt. „Prudence, mir ist es wirklich ernst.“ „Das glaube ich nicht. Tristan, ich werde dich nicht heiraten. Weder heute noch morgen. Niemals.“

Er blinzelte. „Was?“

„Du hast mich gehört. Ich will bei deinen Spielchen nicht mitmachen. Und jetzt habe ich anderes zu tun, wenn es dir nichts ausmacht. Bitte komm nicht wieder. Wir haben uns nichts mehr zu sagen. “ Mit wild klopfendem Herzen drehte sie sich auf dem Absatz um, ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sobald sie ins Schloss gefallen war, hob sie die Röcke und rannte die Treppe in ihr Zimmer hinauf. Die Tränen begannen schon zu fließen, bevor sie ihr Ziel erreicht hatte, doch zumindest war ihr die Peinlichkeit erspart geblieben, vor dem Mann, den sie über alles liebte, in Tränen auszubrechen.

„Hmmm“, meinte Reeves nachdenklich. Er schürzte die Lippen und schüttelte dann den Kopf. „Ich kann mir keinen Reim darauf machen, Mylord. Ich schlage vor, dass Sie Mrs. Thistlewaite vergessen.“

Tristan blinzelte. „Sie vergessen?“

„Ja, Mylord. Es hört sich so an, als hätte Mrs. Thistlewaite nicht so viel für Sie übrig, wie Sie dachten.“ Reeves wedelte mit der Hand. „Ich würde sie einfach vergessen und mir eine andere suchen. Mit dem Titel und dem Vermögen in der Tasche sollten Sie unter allen Frauen in der Gegend freie Auswahl haben.“ Reeves sah Tristan an. „Warum sich mit der Witwe zufriedengeben? Sie könnten es noch viel, viel besser treffen.“

Tristan knirschte mit den Zähnen. „Ich will aber keine andere. “

Reeves zuckte mit den Schultern und nahm das Tablett auf. „Ich würde vorschlagen, dass Sie sich alles ein, zwei Tage in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und dann entscheiden. Sie haben Mrs. Thistlewaite ja bereits gesagt, dass Sie sich ohnehin erst nach dem Treffen mit den Treuhändern zu ihr bekennen können, es besteht also kein Grund zur Eile. Vielleicht kann sie in der Zwischenzeit Dr. Barrow trösten. “ Der Butler wandte sich zum Gehen.

„Reeves.“

„Ja, Mylord?“

„Ich wollte Prudence nicht beleidigen, als ich ihr vorschlug, es den Treuhändern nicht zu erzählen. “

„Nein, Mylord, gewiss nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Worte dennoch ziemlich ... verletzend gewirkt haben.“

Tristan rieb sich die Stirn. „Ich werde mich bei ihr entschuldigen. Ich ... ich möchte, dass sie zu meinem Leben gehört. “

„Dürfte ich fragen, warum, Mylord?“

Warum? Weil er sich nicht vorstellen konnte, ohne sie zu leben? Weil es den Anschein hatte, als hinge sein ganzes Glück allein von ihr ab? Irgendwie wollten ihm die Worte nicht über die Lippen. Tristan sah auf den unberührten, gedeckten Tisch. „Ich frühstücke nicht gern allein.“

Reeves folgte Tristans Blick. „In der Tat, Mylord. Allein zu frühstücken ist ja auch sehr unangenehm. Ein schlimmes Dilemma, Mylord.“

„Verdammt, ich weiß! “

„Jawohl, Mylord. Wenn Sie Mrs. Thistlewaite besuchen und sich ihr jetzt erklären, riskieren Sie es, das Vermögen zu verlieren. Wenn Sie abwarten, bis die Treuhänder abgereist sind, riskieren Sie es, den Eindruck zu vermitteln, dass Ihnen das Vermögen wichtiger ist als sie.“

„Genau.“

„Mylord?“

„Ja?“

„Ich bin mir ganz sicher, dass Ihnen etwas einfallen wird.“ Der Butler wandte sich ab und ging hinaus.

„Verdammt noch mal“, brummte Tristan. „Wozu hat man einen Butler, wenn ihm nichts Besseres als das einfällt?“ Tristan lehnte sich zurück und starrte ins Feuer. Er fühlte sich einsam und verlassen. Lieber Gott, er hatte alles verdorben. Was sollte er jetzt nur tun?

Die Uhr in der Bibliothek tickte laut vor sich hin. Tristan bemerkte es nicht. Der Frühstückstisch war abgedeckt worden, später kam ein Lunchtablett und noch ein paar Stunden später das Dinner. Tristan hatte nichts von alledem angerührt; an diesem Tag zog er flüssige Nahrung in Form von Brandy vor.

