18

 

»Du spinnst wohl!«, widersprach ich und schob ihn weg, obwohl ich mich eigentlich am liebsten noch enger an ihn geschmiegt hätte. Denn er hatte recht. Ich wollte ihn. Ich wollte sehen, wie er sich unter mir wand, und im Moment war es mir auch egal, ob er das unter meinen Schenkeln oder unter meinem Messer tat.

Ich wollte einfach nur. Wollte aus ganzer Seele und tiefster Verzweiflung.

Ich gab ihm einen Schubs, denn bei Verstand zu bleiben war mir letztlich doch wichtiger, als meine Libido auszuleben. »Verschwinde.«

Er zog mich an sich und legte herausfordernd die Arme um mich. »Mir gefällt es hier.«

A> »Deacon, verdammt …« Aber er hörte gar nicht zu. Obwohl der ganze Schuppen vom Heavy-Metal-Sound dröhnte, hielt er mich an den Hüften und bewegte sich langsam und verführerisch. In dem Moment war es mir egal, ob meine Seele für immer in der Hölle schmoren würde, war es mir egal, dass er ein Dämon war. Und es war mir auch egal, ob er nur mit mir spielte oder mich verarschte.

Ich wollte nur eins: Wieder diese Verbindung spüren - diese Ganzkörperlust, die alles zum Schmelzen brachte so wie da, als er mich zum ersten Mal an sich gezogen hatte.

Ich seufzte, weil ich mich noch gut an das Verlangen und die sinnliche Verzweiflung erinnern konnte.

Doch im nächsten Moment spannte sich alles in mir an, während die trunkenen Tänzer weiter um uns herumwirbelten. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren. Unbedingt. Wenn ich das nicht tat, konnte ich nicht rausfinden, was er vorhatte.

Das trübe Licht ließ seine harten Gesichtszüge ein wenig weicher wirken. Er sah mich abschätzend an. »Willst du etwa wieder weglaufen?«

»Ich gehe nirgendwohin.« Es war tröstlich, das Messer an meinem Bein zu spüren.

Er zog einen Mundwinkel leicht hoch und musterte mich von oben bis unten. »Gut. Wäre mir auch unangenehm, wenn ich dich schon wieder in Angst und Schrecken versetzt hätte.«

»Wie bitte?«, entgegnete ich empört. »Mich in Angst und Schrecken versetzen?« .

»Etwa nicht?« Sein Gesicht verzog sich zu so etwas wie einem Lächeln, und ich glaube, er zwinkerte mir sogar zu. »Ich hätte geschworen, nur deshalb bist du derart schnell abgehauen. Wegen dem, was du gesehen hast. Was wir beide gesehen haben.«

Ich zuckte zusammen. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass er es ebenfalls gesehen hatte. Er hatte nicht nur gespürt, dass ich darin herumgestochert hatte. Er hatte gesehen, was ich gesehen hatte. Er wusste, was ich wusste.

Mit abgedrehten Psychovisionen kannte ich mich nicht sonderlich gut aus, aber immerhin wusste ich, dass normalerweise zwei Menschen nicht dieselben haben. Dass es diesmal anders gewesen war, machte mich auch nicht gerade fröhlicher. Im Gegenteil, es machte mich nur nervöser.

Und das steigerte sich noch, als er auf mich zutrat, mir die Hand auf die Schulter legte und mit seinem Mund ganz nah an mein Ohr kam. »Welcher Teil der Vision hat dir mehr Angst eingejagt? Der blutige Horror? Oder wir beide, nackt ineinander verschlungen?«

»Weder noch«, log ich.

»So?« Er richtete sich auf, sodass ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Es wirkte abweisend und undurchschaubar, doch er strahlte eine Wut aus, die er - so mein Eindruck - nur mithilfe seines unbeugsamen Willens unter Kontrolle hielt. »Und wieso bist du dann weggelaufen?«

»Ich bin nicht weggelaufen«, log ich.

»Natürlich nicht.«

»Ich habe gearbeitet«, entgegnete ich entschlossen, wenn auch etwas zu laut. »Ich musste zurück zur Arbeit.«

»Was die Frage aufwirft, warum du dann überhaupt in meinem Kopf herumgestochert hast. Du hast dein Versprechen gebrochen, Alice, ein wichtiges Versprechen. Glaub nicht, dass ich das auf die leichte Schulter nehme.«

Ich legte den Kopf auf die Seite, weil ich aus seiner Stimme mehr als nur Wut heraushörte. Hier ging es nicht um ein nicht gehaltenes Versprechen; es ging um das, was ich entdeckt hatte. Und ich verstand verdammt gut, wieso er sauer war. Hätte ich die Psyche dieses Mannes gehabt, hätte ich auch nicht gewollt, dass irgendjemand darin rumschnüffelt.

