14

 

Wie erstarrt fiel ich auf die Knie und zog das Messer heraus, als wollte ich das Geschehene rückgängig machen, auch wenn in diesem Moment der letzte Lebensfunke in Zanes Augen erlosch.

»Nein!«, wisperte ich und ließ das Messer auf den Boden fallen. Mein Magen zog sich zusammen, als mich etwas Seltsames erfüllte, etwas aus einer anderen Welt … Eine Woge der Macht, gefolgt von einer Explosion süßen, beinahe sexuellen Vergnügens, das jedes Stöhnen im Keim erstickte.

Was zum Henker…?

Fast gewaltsam schlug ich die Augen auf, während Verlegenheit, Lust und Begierde wie Querschläger durch mich hindurchpeitschten - ganz zu schweigen von dem erbärmlichen Grauen davor, Clarence könnte mir ein Messer in den Nacken jagen und vollenden, was Zane begonnen hatte.

Ich zuckte zusammen. Nur mein Verstand hielt mich davon ab, mich schleunigst aus dem Staub zu machen.

Aber Clarence machte keinerlei Bewegung in meine Richtung. Er sah nicht einmal zu mir her.

Vielmehr beobachtete er Zanes Leiche. Und als ich mich umwandte, wurde mir auch klar, warum: Unter dem Schnitt in Zanes Hemd schloss sich seine Haut schon wieder, als würde ich einer rückwärts ablaufenden Autopsie zuschauen.

Eher fasziniert als eingeschüchtert ließ ich meinen Blick von seiner Brust über das in Mitleidenschaft gezogene Handgelenk zu den ausdruckslosen, toten Augen wandern. Ausdruckslos aber nur so lange, bis ich ein Glitzern erhaschte. Es schien hinter der Iris zu sitzen. Ein Etwas, das zu tief war, um nur der Widerschein zu sein, sondern vielmehr der Pulsschlag reiner, innerer Energie war.

Ich beobachtete - verblüfft, entgeistert. Die ganze Bandbreite der Gefühle von Schock bis ehrfürchtigem Staunen machte ich durch, während Zane blinzelte, sich streckte und sich aufsetzte.

Nur um ganz sicherzugehen, schaute ich noch einmal auf seine Brust. Der Mann war geheilt.

Mehr noch: Er war von den Toten zurückgekehrt.

»Bist du doch auch«, sagte Clarence. Ich schrak zusammen. Ich hatte ganz vergessen, dass er auch noch da war und mich dabei beobachtete, wie ich Zane anstarrte.

»Aber ich … aber …« Mal ehrlich, was hätte ich auch sagen sollen?

Zane rieb sich die Stelle an der Brust und lächelte mich dann so unzweideutig an, dass meine Wangen erröteten.

Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Er würde, so viel war mir klar, beenden, was er begonnen hatte. Und diesmal würde der Lehrling nicht mehr siegen.

Seinem Gesichtsausdruck fehlte allerdings jegliche Mordabsicht. Im Gegenteil. Was ich da sah, war … Stolz,

»Bravo, Lily!«, sagte er, nahm das Messer vom Boden und stand auf. Sein Hemd war zerfetzt, aber das Fleisch darunter rein und makellos. »Jetzt hast du es verstanden.«

Ich stand einfach nur da. Meine pochende Hand schrie nach Aufmerksamkeit, aber im Moment interessierte mich der Schmerz nicht. Ich schob ihn beiseite, verdrängte ihn und konzentrierte mich auf das Wunder, dass dieser Mann nun wieder vor mir stand. »Wie hast du …«

»Wir haben alle unsere Talente, Lily«, sagte Clarence. »Zane trainiert. Sorgt dafür, dass wir über die besten Krieger verfügen können, die alles tun, um am Leben zu bleiben. Und weiterkämpfen.« Er zuckte mit den Schultern. »Es würde uns nicht viel nützen, wenn er jedes Mal endgültig sterben würde, wenn ein Krieger den Test besteht.«

Ich schluckte, seine Worte hüllten mich ein. Den Test besteht. »Dann habe ich ihn wirklich getötet?«

»Aber sicher, du hast ihn erledigt. Und das macht dich nun stärker.«

Ich runzelte die Stirn in der Annahme, er meinte das im übertragenen Sinn. Doch bald wurde mir klar, dass er mehr gemeint hatte. Das Blut schien entschlossener durch meine Adern zu fließen. Meine Muskeln waren gestählt. Meine Sinne geschärft.