Der Alkohol würde seine Probleme nicht lösen, das wusste er. Aber er betäubte den Schmerz, sodass er wieder klarer denken konnte. Er stand auf, reckte sich und tastete nach seinem Stock. Meine Güte, er war vollkommen wund und steif von dem Abenteuer letzte Nacht.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht trug er sein Glas zur Anrichte, nur um dort festzustellen, dass die Brandykaraffe leer war. „Verdammt noch mal! Stevens!“

Niemand antwortete.

Tristan fluchte laut, ging dann zur Tür und in den Flur. „Verdammt, Stevens! Wo sind Sie denn?“

Immer noch keine Antwort.

„Reeves!“, brüllte Tristan.

Fast sofort vernahm man einen gemessenen Schritt, der langsam näher kam. Reeves betrat den Flur und blieb stehen, als er Tristan sah. „Mylord?“

„Ich brauche frischen Brandy, und Stevens ist nirgends zu finden.“

„Er hält sich mit ein paar anderen in der Küche auf und repariert für den Koch das Tischbein.“ Reeves trat vor und nahm die Karaffe entgegen. „Wünschen Sie sonst noch etwas, Mylord?“

Ja. Dieser steife Kerl könnte ihm Prudence holen. Das wäre nett. Aber es war natürlich unmöglich. Tristan wusste, wie störrisch Prudence war. Eines hatte ihm das lange Nachdenken klargemacht: Es bedurfte einer beträchtlichen Anstrengung seinerseits, um sie für sich zu gewinnen, jetzt, wo er alles verdorben hatte. „Holen Sie einfach den verdammten Brandy.“

„Jawohl, Mylord.“ Reeves verbeugte sich würdevoll, drehte sich um und entfernte sich.

Tristan sah dem Butler mit leisen Schuldgefühlen nach. Seine Laune heute war einfach schauderhaft. Aber es musste doch etwas geben, mit dem er sich Prudence gegenüber beweisen konnte. Seufzend wandte er sich um in Richtung Bibliothek. Er betrat den Raum und blieb nach zwei Schritten abrupt stehen. Dort am Feuer saß, die Beine behaglich ausgestreckt - Christian.

Der grinste, als er Tristans überraschte Miene sah. „Guten Abend, Bruderherz.“

Tristan blickte zu den Terrassentüren. „Wie, zum Teufel, bist du hier reingekommen? Die Türen waren abgeschlossen.“ „Und ich habe sie aufgemacht.“

„Wie?“

Christian winkte lässig ab. „Das kann ich dir nicht sagen. Ich würde damit den Eid brechen, den ich der Bruderschaft der Straßenräuber geschworen habe. “

Tristan hinkte zu einem Sessel in Christians Nähe. „Eine Bruderschaft von Räubern. Wie schön.“ Er ließ sich in den Sessel fallen. „Ich würde dir ja einen Brandy offerieren, aber er ist mir im Moment ausgegangen.“

Christian griff in seine Tasche und holte eine Flasche heraus. Er nahm sich Tristans Glas, schraubte die Flasche auf und goss ihm großzügig ein. „Hier. Vermutlich ist das hier ohnehin besser als das Zeug, das du so trinkst. “

Tristan nahm einen Schluck. Der Brandy war weich und voll. „Wo hast du den her?“

„Ein Vorteil, wenn man in der Bruderschaft ist“, erklärte Christian und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche, bevor er befriedigt aufseufzte. „Ah. Ist verdammt kalt draußen.“

„Ja“, antwortete Tristan, in Gedanken schon wieder bei Prudence.

Eine Weile herrschte Schweigen.

Schließlich seufzte Christian: „So gemütlich das auch ist, muss ich dich doch fragen, warum du nach mir hast schicken lassen.“

„Hab ich gar nicht.“

„Ich habe eine Botschaft bekommen, dass du mich dringend brauchst.“

Tristans Miene verfinsterte sich. „Reeves und seine verdammte Einmischerei.“

Christian hob die Brauen. „Dann brauchst du mich also nicht?“

„Ich komme mit meinen Problemen schon selbst zurecht. “

„Hm. “ Christian ließ den Blick über Tristans zerknitterte Kleider wandern. „Von welchen Problemen reden wir denn?“