»Tut mir leid«, sagte ich und meinte es auch so. »Das wollte ich nicht. Es ist einfach so passiert. Ich habe das nicht mit Absicht gemacht. Ehrlich.«

Er ließ den Blick über mein Gesicht wandern, und ich hinderte ihn nicht daran, weil ich absolut sicher war, dass er dort nichts als die Wahrheit entdecken würde.

»Wenn irgendjemand anderer so in meinem Kopf rumwühlen würde, wäre er längst tot«, sagte er, und es klang durchaus überzeugend.

Aufmüpfig hob ich das Kinn. »Und wieso bin ich dann noch am Leben?«

Er lächelte und fuhr mit dem Finger die Linie meines Kinns nach. In dieser Berührung lag ein Versprechen, das alles in mir zum Vibrieren brachte. Die Härchen auf meiner Haut stellten sich auf, sowohl bei der Erinnerung als auch aus Vorfreude. Wieder ergriff die Begierde Besitz von mir, und mein Körper schien im Rhythmus der Lichter im Club zu pulsieren. Meine Lust war so überwältigend, dass ich schon fürchtete, ich könnte sie nicht mehr in Schach halten.

»Es hat dir Angst gemacht«, sagte er. »Das, was du gesehen hast.«

»Mir macht so schnell nichts Angst«, entgegnete ich und schob mich an ihn heran, nur um mir zu beweisen, wie leicht das ging. Wie problemlos ich diese neue Macht in mir unter Kontrolle hatte.

»Stimmt das?«

Als Antwort lächelte ich nur und ließ die Finger über seine Schulter und dann ganz sanft über seinen Arm gleiten. Ich rückte näher an ihn heran, und die Flammen in mir schlugen noch ein bisschen höher. Diese Anziehungskraft. Diese Verführungskunst. Dieses herrliche Gefühl, als mir dieser Junge, während wir tanzten, voll und ganz verfallen war. Ich hatte ihn im Handumdrehen hörig gemacht.

Und das konnte mir mit Deacon genauso gelingen.

Das Machtgefühl, das ich bei dem Gedanken verspürte, gab meiner Erregung weitere Nahrung.

Er drehte den Kopf, um zuzusehen, wie mein Finger ganz sanft über die weiche Haut auf seinem Unterarm strich. »Was macht dir denn dann Angst?«

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und beugte mich vor, sodass mein Busen über seinen Oberkörper strich und er meine harten Brustwarzen unter dem Tanktop spüren konnte. »Du«, hauchte ich ihm ins Ohr und nahm dabei wahr, dass er nach Bourbon und Minze roch.

»Das ist auch richtig so«, antwortete er, und die Wahrheit dieser Aussage traf mich wie ein Blitz. Nur dass sie mir keine Angst machte. Sie erregte mich. Brachte mich dazu, Grenzen ausloten und überschreiten zu wollen.

Offensichtlich hatte ich erst sterben müssen, um mich richtig lebendig zu fühlen.

Ich presste mich fester gegen ihn. Ich spielte mit dem Feuer, und ich wusste nicht, ob ich aufhören könnte, bevor ich mich verbrannt hatte. Leise fragte ich: »Willst du etwa behaupten, dass du gefährlich bist?«

Er strich mir über das Haar, wobei seine Handfläche meinen gesamten Kopf bedeckte. »Letzte Woche hattest du noch keine Angst vor mir. Was hat sich geändert, Alice? Und sag jetzt nicht, die Vision. Du hast mich vorher schon versetzt.«

Was sich geändert hat? War das nicht genau die Frage … Und schon verblasste der Zauber, und die Realität holte mich wieder ein. Die Realität, in der Alice tot und Deacon ein Dämon war. Das Geheimnis von Alice’ Tod belastete mich, und so löste ich mich von ihm und trat einen Schritt zurück.

»Alice?«

»Nichts hat sich verändert«, entgegnete ich und überlegte, wie ich mit der Situation umgehen sollte.

