13
Abrupt drehte ich mich in die Richtung, in die er zeigte. Ein Teil des Bodens hatte sich geöffnet, aus dem auf einer hydraulischen Plattform ein Stahlkäfig hochfuhr. Doch wo ich eine weitere Höllenbestie mit langen Zähnen und kalter, schuppiger Haut erwartet hatte, sah ich lediglich ein junges Mädchen. Etwa sechzehn, mit einem dicken schwarzen Halsband. Und als sie den Blick hob und mir in die Augen sah, hätte ich geschworen, es war Rose, die mir entgegenstarrte.
Ich holte tief Luft. »Das ist kein … Sie kann kein Dämon sein …«
»Sie kann«, versicherte mir Zane. »Und sie ist einer.«
»Aber … aber … Wo? Wie? Habt ihr etwa einen Vorrat an Dämonen, die …«
Ich schnitt mir selbst das Wort ab, denn an ihren Gesichtern konnte ich ablesen, dass genau das der Fall war. Eine kleine Dämonensammlung, irgendwo versteckt und nur zu Trainingszwecken ans Tageslicht gezerrt.
Ich musste schlucken. Ich war nicht sicher, ob ich angeekelt oder beeindruckt davon war, wie ernst sie es mit dem Training meinten.
Zane bemerkte meine gedanklichen Abschweifungen offenbar nicht. Er hielt ein kleines schwarzes Gerät mit allerhand Knöpfen in der Hand. Nun drückte er einen, und die vordere Platte des Käfigs senkte sich in den Boden. Der misstrauische Teenager, der aussah wie ein Ultra-Grufti, ganz in Schwarz mir spitzem Silberschmuck, war also nur noch an drei Seiten gesichert.
Neben mir holte Clarence einen Notizblock und einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts. »Ich werte deine Vorstellung selbstverständlich aus«, sagte er. »Lass dich nicht nervös machen.«
»Nervös«, quiekte ich und deutete auf das Mädchen, das immer noch bewegungslos auf dem Boden kauerte und zu mir hochsah. »Das ist ja krank.«
»Wenn das deine Einstellung ist, niafleur, dann hast du schon versagt.« Er zog das Messer mit der zehn Zentimeter langen Klinge aus der Scheide und gab es mir. Kalt und tödlich lag es in meiner Hand. Der blaue Stein auf dem Griff funkelte in dem grellen Licht.
Ich wollte schon einen Streit anfangen, es zurückgeben. Aber Zanes Pranken schlössen sich um meine Oberarme, und er hob mich so mühelos auf die Plattform, wie ein Kind eine Stoffpuppe hochhebt. Einen Moment stand ich so da. Unentschlossen. Man würde doch nicht ernsthaft von mir erwarten, gegen dieses Kind anzutreten, es umzubringen!
»Maintenant!«, sagte Zane, und obwohl ich kein Wort Französisch sprach, war mir klar, was er wollte: Komm in die Gänge! Jetzt!
Aber ich kam nicht in die Gänge. Ein Fehler, den ich bald bedauern sollte, da meine Gegnerin keinerlei Hemmungen kannte. Sie sprang auf und kam, knurrend wie ein wildes Tier,’ auf mich zu. Ihre Finger schössen vor wie Klauen, und bevor ich noch reagieren konnte, fuhr sie mir schon ins Gesicht, riss mir mit den Fingernägeln die Haut auf und verfehlte nur knapp meine Augen.
»Verdammte Scheiße!«, schrie ich, schlug ihre Hände weg und wandte instinktiv mein Gesicht ab. Mein Instinkt war allerdings nicht der beste Ratgeber; jetzt sah ich sie nicht mehr. Und sie nutzte das aus. Sie sprang hoch und mir auf den Rücken.
»Ungeschult«, hörte ich Zane wie aus tausend Meilen Entfernt sagen. »Für mich steht viel auf dem Spiel. Ich hoffe, du bist dir sicher …«
Clarence’ Antwort war gedämpft, aber Zanes beipflichtendes Grunzen vernahm ich recht deutlich. Am liebsten hätte ich sie angebrüllt, sie sollten mich von diesem kleinen Miststück befreien.
Stattdessen kämpfte ich.
