13. KAPITEL
Um Flecken vom Mobiliar zu entfernen, mische man Rosenöl, Lauge und Rindergalle. Anzuwenden ist das Mittel nur in belüfteten Räumen - es dürfte kaum möglich sein, in bewusstlosem Zustand zu schrubben.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
Tristan ging den Pfad hinunter, immer noch ganz in Gedanken angesichts Reeves’ und dessen Geheimnissen. Die Morgensonne stieg gerade über die See, und über den Klippen erhob sich ein steifer Wind. Die ganze letzte Woche war er früher als nötig aufgestanden, um oben auf der Steilküste spazieren zu gehen. Das verschaffte ihm einen freien Kopf und einen gewissen inneren Frieden. Heute jedoch fand er keine Ruhe. Er konnte an nichts anderes denken als an Christian.
Abwarten zu müssen war die reine Hölle. Er würde Reeves eine Woche geben, seinen Bruder herzuschaffen. Eine Woche, länger nicht.
Er fragte sich, was Christian von Prudence halten würde. Das erinnerte ihn wieder an die verführerische Schöne, die jeden Morgen in ihrem blauen Mantel zu ihm kam, das Haar streng aufgesteckt, die braunen Augen voll warmem Gelächter. Prudence. Allein schon an ihren Namen zu denken machte das Leben für ihn erträglicher.
Heute war der Pfad übersät mit Pfützen, und die Steine waren schlüpfrig vor Moos. Er kam ungünstig mit dem Fuß auf dem harten Boden auf, und ein scharfer Schmerz fuhr durch sein Bein. Er zuckte zusammen und biss die Zähne aufeinander. Von seiner Verletzung würde er sich ganz sicher nicht unterkriegen lassen - nichts würde ihn unterkriegen. Wenn Prudence ihm etwas hatte beibringen können, dann, dass man selbst mit den schlimmsten Plagen im Leben zurechtkam, wenn man ihnen mit Geduld und Ausdauer begegnete.
Gewusst hatte er das zwar schon, doch irgendwie war es ihm in den Wochen und Monaten der Rekonvaleszenz wieder entfallen.
Er umrundete eine Ecke und hatte das Cottage vor sich, das robust und stabil den Windböen trotzte. Tristan zwang sich, die letzten Schritte zum Gartentor noch schneller zu gehen, und hielt die Geschwindigkeit, bis er außer Atem geriet.
Vielleicht wenn er stärker auftrat, die Muskeln in seinem Bein zwang, sich zusammenzuziehen und zu dehnen ... vielleicht würde es dann besser. Er biss die Zähne zusammen und zwang sich vorwärts. Nur das gleichmäßige Klopfen seines Stocks und der dumpfe Tritt seiner Stiefel zählten jetzt noch. Sonst nichts mehr.
Er würde das Gartentor erreichen.
Er würde nicht straucheln, was es ihn auch kostete.
Wie sehr es auch wehtat.
Nur bis zum Tor ...
Er schaffte es. Tristan packte die oberste Latte und stützte sich darauf, hob das brennende Bein an und senkte den Kopf. Der Schmerz überlief ihn in Wellen, doch er hieß ihn willkommen. Es hatte keinen Zweck, dagegen anzukämpfen. Stattdessen ließ er ihn durch sein Bein laufen, dem Kurs der Bleikugel folgend, die ihn beinah getötet hätte.
So war er immer gewesen - erst kämpfte er dagegen an, dann akzeptierte er es. Das Schicksal hatte ihm nie direkt im Nacken gesessen. Es verhöhnte ihn von Weitem, zeigte ihm, was er haben konnte, aber er bekam es nie. So war es bei seinem Vater gewesen, so war es mit seiner Verletzung, die ihn von der See losriss, und nun passierte es wieder mit Prudence.
Er wollte sie. Wollte sie in seinem Leben haben, auch nachdem die Sache mit den Treuhändern vorüber war. Doch es würde nie funktionieren. Sie war kultiviert, gebildet, stammte aus einer Welt, die er nur aus der Ferne kannte. Und doch sehnte er sich jeden Tag auf neue Art nach ihr. Er hatte von Anfang an recht gehabt: Eine Frau wie Prudence heiratete man - wenn man ebenfalls kultiviert und gebildet war und ihrer Welt entstammte.
Auf ihn traf das nicht zu. Dafür hatte sein Vater gesorgt.
Tristan legte eine Hand auf sein Bein und sah mit finsterer Miene darauf, im Herzen einen neuen und frischen Schmerz. Er war nicht einmal unversehrt. Wenn sein Leben anders verlaufen wäre, hätte er sie vielleicht versorgen können, ihr etwas anderes bieten können als einen Kapitän ohne See.
In Wahrheit hatte er ihr überhaupt nichts zu bieten. Konnte ihr nichts geben. Es sei denn, er erhielte das Vermögen.
Aber ... wäre das genug? Er dachte an ihr Gesicht, wenn sie von ihrem verstorbenen Ehemann sprach, Phillip. Sie hatte ihn geliebt, das war offensichtlich. Tristan biss die Zähne aufeinander. Wie sehr hatte sie Phillip geliebt, und vor allem: Liebte sie ihn noch?
Auf dem Pfad hinter ihm ertönte ein Knirschen. „Guten Morgen.“
Die warme Stimme wollte nicht zu dem eiskalten Wind passen, der die melodischen, sanften Töne wegzuwehen versuchte. Tristan drehte sich um und sah Prudence auf sich zukommen. Der Wind hatte einzelne Strähnen ihres dunklen Haars herausgezerrt und peitschte sie ihr nun ins Gesicht. Sie fing seinen Blick auf und hielt inne. Mit einer Hand lehnte sie sich gegen einen Baum, und tief in ihren Augen schlummerte ein unergründliches Gefühl.
War es Mitleid? Sein Magen begann zu brennen, verbrannte ihn, verbrannte seine Gedanken. „Sie sind früh dran“, sagte er. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren barsch.
Sie hob die Brauen. Bei anderen Frauen hätte diese Geste fordernd gewirkt oder zumindest fragend. Doch an Prudence mit ihren schrägen Brauen wirkte es anders: Sie sah schelmisch aus, wenn sie so mit den Brauen zuckte.
Er schluckte seinen Ärger herunter. „Sie sollten bei dem Wetter nicht draußen sein. Es ist feucht.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist längst nicht mehr so kalt wie noch letzte Woche.“ Ihr Blick wanderte hinaus aufs Meer. „Es ist wunderschön von hier oben aus. “
„Ja, das ist es.“ Er sah hinauf in den grauen Himmel und runzelte die Stirn. Weil die Sonne sich hinter Wolken versteckte, konnte er nicht erkennen, wie spät es war. „Ist es denn schon Zeit fürs Frühstück?“
„Reeves hat mich geschickt, nach Ihnen zu suchen.“ Tristan nahm den Stock fest in die Hand und ging auf sie zu, wobei er mit zusammengebissenen Zähnen gegen das Hinken ankämpfte. Als er an ihrer Seite war, blieb er stehen und bot ihr schweigend den Arm.