Ich hatte getötet - und deshalb war ich stärker.

Ich hatte getötet - und hatte es genossen.

»Du hast es erfasst, Kleine: Jedes Mal, wenn du mit deinem Messer einen tötest, wirst du stärker. Eine bessere Kämpferin. Schwerer zu besiegen.«

Ich blickte zu Zane, der von den Toten zurückgekehrt war. »Was bist du eigentlich? Ein Engel?« Zumindest war er für die Rolle wie geschaffen. Eine maskuline Schönheit mit wunderschönen Augen, voll sinnlicher Anziehungskraft. Federleicht, aber mit dem Feuer eines Kriegers.

»Weit gefehlt«, lächelte er. Er kam mir näher, sodass meine Haut zu prickeln anfing, als wäre ich einem elektrischen Draht zu nahe gekommen. »Vergiss nicht, ma chere: Du darfst dich keinesfalls beirren lassen. Nicht von Mitgefühl, nicht von Neugier, nicht von Augen, die denen deiner Schwester gleichen«, fuhr er fort mit einem Blick auf den noch immer unbeweglichen Dämon. »Die Fähigkeiten hast du. Was dir noch fehlt, ist die nötige Hingabe.«

»Die habe ich doch«, widersprach ich. »Dich habe ich erwischt, oder nicht?«

»Mit ihr ist nicht zu spaßen, das sehe ich schon«, sagte er zu

Clarence. »Aber oui, das hast du, aber zu spät. Und wenn ich dich getötet hätte, cherie, wo wärst du jetzt?«

Ich würde in der Hölle schmoren.

Seinem Blick sah ich an, dass ich da richtig lag.

»Willst du überleben, Lily? Willst du unseren Kampf kämpfen? Unserer Sache zum Sieg verhelfen?«

»Unbedingt.« Ich drehte mich um und schaute zu der kleinen Ratte, die mich fast zur Hölle geschickt hätte. »Unbedingt.«

»Gut. Dann trainiere!«, erwiderte Zane. »Du folgst deiner Bestimmung. Du zögerst nicht. Du erfüllst deine Mission so zielstrebig wie möglich. Wenn du zweifelst, wirst du sterben; Zögern bringt dich ins Reich des Todes. Du bist nicht hier, um dich um sie zu kümmern, ihre Wunden zu verbinden oder ihre Krankheiten zu lindern. Vergiss nie, gegen wen wir kämpfen! Ihre Methoden sind trickreich, ihre Soldaten stark. Aber wenn du gehorchst - wenn du ganz bei der Sache bist -, werden dich deine Gaben ans Ziel führen.« Er legte mir die Hände auf die Schultern. »Schaffst du das, Lily?«

»Ja.« Eine andere Antwort stand gar nicht zur Debatte.

Zane ging anmutig zu dem Mädchen, das immer noch auf dem Boden lag, mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Hand am Nacken.

Er beugte sich vor, strich ihr fast liebevoll übers Haar und zog den Kragen ihres Hemds weg, sodass eine merkwürdige Tätowierung zum Vorschein kam. Eine Schlange. Sie wand sich um ein Schwert, riss das Maul auf, entblößte ihre Fangzähne und verschluckte gerade die Spitze der Klinge. »Sie ist ein elender Dämon, Lily, ein Tri-Jal. Siehst du dieses Zeichen? Das ist das Zeichen der Tri-Jal. Das sind die allerschlimmsten. So gewalttätig, so tödlich, dass sich selbst ihr Realitätssinn verschiebt. Dieses Mädchen ist nur scheinbar aus Fleisch und Blut. Aber sie hat nichts Menschliches an sich, noch nie gehabt. Sie ist ein Dämon,

Lily, durch und durch. Ja, noch weniger. Ein Kampfhund, und das Böse ist ihr Herrchen.« Er beugte sich ganz zu ihr runter. »Wuff!«

Trotz der Schmerzen knurrte der Tri-Jal wütend.

»Manche von ihnen kann man abrichten. Sie gehen, sie sprechen, sie passen sich an. Eine Elitetruppe, wenn du so willst. Eine höchst gefährliche Rasse. Eines Tages wirst du auf ein weiteres Exemplar stoßen. Und ich kann dir jetzt schon sagen, dass das kein schöner Tag sein wird.«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schaute das Mädchen argwöhnisch an.