Und sobald ich mich dazu durchgerungen hatte - sobald mir der bloße Gedanke durch den Kopf gegangen war -, explodierte ein Kraftstoß in meinem Körper, stärker noch als der Drang, den ich in der Gasse verspürt hatte. Die Stärke, die sie mir eingepflanzt hatten, brach wellenförmig aus mir hervor; ich spürte instinktiv, dass ich noch nicht vollkommen vorbereitet war. Aber der Weg dorthin würde angenehm werden.
Ich stemmte eine Hüfte hoch, drückte die Hände gegen die Matte, um genug Halt zu bekommen, trat zu und traf sie mit dem Absatz so heftig am Kopf, dass mir vom Knall leicht übel wurde. Ich drehte mich vollends um, kam auf die Beine und hielt das Messer bereit. Sie hatte sich inzwischen wieder erholt und raste zähnefletschend wie ein wildes Tier auf mich zu.
Allerdings gab nun auch ich dem wilden Tier in mir nach. Keine Ahnung, ob aus Frust, Wut oder Stress, ich legte jedenfalls gewaltig los. Ich wollte Blut sehen. Ihr Blut. Dieses unverschämte kleine Miststück, das mich erledigen wollte. Nie im Leben!
Das Mädchen machte einen Ausfallschritt, und ich warf mich auf sie, wobei ich allerdings ganz vergaß, dass ich jetzt zwar die Kraft hatte, nicht aber die Fähigkeit, sie gezielt einzusetzen. Sie schlug mir mit der Rückseite ihres Unterarms gegen das Handgelenk und holte dann zu einem weiteren harten Schlag aus. Das Messer flog mir aus der Hand, landete nutzlos auf der Matte.
Eine halbe Sekunde Trauer über den Verlust genehmigte ich mir, dann wurde mir klar, dass es nicht weiter wichtig war. In mir steckten alle Waffen, die ich brauchte. Und die setzte ich mit
voller Wucht gegen sie ein, riss, kratzte, schlug und trommelte mit den Fäusten auf sie ein. Mehr Tier als Frau prügelte ich dem Dämonennachwuchs, der mich töten würde, wenn ich ihn nicht zuerst tötete, die Scheiße aus dem Leib.
»Ah, c’est vrai. Das Kämpfen steckt also doch in ihr«, kommentierte Zane mit einer Stimme, die die ganze Halle zu füllen schien.
»Ich hab’s dir doch gesagt: Die Kleine hat Feuer unterm Hintern.«
»Und einfallsreich ist sie auch. Trotzdem haben wir noch viel Arbeit vor uns«, erwiderte Zane sachlich, während ich blind um mich trat, das Mädchen unterm Kinn erwischte, sodass es nach hinten torkelte, bis es in den Seilen landete, die drei Seiten unseres Rings begrenzten.
»Auf so vielen Gebieten«, sagte Clarence, als würde ich ein wenig mehr Mühe erfordern, als er vorhergesehen hatte. Ich blickte kurz zu ihm rüber und sah, dass er sich Notizen machte - eine harmlose Tätigkeit, die meine Wut jedoch umso mehr anstachelte. Die wollte ich an dem Mädchen auslassen. Doch das nutzte seinerseits aus, dass ich mich hatte ablenken lassen.
Mit heiserem Geheul sprang es vor, traf mich voll und stieß mich zu Boden. Schlagartig entwich die Luft aus meinen Lungen, als es sein gesamtes Gewicht auf meiner Brust ablud. Mein Gehirn befahl mir, mich zu wehren, doch bevor ich diesen neuartigen Gedanken in die Tat umsetzen konnte, rammte mir meine Gegnerin die Knie in die Seite, als wäre ich ein bockiges Wildpferd. Gleichzeitig legte sie sich voll auf mich, sodass sich unsere Gesichter schon unangemessen nahe kamen, und grub mir ihre Daumen in die Luftröhre.
Alle meine Zellen schrien nach Sauerstoff, mein Körper verkrampfte sich, und ich schlug um mich, um sie loszuwerden. Allerdings waren Dämonen ganz offensichtlich mit den gleichen
Kräften ausgestattet wie ich. Was bei genauerer Betrachtung ganz schön ätzend war.