Sie lächelte und knickste, bevor sie die Hand leicht auf seinen Arm legte. „Sehr hübsch“, lobte sie mit einem strahlenden Lächeln, das seinem Körper höchst unangemessene Reaktionen entlockte.
Streng zügelte er seine lüsternen Gedanken und Gefühle und erwiderte ihr Lächeln. Bang machte er sich bewusst, dass sie bald nicht mehr bei ihm wäre. Bald nicht mehr herauskäme und nach ihm Ausschau hielte.
Aber zumindest diesen Tag durfte er mit ihr verbringen. Er legte die Hand auf die ihre. „Beginnen wir mit dem Unterricht.“ Damit führte er sie durch die Terrassentür nach innen.
Prudence öffnete ihren Mantel. Tristan nahm ihn ihr ab und legte ihn über einen Sessel. Sie beobachtete ihn, fragte sich, ob seine Hände tatsächlich länger auf dem weichen Wollstoff verweilten oder ob es nur so aussah. Sie runzelte die Stirn. Etwas war heute an ihm anders. Etwas ... Unbestimmtes.
Der Tisch war gedeckt wie immer, alles war wie immer. Prudence stellte sich neben ihren Stuhl und wartete darauf, dass der Earl zu Tisch kam.
Zu ihrer Überraschung hatte sie festgestellt, dass sie es genoss, morgens auf derart vornehme Weise zu tafeln. Vor allem war es schön, Tristan jeden Morgen zu sehen, seine großen gebräunten Hände, die sich um ein zartes Porzellantässchen legten, ein Lächeln in den grünen Augen.
Die letzte Woche hatte sich in vielerlei Hinsicht als schwierig erwiesen, nicht zuletzt wegen ihrer Mutter, die sie an jedem Abend zu Hause erwartete, die Augen voller Hoffnung.
Inzwischen war ihr schmerzlich klar, dass ihre Mutter die völlig unbegründete Hoffnung hegte, dass der Earl und ihre Tochter ein ganz anderes Verhältnis fanden als das von Schüler und Lehrerin. Ihre ständigen Verhöre zerrten allmählich an Prudences Nerven. Zwar mochte sich der Earl zu ihr hingezogen fühlen, doch dieses Gefühl war rein körperlicher Natur, es handelte sich allein um erotische Anziehungskraft. Sie war sich dessen bewusst und durchaus in Versuchung, diesem gegenseitigen Begehren einmal nachzugeben.
Und warum auch nicht, fragte sie sich entschlossen. Sie war eine Witwe, aber deswegen noch lang nicht tot. Sie vermisste das Zusammensein mit einem Mann, und den Earl so aus nächster Nähe zu erleben weckte ihre Leidenschaft erneut. Doch ihre gemeinsame Zeit würde viel zu bald ablaufen.
Der Earl kam auf sie zu, die Hand um den Stock geklammert. Sie runzelte die Stirn, als sie merkte, dass das Hinken etwas ausgeprägter war als sonst. „Geht es Ihnen gut?“
„Alles bestens. Aber Sie ...“ Er musterte sie von oben bis unten. „Sie sehen wunderschön aus.“
Seine grünen Augen wirkten irgendwie dunkler, als hätte er sich mit schweren Gedanken getragen. Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn. Sie entdeckte Sorge in seinem Blick ... und noch etwas anderes, bei dem ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Ihre Blicke trafen sich, und die Luft wurde knapp. Er kam näher, ging langsam um sie herum. Er konzentrierte sich ganz auf sie, wie ein Raubtier auf seine Beute. Prudence überlief es heiß, und sie musste sich sehr beherrschen, um sich nicht umzudrehen, als er von hinten näher trat, bis seine Beine ihren Rock streiften. Sie hielt den Atem an, als er an ihr vorbeigriff, seine Brust ganz leicht ihren Rücken berührte, sein Atem über ihren Nacken strich, als er den Arm ausstreckte ...
... und den Stuhl für sie herauszog. Er murmelte ihr ins Ohr: „Bitte setzen Sie sich doch, Mrs. Thistlewaite.“
Was für ein frecher Kerl, dachte sie, noch vollauf damit beschäftigt, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Widerstrebend setzte sie sich und wartete, bis er an seinem Platz war.
Er setzte sich und hob die Brauen. „Na?“
„Das war schon sehr schön. Bis auf die Berührung.“
„Oh. Habe ich Sie berührt?“ Er war ganz männliche Unschuld ... falls es dergleichen überhaupt gab.
„Ja, allerdings. Sie standen etwas zu dicht.“
„Sie mögen es nicht, wenn man Ihnen nahe kommt?“ „Nicht so nahe. Unser Ziel ist es, gute Manieren einzuüben.“
„Ich fand meine Manieren vorhin tadellos. Ich habe den Stuhl für Sie herausgezogen. “ Er sah zu, wie sie Tee eingoss, und meinte dann nachdenklich: „Aber wenn ich so darüber nachdenke, könnte ich mir vorstellen, dass dieses Widerstreben für Ihre Kinderlosigkeit verantwortlich ist.“
Sie hätte sich beinah verschluckt. „Wie bitte?“
„Ich sagte ..."
„Ich habe Sie gehört. Es ist nur ...“ Sie atmete tief durch. „Über solche Sachen spricht man nicht.“
„Welche Sachen?“
„Kinderlosigkeit... und Berührungen.“
„Mit den Berührungen habe nicht ich angefangen, das waren Sie!“
Darin musste sie ihm wohl recht geben. Sie seufzte. „Wenn dies ein echtes Frühstück wäre, sollten Sie weder das eine noch das andere erwähnen.“
„Nie?“
„Nun, zumindest nicht direkt.“
Er breitete die Serviette über seinen Schoß. „Was meinen Sie mit,nicht direkt“?“
„Ich habe gehört, wie Frauen sich über eine andere Frau unterhielten und dabei sagten, dass sie ,guter Hoffnung“ sei.“
Er prustete. „Na, ob die Hoffnung so gut ist, wird sich ja erst noch herausstellen! “
„Nun, auch darüber sollte man sich als Gentleman nicht unterhalten, also meiden Sie bitte das Thema“, erklärte sie steif. Liebe Güte, ihre Wangen waren ganz heiß geworden.
