27

 

Ich könnte nicht gerade behaupten, dass ich hin und weg war, als ich Clarence auf einem Klappstuhl vor meiner Wohnungstür sitzen sah. Die letzten zwei Stunden hatte ich bäuchlings auf einer Tätowierungsliege verbracht. Diese Erfahrung war sowohl schmerzhaft als auch überraschend entspannend gewesen. Ich hatte Stress abgebaut und Probleme gewälzt, und jetzt wollte ich nur noch vor dem Fernseher abhängen und mir hirnlose Sendungen reinziehen. Doch das konnte ich vergessen.

»Bist du darüber hinweg? Hast du deine Mitte gefunden? Alle Chakras wieder in Reih und Glied?«

Ich starrte auf ihn herab. »Wenn du wissen willst, ob es mir besser geht - ja. Vielen Dank auch der Nachfrage.« Ich überlegte, ob ich ihm verraten sollte, auf welch verschlungene Pfade mich meine Gedanken letzten Abend geführt hatten, aber eigentlich hatte ich keine Lust dazu. Wenn es ihn interessierte, konnte er sich die Informationen selbst aus meinem Kopf ziehen.

Er zuckte mit den Schultern, stand auf, klappte den Stuhl zusammen und klemmte ihn sich unter den Arm. Schließlich trottete er an mir vorbei und lehnte den Stuhl an den Tisch im Korridor. Ich zuckte zusammen. Das Aluminium würde ganz bestimmt den Lack zerkratzen. Sicherheitshalber hob ich den Stuhl zur Seite und fuhr mit dem Finger über das Holz. Alles picobello.

Bis ich meine Jacke an den Kleiderständer gehängt hatte und ins Wohnzimmer gegangen war, wühlte Clarence schon in meinem Kühlschrank herum. »Ganz schön mager. Hast du keine Zeit, mal einkaufen zu gehen?«

»Wie lange hast du vor der Tür gewartet? Hättest du dir in der Zeit nicht schnell eine Cola Light besorgen können?«

»Nicht gerade das, was ich gern hätte«, murmelte er und stöberte weiter im Kühlschrank herum, bis er endlich ein Bier auftrieb. »Ha! Überprüfe immer das Gemüsefach.« Er öffnete die Flasche und trank einen Schluck. Ein Rülpser und ein Seufzer folgten. Zauberhaft.

Ich drückte mich an ihm vorbei, um selbst an den Kühlschrank zu kommen. Weil ich auf Bier zum Frühstück weniger stand, schnappte ich mir eine Flasche Mineralwasser. In einem Punkt hatte er recht: Irgendwann musste ich zwischen dem Training, meinem Job als Bedienung und den Besuchen in der Vergangenheit mal einen Ausflug in den Supermarkt einschieben.

»Was hast du eigentlich im Hausflur getrieben?«, fragte ich, nachdem wir es uns beide im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatten, ich auf der Couch, die Füße auf dem Beistelltisch, er in einem Polstersessel, der ihn umschlang wie ein begeisterter Liebhaber.

»Mir einen ziemlichen Durst angewartet«, antwortete er und hob wie zum Beweis die Flasche an die Lippen.

Meine Reaktion könnte man als hämisch bezeichnen, aber ich konnte nicht anders. Endlich hatte ich kapiert - er durfte nicht mehr unaufgefordert meine Wohnung betreten. Ich hatte den Test bestanden. Ich hatte bewiesen, dass ich tatsächlich diejenige war, von der in der Prophezeiung die Rede war, und das hieß: Die Wohnung gehörte mir.

»Du kannst nicht mehr rein«, trällerte ich. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte Händeis Halleluja gesummt. »Das ist jetzt meine Wohnung. Keine Leihgabe mehr. Sie gehört mir. Mir!«

»Werd bloß nicht zu übermütig! Ich bin immer noch dein Boss.« Aber als er das sagte, zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Ich schwöre es.