Ihre Gesichtszüge verzerrten sich, ich sah in ihr nicht mehr Rose. Stattdessen blickte ich in wirklich dunkle Tiefen. Ich bemühte mich weiter, von ihr loszukommen, wieder atmen zu können, und entdeckte dabei in ihr nur Hass und das Böse schlechthin.
Aber in diesem Dunkel sah ich auch etwas Vertrautes. Eine kalte Finsternis war bei mir eingezogen und hatte sich in den geheimen Nischen meiner Seele niedergelassen. Das Verlangen, nun endlich zu töten.
Der Gedanke, dass irgendetwas, und sei es auch nur ansatzweise, in dieser Bestie von Mädchen in mir seinen Widerhall finden könnte, erfüllte mich mit Abscheu. Schnell und hart zog ich die Knie an und knallte sie ihr in die Kehrseite. Ich schnellte vorwärts und prallte mit dem Kopf gegen ihren. Hinter meinen Augen explodierten Sterne, aber Schmerz konnte mich nicht mehr aufhalten. Jetzt nicht mehr.
Überrascht stieß sie ein leises Grunzen aus, dann spürte ich, wie der Druck um meinen Hals nachließ. Mehr brauchte ich nicht. Ich machte eine Hüftdrehung, rollte nach links, dann sofort wieder nach rechts, als ich spürte, dass sich ihr Schwerpunkt verlagerte. Nun war ich im Vorteil, und das nutzte ich aus. Zusammen rollten wir weiter und weiter, bis wir nur noch wenige Zentimeter vom Messer entfernt waren.
Sie erkannte, worauf ich aus war, und wollte nach der Waffe greifen. Voller Lust an meiner Macht knallte ich ihr die Faust auf die Nase.
Sie heulte auf. Ich schnappte mir das Messer, obwohl sie nach meinem Gesicht grabschte, mir mit den Fingernägeln die Wangen aufriss, nur Millimeter unterhalb meiner Augen.
Dennoch hatte ich gewonnen. Das war uns beiden klar, und als ich mit dem Messer ausholte, sah ich in ihrer Miene kurz ein Zeichen von Aufgabe. Der kalte Stahl glänzte in der Luft, bevor ich ihr die Klinge unters Kinn stemmte und gegen den Hals drückte, dass eine dünne Linie Blut floss. Lautlos forderte ich sie heraus, sich zu wehren.
Sie tat es nicht.
Stattdessen überflutete Angst ihr Gesicht. Tränen traten ihr in die weit aufgerissenen Augen, und sie sagte das erste Wort, das ich verstehen konnte: »Bitte.«
Meine Entschlossenheit löste sich in Wohlgefallen auf. Ich fühlte mich in mein Zuhause zurückversetzt, zu Rose. Zu allem, was ich geliebt und verloren hatte.
Meine Hand zitterte, und ich lockerte ganz leicht den Druck. Das reichte schon. Schlagartig war sie auf den Beinen und ging auf mich los, trieb mich rückwärts, kletterte an mir hoch und entwand mit ihren flinken Händen meinen widerstrebenden Fingern das Messer. Und bevor ich ihr siegesgewisses Grinsen überhaupt richtig mitbekam, schnellte die Waffe auch schon auf meine Brust zu.
Wie in Zeitlupe versuchte ich, mir ein Drehbuch einfallen zu lassen, das nicht mit meinem Tod hier und jetzt endete. Aber die hilfreichen Ideen ließen auf sich warten.
Ich konnte nirgendwohin ausweichen.
Sie hatte mich in einer Ecke des Bings festgenagelt. Ein Stahlpfosten drückte mir gegen die Bippen, und sie blockte jeden möglichen Fluchtweg ab. Unter mir befand sich fester Boden und über mir die scharfe Klinge meines Messers.
Ich war im Arsch, kein Zweifel.
Dennoch kämpfte ich; ein Tod in Würde lag mir nicht so. Auch kein anderer.
Ich stieß die Hände nach vorne und schlitzte mir die Handflächen an meiner eigenen Waffe auf. Blut strömte heraus.
Meine Hände brannten, als Stahl auf Fleisch traf. Ich schrie, umklammerte die Klinge und verschmierte sie mit meinem Blut.
