9. KAPITEL
Um Weinflecken aus Samt zu entfernen, weiche man das Kleidungsstück in kaltem Wasser ein, dem man einen Schuss Essig beigegeben hat. Es steht nicht zu befürchten, dass der scharfe Essig dem Samt schadet. Obwohl er sich so weich anfühlt, ist Samt widerstandsfähiger, als viele glauben.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
Am nächsten Vormittag ging Prudence langsam zum Cottage des Captains. Nach einer unruhigen Nacht voll unbehaglicher Träume und rastloser Gefühle, die einfach nicht vergehen wollten, obwohl sie in ihren Abendtee einen Teelöffel Laudanum gerührt hatte, war Prudence mit schweren Lidern und in reizbarer Stimmung aufgewacht.
Sie hatte mit Mrs. Fieldings halbherzig ein paar Redensarten ausgetauscht, ihr zweitbestes Tageskleid aus rosa Musselin angelegt und sich dann zu ihrer Mutter zum Frühstück gesellt. Während Prudence vor dem kommenden Tag graute, zeigte sich ihre Mutter enervierend fröhlich. Sie plauderte so lange darüber, wie aufregend es doch sei, einen echten Earl kennenzulernen, bis Prudence es nicht länger ertrug. Abrupt beendete sie ihr Frühstück und verabschiedete sich. In ihren blauen Wollmantel gehüllt, machte sie sich auf den Weg zum Captain.
Nein, sagte sie sich. Nicht zum Captain. Zum Earl. Sie seufzte, worauf sich in der kalten Morgenluft ein Dampfwölkchen bildete. Es würde wohl eine Weile dauern, bis sie sich an den Titel gewöhnt hatte.
Sie war spät dran und wusste es. Trotzdem wollte sie nicht den Eindruck erwecken, als hätte sie es eilig. Seit letzter Nacht verfolgte sie ein Gefühl drückender Vorahnung. Sie konnte den hitzigen Kuss des Captains nicht vergessen, ebenso wenig ihre leidenschaftliche Reaktion. Das war der Grund, warum sie trotz des kalten Windes so schleppend ging: Sie wunderte sich, wie sie auf diese schlichte Umarmung reagiert hatte.
Vielleicht lag es nur daran, dass sie so lang bei keinem Mann mehr gelegen hatte. Mit Phillip hatte sie die körperliche Seite der Liebe sehr genossen. Er war ein zärtlicher und sanfter Liebhaber gewesen, eine Erinnerung, die ihr lieb und teuer war. Er hatte sie ermutigt im Liebesspiel und ihre Reaktionen genossen.
Phillip nahezukommen war einfach gewesen und entspannt; es war beinah unwillkürlich geschehen. Das Zusammensein mit Phillip war vom ersten Moment bis zu seinem Tod ... einfach gewesen. Beim Captain war überhaupt nichts einfach. Jeder Moment vibrierte vor Spannung.
Doch dieses Gefühl ist nichts Ernstes, sagte Prudence sich energisch. Sie war doch kein grünes Ding, das erotische Spannung mit wahrer Liebe verwechselte!
Sie hatte die Liebe bereits erfahren, hatte sich in der kurzen Zeit, die ihnen vergönnt war, an Phillips Anbetung gewärmt. Was sie für den Captain empfand, war nichts weiter als körperliche Anziehung, die von allein wieder vergehen würde.
Sie straffte die Schultern. Genug davon. Es wurde Zeit, nach vom zu sehen. Heute wollte sie möglichst viel über die Fähigkeiten des Earls herausfinden und vielleicht auch ein wenig über seine Vergangenheit. Reeves’Worte gestern hatten ihre Neugier geweckt.
Ein eisiger Windstoß fuhr ihr in die Kleider. Sie senkte den Kopf und eilte weiter. Der Wind war wild und ungebärdig und wurde mit jedem Schritt stärker. Als sie endlich am Cottage ankam, spürte sie ihre Füße nicht mehr. Verflixt, war heute selbst die Natur gegen sie? Im Umgang mit dem Captain brauchte sie all ihre Geistesgegenwart.