»Meins, meins, meins.« Mir war klar, dass ich hier die Grenze zum Ärgernis überschritt, aber es war stärker als ich. Ich hatte in diesem irren neuen Leben tatsächlich etwas zuwege gebracht. Ich hatte einen Test bestanden und Fortschritte gemacht. Und das, meine Freunde, war sagenhaft.

»Bedeutet das, mein Kopf ist für dich jetzt auch Sperrgebiet?«

»Hey! Willst du mir daraus etwa einen Strick drehen? Immerhin hast du rausgefunden, wie du mich auf Distanz halten kannst«, sagte er und summte die Melodie von Conjunction Junction.

Ich errötete, was mich sauer machte. »Es ist mein Kopf. Ohne Genehmigung solltest du da eigentlich überhaupt nicht reindürfen.« Ich drehte innerlich die Lautstärke eines Refrains aus Schoolhouse Rock hoch und besann mich auf etwas, das Madame Parrish zu mir gesagt hatte: auf den Geheimnishüter. Was das auch immer sein mochte, ich musste einen finden.

Clarence nahm einen ordentlichen Zug von seinem Bier und zuckte dann mit den Schultern. »Ja, also, in deinen Kopf, da komme ich im Lauf der Zeit immer schlechter rein. Diese Geschichte mit den Liedern und …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, setzte die Flasche wieder an und gönnte sich noch einen ordentlichen Schluck.

Hellhörig geworden kniff ich die Augen zusammen. »Was? Du kommst nicht mehr so leicht in meinen Kopf? Wieso?«

Er antwortete nicht, aber das war auch nicht notwendig, denn im selben Moment wusste ich den Grund. Mir wurde schlecht.

Clarence kommt nicht in den Kopf von Dämonen.

Und ich saugte dämonische Essenz in mich auf. Jedes Mal, wenn ich mit einem Messer tötete, wurde ich selbst einem Dämon immer ähnlicher. Weniger menschlich. Weniger ich.

Großer Gott!

Ich sank in die Couch zurück und presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen.

»Nun mach dir mal nicht ins Hemd! Du bist in Sicherheit. Einen Draht in deinen Kopf habe ich noch.«

Ich blickte zu ihm hoch. »Aber ich habe doch recht, oder? Genau das habe ich bei Zane schon gesagt. Die Dämonen, die ich töte, verändern mich.«

»Kindchen, du hast dich ab dem Augenblick verändert, wo du in Alice’ Körper geschlüpft bist. Hör auf mit den Haarspaltereien. Du bist hier und erledigst einen Job.«

»Aber…«

»Verflucht noch mal, das haben wir dir doch lang und breit erklärt! Du kommst damit klar, sonst wärst du nicht die, die du bist. Du steckst das weg, lässt das nicht an dich ran. Du benutzt es. Benutz das Dämonische in dir für die gute Sache. Betrachte es als ausgleichende Gerechtigkeit. Capisce?«

Ich ließ mir das Ganze durch den Kopf gehen und musste zugeben, dass mein Froschfreund trotz seiner typisch verwirrenden Ausdrucksweise nicht völlig danebenlag. Nimm den Dämon auf. Press ihn aus. Nutze seine Kraft und sein Wesen, um weitere Dämonen zu erledigen. Schlechte Luft rein, gute Luft raus. So etwas wie Geldwäsche für dämonische Essenz.

Der Vergleich hinkte, gab mir aber dennoch genügend moralischen Halt. Eine Möglichkeit durchzuhalten, ohne das Gefühl zu bekommen, man versinke immer tiefer, wie in Treibsand, je mehr man sich dagegen wehrt.

»Können wir jetzt weitermachen?«, fragte Clarence. Er klang richtig angefressen.