Keine gute Idee. Der Schmerz brannte sich durch mich hindurch, und als sie mit dem anderen Arm ausholte, um auf mein Gesicht einzudreschen, ließ ich los und fürchtete schon das Unvermeidliche. Erwartungsgemäß setzte das Messer seinen heimtückischen Weg auf mein Herz zu fort, und diesmal war ich felsenfest davon überzeugt, endgültig sterben zu müssen. Und verflucht noch mal, ich hatte schreckliche Angst.
Ein Schrei entrang sich meiner Kehle, lebendig, klangvoll und furchtsam, als die Messerspitze mein Shirt berührte. Ich war tot, und ich wusste es und …
Ich war frei.
Mit einem bitteren Heulen ließ mich der Dämon los, umklammerte das Halsband, zerrte daran, als würde sein Leben davon abhängen, dass er es abreißen konnte. Dann sank er auf die Matte, völlig lautlos bis auf das unregelmäßige Heben und Senken der Brust.
Mit einem Blick auf Zane krabbelte ich seitlich weg. Er hielt die Fernbedienung hoch. »Wird beim Training unserer Krieger immer eingeplant.«
Ich blickte zu Clarence, aber der kritzelte immer noch wie wild auf seinem Block herum.
Zitternd holte ich Luft und hoffte verzweifelt, dass er mich trösten würde. Leider tat er das nicht.
»Jetzt verstehst du«, sagte Zane, betrat den Ring und ging auf den Dämon zu, der immer noch bewegungslos auf der Matte lag. »Töten oder getötet werden.«
Er hob mein Messer auf und hielt es vorsichtig. Ich nickte nur, aus Angst, dass meine Stimme versagen könnte.
»Du hast nicht getötet«, fuhr er fort, »sondern hättest dieses
Schicksal beinahe von der Hand deines Feindes erlitten. Du hast versagt, ma cherie! Ich hatte so große Hoffnungen, dass Clarence recht hat - dass du die Richtige bist. Das ist außerordentlich enttäuschend!« Seine Stimme war leise und hypnotisch.
Ich stand da, meine Handfläche pulsierte vor Schmerz, während ich diese schwingenden Laute, getragen von seinem männlichen Duft, in mich einsog und mich in einen sinnlichen Dunst treiben ließ. Der Mann war der personifizierte Sex, so geschmeidig und sinnlich, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren konnte, obwohl tief in mir der Schrei erklang, dass ich fortmusste, raus aus diesem Nebel. Dass alles, was ich in Gegenwart dieses Mannes fühlen würde, nicht wirklich sei.
Es war mir egal. Ich hätte ihn bis in alle Ewigkeit anstarren können, dieses sinnliche Vergnügen, dieses Prickeln genießen, das seine bloße Nähe mir über die Haut jagte.
Ich seufzte, mein Körper summte wohlig, auch wenn ich undeutlich erkennen konnte, dass sein Griff um den Knauf des Messers fester wurde.
Das Metall glitzerte in dem wie durch Filter getrübten Licht, das Aufblitzen eine verschlüsselte Warnung an mich: Wach auf, wach auf, wach auf!
Der Dunst teilte sich, und ich verstand: Ich hatte versagt. Und jetzt war es an mir zu sterben.
Die Klinge schoss nach unten und brach den Zauber. Mit meiner verletzten Hand packte ich Zanes Handgelenk und zog. Das Messer kam mir zwar gefährlich nahe, aber er geriet aus dem Gleichgewicht.
Er stolperte auf mich zu, ich drehte mich und zog ihn am Arm mit, als ich mich abrollte. Der Nebel hatte sich aufgelöst, an seine Stelle war einzig und allein mein Überlebenswille getreten.
Sein Handgelenk hielt ich fest umschlossen, drückte nach vorne, beachtete die stechende Wunde nicht weiter und hatte nur eins im Sinn: das Messer so weit wie irgend möglich von meiner Haut fernzuhalten.
Ach ja, und diesen Drecksack aufzuschlitzen, der vorhatte, mich um die Ecke zu bringen.
Ich hörte ein scharfes Knacken, als das Gelenk brach und schlaff wurde. Ich trieb die Klinge durch die straffe karamellfarbene Haut. Blut strömte heraus, warm und klebrig. Ich öffnete den Mund, ein hauchdünnes Oh füllte den ansonsten lautlosen Raum.
»Mon petit cceur«, flüsterte er. Aus seinem Mund drangen Blutblasen. »Je suis mort.«