23
Aus der Bauchlage heraus versuchte ich, an das Messer in der Innentasche meines Mantels zu kommen - aber das Biest schlug es mir einfach aus der Hand. Es glitt unter einen Stapel Paletten. Ich streckte den Arm aus, um es mir wiederzuholen.
Das war eindeutig die falsche Bewegung. Während ich nach dem Messer angelte, beugte sich das kleine Monster über mich und versenkte seine Zähne tief in mein Handgelenk. Ich heulte auf, riss den Arm hoch und schlug ihn so fest auf den Boden, dass es ekelhaft krachte. Doch die Zähne ließen nicht locker, genauso wenig wie der restliche Körper des Dämons.
Während der Dämon nagte und kaute und grunzte und meinen Arm hin und her schlenkerte wie ein Hund einen Knochen, knallte ich den Arm wieder und wieder auf den Boden, um dem hässlichen Biest den Kopf einzuschlagen. Aber Dämonen sind außerordentlich widerstandsfähig, und mir war nicht sonderlich viel Erfolg beschieden. Da ich keine weitere Waffe bei mir trug, schlug ich meinen Arm - und den Dämonenkörper - gegen die Wand, dann gab ich ihm mit der Hacke einen Tritt gegen den Hals.
Er klappte den Mund auf, und auf meinem Handgelenk blieben blutige Zahnabdrücke zurück. Ich riss den Arm weg, bevor er erneut zubeißen konnte, und zog auch das Bein ein. Das Ding fiel zu Boden und schnappte durch seine zerschmetterte Luftröhre nach Luft. Seine schwarze, ölige Zunge hing heraus, und dann packte es knurrend und zischend mit seinen Klauenfingern meinen Knöchel.
Ich fiel auf den Rücken und versuchte, den Dämon wegzutreten, aber es gelang mir nicht. Der Druck seiner Hände nahm zu und schnürte mir das Blut ab. Gleich würde er mir die Knochen brechen.
Ich zuckte zusammen, schließlich war ich gegen Schmerz nicht immun, auch wenn der Herr mir jede Menge Kraft verliehen hatte. Verzweifelt sah ich mich nach etwas um, das ich als Waffe einsetzen könnte, und entdeckte zweierlei: eine zerbrochene Bierflasche, für die ich eine gute Verwendung wusste, und drei dunkle Gestalten, die von der Straße her auf mich zurasten. Sie trugen zwar nicht ihre todschicken Ich-bin-ein-böser-DämonT-Shirts, aber dass sie es auf mich abgesehen hatten, wusste ich sofort.
Ich zögerte keine Sekunde, den Dämon zu töten, der mich gepackt hielt. Von zerbrochenem Glas verursachte Wunden hatte ich schon oft gesehen, aber ich hatte noch nie jemandem eine zugefügt und war überrascht, wie leicht das scharfe Glas durch die ledrige Haut an der Kehle der Bestie glitt. Doch das reichte nicht - die Hand hielt meinen Knöchel weiterhin fest umklammert, und ich musste die langen Finger einzeln aufbrechen, wobei ich kostbare Zeit verlor.
Als ich mich endlich befreit hatte, stieß ich den leblosen Kadaver zur Seite und fischte nach meinem Messer, wild entschlossen, dem toten Dämon endgültig den Garaus zu machen.
Ich schaffte es nicht. Meine Finger waren nur noch wenige Zentimeter von der Klinge entfernt, als einer der Neuankömmlinge meine Füße packte und mich auf den Rücken drehte. Sein Schwert fuhr herab und bohrte sich durch mein Bloody-Tongue- T-Shirt und die Haut über meinen Rippen.
Frust und Schmerz ließen mich kraftvoll zuschlagen, und es gelang mir, die Klinge wegzustoßen, bevor der Dämon einen zweiten Versuch starten konnte. Stattdessen trat er mich in die
Brust, genau auf die frische Wunde. Nach Luft schnappend warf ich mich nach hinten, packte seinen Fuß und hielt ihn fest, sodass er rückwärts durch die Luft flog, während ich die Hebelkraft seines Gewichts nutzte, mich vom Boden hochzustemmen.