»Klar. Also, äh, warum bist du hergekommen?«

»So wie du abgezogen bist, Kleine - ich war in Sorge und wollte nach dir sehen. Nur um sicherzugehen, dass mit dir alles in Ordnung ist.«

»Um sicherzugehen, dass ich nicht aussteige? Dass ich nicht alles hinschmeiße?«

»Und?«

Ich schüttelte den Kopf. Die Ereignisse der Nacht schwirrten mir durch den Schädel. »Mir geht es gut«, sagte ich. »Jedenfalls soweit das möglich ist.« Ich schaute ihn direkt an. »Jedenfalls mache ich weiter. Ohne Wenn und Aber.«

»Das höre ich gern, Kleine. Fahren wir wieder zu Zane, damit du noch ein wenig trainieren kannst.«

Sehnsüchtig dachte ich an mein kuscheliges, warmes Bett, das ich mir für heute offenbar abschminken konnte. Im Grunde genommen war mir das sogar recht. Denn ein paar Dämonen in den Arsch zu treten, hatte auch seinen Reiz - und zwar in zunehmendem Maße, je mehr ich daran dachte. An die Kraft, die mich ausfüllen, und an das Böse, das durch mich hindurchsickern würde. Ich sagte mir zwar, dass ich das gar nicht wollte, aber einem tief in mir verborgenen, geheimen Teil meines Ichs gefiel die Vorstellung. Dieses Böse gab mir die Kraft zu töten - und die Mittel, um zu siegen. Und siegen wollte ich unbedingt.

Ich bekam auch schon sehr bald meine Chance. Zane wartete bereits, als wir in seinem Übungskeller eintrafen, und er schickte mich ohne lange Vorrede gleich in den Ring. Bevor ich wusste, was los war, stieß ich auch schon einem Dämon den Handballen auf die Nase. Er knurrte und fauchte. Grünliches rotzähnliches Zeug tropfte ihm aus den Augenhöhlen, und schon prügelte er auf mich ein, ganz offensichtlich stocksauer, dass ich mehr als das übliche Maß an Schlägen einstecken konnte und trotzdem relativ unversehrt blieb. Betonung auf relativ.

Ich war am Leben, mir ging es gut, und daran sollte sich auch nichts ändern.

Das Messer fest im Griff, ganz wie es sich gehörte, stürzte ich auf den angreifenden Dämon zu, wich ihm aus, packte ihn von hinten, schlang ihm einen Arm um den Rumpf und schlitzte ihm gleichzeitig die Kehle auf.

Während er noch im Todeskampf zuckte, holte ich tief Luft und machte einen Satz nach hinten. Beim Anblick, wie das Leben aus ihm heraussprudelte, brandete ein Gefühl der Macht durch mich hindurch, ein berauschendes, beinahe schon sexuelles Gefühl. Das Blut rauschte durch meine Adern, dass es beinahe einem Orgasmus gleichkam. Ich ließ mich davon durchtränken, mich erfüllen. Mich erfreuen.

Aber jegliches Vergnügen, das ich aus dem Akt des Tötens gezogen hatte, löste sich umgehend in Wohlgefallen auf, als ich an mir runter sah und entdeckte, dass ich von Kopf bis Fuß mit einer dünnen Schicht grünen Schleims bedeckt war.

Wie hübsch.

Ich musste würgen. Welch widerlicher Preis für das Hochgefühl von Macht und Stärke.

Ich schnappte mir einen Lappen und wischte mich ab. Mein ganzer Körper vibrierte noch immer von dem Gewaltausbruch. »Her mit dem Nächsten!«, forderte ich grinsend. Doch noch ehe Zane Zeit fand, mein nächstes Opfer in den Käfig zu locken, schoss ein Schmerz durch den Arm, und ich klappte zusammen.

»Lily?«

»Mein Arm!«, keuchte ich. Clarence trabte von seinem Beobachterposten an der Seitenlinie zu mir her. »Ach du Scheiße, mein Arm!«

Ich streckte ihn aus; es mussten mindestens eine Million glühender Nadeln in meinem Fleisch steckten. Tatsächlich war jedoch das aztekenähnliche Symbol zum Leben erwacht. Das seltsame Muster schien über meine Haut zu tanzen. »Ach du Scheiße!«

»Wurde auch Zeit.« In Clarence’ Stimme lag unbändige Vorfreude.