Er war eine merkwürdige Mischung aus rauer Gereiztheit und leisem Humor. Unterschwellig spürte sie eine verführerische Sinnlichkeit, die all ihre Sinne zum Klingen brachte. Dennoch - so wenig sie ihn auch kannte, sie fürchtete ihn nicht; trotz seines barschen Geredes brachte der Mann es nicht übers Herz, seine Schafe einzupferchen oder einen verwundeten Seemann abzuweisen. Sie hatte eher den Verdacht, dass die markigen Sprüche des Captains nur verbergen sollten, dass er sehr viel weichherziger war, als er wollte.
Sie sollte ihn in Gedanken wirklich den „Earl“ nennen oder „Rochester“, so schwer ihr das auch fiel. Captain war er gewesen, als sie ihn kennengelernt hatte, und „Captain“ hatte sie ihn auch in Gedanken genannt.
Gerade als Prudence das Haus erreichte, wurde sie von einem Windstoß erfasst, der ihr kalt bis ins wollene Unterhemd fuhr. „Himmel! Vor lauter Träumereien verwandele ich mich hier noch in einen Eisklotz! “ Ohne einem weiteren Gedanken nachzuhängen, klopfte sie energisch an die Tür.
Wieder erfasste sie der kalte Wind, der über die Klippe heranpeitschte, durch den Garten pfiff und gegen das Haus und ihre Röcke wirbelte. Prudence zitterte und klopfte noch einmal an. Wo war Stevens? Selbst wenn er ausgegangen sein sollte, war doch sicher jemand anders zu Hause ...
Die Tür schwang auf. Doch vor ihr stand nicht Stevens. Stattdessen ragte eine riesige Gestalt im Türrahmen auf, und merkwürdig hellgrüne Augen richteten sich auf sie. „Sie“, sagte der Captain, und seine Stimme konnte am ehesten mit einem Knurren verglichen werden.
„Ja, ich“, antwortete sie. Ihre Lippen waren vor Kälte so taub, dass sie kaum sprechen konnte. „Hat Reeves Ihnen nicht gesagt, dass ich kommen würde?“
Der Captain - nein, der Earl - stützte sich auf seinen Stock. „Reeves sagte, Sie kämen um zwölf. Jetzt hingegen“, der Earl nahm eine Uhr aus der Tasche und ließ sie mit dem Daumen aufspringen, „ist es zwanzig nach.“
„Ich hatte heute Morgen ein paar dringende Sachen zu erledigen.“ Du liebe Güte, war ihr kalt. Ihre Lippen waren wie erstarrt, und ihre Zähne begannen leise zu klappern. „Wo ist Reeves?“
„In der Scheune. Er hat beschlossen, Stevens das Butlern beizubringen. “
Prudence fand den Gedanken recht amüsant, obwohl sie vom Wind abgelenkt wurde, der immer noch über sie hinwegfegte, beinah hinwegdonnerte. Er wehte ihre Röcke auf, biss sie eiskalt in die Knöchel und drückte dem Earl das weiße Hemd gegen die Brust.
Er war sehr unpassend gekleidet, fand sie, während sie sich zitternd tiefer in ihrem Mantel versteckte. Er trug schwarze Kniehosen und Stiefel, sein weißes Hemd war oben offen und entblößte den kräftigen Hals. Während er die Hand an den Türrahmen legte, sah er mit unergründlichem Blick auf sie herab.
Prudence biss die Zähne zusammen. „Es wäre h...höflich, wenn Sie mich jetzt nach drinnen bäten.“
Er hob die Brauen. „Damit Sie mich unter meinem eigenen Dach beschimpfen?“
„Ich bin d...doch nicht hier, um sie zu b...beschimpfen.“ Sie presste die Lippen gegen die Zähne, die ernsthaft zu klappern begonnen hatten.
Ungläubig maß er sie von oben bis unten. „Nein?“
„W.. .warum b.. .bitten Sie mich nicht endlich herein, dann w...werden Sie ja sehen!“, keuchte sie mühsam.
Er fluchte verhalten, hob sie einfach hoch und setzte sie im Flur wieder ab. „Sie dummes Gänschen.“ Er warf die Tür ins Schloss.
„Ich bin k...kein d...dummes ...“Es war zu kalt, um den Satz zu vollenden. Sie senkte das Kinn auf die Brust und versuchte die klappernden Zähne zusammenzubeißen.