Sie räusperte sich. „Und jetzt wollen wir über das Dinner sprechen. Wenn die Treuhänder kommen, werden Sie ... “ „Moment mal. Das ist schließlich kein ,echtes Frühstück, haben Sie gesagt.“ Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf. „Sagen Sie, Prudence, warum haben Sie keine Kinder?“
Sie biss die Zähne zusammen, und in ihrem Herzen regte sich ein leiser, beinah schon vergessener Schmerz. Rasch hob sie die Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck Tee, eher um sich zu beruhigen, als um Zeit zu gewinnen. „Wie gesagt, dies ist kein Thema für vornehme Konversation.“
„Ah, aber wir sind ja nicht in vornehmer Gesellschaft, oder?“, erwiderte er und lehnte sich zurück. „Noch nicht. Denn noch sind Sie und ich gesellschaftliche Außenseiter. Die Verstoßenen. “
„Ich ja. Aber bald werden Sie es nicht mehr sein.“ Das stimmte: Mit seinem Titel und dem Vermögen würde man ihn in London in jedem Haus willkommen heißen, während sie ... Sie stellte die Tasse ab. Sie würde zurückgelassen werden.
Etwas war in Bewegung gekommen. Sie begann Gefühle für den Earl zu entwickeln. Lust, sagte sie sich energisch. Nichts als Lust. Leider empfand sie eine ganze Menge Lust. „... und es passiert ziemlich häufig.“
Sie blinzelte, als sie merkte, dass er mit ihr redete. „Tut mir leid, ich habe nicht zugehört.“
„Ich sagte, die Frauen vergessen ziemlich oft, dass ich da bin. Im einen Moment reden sie mit mir, und im nächsten starren sie wie in Trance in ihre Teetasse.“
Sie musste lächeln. „Habe ich in meine Teetasse gestarrt?“
„Ja. Ich habe versucht, es nicht persönlich zu nehmen, nur ist mir das nicht gelungen.“ In seinen grünen Augen lag ein widerstrebendes Lächeln.
Er war wirklich ein äußerst attraktiver Mann, vor allem wenn er sie so anlächelte. Sie räusperte sich. „Nun. Das ist wirklich ein herrliches Frühstück.“
Das passierte tagtäglich. Er kam ihr eine Spur zu nahe, sie wurde von dieser Nähe zu sehr nervös, und im nächsten Moment setzte sie dann ihr Lehrerinnengesicht auf. Nun war er gezwungen, banale Konversation zu treiben, bis er das Gespräch wieder in interessantere Bahnen lenken konnte.
Sie strich Butter auf ihren Toast. „Orangenmarmelade ist das Köstlichste, was es gibt.“
„Nein.“
Sie hielt inne, das Messer über dem Toast in der Schwebe, und sah ihn fragend an. „Auf einen Kommentar kann man nicht mit Nein antworten. Sie sollten entweder zustimmen oder Ihren Widerspruch begründen. Man sagt nicht einfach nur Nein.“
„Ich habe nicht die Marmelade gemeint. Ich wollte sagen, dass ich heute keine leere Konversation machen möchte. Ich habe genug davon.“
Prudence legte das Messer hin. „Wir haben eine ganze Menge Konversation geübt. Vielleicht sollten wir über den Vorschlag sprechen, den Reeves mir gemacht hat. Er meinte, wir sollten in den Tagen, bevor die Treuhänder kommen, irgendeine Veranstaltung hier am Ort besuchen, eine ländliche Dinnergesellschaft oder irgendetwas in der Art, damit Sie Ihre neuen Fähigkeiten erproben können. “
„Ich würde viel lieber über Sie reden.“
Tristan sah die Zurückweisung in ihrem Blick, bevor sie sie in Worte gefasst hatte. Fast vehement schüttelte sie den Kopf. „Reden wir lieber über den Besuch der Treuhänder. “ Er seufzte. Leicht würde sie es ihm nicht machen.
„Na schön, ich geben Ihnen drei Minuten, um über die Treuhänder zu reden, und dann will ich von ihnen heute bei Tisch nichts mehr hören.“
„Drei Minuten? Das reicht nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen und betrachtete ihn abschätzig. „Zehn Minuten wären besser. “
„Vier Minuten.“
Ihr Blick wurde schmal. „Sieben.“
„Fünf Minuten, und das ist mein letztes Angebot.“ „Abgemacht! Was werden Sie bei der Ankunft der Treuhänder als Erstes tun?“
Er lehnte sich zurück. „Stevens wird sie einlassen. Reeves unterweist Stevens derzeit, damit er weiß, was er sagen und tun soll. Zwei meiner Leute - MacGrady und Toggle - spielen die Lakaien. Reeves unterrichtet auch sie. Sie werden die Mäntel und Hüte unserer Gäste entgegennehmen und im vorderen Salon verstauen. Im Anschluss wird Stevens die Treuhänder hier hereinführen, in die Bibliothek. Dort werde ich sie dann mit meinem Mangel an Esprit und meiner steifen Art zu blenden wissen.“
„Und wie wollen Sie das anstellen?“
„Ich werde sie begrüßen, ihnen je nach Vorgabe die Hände schütteln oder mich vor ihnen verbeugen und ihnen danach Plätze zuweisen. Ob ich ihnen einen Brandy anbieten kann, hängt davon ab, wann sie kommen.“ Er warf ihr einen düsteren Blick zu. „Diese Regel gefällt mir ganz und gar nicht.“ „Sie können vor Mittag keinen Brandy anbieten.“ „Vermutlich haben einige von ihnen, wenn nicht alle, schon weitaus härtere Sachen als Brandy getrunken, und das lange vor Mittag. Ich persönlich glaube, dass wir alle einen schönen großen Brandy gebrauchen könnten, vielleicht sogar zwei. Wahrscheinlich freuen sie sich auf das Treffen genauso wie ich, wenn nicht noch weniger. “
„Da könnten Sie recht haben. Trotzdem, Sie möchten doch, dass die Treuhänder Sie für einen Gentleman halten, und man kann nie wissen, ob nicht einer von ihnen prüde ist.“ „Möglich“, erwiderte er, wenig überzeugt.
„Sie machen schöne Fortschritte“, sagte sie mit strahlendem Lächeln.
Das Problem war, er wollte keine „schönen Fortschritte“ machen. Er wollte Fortschritte bei ihr machen, aber nicht gesittet, sondern zügellos, sinnlich und dekadent. Ja, er sehnte sich geradezu nach Fortschritten, die ihn unter ihre Röcke und zwischen ihre Schenkel führten.