»Das ist es, was du am Leben gelassen hast, Lily. Das ist es, was dich getötet hätte.«

Er hielt mir das Messer her. Das Messer, das ich im Kampf verloren hatte. Mit dem sie mich aufgeschlitzt hatte. Mit dem ich ihn getötet hatte. »Na los!«, forderte er mich auf. »Bring die Sache zu Ende.«

Ich zögerte nur kurz, dann nahm ich das Messer. Er trat einen Schritt zurück. » Jetzt! « Er drückte einen Knopf der Fernbedienung.

Das Dämonenmädchen heulte auf, dann war es auch schon auf den Beinen. Ihre Haut kräuselte sich, als würde darunter etwas leben, sich bewegen und sie entstellen, aber als sie mich ansah, waren ihre Augen immer noch die von Rose.

»Von wegen Rose«, knurrte ich und holte aus. Sie wehrte ab, doch ich war bereit, warf mich auf sie, sodass wir beide zu Boden gingen. Ich spürte die neue Kraft in mir, die durch mich hindurchbrannte, mich ausfüllte. Und verdammt wollte ich sein, wenn ich sie nicht sinnvoll einsetzte.

Ich packte sie mit einer Hand am Nacken und drückte sie nach unten. Sie schlug die Augen auf, aber ich sah weg. »Du bist nicht sie!«, rief ich und fuhr ihr mit der Klinge quer über den Hals.

Ein unheimliches Jaulen zerriss die Luft, als die schwarze Soße aus der Wunde sickerte. Ich sprang zurück und beobachtete fasziniert, wie sich ihr Körper in eine unergründliche Schleimgrube verwandelte. Sie schien sie aus unserer Dimension fortzusaugen und hinterließ nichts weiter als einen fettigen Fleck auf der Matte und mich, die finsteren Gedanken nachhing.

Ich überflog den Rest der Matte und entdeckte eine ganze Menge Flecken. Blut von Dämonen und Menschen, und ich mittendrin. »Ich habe es getan.«

»Allerdings«, lobte Zane mit leichtem Kopfnicken.

Ich runzelte die Stirn, als mir die Höllenbestie wieder in den Sinn kam. Sie hatte sich ebenfalls in Schleim verwandelt, die tödliche Verletzung jedoch am Herzen erlitten. »Ich habe dem Mädchen die Kehle aufgeschlitzt.« Erst jetzt war mir die Ungereimtheit aufgefallen. »Und es hat sich in Schleim verwandelt. Es muss also gar nicht das Herz sein, oder?«

Zanes Blick wechselte zwischen Clarence und mir hin und her. Mit meiner Frage konnte er offenbar nicht viel anfangen. »Neulich. Als der Grykon …« Ich verstummte und schaute zu Clarence, weil ich nicht recht wusste, ob ich überhaupt verraten durfte, dass ich schon zweimal Dämonen begegnet war - und dass ich einen davon hatte ungeschoren davonkommen lassen.

»Deacon Camphire hat seine Trickkiste ausgepackt«, erklärte Clarence. »Er hat den Dämon mit seinem eigenen Messer erledigt. Ein ziemlich durchsichtiger Versuch, Lilys Vertrauen zu gewinnen.«

Ich biss mir in die Wange, blieb, wenn auch mit Mühe, ruhig stehen und nahm den Rüffel hin.

»Ich verstehe.« Zane hielt mir das kurze Messer hin. »Es ist die Klinge, ma chere, nicht die Stelle, wo sie trifft. Ein Dämon, der durch das Messer und die Hand seines Besitzers ausgelöscht wird, kehrt nicht mehr zurück.«

»Ach. Und wieso habe ich nicht so ein Messer bekommen, bevor ihr Typen mich in das Pub geschickt habt? Da bin ich eine knallharte Supermörderin und muss mir mein Werkzeug im Müll suchen?«

»Der Test war an Alice’ Leben angepasst«, verteidigte sich Clarence. »Wir haben nicht damit gerechnet…«

»Nein«, unterbrach ihn Zane. »Sie hat recht.« Er nickte zu meiner Hand hin, in der ich immer noch mein Messer hielt. »Ein Jäger macht sich ein Messer zu eigen, indem er sein Blut über die Klinge vergießt. Das Mädchen da hat dich mit deinem Messer in die Hand geschnitten.« Ich betrachtete die Handfläche und stellte fasziniert fest, dass die Wunde bereits wieder verheilte. »Es ist jetzt deines. Gebrauche es gut.«

Unsicher befeuchtete ich mir die Lippen. »Mehr brauche ich also nicht? Nur ein Messer?«

»Tu, wozu du geschaffen bist, dann wirst du erfolgreich sein. Gebrauche dein Können, nutze den Vorteil der Überraschung. Dann wirst du siegen. Dann kannst du nicht versagen.«

Ich sali erst ihn an, dann Clarence, dann wieder ihn, mit mir uneins, ob ich mich in der mystischen Sphäre einer Mörderbraut treiben lassen oder mich lieber Fragen der irdischen Alltagstauglichkeit zuwenden sollte.