»Du hast mir kein Wort gesagt, dass es dermaßen wehtut!«, schimpfte ich los.

»Blut«, sagte Clarence und kam mit seinem Messer in der Hand auf mich zu. »Das lindert den Schmerz.«

Der aber war so gewaltig, dass ich kaum mitbekam, wie er meinen Arm aufschlitzte und das Blut über das Symbol schmierte. Er hatte recht. Der Schmerz ließ beinahe schlagartig nach, und ich seufzte erleichtert auf. Und bestürzt. Wie oft würde ich so etwas noch durchmachen müssen, bis dieses Abenteuer endlich vorbei war?

Clarence blickte ernst zu Zane. »Sorg dafür, dass sie bereit ist. Schnell!«

Zane nickte und neigte den Kopf. »Da entlang«, sagte er und durchquerte geschmeidig wie ein Panther den Übungsraum. Seine angeborene Sinnlichkeit haftete an ihm wie frühmorgendlicher Tau. Eine Sinnlichkeit, die ich zwar schon in mich aufgesaugt, aber noch nicht zu kontrollieren gelernt hatte.

Vor einem grauen Stahlschrank blieb er stehen. Drehte sich mit einem wohlwollenden, aber auch fordernden Blick zu mir um. »Ein Pech, dass du diese Mission unternimmst, bevor es dunkel ist, ma fleur. In der Nacht könntest du mehr Waffen unbemerkt mitführen als bloß Messer.«

Er schaute auf meinen Schenkel, das Messer steckte in der Scheide. Genauer gesagt: das Messer, das ihn getötet hatte. Aber in dem Punkt war er in keinster Weise nachtragend.

»Ich dachte, ich müsste mit dem Messer töten.«

Er grinste. »Und ich dachte, du wolltest Waffen haben, die die Bestien aufhalten.«

Er packte die beiden Metallgriffe des Schranks, drehte sie und zog mit großem Tamtam die Türen auf. Drinnen schimmerte es wie in einem alten Gruselfilm. Armbrüste, Morgensterne, Dolche und Hellebarden, dazu die üblichen Springmesser, Schwerter und gefährlich aussehende Jagdmesser.

Ich pfiff durch die Zähne und zog schnell meine Hand zurück, als mir klar wurde, dass sie nach einer Waffe gegriffen hatte, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.

Zane hatte meine Reaktion ebenfalls bemerkt. »Du bist ja eifrig bei der Sache, n’est-ce pas? Bien. Je besser du vorbereitet bist, desto leichter wirst du dich auf das Wesentliche konzentrieren.«

»Das Zeug da ist für mich?«

»Irgendwann schon.« Er nahm aus dem mittleren Regalfach ein einfaches Springmesser. »Wie gesagt, diese Waffen sind für Nachteinsätze gedacht.«

»Das heißt also, ob ich wegen mangelhafter Ausrüstung abgeschlachtet werde oder nicht, hängt von der Tageszeit ab, zu der ich mich auf die Jagd mache? Pforten der Hölle, du erinnerst dich? Grausige, böse Dämonen, oder? Verzeih mir bitte, wenn ich in dem Punkt hartnäckig bin, aber meiner Meinung nach ist ein Breitschwert untertags die bessere Lösung. Glaub mir.« Ich dachte an die Dämonen in der Gasse. »Die Gegenseite ist auch nicht gerade wählerisch, was die Bewaffnung angeht.«

»Ich kann dir versichern, dieses Messer reicht völlig.«

Er drückte auf den Knopf, und die Klinge sprang heraus. Das Metall glitzerte in dem grellen Licht, das von einer einsamen Glühbirne oberhalb des Schranks beigesteuert wurde.