Sie nahm einen Schluck Tee. Es sah verdammt attraktiv aus, wie ihre Lippen den Rand der Tasse berührten. „Also gut, Mylord. Was tun Sie, wenn die Treuhänder alle sitzen?“ „Betäubende, sinnlose, fade Konversation treiben. Irgendwann werde ich sie auch auf das Testament ansprechen, aber vorher muss ich mich bei ihnen als vollendeter Gentleman von Welt beweisen.“
„Hervorragend! Sie werden sich ausgezeichnet schlagen!“ „O ja. Die Woche war ein großer Erfolg. Ich kann mich jetzt verbeugen wie die schlimmsten Speichellecker, kann den frivolsten Gecken zuhören, als hätten sie tatsächlich etwas Wichtiges mitzuteilen, und eine halbe Stunde reden, ohne auch nur das Geringste zu sagen.“
Sie lachte, ein Glucksen der Heiterkeit, das ihm ein Lächeln entlockte. „Tut mir leid, dass Ihnen all diese Fähigkeiten so nutzlos Vorkommen.“
„Sie sind nutzlos.“
„Nicht in den Augen der Treuhänder.“ Sie senkte die Wimpern. „Mylord ...“
„Tristan.“
„Das geht doch nicht ...“
„Ich bin hier der Earl, nicht Sie. Ich möchte, dass Sie Tristan zu mir sagen! Bitte“, fügte er sanft hinzu. „Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, dass ich dachte, Sie würden mich als Freund betrachten, nicht nur als Nachbarn.“
Sie hob den Blick. „Das haben Sie aber hübsch gesagt! Mylord, darf ich Sie etwas fragen? Es ist etwas, was Sie mir ... also, vielleicht möchten Sie nicht darauf antworten.“ „Fragen Sie nur, was Sie möchten. Aber seien Sie gewarnt: Ich drehe den Spieß dann um!“
Ihre Augen funkelten. „Ich habe nichts zu verbergen.“ „Ich auch nicht. Was möchten Sie also wissen?“
„Damals ... als Sie Matrose wurden. Als Sie an Bord gezwungen wurden, waren Sie doch noch so jung. War das sehr schwer für Sie? Anscheinend haben Sie das Meer dann ja lieben gelernt.“
„Ja, ich liebe die See. Aber das erste Jahr war sehr schwer. Ich hatte Heimweh und war zornig und wollte nichts lernen, ehe man mir mit der neunschwänzigen Katze kam.“
Sie sah auf seine Schultern.
„Ja. Ich habe Narben. Viele Narben. Ich war als Kind ebenso störrisch wie heute, wenn Sie sich das vorstellen können.“ „Aber Sie sagten, Sie waren erst zehn! Die können doch unmöglich einen Zehnjährigen ausgepeitscht haben!“
„Sie konnten es, und sie taten es auch. Das Leben auf See ist hart.“
„Das ist einfach barbarisch!“
„Da stimme ich Ihnen zu. Aus dem Grund habe ich meine Männer nie zwangsrekrutiert.“
„Das ist gut!“
„Ach, machen Sie bloß keinen Heiligen aus mir. Mir ging es mehr um die Sicherheit. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mit einem Messer im Rücken aufzuwachen. “
„Ich kann mir durchaus vorstellen, wie das passieren kann!“ Sie runzelte die Stirn. „Tristan, wenn Sie keine Männer in Ihre Dienste gepresst haben, wie konnten Sie Ihre Mannschaft dann aufrechterhalten?“
Sie hatte seinen Namen verwendet. Er konnte seinen Triumph darüber nur verbergen, indem er seinen schmerzenden Fuß bewegte, das wischte das Lächeln aus seinem Gesicht. „Das Leben auf See mag hart sein, aber auch sehr einträglich, wenn man einen guten Kapitän hat, so wie ich einer war.“ War. Das war schwer auszusprechen. Er schluckte und fuhr fort: „Ich bin überzeugt, dass nur ein schlechter Kapitän darauf angewiesen ist, Leute in seine Dienste zu pressen.“
„Wusste Ihr Vater eigentlich, dass Sie entführt worden waren?“
„Reeves sagte, mein Vater sei damals außer Landes gewesen. Ich glaube nicht, dass er wusste, was mir und meinem Bruder zugestoßen ist. “
„Bruder? Sie haben einen Bruder?“
„Einen Zwillingsbruder. Wir wurden damals auseinandergerissen.“ Tristan lächelte humorlos. „Jahrelang habe ich mir eingeredet, dass meinem Vater in Wirklichkeit doch etwas an uns lag und er die Verhaftung meiner Mutter und meine Entführung verhindert hätte, wenn er nur davon gewusst hätte. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher. Er war sicher ganz froh, mich und meinen Bruder aus dem Weg zu haben. Jedenfalls hat er nie Anstrengungen unternommen, uns suchen zu lassen. Nicht bis vor Kurzem zumindest.“
Tristan sah auf den Tisch, das blitzende Silber und das zarte Porzellan. „Mein Bruder konnte entkommen. Ich habe nach ihm gesucht, konnte ihn aber nirgends finden. Heute Morgen hat Reeves mir gesagt, dass er Christian gefunden hat. Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen ... “ Tristan konnte den Satz nicht vollenden.
Schweigen senkte sich herab. Tristan dachte an Christian, fragte sich, wo er wohl war, was er mit seinem Leben angefangen hatte. Warum war er nicht sofort hergekommen, um ihn zu sehen? Welche „Angelegenheiten“ musste er unbedingt , regeln, ehe er ihn besuchen kam? War es möglich, dass ...
Eine kleine, warme Hand wurde auf die seine gelegt. Tristan wusste nicht, was er tun sollte. Es war eine schlichte Geste, eine, die jeden Tag Hunderte oder Tausende Male gemacht wurde. Doch er konnte sich nicht entsinnen, wann er so etwas hatte erfahren dürfen, dass jemand die Hand nach ihm ausgestreckt und dabei nichts als menschliche Freundlichkeit im Sinn hatte. Ihn nur berühren wollte, um ihn zu trösten.
Einen Augenblick starrte Tristan auf die zarte Hand hinab. Mit seinen Blicken folgte er der Linie zu dem schmalen Handgelenk und dem süß gerundeten Arm. Von da zu Prudences eleganten Schultern, dem anmutigen Hals und schließlich ihren sinnlichen samtbraunen Augen.
Er drehte seine Hand um und verschränkte seine Finger mit den ihren. Dabei durchzuckte ihn ein derartiger Hitzestrahl, dass er beinah laut aufgekeucht hätte. Mein Gott, , wie er diese Frau begehrte! Aber es war nicht nur Lust. Lust kannte er. Das hier war anders, es war Lust und ... Besitz. Er wollte sie nicht einfach nur kosten, er wollte mehr. Er wollte sie verschlingen, besitzen, sie nehmen und zur Seinen machen. Er wollte in ihren Armen dahinschmelzen, sie spüren und den Duft ihrer Haut einsaugen.
Sein Körper spannte sich an vor Begehren, und er kämpfte mit aller Macht dagegen an.