Jetzt war ich zwar auf den Beinen, aber so viel besser war das auch nicht unbedingt. Meine drei Angreifer wirkten verdammt entschlossen, und verdammt furchteinflößend waren sie auch. Zwei waren deutlich größer als ich, hatten eine Haut wie ein Gürteltier, eine Schnauze, wo eigentlich eine menschliche Nase hätte sitzen sollen, und Augen stumpf und ausdruckslos wie die eines Hais. Beide standen auf muskulösen Beinen mit Pferdefüßen, hatten Schwänze, die über den Boden schleiften, als ob das fürs Gleichgewicht nötig wäre, und waren bis zu den Zähnen bewaffnet. Sie waren mit so viel Metall behangen, als wären sie gerade aus einem Videospiel entsprungen.
Der dritte schien zwar Menschengestalt zu haben, aber ich wusste, dass das nichts zu sagen hatte. Wie bei dem Gruftie-Mädchen würde auch bei diesem Dämon das Blut schwarz sein.
Der vorderste Dämon riss erneut sein Schwert hoch, aber ich sprang in einer ziemlich abartigen Version von Seilhüpfen über ihn hinweg. Als mich sein Schwert nicht wie erwartet traf, flog er nach hinten, aber das half mir leider gar nichts. Ich musste mich auf Dämon Nummer zwei konzentrieren, der seinen Morgenstern wild herumwirbelte und mir dann an der Kette entgegenschleuderte.
Entweder war es ein brillanter Schachzug oder ein wunderbares Beispiel für einen unerwarteten Glücksfall - jedenfalls packte ich die Kette, riss sie nach unten und Dämon Nummer zwei mit mir zu Boden. Ich schnappte ihm den Griff aus den Klauen und stieß ihn ihm in den weichen Bauch, während ich mich gleichzeitig aufrichtete und den Morgenstern an seiner Kette herumwirbelte.
Ich hielt den Atem an, dann ließ ich den Morgenstern los und versetzte dem dritten Dämon, der gerade auf mich zustürzte, einen heftigen Schlag. Er stürzte und fiel über den ersten Dämon - meinen Freund mit dem Breitschwert -, der sich gerade wieder aufrappeln wollte.
»Nichts da«, sagte ich und gab ihm kräftig eins auf die Schnauze, während ich gleichzeitig sein Schwert packte. Bäsch drehte ich mich um und schlitzte Dämon Nummer zwei der Länge nach auf, der sich gerade auf mich werfen wollte, entweder um mich anzugreifen oder um seinen Kollegen zu retten. Ich zögerte einen Moment, wartete auf die Kraft, die mich eigentlich hätte befeuern sollen, und als nichts kam, wurde mir klar, dass ich die Bestie nicht mit meiner eigenen Klinge getötet hatte. Das Mordinstrument gehörte mir nicht, also würde ich auch keine Kraft daraus ziehen können.
Egal. Ich war auch so stark genug. Ich schwang das Schwert in hohem Bogen, ließ es auf den Dämon zu meinen Füßen niedersausen und spießte ihn mit seiner eigenen Waffe auf.
Um mich herum bildete sich eine Lache aus scheußlicher Flüssigkeit, die aus den beiden Dämonen tropfte, aber mir blieb keine Zeit, den Sieg auszukosten. Der dritte Dämon, der in menschlicher Gestalt, war wieder auf die Füße gekommen und spielte ein bisschen Mittelalter, den Morgenstern, den ich nach ihm geworfen hatte, in der Hand. Seine Augen brannten vor Hass, und er ließ den Ball mit den Stacheln sich schneller und schneller drehen. Aber das war nicht das, was so furchteinflößend wirkte.
Was so furchteinflößend wirkte, waren die fünf weiteren Dämonen, die die Gasse hinaufgerannt kamen.
»Nur zu«, flüsterte ich und fühlte mich auf dumme und verzweifelte Weise zuversichtlich.
»Schlampe«, brüllte der Dämon in Menschengestalt und ließ den Morgenstern los. Er flog in einem Bogen genau auf mich zu.