»Interessant.«

Ich sah ihm ins Gesicht, aber es war völlig ausdruckslos. »Was ist?«

; »Du hast mir zweimal gesagt, du müsstest unbedingt mit mir reden - hast mich angefleht, mich mit dir zu treffen, ja pünktlich zu sein, es ja nicht zu vergessen. Und dann hast du mich versetzt.«

»Ich habe letzte Woche nicht …«

»Wie bitte?«

Ich holte tief Luft, überlegte rasch, welche Möglichkeiten mir blieben, und beschloss dann, die Bombe platzen zu lassen. »Letzte Woche wusste ich noch nicht, dass du ein Dämon bist.«

Abgesehen davon, dass er die Augen zusammenkniff, zeigte er keine Reaktion. Fast unmerklich rückte er näher an mich heran, und zwischen uns baute sich eine unglaubliche elektrische Spannung auf. »Das wusstest du nicht?«, fragte er, und diese Frage verwirrte mich. Wenn Alice gewusst hatte, wer Deacon war, dann war jetzt nicht nur meine falsche Identität aufgeflogen, dann stellte sich auch die brennendste Frage des Jahrhunderts: Wieso hing die süße, unschuldige Alice mit Dämonen rum? Und hatten diese ganz und gar nicht gut beleumundeten Bekanntschaften bei ihrem Tod die Hand im Spiel gehabt?

»Macht es dir was aus, dass du weißt, was ich bin?«

Ich sah ihm in die Augen, und sofort überfiel mich die Erinnerung an all das, was ich in seinem Kopf entdeckt hatte. Die schaurige Dunkelheit. Die unbändige Wut. Ein Schauder lief mir über den Bücken. Aber dann fiel mir wieder ein, wer ich war, und ich beruhigte mich wieder. »Nein«, behauptete ich so überzeugend wie möglich. »Das macht mir gar nichts aus.«

Einer seiner Mundwinkel zuckte. »Muss ich mir Sorgen machen?«

Ich legte den Kopf auf die Seite und zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Wegen deinem neuen Job«, fuhr er fort. »Du arbeitest demnächst als Dämonenjägerin, stimmt’s?«

Ich reckte das Kinn hoch. »Genau.«

Er beugte den Kopf zu mir herab und berührte meinen Hals und mein Haar. Funken stoben durch meinen Körper.

»Du riechst nach ihnen«, sagte er.

Mein Magen schien sich plötzlich zu verknoten, und mit gepresster Stimme fragte ich: »Wie bitte?«

»Du hast heute Nacht getötet. Einen Dämon.« Wieder schnüffelte er und atmete tief meinen Geruch ein. »Und du bist voller Blut.«

Er richtete sich auf und warf mir einen fragenden Blick zu, der fast schon wie eine Anklage wirkte.

»Ich habe ihr nichts getan. Ich habe versucht, sie zu retten.«

»Natürlich. Schließlich warst du hinter dem Dämon her, nicht hinter dem Mädchen.«

»Was willst du eigentlich?« An liebsten hätte ich mich ganz meinen Lustgefühlen überlassen, aber ihn loszuwerden, war mir dann doch wichtiger. Wenn er mirso auf die Pelle rückte, konnte ich nicht mehr denken.

»Ich will Antworten, Alice.«

»Ich kenne ja nicht mal die Frage.«

»Dann lass es mich dir erklären. Du hast dich verändert. Und glaub mir, ich finde schon noch heraus, warum.«

»Nein, ich …«

Er ließ den Finger über meine Lippen gleiten, und ich musste mich schwer zusammenreißen, ihn nicht einzusaugen und an ihm herumzulutschen. »Für die Alice, die mich um Hilfe gebeten hat, hatte ich solche Gefühle nicht, und ich muss zugeben, das hat mir zu schaffen gemacht. Ich habe mich gefragt, ob die ganze Geschichte irgendwie nicht stimmt.«

Ich blinzelte. Von welcher Geschichte redete er?

»Aber die Alice in der Gasse? Die Alice, die mich zusehen ließ, während sie in meinem Kopf rumstocherte? Die Frau, die sich in einer gemeinsamen Vision nackt mit mir herumgewälzt hat? Das ist die Frau, nach der ich mich gesehnt habe. Das ist die Frau, die ich will. Und glaub mir - ich kriege sie.«

Ich versuchte, etwas zu sagen, aber mein Körper war inzwischen so dahingeschmolzen, dass mir nichts mehr einfiel, und so gab ich nur ein leises Schnaufen von mir.

Seine Lippen glitten mein Ohr entlang, und dabei strich sein heißer Atem über meine Haut. » Also sag es mir, Alice. Sag mir, was mit dir passiert ist.«

Mir brach der Angstschweiß aus. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Ich finde es auch so raus.« Er richtete sich auf, musterte mich von oben bis unten und wandte sich zum Gehen. Dann drehte er sich noch mal um und sagte: »Und ich nehme meine Versprechen immer sehr, sehr ernst.«