Teilnahmsvoll drückte sie seine Hand. „Es tut mir so leid wegen Ihres Bruders. Ich bin sicher, Sie werden ihn wiederfinden.“ Sie entzog ihm ihre Hand. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich Ihnen schrecklich viele Fragen gestellt - ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. „Nun, dafür dürfen Sie mir jetzt ein oder zwei Fragen stellen.“
Immer noch ganz benommen, lehnte er sich zurück und versuchte sich zu sammeln. Alles schien ganz weit weg, wie Wellen, die über ein sturmumtostes Deck schwappten. Sie hatte seine Hand gehalten, hatte ihn in aller Unschuld berührt, und er verging in einem Meer von Lust. Er rang nach Atem. „Ja. Ich ... ich ... äh, also, eine Sache möchte ich schon lange wissen. Mrs.Thistlewaite ... Prudence.“ Er betrachtete sie ernst fragend. „Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“
Sie öffnete den Mund. Und machte ihn wieder zu. Sie hatte ihm derart persönliche Fragen gestellt, dass sie eigentlich erwartet hatte, er würde sie ähnlich ausfragen. Aber ... „Meine Lieblingsfarbe? Rot.“
„Das dachte ich mir“, erwiderte er mit einem Anflug von Selbstzufriedenheit.
Sie spitzte die Lippen. Irgendwie fühlte sie sich von ihm enttäuscht. „Ist das alles?“
„Darf ich noch etwas fragen?“
Sie nickte.
„Also dann ...“ Seine Stimme wurde tiefer, kräftiger. Seine Worte umflossen sie langsam und daunenweich, wie eine Liebkosung. „Warum sind Sie ausgerechnet nach Devon gezogen?“
Unwillkürlich blickte sie zum Fenster und auf die See, die unter ihnen ans Ufer donnerte.
„Ah“, sagte er warm und anerkennend.
„Ich habe das Meer schon als Kind geliebt. Irgendwie zieht es mich an.“ Sie krauste die Nase. „Aber auf ein Schiff kann ich nicht, ich werde schrecklich seekrank.“
„Dann waren Sie nur nicht auf dem richtigen Schiff.“
„Ich habe es dreimal versucht, auf drei verschiedenen Schiffen, und mir ist jedes Mal übel geworden.“
„Sie waren aber noch nie auf der Victory. “
„Der Victory? Nelsons Flaggschiff?“
„Meinem Schiff.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit. Sie lächelte. „Dann eben Ihrem Schiff. War es das Schiff, auf dem ...“ Sie schaute auf sein Bein.
Sein Blick folgte dem ihren, und ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Ja.“ Abrupt legte er die Serviette auf den Tisch und stand auf. „Kommen Sie, werfen Sie mal einen Blick auf mein Schiff.“
„Ihr Schiff ist hier?“
„Gewissermaßen ja.“ Er ergriff Prudences Hand, zog sie auf die Füße und führte sie zur gegenüberliegenden Wand. Dort hing ein großes Gemälde, auf dem ein mächtiges Schiff zu sehen war, das durch die Wellen pflügte.
Sie erinnerte sich, dass sie das Bild schon einmal betrachtet hatte, damals, bei ihrem ersten Besuch in seinem Haus. „Das also ist die Victory. “
Er nickte. Noch immer hielt er ihre Hand. „Nelson hat mir das Bild geschenkt, als er mir das Kommando übergab. “
Prudence versuchte das Gemälde zu bewundern, doch konnte sie sich nicht recht darauf konzentrieren, weil Tristans Hand die ihre immer noch warm umschloss. Sehr männliche Hände hat er, dachte sie beifällig. Kräftig, ziemlich schwielig und so groß, dass die ihre völlig darin verschwand. Aus irgendeinem Grund überlief sie bei dem Anblick ein Zittern, ein leises Beben der Erregung.
Wie albern. Sie schob die lächerlichen Gedanken beiseite, gerade als er ihr das Gesicht zuwandte. Er war ihr so nah ... so überaus nah. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte und ihm die Lippen darbot, wäre er in Reichweite. Sie wollte ihn küssen. Wenn sie ehrlich war, wollte sie noch viel mehr von ihm.
Prudence schloss die Augen und trat einen Schritt zurück, weg von der Versuchung. Doch dabei stieß sie mit der Ferse gegen Tristans Stock und geriet kurzzeitig ins Wanken. Sofort streckte er den Arm aus und fing sie auf. Im nächsten Augenblick wurde sie gegen seine breite Brust gedrückt, ihre Brüste drängten sich an seinen Rock, und sie hob das Gesicht zu ihm.
Er blickte auf sie herunter, auf ihren Mund. Seine Lippen waren leicht geöffnet. Sein Teint war leicht gebräunt, auf Wangen und Kinn zeigte sich ein Anflug von Bartstoppeln, die unbedingt berührt werden wollten. Sie spürte seinen Arm um ihre Taille, die Kraft, die darin steckte. Und um seine Lippen mit den ihren zu berühren, hätte sie nur aufzusehen brauchen ...
Behutsam ließ er sie herunter, ließ sie ganz langsam an sich herab zu Boden gleiten. Prudence klopfte das Herz bis zum Hals. Ihr ganzer Körper brannte vor unausgesprochenem Begehren. Mein Gott, sie wollte ihn. Sie begehrte ihn so sehr, dass sie den Kuss schon beinah schmecken, sein kratziges Kinn auf ihrer bloßen Haut schon beinah spüren konnte.
Obwohl er sie wieder auf dem Boden abgestellt hatte, machte er keine Miene, sie freizugeben. Prudence wusste, dass sie sich ihm entziehen sollte, doch die Umarmung fühlte sich so tröstlich an, so gut, so richtig, dass sie einfach nur dastand und den Moment genoss. Einen Moment, der ohnehin schnell vorüber wäre.
„Vermutlich sollte ich Sie jetzt loslassen“, murmelte er mit leiser, heiserer Stimme.
Sie schloss die Augen, sog die Empfindungen in sich ein, die Gerüche. Den frischen Seegeruch seines Rocks, den Duft des frisch gestärkten Hemdes. „Das ... das sollten Sie wohl tun.“
„Ein Gentleman würde Sie freigeben.“
Sie leckte sich die trockenen Lippen, ehe sie erwidern konnte: „Ja, ein Gentleman schon.“
Keiner von beiden bewegte sich. Der Augenblick zog sich immer länger hin, die Spannung stieg mit jedem Atemzug. Sie spürte, wie sich seine Brust hob und senkte, langsam, unaufhaltsam, und sie stellte fest, dass sie im selben Rhythmus atmete wie er. Ein Prickeln überlief sie, und ihre Brustknospen zogen sich erwartungsvoll zusammen. Wie sehr sie ihn doch begehrte. Sie fühlte sich wie von einer mächtigen Flut mitgerissen, die sie unerbittlich ins dunkle Auge des Strudels zog. Doch sie musste widerstehen. Unbedingt.
„Prudence ...“ Das Wort strich über ihr Haar. Seine Lippen streiften ihre Schläfe. „Prudence, wir sollten ...“
Sie küsste ihn. Mit einer einzigen Geste ließ sie dem brennenden Begehren, der schmerzlichen Sehnsucht, gegen die sie ankämpfen musste, seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war, freien Lauf. Es war so lange her, dass sie sich der Leidenschaft ergeben hatte, so lange, seit sie sich erlaubt hatte, etwas zu empfinden, dass es sie jetzt zu überwältigen drohte.