Er nahm sie am Ellbogen und führte sie, begleitet vom leisen Klacken des Stocks, den Flur hinunter. „Das behaupten Sie, meine kleine Eisprinzessin. Kommen Sie herein, und tauen Sie auf. “
Es war keine besonders gastfreundliche Aufforderung. Doch sie wusste, dass sie mehr nicht bekommen würde, und ihr war so kalt, dass sie nicht einmal eine Einladung vom Beelzebub ausgeschlagen hätte, sich am Höllenfeuer ein bisschen aufzuwärmen. Sie unterdrückte den Wunsch, ihm eine Abfuhr zu erteilen, und ließ sich von ihm in die Bibliothek führen.
Zu ihrer Bestürzung zitterte sie inzwischen am ganzen Körper.
Er blickte sie an. „Meine Güte, Frau! Warum zittern Sie so? So lang haben Sie jetzt auch nicht auf der Schwelle gestanden!“
„E...es w...war ein l...langer W...weg hierher“, eröffnete sie zähneklappernd.
„Sie sind zu Fuß gekommen? Den ganzen Weg?“
„ S... solche Strecken g... gehe ich d... die g... ganze Zeit! “ Seine Miene verfinsterte sich. „Aber doch nicht bei so einem Wetter. Verdammt! Ich dachte, Sie würden die Kutsche nehmen. “
„W...wir haben k...keine.“
„Dann werde ich Sie ab sofort abholen lassen. Zum Teufel, wollen Sie sich den Tod holen? Zweifellos würden Sie mir das dann auch wieder zum Vorwurf machen.“
„S.. .sie haben m.. .mich n.. .nicht hereing.. .gebeten, und ...“ Er packte sie an der Schulter und schob sie quer durch den Raum zum fröhlich flackernden Kaminfeuer. „Stellen Sie sich hier hin, und seien Sie still. Ich kann dieses Gestottere nicht mehr ertragen. “
Als sie vor dem Feuer standen, drehte er sie zu sich um. „Nicht bewegen.“
Sie sah zu ihm auf, ohnehin unfähig, etwas zu sagen, so sehr klapperten ihr die Zähne, und nickte.
Er hielt inne, und zu ihrer Überraschung huschte ein Lächeln über sein Gesicht, das seine Züge kurzfristig weicher wirken ließ. Prudence blinzelte. Er war ein attraktiver Mann, doch wenn er lächelte, war sein ganzes Gesicht wie verwandelt. Plötzlich wirkte er umgänglich und sanft, und er sah so anziehend aus, dass ihr die Brust besorgniserregend eng wurde.
Hör sofort auf, mahnte sie sich streng und schlug die Augen nieder. Doch so rückte nur die breite Brust des Earls in ihr Blickfeld. Er war überaus großzügig gebaut, ein Riese gewissermaßen.
Sie zitterte und presste die Arme an sich, um sich zu wärmen. Langsam drang die Wärme des Feuers durch ihre Röcke nach oben. „D...danke.“
Er knurrte. „Sie brauchen noch etwas, um sich aufzuwärmen.“ Er wandte sich ab und hinkte zu einem Tischchen vor den Terrassentüren.
Ein merkwürdiges Gefühl des Verlusts überkam Prudence, was ziemlich albern war, da er ja nur den Raum durchquert hatte. Offenbar zog die Kälte auch ihren Verstand in Mitleidenschaft. Sie legte die Hände auf den Rücken und sog die herrliche Wärme in sich auf. Schon bald zitterte sie nicht mehr so sehr.
Da kam er zurück, in einer Hand einen kleinen Messingtopf. „Sie haben verdammtes Glück, gerade wollte ich Rumpunsch zubereiten. Ich hatte ihn schon zusammengerührt und aufs Feuer gestellt. Ich musste ihn nur vom Feuer nehmen, als ich an die Tür ging.“
Prudence wollte ihm sagen, dass sie keinen Rum trank, doch die Lippen verweigerten ihr den Dienst.
Der Captain warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Bemühen Sie sich nicht. Ich bereite den Punsch, ob Sie ihn nun wollen oder nicht.“ Er stellte den Stock beiseite und nahm einen Eisenhaken zur Hand, den er am Topf befestigte. Dann hängte er den Topf über dem Feuer auf. „Ist gleich fertig. Kurz bevor Sie kamen, habe ich das Feuer extra zu diesem Zweck schüren lassen.“