„Prudence.“

„Ah.“ Christian nahm Tristans leeres Glas. „Da kann ich dir leider kaum behilflich sein, fürchte ich. Aber zumindest kann ich dein Elend mit dir teilen.“ Er goss noch etwas Brandy ins Glas und gab es Tristan zurück. „Was ist passiert?“

„Ich habe alles verdorben. Ich habe sie gebeten, mich zu heiraten. “

„Himmel! Ich wusste ja nicht, dass es so ernst ist.“

„Ist es aber. Dachte ich zumindest. Aber als ich sie um ihre Hand angehalten habe, hat sie mir einen Korb gegeben.“ „Hat sie dir erklärt, warum?“

„Ich glaube nicht.“

„Sie hat nichts gesagt? Kein Wort? Kein einziger Hinweis?“

Tristan wurde rot. „Nein. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie heiraten möchte, aber erst nachdem die Treuhänder wieder weg sind.“

Christian nahm seine Brandyflasche und schraubte sie zu. „Was machst du da?“

„Dummköpfe kriegen von meinem Brandy nichts ab.“

„Sie war aber doch einer Meinung mit mir! Sie hat auch gesagt, dass die Treuhänder von einer Hochzeit nichts halten würden! Ihr Mann ist im Zuge irgendeines Skandals gestorben, und sie hat London inmitten von Gerüchten verlassen. Ein paar der Treuhänder waren auch darin verwickelt; sie haben sich ihr gegenüber nicht nett benommen.“

„,Nett‘ ist auch nicht gerade das Wort, mit dem ich Vaters Freunde beschreiben würde. Was hast du darauf gesagt?“ „Dass wir es den Treuhändern ja nicht zu verraten brauchten. Wir könnten es geheim halten.“

„Mein Gott!“ Christian rückte die Brandyflasche auf die andere Seite des Sessels, weit weg von Tristan. „Dir bringe ich im Leben keinen Brandy mehr mit! “

„Dann lass es halt bleiben“, knurrte Tristan.

„Hast du zumindest erwähnt, dass du sie liebst? Dass du keinen Tag mehr ohne sie leben kannst? Dass die Sterne in ihren Augen tanzen und der seidige Wind von Glück sprechen kann, ihr Haar zausen zu dürfen?“

Tristan zog eine finstere Miene. „Das ist doch Unsinn.“

„Das ist Poesie“, widersprach Christian zufrieden. „ Frauen mögen das.“

„Ich bekam nicht viel Gelegenheit, überhaupt groß etwas zu Prudence zu sagen. Wenn ich ihr das erzählt hätte, hätte sie mich allerdings erst ausgelacht und mich dann hinausgeworfen, statt mich nur hinauszuwerfen.“

Traurig schüttelte Christian den Kopf. „Mein eigener Bruder! Du kennst dich mit Frauen überhaupt nicht aus.“

„Ich weiß nicht, was ich Schlimmes getan haben soll! Sie muss doch wissen, dass ich mir etwas aus ihr mache, sonst hätte ich sie doch nicht gefragt, ob sie mich heiraten will!

Warum hätte ich sie denn sonst um ihre Hand bitten sollen?“

„Tristan, nun versetze dich einmal in ihre Lage. Da kommt ein Mann, der dich fragt, ob du ihn heiraten willst. Aber statt dir zu sagen, dass er dich liebt, erklärt er dir, dass er dich zwar gern heiraten möchte, es im Augenblick aber nicht geht, weil er die Vergeltung ausgerechnet jener Männer fürchtet, die dich in London verlacht haben. Wenn es dir also nichts ausmachte, würde er dich gern im Schrank verstecken, bis die Treuhänder wieder weg sind. Sobald ihm keinerlei Nachteile mehr drohen, holt er dich aus dem Schrank raus, staubt dich ab und plant die Hochzeit.“ Tristan seufzte. „Aus deinem Mund klingt das sehr viel schlimmer, als es eigentlich war. “

Christian hob eine Augenbraue.