Tristan reagierte sofort. Seine Lippen schlossen sich besitzergreifend über den ihren, und er presste sie an sich. Irgendwie - sie war sich nicht sicher, wie - gelang es ihm, sich gemeinsam mit ihr in den nächsten Sessel sinken zu lassen, ohne ein einziges Mal ins Stolpern zu geraten.
Prudence wollte ihn fragen, ob er sich wehgetan habe, vergaß jedoch die Frage, als seine Lippen ihr Ohr streiften. Sie spürte seinen heißen Atem und erschauerte.
Sie barg ihr Gesicht an seinem Hals und schloss ihn noch fester in die Arme. Seine Hände glitten von ihrer Taille hinab zu ihrer Hüfte und ihren Oberschenkeln. Durch den Stoff ihres Tageskleids hindurch konnte sie jede Berührung genau spüren. Die Luft war erfüllt von ihrem keuchenden Atem. Prudence stöhnte, als er ihren Rocksaum hochhob, ihren Unterschenkel umfasste und sie dann noch weiter auf seinen Schoß zog. Sie spürte seine Männlichkeit, hart und ungeduldig, sie schmeckte die Leidenschaft in seinen Küssen, die Dringlichkeit in seinen Berührungen.
Ihr Körper reagierte mit derselben Ungeduld, und ermutigt durch ihn und seine wandernden Hände, strich sie ihm über die Brust und zerrte an seinem Krawattentuch, um an nackte Haut zu kommen.
Er hob den Kopf und murmelte einen Fluch. „Verdammt, immer diese vielen Kleider!“
Einen Augenblick starrte Prudence ihn nur an, doch hoben sich ihre Mundwinkel zu einem zittrigen Lächeln. Er war so süß in diesem Augenblick, so zerzaust und aufgeregt, seine Augen dunkel vor Leidenschaft, seine Männlichkeit deutlich zu spüren. Später konnte Prudence nicht erklären, was in sie gefahren war. In derselben Nacht noch lag Prudence in ihrem eigenen Bett, starrte an die Decke und fragte sich, wie sie sich nur so liederlich hatte aufführen können.
Irgendwie jedenfalls richtete sie sich auf, wobei sie Tristans Blick nicht losließ, und löste die Schleife am Ausschnitt ihres Kleides.
Sie hielt inne, als die Schleife lose herunterhing. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen, der letzte Moment, in dem sie es sich noch anders überlegen konnte. Doch tief im Innersten war sie überzeugt, dass sie das Richtige tat, dass es richtig war, jetzt bei Tristan zu liegen, dass sie jetzt in diesem Moment genau an diesen Fleck gehörte. Möglicherweise war ihnen nicht vorherbestimmt, dass sie ein Le-ben lang zusammenblieben - ihre Umstände und auch ihre verschiedenen Lebensentwürfe machten dies höchst unwahrscheinlich doch konnte sie nicht leugnen, dass sie in diesem Augenblick in seine Arme gehörte. Und das war alles, was im Moment zählte.
Sein Atem beschleunigte sich, und er öffnete die Lippen. Er konnte nicht wegsehen, sie wusste, dass sie ihn jetzt ganz in ihrem Bann hielt. Es war eine erregende Erfahrung. Und es war schon lange her, dass sie eine solche Reaktion in einem Mann hervorgerufen hatte, einen solchen Blick, und sie berauschte sich daran. Es steigerte ihr eigenes Begehren noch mehr.
Er sah zu, wie sie ihr Oberteil öffnete und sich über die Schultern zur Taille zog.
Tristan stöhnte, seine Brust hob und senkte sich erregt, und er schien nach Atem zu ringen. Er sah sie an, starrte auf das Tal zwischen ihren Brüsten, das sich durch das dünne Hemd deutlich abzeichnete.
Er glaubte nicht, dass er schon einmal etwas so Schönes gesehen hatte. Sie saß auf seinem Schoß, bis auf ein wenig Spitze und Seide stolz entblößt. Auch wenn das Hemd ihre Brüste noch bedeckte, schmiegte es sich doch so dicht an sie, dass es der erhitzten Fantasie wenig Spielraum ließ. Die Spitze an ihrer Kehle betonte die zarten Linien von Hals und Schultern. Zwischen ihren Brüsten, in der Mitte des Hemdsaums, ruhte ein winziges seidenes Rosenknöspchen.
Es kostete ihn Mühe, sie nicht zurückzubeugen und auf der Stelle zu nehmen. Doch sosehr er sich auch nach ihr sehnte, ein Teil von ihm genoss das quälende Spiel auch. Sie bot sich ihm dar, frei und ohne Einschränkung. Trotzdem war ihm bewusst, dass er dieses Geschenk eigentlich nicht annehmen dürfte. Ein echter Gentleman würde jetzt innehalten. Ein echter Gentleman ...
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe.
Tristan stöhnte. „Ich kann nicht ...“
Sie beugte sich vor, und das Hemd rutschte von ihren Brüsten. Er sah die schwellenden Rundungen, konnte beinah ihre harten Brustspitzen schmecken.
Prudence legte ihm die Hand auf die Wange und sah ihm direkt in die Augen. „Bitte.“
Das war das einzige Wort, das sie aussprach. Ein echter Gentleman ließ eine Dame nicht betteln.
Tristan flüsterte ihren Namen und zog sie an sich, küsste sie, genoss es, wie weich sie sich in seinen Armen anfühlte. Er liebkoste ihre Lippen, schmeckte ihre Süße. Plötzlich stand sie auf, entzog sich seiner Umarmung, und dann fiel ihr Kleid zu Boden. Nur noch Hemd und Strümpfe trennten sie, die Schuhe hatte sie anscheinend ausgezogen, als er gerade ... abgelenkt gewesen war.
Er atmete tief durch. Sein Blick verschlang sie. Die Spitze und das bisschen verführerische Seide stachelten seine Erregung nur noch weiter an.
So schnell, wie sie aufgestanden war, kniete sie nun vor ihm, die Arme über dem Kopf erhoben, um die Haarnadeln herauszuziehen. Im nächsten Augenblick fielen ihr die Haare über die Schultern, schäumend wie die Wellen des Ozeans.
Tristans Herz klopfte so laut, dass er dachte, er müsste vergehen. Wochenlang hatte er davon geträumt, sie so zu sehen, nichts hatte er sich so sehr gewünscht wie das. Sie war wild, sie war frisch, sie war wie die vom Regen geküsste See nach einem Sturm. Und in diesem Augenblick war sie die Seine. Sie gehörte nur ihm, niemandem sonst.
Sie legte die Hand auf sein Bein. „Du musst dich auch ausziehen.“
Er fasste sie am Handgelenk. „Lass, ich mach schon.“
Sie setzte sich auf die Fersen zurück und sah aufmerksam zu, wie er erst den einen, dann den anderen Stiefel abzog. Er stand auf, und irgendwie zog er sich aus, auch wenn er sich später nicht daran erinnern konnte.