Ich entschied mich für die praktische Seite. »Wie wäre es mit einer Pistole? Nur für den Fall, dass Können und Überraschung nicht ganz reichen?«

»Und was würdest du damit anfangen?«

»Dem Monster eins zwischen die Augen ballern, wenn es auf mich losgeht, zum Beispiel.«

»Das würde dir nichts nützen, ma chere. Eine Kugel kann Dämonenfleisch nicht verletzen. Dafür braucht man ein Messer.«

Ich nickte zu einem der Waffenschränke hin. »Und wie sieht es mit einer Armbrust aus?«

»Würde sie aufhalten, ganz klar. Gut, eine Pistole könnte das vielleicht auch. Aber der Todesstoß muss von deinem Messer kommen. Von deinem Messer, rria cherel«

»Sonst kommen sie wieder?«, vermutete ich.

»Genau.«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Das heißt, sie stehen einfach auf und kehren ins Reich der Lebenden zurück?«

Zane schüttelte den Kopf. »Nicht der Körper kehrt zurück, sondern ihr inneres Wesen, die dämonische Substanz. Benutz dein Messer, dann tötest du auch diese, und nur dann kann der Dämon keinen neuen Wirtskörper mehr finden. Wenn du das unterlässt, wird er einen Weg zurück finden.«

»Oh!« Ich wollte mir das Messer gerade zwischen Gürtel und Jeans schieben, als Zane vorschoss. »Hier«, sagte er, löste die Scheide von seinem Schenkel, beugte sich vor und schnallte sie um meinen. Die Berührung war zielgerichtet und auf das Notwendige beschränkt, aber trotzdem erregend.

Nachdem er fertig war, trat er wieder zurück, begutachtete mich und nickte zufrieden. Danach ging er rüber zum Ring, bewegte sich mit der Anmut einer Katze dorthin, wo ich das Dämonenmädchen umgebracht hatte.

Er drehte den Fußballen in dem Fleck hin und her und sah dann wieder zu mir. Seinem Gesichtsausdruck konnte ich schon entnehmen, was er mir gleich sagen würde.

»Du bist hier, um Dämonen zu beseitigen. Das ist deine Aufgabe. Wenn du das nicht tust, bist du für uns wertlos.« Er kam wieder zu mir herüber. »Und das wäre doch ein Jammer.« Er schaute mir direkt in die Augen. Sein Blick war leidenschaftlich, aber tief im Innern lag etwas, das mich erschaudern ließ. Meine Reaktion wurde noch verstärkt, als er diesen straffen neuen Körper, der mich nun beherbergte, von oben bis unten musterte. »Das wäre wirklich verdammt jammerschade«, fügte er hinzu, während ich instinktiv zu meinem Messer griff.

Meine Finger umschlossen fest den Griff, obwohl ich gleichzeitig gegen den Drang ankämpfen musste, mich ihm zu nähern, meinen Körper an seinen zu drücken, jedes Verantwortungsgefühl abzustreifen und mich in einem Anfall trunkener Sinneslust in seinen Armen zu verlieren. Allerdings war dieses Gefühl, diese Sehnsucht, nicht echt. Das wusste ich, und ich wehrte mich dagegen. Zane hatte mich infiziert wie ein Virus, doch anstatt mich dem Fieber einfach zu ergeben, zog ich mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Alles, damit ich nicht so verletzlich war. Nicht so entblößt.

Nicht so geil, verdammt noch mal.

Wenn ich überleben wollte, musste ich mich auf das Wesentliche konzentrieren. Und ganz wichtig: Ich musste lernen, nach welchen Regeln meine neue Welt funktionierte.

Und zwar schnell!, dachte ich mit einem Blick auf den kaum noch wahrnehmbaren öligen schwarzen Fleck