33
Entronnen

Seit anderthalb Tagen suchte Duggan jetzt schon nach Arthur Danse und seinem großen, schwarzen Lincoln, nachdem sie vorgestern Nacht das Bernhardt-Mädchen vom Highway aufgelesen hatten, in eine Lastwagenfahrerdecke gewickelt, vergewaltigt, grün und blau geschlagen und aus einer tiefen Wunde an der Hand blutend. Ihrer Beschreibung nach konnte es sich bei dem Wagen des Täters ohne weiteres um Arthurs Lincoln handeln. Außerdem hatte sie sich mit dem Phantombildzeichner zusammengesetzt, der ein Gesicht aufs Papier gebracht hatte, das Arthur – abgesehen von dem weicher gerundeten Kinn und der etwas höheren Stirn – bemerkenswert ähnlich sah.

Er hatte überall nach ihm gesucht. Nichts.

Der Wagen stand nicht bei Arthur zu Hause, nicht bei seinen Eltern und auch nicht vor dem Caves. Er hatte den Lincoln zur Fahndung ausschreiben lassen, bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Arthurs Anwalt hatte seinem Mandanten nicht einmal das Ergebnis der jüngsten Verhandlung mitteilen können.

Arthur Danse war wie vom Erdboden verschluckt.

Was ihm gar nicht ähnlich sah.

Jake, der Barmann vom Caves, meinte, das Geschäft würde zumindest eine Zeit lang auch von alleine laufen, doch wenn es um sein Lokal ging, bestand Arthur sonst immer darauf, die Zügel selbst in der Hand zu halten. Er war eigentlich fast jeden Abend dort. Warum änderten sich plötzlich seine Gewohnheiten? Stress wegen des Gerichtsurteils – das ihn praktisch als Kinderficker gebrandmarkt hatte? Das war jedenfalls die Meinung seiner Mutter Ruth. Die Frau war sehr verbittert. Oder wollte er sich momentan aufgrund seiner schlechten Publicity nicht in der Stadt blicken lassen?

Schon möglich.

Aber genauso gut – und soweit es Duggan anbetraf, war das ein viel besserer Grund – konnte es auch mit Marge Bernhardt zusammenhängen.

Sie war vielleicht die Erste, die aus seinen Fängen entkommen war – und noch lebte.

Er hatte von Jake eine Liste der Abnehmer und Einzelhändler der Produkte bekommen, die Arthur in der Gegend verkaufte, und jeden davon angerufen. Aber auch seine Geschäftspartner hatten lange nichts von Danse gehört.

Ohne einen Wagen, den er durchsuchen, oder einen Verdächtigen, den er verhören konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der Geschichte des Opfers in allen Einzelheiten anzunehmen. Er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass der Kerl, der sich das Mädchen geschnappt hatte, derselbe war, der auch die anderen Frauen umgebracht hatte. Die anale und vaginale Vergewaltigung, die Fesselung, der abgeschälte Ast, den er – zu ihrem Glück – nicht hatte anwenden können, und schließlich der durch ihre Hand getriebene Nagel, der so etwas wie seine Handschrift darstellte.

Das und dieser Van-Helsing-Holzpflock. Zu dem er allerdings nicht mehr gekommen war.

Dummerweise hatte die Frau keine Ahnung von Autos, Schusswaffen, Messern oder gar Nägeln, Damit blieb ihm nur das Phantombild.

Falls er hinsichtlich Danse falsch lag, würden sie das Phantombild in Concord durch den Computer jagen und auf eine mögliche Übereinstimmung hoffen. Whoorly hatte die Vermutung geäußert, der Täter könnte sein Auto womöglich verkauft haben, also ermittelten sie auch in diese Richtung.

Auf seinem Schreibtisch stapelte sich jede Menge Arbeit, aber nichts davon war wirklich dringend, so dass er dem Verlangen widerstehen musste, in sein Auto zu steigen und auf der Suche nach einem großen, schwarzen Lincoln ziellos in der Gegend herumzukurven. Oder sollte er Harry und Ruth einen weiteren Besuch abstatten? Verdammt, wenn er darin irgendeinen Sinn gesehen hätte, wäre er liebend gerne stundenlang durch die Gegend gefahren.

Ich muss Geduld haben, sagte er sich. Polizeiarbeit erfordert Geduld.

Doch die Tatsache, dass Arthur nirgendwo aufzutreiben war, behagte ihm nicht.

Er wollte eine Gegenüberstellung mit ihm und Marge Bernhardt auf der anderen Seite des Einwegspiegels.

Was, wenn Arthurs Verschwinden bedeutete, dass er die Kontrolle verloren hatte? Die Kontrolle über sein beschissenes, lächerliches Leben? Dann war es unmöglich vorauszusagen, was er als Nächstes tun würde. Schließlich war der Mann gefährlich. Ganz gleich, ob er für die Frauenmorde verantwortlich war oder nicht – gefährlich war er auf jeden Fall.

Doch jetzt trug er das Kainsmal. Das System hatte in ihm eine Person erkannt, die für andere eine Gefahr darstellte – zumindest für seinen Sohn. Auch wenn das System Duggan nichts über Arthur sagen konnte, was er nicht bereits seit einer Ewigkeit wusste.

Zum Teufel, dachte er. Heute ist ein herrlicher Tag für einen Ausflug. Also schwing deinen Hintern ins Auto.

Und genau das tat er.