Sobald er nackt war, stellte er sich vor sie hin. Ihr Blick wanderte an ihm auf und ab, blieb hier und da anerkennend hängen. Er regte sich nicht, als sie die Hand ausstreckte und über die dicke weiße Narbe fuhr, die von seinem Knie bis zu seinem Knöchel reichte.
Sie sah auf zu ihm. „Das tut mir leid.“
Ihm nicht. In diesem Augenblick tat ihm überhaupt nichts leid. Er nahm sie bei den Händen, zog sie hoch und an seine Brust. Die Seide fühlte sich kühl an auf seiner nackten Haut. „Im Moment ist mir außer dir alles gleichgültig.“
Sie war so schön, wie sie da vor ihm stand. Der Feuerschein spielte in ihrem Haar und zauberte goldene Lichter hinein. Er tauchte die Hand in diese seidige Fülle und zog sie an sich, um sie zu küssen.
Seine Hände hielten niemals still. Bald rutschte ihr Hemd zu Boden. Und auf einmal standen sie nicht mehr, sondern lagen auf dem Sofa, und die Kissen hoben ihre Hüften zu ihm empor. In einem Moment atemlosen Entzückens vereinigten sie sich. Tristan versenkte sich in ihr, als hätte er vor ihr noch keine Frau gehabt. Als würde sein Leben in diesem Moment erst richtig beginnen. Als hätten sich all die herrlichen Tage auf See zu diesem einen, vollkommenen Moment vereinigt.
Unter ihm zitterte Prudence und stöhnte und packte drängend seine Schultern. Sie bewegte sich mit der Leidenschaft und dem Feuer einer Frau, welche die körperliche Liebe genoss. Ihre Hüften drängten sich gegen ihn, und sie keuchte bei jedem Stoß.
Bald wurde der Rhythmus schneller, und viel zu bald schrie Prudence seinen Namen heraus und umklammerte ihn fest mit den Beinen, während sie auf der Welle ihres Vergnügens ritt. Ihr ekstatisches Keuchen trieb auch Tristan zum Höhepunkt seiner Lust. Er biss die Zähne zusammen, um sich zu wappnen, doch die heiße Leidenschaft überwältigte ihn beinah, als er ein letztes Mal in sie glitt.
Einen langen Moment lagen sie einfach nur da, müde, erschöpft und schwer atmend. Tristan war sich nicht sicher, wie lange sie einander festhielten, doch schließlich bewegte sich Prudence unter ihm. Sofort stemmte Tristan sich von ihr weg.
Sie lächelte schläfrig. „Ich würde das hervorragend nennen.“
Er grinste. „Besonders gentlemanlike war das nicht von mir.“
Das Lächeln spielte immer noch um ihre Lippen, als sie vollkommen ernsthaft sagte: „Manchmal ist es richtig, ein Gentleman zu sein, und manchmal zahlt es sich aus, ein Pirat zu sein.“
Ihm entfuhr ein Lachen, und er küsste sie rasch. „Du, meine Liebe, bist einfach entzückend.“
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Sie verlagerte ihr Gewicht, und er rollte sich von ihr weg, damit sie mehr Platz hatte. Er hatte eigentlich nicht gewollt, dass sie sich ihm ganz entzog, hatte sie nur nicht mit seinem Gewicht belasten wollen, doch sie tat genau das. Sie stand auf und sammelte ihre Kleider zusammen. Ihre Bewegungen waren hastig und irgendwie ungelenk.
Tristan stützte sich auf einen Ellbogen. „Was ist los, meine Süße?“
Prudence nahm das Hemd, um sich die Oberschenkel abzuwischen. Sie war vollkommen durcheinander. Natürlich hatte sie nicht gewollt, dass dies geschah, doch konnte sie nicht ehrlich behaupten, dass sie es bereute. Es war genauso erfüllend gewesen, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie bedauerte nur, dass dies alles sein würde - dieser Moment der Nähe. Danach würden sie wieder zum Alltag zurückkehren. So musste es sein.
Was der Earl jetzt auch war, den Piraten würde er immer in sich tragen. Sie sah es in all seinen Worten und Taten. Selbst wenn er die Grundlagen guten Benehmens einstudierte, hatte er dabei etwas Wildes, Ungezähmtes an sich. Er war nicht die Sorte Mann, die man heiraten sollte - er gehörte zu den Männern, in die man sich verliebte, die man aber schnellstmöglich wieder verließ. Der Gedanke schmerzte sie mehr, als sie sagen konnte.
Sie hatte sich fertig angezogen. Er beobachtete sie und machte keinerlei Anstalten, sich selbst auch anzukleiden. Nach einem Augenblick seufzte sie: „Tristan, bitte. Du musst dich anziehen, es könnte jemand kommen.“
„Das ist mir egal. Prudence, habe ich dir wehgetan?“
Die Sorge in seinem Gesichtsausdruck war klar erkennbar. Prudence schluckte mühsam. „Natürlich nicht! Es ist nur ... es darf nicht wieder geschehen. Ich soll dir doch Manieren beibringen,nicht ... das.“
Sein Gelächter brachte sie zum Schweigen. Einen Augenblick versteifte sie sich, empört, dass er ihre Sorgen so auf die leichte Schulter nahm.
„Prudence, sieh mich nicht so an! Ich denke jetzt seit Tagen - Wochen - an dich. Davon, was wir eben gemacht haben.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem anbetungswürdig schiefen Grinsen. „Es war sogar noch schöner, als ich es mir erträumt habe, und das sagt wirklich einiges.“
Sie biss sich auf die Lippe und wünschte sich, sie könnte das ungute Gefühl vertreiben. War das für ihn denn alles? Die Erfüllung eines Traums? Bedächtig steckte sie sich das Haar auf und wunderte sich dabei die ganze Zeit über sich selbst, warum sie so niedergedrückt und enttäuscht war. Sie hatte sich gewünscht, dass der Liebesakt ... ja, was bedeutete? Was konnte er denn bedeuten?Tristan hatte ihr ja nicht vorgegaukelt, dass ihr Liebesspiel irgendeine tiefere Bedeutung für ihn hatte, aber ihr - und anscheinend nur ihr - bedeutete es mehr. Weitaus mehr.
Sie drehte sich um und ging ans andere Ende des Zimmers, jeder Schritt ein kleiner Sieg der Willenskraft. Mit jedem Klicken ihres Absatzes trieb sie einen weiteren Nagel in den Sarg dessen, was hätte sein können. Sie kam an dem Fenster an, das Aussicht auf den Garten und die Bucht bot, und tat so, als sähe sie hinaus. „Ich liebe das Meer so sehr“, sagte sie etwas zusammenhanglos, bemüht, das Schweigen irgendwie zu brechen.