Er reichte es mir. Als ich es nahm, strichen meine Finger über seinen Handteller, und schon diese geringfügige Berührung löste in mir eine geradezu elektrische Überhitzung meines sinnlichen Bewusstseins aus.

Schnell zog ich die Hand zurück aus Angst, das Ganze würde sich noch steigern. Ich blickte hoch, als würden meine Augen magnetisch von seinem Gesicht angezogen. Er musterte mich wissend, aber teilnahmslos. Nur um seine Mundwinkel zeigte sich der Ansatz eines Lächelns.

»Sie ist gut, glaube ich, ma fleur.«

»Was ist gut?«

»Die Verbindung.« Sein Daumen strich wie zufällig über seine Brust, aber ich wusste es besser. Er trat einen Schritt näher. Die Schweißperlen auf seinem glatten Schädel und den Unterarmen strömten einen Moschusgeruch aus. »Wer weiß, was passieren könnte, wenn wir eine Steigerung zuließen, was, ma cherie?«

Mit bedauerndem Kopfschütteln trat ich nach hinten. Zane legte den Kopf schief und musterte mich nachdenklich. »Interessant.«

»Dass ich zu einem derart reizvollen Mann wie dir Nein sage?«

»Mais oui. Und dass es da noch einen anderen gibt. Das stimmt doch, oder? Wer ist es? Dieser Mann, der dich hindert? Ein Überbleibsel aus deinem früheren Leben? Oder eine neue Faszination?«

Ich zwang mich, nicht schuldbewusst in Clarence’ Richtung zu schauen. Wenn einer der beiden erfuhr, dass Deacon dieses Objekt der Begierde war …

Ich lenkte meine Gedanken wieder auf die Gegenwart. »Das Einzige, was mich momentan fasziniert, ist dieses Messer. Und ich glaube kaum, dass meine Libido für diese Mission maßgeblich ist. Oder?«

»1:0 für dich.« Er streckte den Arm aus. »Gib mir deine Hand.«

Ich zögerte, weil ich ahnte, was er vorhatte. Das Messer an meinem Schenkel gehörte zu mir. Das Springmesser jedoch musste erst noch gekennzeichnet werden.

»Du zögerst?«, fragte er belustigt. »Ich sehe die vor lauter Angst bibbernden Dämonen schon vor mir.«

Ich lächelte ihn spöttisch an und streckte die Hand vor. »Halt die Klappe und schneid schon!«

Die Klinge ritzte mir durch die Haut. Ich zuckte nicht zusammen, weil ich den Schmerz nicht zeigen wollte. Ich wollte keinerlei Reaktion zeigen.

Er wischte die Klinge ab, klappte sie zusammen und klatschte sie mir in die Hand. Genau auf die frische Wunde. Jetzt zuckte ich doch zusammen. Allerdings heilte die Verletzung schon wieder. Bis ich mich an meine Beute angepirscht hätte, wäre nichts mehr davon zu sehen.

»Also gut.« Ich atmete tief ein. »Und wohin gehe ich jetzt?«

»Jetzt, cherie, gehst du dich umziehen.«

»Hä?« Clarence beantwortete meine Frage, indem er mir ein schwarzes Stoffbündel überreichte.

Neugierig schaute ich die beiden an. Dann wickelte ich das Bündel aus. Ein schwarzer Overall mit Kapuze und Schlitzen für Augen, Nase und Mund. »Genau, was der modebewusste Dämonenkiller dieses Jahr trägt.«

»Richtig«, sagte Zane.

»Und wenn ich in dem Aufzug rumlaufe, weshalb kann ich dann nicht auch mehr Waffen mitschleppen? Als unauffällig lässt sich das ja wohl kaum bezeichnen.«

»Du kannst die Kapuze nach dem Angriff abnehmen«, erklärte er. »Und dann bist du nichts weiter als eine bildhübsche Frau in einem hautengen Overall.«

»Ach.«

Er deutete in die Richtung, wo sich die Duschen befanden. »Los.«

Ich zog ab, und als ich zurückkam, fühlte ich mich, als müsste ich eine Serie komplizierter Kampfkunstschrittfolgen präsentieren. Oder zumindest wie ein Ninja mucksmäuschenstill durch den Raum schleichen.

