Epilog, Teil eins
Identifikation

Dem menschlichen Tod haftete ein unterschwelliger Geruch an, den weder Kälte noch Desinfektionsmittel zu bezwingen vermochten – wie der dunkle, feuchte Moder einer verwelkenden Blume oder der Geruch von verfaulendem Fleisch. Sie sahen auf den Leichnam von Arthur Danse hinab und Duggan konnte spüren, wie die junge Frau neben ihm zitterte. Verdammt, Arthur, dachte er, selbst jetzt machst du den Leuten noch Angst. Ich schätze, in der Hinsicht hast du einfach den Bogen raus.

Er hatte inzwischen den Bericht des Gerichtsmediziners gelesen und die saubere schwarze Wunde begutachtet, die seinem Leben ein Ende bereitet hatte. Lydias erster Schuss war ein klassischer Herztreffer gewesen. Er dachte daran, wie viel Glück sie gehabt hatte, dachte an das zerfetzte Organ in dem wieder zusammengenähten Körper vor ihm. Die beiden anderen Schüsse, die sie abgefeuert hatte, waren nicht so wirkungsvoll gewesen. Eine Kugel hatte die linke Seite seines Beckens gestreift, bevor sie abgeprallt und ungefähr einen Fuß über seinem Kopf in die Wand eingedrungen war. Die andere hatte einen Hautlappen aus seiner Wange gerissen und ihm den Unterkiefer zerschmettert. So, wie er Arthur kannte, hätte ihn das kaum aufgehalten.

Nein, nicht das Glück hatte hier die Hand im Spiel gehabt, sondern Vorsehung. Am Ende hatte die Hand des Schicksals ihre Finger im Spiel gehabt.

Trotzdem bereitete ihm der zerschmetterte Unterkiefer Kopfzerbrechen. Denn Marge Bernhardt hatte Danse aus diesem Grund auf den Fotos aus der Gerichtsmedizin nicht eindeutig identifizieren können. Was keine Überraschung war, denn die Toten, dachte er, sehen nun mal anders aus als die Lebenden. Und die lächelnden, liebenswürdigen Schnappschüsse, die sie bei ihm zu Hause gefunden hatten, schienen nicht ihrer Erinnerung an die finstere Gestalt zu entsprechen, die sie in einem eiskalten Wald an einen Baum zu nageln versucht hatte. Seine einzige Hoffnung bestand nun darin, dass der Mann, ungeachtet der Gesichtswunde und seiner bleichen, erschlafften Gesichtszüge, noch irgendwas an sich hatte, das eine Erinnerung in ihr wachrief.

Aber dazu kam es leider nicht.

»Nein«, sagte Marge Bernhardt. »Vielleicht. Oh, Gott, ich weiß es nicht.«

Sie kannte Duggan kaum. Trotzdem fiel sie ihm jetzt in die Arme, als würde ein plötzlicher Windstoß sie gegen ihn drücken.

Er hielt sie behutsam fest, bis das Zittern nachließ, obwohl ihr Körper und ihre Hände sich kalt anfühlten. Dann bat er sie, noch einmal hinzusehen.

Sie schüttelte den Kopf.

»Die ganze Zeit muss ich daran denken«, sagte sie, »was wäre, wenn er es doch nicht war? Was, wenn der Täter noch frei herumläuft? Mir ist klar, dass Sie – wie sagen Sie dazu? – den Fall abschließen wollen. Aber was ist, wenn er es gar nicht war? Und ich sage, dass er es war?«

Er konnte sie gut verstehen. Er hatte es hier mit einer mutigen, intelligenten Frau zu tun, die sich ihrer Sache hundertprozentig sicher sein wollte. Ihm ging es ja genauso. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass Arthur Danse sein Doppelleben so erfolgreich und geschickt verborgen hatte, dass seine Frau und selbst seine Eltern nicht geahnt hatten, wozu er fähig war – hundertprozentige Gewissheit hatte er nicht. Vielleicht entwischte ihm Arthur selbst noch im Tod. Damit würde Duggan leben müssen.

Die Frau hatte Recht. Was, wenn der Täter noch frei herumlief, wenn er weiter mit seinem dunklen Auto die Straßen unsicher machte, ein Seelenverwandter von Arthur Danse, der sozusagen derselben Gattung angehörte und unter dem Wintermond nach neuen Opfern suchte?

Er zog das Tuch über die Leiche.

Ja, sie hatte Recht. Auf lange Sicht kam es gar nicht auf Arthur Danse an. Seine Zahl war Legion, selbst in dieser friedlichen, kleinen Stadt, und es würde sich daher niemals auszahlen, Fälle wie diesen abzuschließen – nicht einen einzigen Augenblick lang.

Er führte sie schweigend hinaus, schloss die Tür hinter sich und lauschte dem trägen Gewicht ihrer Schritte auf dem Betonboden. Er dachte an die zu eisiger Ruhe gebetteten Leichen hinter ihm und fragte sich, wie viele ihnen wohl noch folgen würden.