Ich tauchte nach unten ab, doch die Kugel kam mir immerhin so nah, dass mir die Stacheln das Haar kämmten. Ich machte eine Rolle vorwärts und sprang wieder auf, das Schwert nach wie vor in der Hand. Ohne meine Zeit mit irgendeiner überflüssigen Bewegung zu vergeuden, rammte ich es dem menschlich aussehenden Dämon in den Hals und hob ihn dann daran hoch bis über meinen Kopf.
Der auf dem Schwert aufgespießte Körper des Dämons zuckte und wand sich. Blut lief aus der Wunde und meinen Arm hinab, während das Biest sein Leben aushauchte. Der kupfrige Geruch des Bluts stieg mir in die Nase, machte mir Lust auf mehr und ließ mich kräftiger werden.
Mit einer Hand am Schwertgriff und einer an der Hüfte des Dämons schlenkerte ich den Körper als Warnung an die anderen Dämonen über meinem Kopf herum.
Dann warf ich ihn auf den Boden, und eine graue Wolke stieg hoch. Eine Wolke, die Augen und Zähne und einen Mund zu haben schien, der in stiller Wut schrie und einen dunklen Rachen entblößte, der aussah, als könne er die ganze Welt verschlingen. Der Körper wand sich am Boden und starrte mich aus trüben blauen Augen an. Der Mund stand offen, und von den Lippen tropfte Blut. Er stieß ein Wort hervor, »Hilfe«, dann blieb er leblos liegen.
Verwirrt und überwältigt schüttelte ich mich. Ich war mir nicht sicher, was sich da gerade abgespielt hatte. Ich wusste nur, der Körper war tot und die Wolke verschwunden, und beides hielt ich für eine gute Sache. Aber die fünf Dämonen waren immer noch da, und das war ganz und gar nicht gut. Ich stellte mich breitbeinig hin und starrte meine fünf neuen Feinde nieder. »Greift mich nur an«, rief ich. »Ich habe ja so dermaßen Bock auf mehr.« Ich konnte spüren, wie das Blut durch meinen Kopf rauschte, mich wild machte und nach einem Kampf gieren ließ.
Der Dämon direkt vor mir sah mir in die Augen, und einen Moment lang glaubte ich wirklich, wir würden aufeinander losgehen. Doch dann steckte er zwei Finger in den Mund, stieß einen Pfiff aus, und schon stoben die anderen davon.
Ich trat über meine dämonische Trophäe hinweg, um ihnen nachzurennen, beschloss dann aber, es lieber zu lassen. Ich war erschöpft. Ich war mit den Nerven am Ende.
Und ich war nicht scharf darauf, Dämonen durch die Straßen von Boston zu jagen.
Ich hätte mich nicht entspannen sollen. Ich hätte auf der Hut bleiben müssen.
Denn genau in dem Moment streckte der Anführer der fünf Dämonen den Arm aus, und zum Vorschein kam eine Armbrust, die er unter seiner Jacke versteckt hatte. Ich sah sie eine halbe Sekunde zu spät - seine andere Hand war inzwischen ebenfalls vorgeschossen und stützte die Waffe -, und als ich mich zu Boden werfen wollte, ließ er den Pfeil fliegen.
Der Pfeil traf mich in die Brust. Alles um mich herum wurde rot, das Blut dröhnte mir in den Ohren, und unter der Spitze des Pfeils explodierte mein Herz.
Meine nutzlosen Glieder klappten unter mir zusammen, und ich fiel zu Boden. Mit weit aufgerissen Augen starrte ich auf den Dämon, den ich eben erst dorthin geworfen hatte. Er war bereits tot.
Und ich würde ihm in Kürze Gesellschaft leisten.
Verzweifelt schnappte ich nach Luft, aber statt Sauerstoff kam nur blutige Spucke.
Die toten Augen des Dämons starrten mich an, während das letzte bisschen Leben aus mir entwich. Ihre Botschaft war eindeutig: Wir sehen uns in der Hölle, sagten sie. Und zwar bald.