Zane fand das allerdings gar nicht lustig. Im Gegenteil. In ihm löste meine figurbetonende Kleidung Lust aus. Das sah ich am Funkeln seiner Augen.

»Hauteng war nicht gelogen«, sagte ich.

»Aber jetzt«, schaltete sich Clarence ein, »dürfen wir keine Zeit mehr vergeuden.«

»Wohin gehe ich?«, fragte ich. »Mein Arm sagt mir, wo sich die Schatulle befindet, richtig? Also: Wo gehe ich jetzt hin? Sind die Symbole eine Landkarte? Kannst du sie deuten?«

»Zieh den Ärmel zurück«, befahl er. Zane trat beiseite und beobachtete uns.

Erneut starrte ich auf dieses merkwürdige, pulsierende Symbol, das mir in den Arm gebrannt war. Wenn da der Einsatzort eingekerbt war, dann konnte ich ihn jedenfalls nicht entdecken.

Clarence nahm meine Linke. »Bedecke es!«, forderte er mich auf. »Bedecke es mit deiner anderen Hand.«

Beinahe hätte ich nach dem Grund gefragt, aber den würde ich wohl schnell genug selbst herausfinden. Ich drückte die Handfläche auf das Symbol und spürte so umgehend ein unangenehmes, festes Ziehen im Bauchnabel, dass ich nicht einmal mehr aufschreien konnte. Stattdessen wurde ich durch den Raum gezogen, Zanes Behausung zerfloss und wurde durch Finsternis ersetzt. Eine schreckliche, wirbelnde Finsternis voll leisem Stöhnen und Atemzügen und einer Million unheimlicher elektrischer Empfindungen, die über meinen Körper krochen, sodass ich mich wand und krümmte. Mein Mund öffnete sich und stieß einen lautlosen Schrei aus.

Und dann war nichts mehr. Nur diese Schwärze, die mich wie ein Laken einzuhüllen schien. Ich konnte nichts sehen, hatte deshalb auch kein Raumempfinden, aber irgendwie wusste ich, dass ich mich rasend schnell bewegte, viel schneller, als es in der wirklichen Welt möglich gewesen wäre. Ich raste durch Raum und Zeit, durch die Dimensionen, und diese Vorstellung ängstigte und faszinierte mich gleichermaßen. Ich bewegte die linke Hand und spürte erleichtert, dass ich immer noch Clarence’ Finger umschlossen hielt.

Das war die Brücke, wurde mir plötzlich klar. Und er war mein Weg zurück.

Bevor ich darüber nachdenken konnte, wohin ich wohl unterwegs war, erkannte ich bereits das Ziel. Eine Straße, eine Häuserzeile, und ich kam mir vor wie ein Vogel, hoch oben über der Welt. Nur begann der Vogel dann zu fallen. Er fiel und fiel, und der Boden stürzte auf mich zu. Ich würde zerschellen. Davon war ich überzeugt. Den Aufprall konnte ich fast schon spüren, bevor es so weit war, und ich spannte völlig verängstigt meine Muskeln an. Der Boden kam näher und näher und dann …

Nichts.

Es war vorbei.

Ich lag auf einem Fleckchen Erde eines vermüllten Vorgartens und atmete mühsam. Clarence hielt meine Hand nicht mehr, und als ich zum Himmel emporblickte, sah ich einen seltsamen Nebel, der herumwirbelte wie ein Wasserstrudel, der sich selbst verschluckt. Dann war das Bild weg.

Das Portal, durch das ich gereist war. Ein Portal, das sich in meinem Körper geöffnet hatte.

Langsam stand ich auf und klopfte mir den Staub ab. Ich lächelte dabei sogar.

Also das, dachte ich, ist echt cool.