Tristan nahm einen Schluck Brandy. „Ich wollte nicht, dass es so armselig herauskommt. Ich dachte nur, dass ich das Vermögen bekommen und Prudence trotzdem heiraten könnte. Sie scheint zu glauben, dass ich es bedauern könnte, sie geheiratet zu haben. Das würde ich zwar nicht, aber sie scheint es zu befürchten.“

„Das kommt daher, dass du ihr nicht gesagt hast, wie sehr du sie liebst, du Esel.“ Christian legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder aus schmalen Augen. „Du liebst sie doch, oder?“

„Ja.“ Das Wort eilte über Tristans Lippen, als hätten sie auf eine solche Frage nur gewartet. Er empfand einen seltsamen Druck auf der Brust. „Ich liebe sie wie verrückt. Ich dachte, ohne die See könnte ich nie wieder glücklich sein. Aber jetzt, wo ich Prudence kennengelernt habe ... Christian, etwas hat sich verändert. Ich werde das Segeln immer vermissen, aber wenn ich das Meer hätte ohne Prudence, würde es mich nicht befriedigen. Doch Prudence ohne das Meer ...“ Tristan zuckte mit den Schultern. „Ich wäre der glücklichste Mann der Welt.“

„Warum hast du ihr das nicht gesagt?“

„Weil ich dachte, es würde keinen Unterschied machen. Ich dachte, ich würde sie erst heiraten und es ihr dann hinterher erzählen.“

Christian seufzte. „Männer!“

„Hey, Moment mal. Du bist auch ein Mann! “

„Aber ich bin außergewöhnlich. Im Gegensatz zu dir, der du dein ganzes Leben mit einer Gruppe männlicher Gefährten auf See verbracht hast, habe ich mich mit Frauen umgeben. Das hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet.“ Tristan sah ihn finster an. „Manchmal mache ich mir wirklich deinetwegen Sorgen.“

„Du kannst von Glück reden, dass ich da bin. Wir müssen die Köpfe zusammenstecken und einen Ausweg aus dieser Zwickmühle finden.“

„Wenn wir das nur könnten! Christian, wenn ich mich ihr jetzt erkläre, werde ich das Vermögen verlieren, das ich für meine Männer brauche. Wenn ich es nicht tue, wird sie mir nie mehr glauben, dass ich sie mehr liebe als das viele Geld. Was ich natürlich tue, denn ohne sie will ich das Geld gar nicht.“

„Die Lage ist wirklich verzwickt.“ Christian runzelte die Stirn. „Aber eines nach dem anderen. Zuerst musst du zu ihr gehen und dich entschuldigen.“

„Das habe ich schon versucht.“

„Versuche es noch einmal. Immer wieder. Irgendwann wird sie dich schon empfangen.“

„Nur um mich abzuweisen. Sie ist nicht der Typ Frau, der leicht vergibt. Ich wollte sie wirklich nicht beleidigen, aber jetzt sehe ich schon ein, dass manches nicht gut klang. Schrecklich sogar. “

Christian nickte. „Schon als Kind hast du dich manchmal recht unglücklich ausgedrückt.“

Tristan warf seinem Bruder einen unwirschen Blick zu. „Vielen Dank.“

Christian wedelte mit der Hand. „Dafür bin ich ja da. Die Frauen in meinem Leben sind ganz anders als deine Prudence. Die schlechten wollen nicht gehen, die guten nicht bleiben. Meist wegen ... wie heißt es? Ach ja. Sie wünschen sich eine dauerhafte Stellung. Also wirklich! Wissen die nicht, dass ich der Sohn eines Earls bin? Dauerhafte Stellung, pah!“

Tristan lächelte abwesend. „Wenn es dir keinen Spaß mehr macht, ein Viscount zu sein, kannst du es immer noch mit der Bühnenlaufbahn versuchen. Du warst schon immer ... “ Eine Idee kam ihm dazwischen. Er setzte sich gerader hin. Konnte er Prudence vielleicht zeigen, wie sehr er sie liebte? „Ich frage mich ...“

„Was?“, fragte Christian, der gerade seine Flasche aufhob und einen Schluck nahm.

Tristans Verstand war plötzlich glasklar. Ein Gedanke nahm Gestalt an, ein Plan von derartigen Ausmaßen ... konnte er das wirklich machen?

Er stellte das Glas ab. Er musste scharf nachdenken. Sehr scharf, wenn es funktionieren sollte. Langsam blickte er zu seinem Bruder. „Christian?“ Auf seinen Lippen erschien das erste echte Lächeln an diesem Abend. „Ich brauche deine Hilfe. Ich weiß jetzt genau, was ich tun muss.“

Christian hielt inne, die Flasche auf halbem Weg zu seinen Lippen. „Tu, was du willst, o Bruder Captain. Verfüge über mich, ich harre deiner Befehle. Aber wisse: Wenn dein Plan nicht funktioniert, fordere ich das Recht, die schöne Witwe selbst umwerben zu dürfen.“

Tristans Lächeln erlosch. „Nur über meine Leiche. Und jetzt hör auf mit deinen Posen, du Schurke. Wir haben zu tun.“