Sie hörte einen Seufzer hinter sich, dann Kleidergeraschel, als er sich anzog. Es kostete sie all ihre Kraft, sich nicht umzudrehen, zu ihm zu laufen und sich in seine Arme zu werfen. Ihr war bewusst, dass er sich von ihr ebenso angezogen fühlte wie sie sich von ihm, sie hatte es in seinem Blick gesehen, an der Art, wie sein Atem schneller ging, an dem begehrlichen Ausdruck in seinen Augen.
Sie durften dem Flackern dieser Leidenschaft nicht nachgeben. Vor ihnen lagen viele Dinge - aber keine gemeinsame Zukunft. Er war nicht der Mann, in den man sich verliebte und den man dann heiratete. Nein, Phillip war so gewesen. Ruhig, logisch, praktisch - alles Adjektive, mit denen sie den Earl niemals beschreiben würde. Sie und Tristan hatten nicht mal gemeinsame Interessen oder Überzeugungen -nichts. Sie hatten nur die Leidenschaft.
Sie atmete langsam ein und drehte sich um. „Mylord -Tristan es tut mir leid, aber wir dürfen nicht ... “
Die Tür ging auf, und Stevens kam hereingesprungen, in einer Hand ein Silbertablett mit einem Brief. „Heda, Käpt’n ... ich meine, Mylord! Sie haben Post gekriegt!“
Tristans Miene verdüsterte sich. Er sah Prudence lange an, wandte sich dann ab und streckte die Hand aus.
Stevens kam mit dem Tablett herbeigeeilt. Der Brief rutschte darauf hin und her. „Der Brief ist grade eben gekommen!“
Tristan fing den Brief auf, als er über den Rand des Tabletts glitt, und hielt ihn dann auf Armeslänge von sich ab. Das Schreiben tropfte vor Nässe.
„Ich bin noch nicht so gut mit Tabletts, Mylord“, vertraute Stevens ihm an. „Als ich die Kanne heute Morgen reingebracht habe, hab ich dabei eine Menge Tee verschüttet.“
„Beim nächsten Mal trocknen Sie das Tablett ab, bevor Sie es wieder verwenden.“
„Was, und ein Geschirrtuch schmutzig machen?“ Stevens wirkte empört.
Tristan schüttelte den Kopf und öffnete den Brief. Er hielt ihn ins Licht. „Die Tinte ist verwischt. Ich kann die Schrift nicht ganz lesen ..." Seine Augen wurden schmal. „Verdammt.“
Stevens beugte sich über den Arm des Earls, um den Brief mitzulesen.
Reeves betrat den Raum und hielt inne, als er Stevens sah.
„Ist ’n Brief“, erklärte der Butler und Erste Offizier stolz. „Ich hab ihn von der Haustür hergetragen, auf dem Silbertablett, wie Sie mir aufgetragen haben. “
„Ausgezeichnet, Master Stevens. Es ist allerdings sehr rüde, den Brief Seiner Lordschaft über die Schulter mitzulesen. Möglicherweise handelt es sich um eine persönliche Botschaft.“
Stevens zog ein langes Gesicht. „Ich darf seine Post nicht lesen?“
„Nein. Das ist eine der Schattenseiten, wenn man ein guter Butler ist. Wir dürfen die Briefe nie lesen.“
Stevens seufzte. „Dann wär ich vielleicht doch lieber ein schlechter Butler.“
Tristan stieß einen erstickten Fluch aus. „Verdammte Hölle. Von den Treuhändern. Sie kommen schon nächste Woche.“ Prudence schlug sich die Hand vor den Mund. „So bald schon?“
Tristan nickte grimmig. „Vermutlich wollen sie alldem ein Ende bereiten. Sie kommen nächsten Donnerstag und bleiben eine Woche.“
„Am Donnerstag!“ Prudence presste die Hand an die Stirn. „Das geht viel zu schnell!“
Reeves schürzte die Lippen. „Wir werden mit allem nur ein bisschen früher fertig, als wir angenommen haben.“ Er sah Tristan an. „Mylord, ich hoffe, Sie haben keine Einwände, aber mir ist heute in der Stadt Squire Thomas in die Arme gelaufen. Ich glaube, Sie sind mit ihm bekannt.“
„Aye. Er hat mich schon oft eingeladen, aber bisher war ich noch nie dort. Einen solchen Blödsinn kann ich nicht gebrauchen.“
„Im Gegenteil, genau diesen Blödsinn brauchen wir jetzt. Ich habe dafür gesorgt, dass der Squire von Ihren neuen Umständen erfuhr. Er hat mir sofort aufgetragen, Ihnen zu sagen, Sie möchten doch Anfang nächster Woche zu einem Dinner im kleinen Kreis kommen.“ Reeves sah Prudence an. „Wir haben uns ja darüber unterhalten, ob wir vielleicht etwas Derartiges anstreben sollten, allerdings hatte ich nicht gedacht, dass es so bald geschehen könnte.“
Prudence nickte, bemüht, selbstsicher zu wirken, obwohl ihre Gedanken und auch ihr ganzer Körper immer noch in Aufruhr waren. „Ja. So eine Dinnergesellschaft wäre für den Earl eine hervorragende Übung.“
„Ich brauche keine Übung“, erklärte Tristan finster. Reeves seufzte. „Mylord. Je sicherer Sie mit der neuen Situation umgehen können, desto besser haben Sie auch die Treuhänder im Griff. Ich empfehle Ihnen wärmstens, die Einladung anzunehmen.“
„Und was ist mit Prudence?“, erkundigte Tristan sich. „Was soll mit mir sein?“, erwiderte sie stirnrunzelnd. Reeves räusperte sich. „Die Einladung schließt Mrs.This-tlewaite nicht mit ein.“
„Wenn sie nicht geht, gehe ich auch nicht“, erklärte Tristan entschieden.
Prudence blinzelte. „Aber ...“
„Du hast dieses gesamte Affentheater mit mir durchgestanden. Ohne dich gehe ich da nicht hin. Ich brauche doch deinen Rat, wenn ich auf Grund laufe.“
„Aber ich war nicht eingeladen! Mr. Reeves, bitte erklären Sie es ihm!“
Reeves sah Tristan nachdenklich an. „Vielleicht hat Seine Lordschaft recht. Mal sehen, ob sich dieses Versehen korrigieren lässt.“ Er begegnete Prudences erstauntem Blick. „Es wäre tatsächlich gut, wenn Sie an seiner Seite weilten, Madam.“
Tristan verschränkte die Arme und lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. Er sah weitaus attraktiver und männlicher aus, als nötig gewesen wäre. „Na also, du und ich, wir gehen zusammen zu der Dinnergesellschaft.“ In seinem Blick lag ein Versprechen. Es verhieß Schelmerei und Verführung. „Wir werden uns beide gut amüsieren. Hervorragend amüsieren.“
Und genau davor, dachte Prudence, habe ich Angst.